Sonntag, 22. Dezember 2013
weihnachtsgeschenk
party. das objekt hat zuvor noch angerufen, um zu fragen, ob ich gehe, und um mir mitzuteilen, dass es auch gerne gehen würde, aber die vermietergespielin mache terz, das objekt soll zuhause bleiben, weil sie krank ist.
"wenn die alte krank ist, soll sie schlafen", finde ich. "und dazu braucht sie dich doch nicht."
das objekt druckst eine weile herum und gibt letztendlich zu, dass er sich dem diktat wahrscheinlich beugen werde.
"muss wahre liebe schön sein", sage ich spöttisch und böse, und das objekt ist eingeschnappt, weil ich mal wieder den finger in den wunden punkt gehalten habe.

ich habe trotzdem spaß, denn ich habe freie flirtbahn. zunächst lerne ich einen etwas älteren typ kennen, der mir schon seit geraumer zeit aufgefallen war, weil er schön und prollig zugleich ist, diese rudimentäre "hey baby"-stammtisch-schönheit, wenn sie verstehen, was ich meine. ich weiß, dass er verheiratet ist, seine frau ist heute auch dabei, und irgendwer hatte mal erzählt, sie sei fleischerin, was sehr gut zu ihr passt. sie sieht sehr streng und rüde und zupackend aus und macht mit dem hackebeil zwischen am haken schwingenden schweinehälften bestimmt eine gute figur.

ihr mann spendiert mir eine whiskey cola nach der anderen und labert mir eins an die backe. ich finde ihn sympathisch, mehr nicht. doch als wir blau sind, beginnt er unerwartet, mir komplimente zu machen und mich zu küssen.
"aber deine frau ist doch da", wage ich anzumerken.
er macht nur eine abwehrende geste, bis die olle vor uns steht, zur furie mutiert. ich habe angst, dass sie gleich das schlachtmesser zückt, also renne ich erstmal aufs klo, damit der typ die lage beruhigen kann.

immer die gleichen scheiß-situationen. immer diese eifersüchtigen, besitzergreifenden weiber. die welt könnte so schön sein ohne frauen, denk ich mir manchmal, auch wenn ich selber eine frau bin. ich unterhalte mich mit dem architekten darüber.
"es gibt nunmal jäger und sammler", doziere ich besoffen. "die meisten männchen sind jäger und die meisten weibchen sind sammler, aber das ist nicht immer so. ich bin beipielweise auch ein jäger und ich find das so kacke, dass immer sammler dazwischen kommen und mir die beute grabben wollen. und zwar nicht, weil sie schöner und intelligenter oder sexier wären. sondern weil sie ein konstruiertes recht geltend machen. das führt den sozialdarwinismus ad absurdum!"
der architekt guckt verwirrt und kann mir nicht folgen, aber ich kann mir selber auch nicht mehr ganz folgen. alles was ich habe, ist eine stinkwut auf die gesellschaft mit ihren blöden normen und auf die blöden weiber allethalben.

in der ecke sitzt ein typ mit eckiger intellektuellenbrille und beobachtet meine aufgebrachte rede und mein besoffenes gestikulieren. weil ich noch immer in rage bin, gehe ich hin und frage:
"is was?!"
er schüttelt schüchtern den kopf und lächelt dann ein winziges sympathisches lächeln.
ich stapfe wieder zurück, trinke mein glas leer, jetzt bloß kein alkohol mehr, dann drehe ich ab in richtung tanzfläche.

weil ich wegen des knies nicht tanzen kann, sitze ich am rand der tanzfläche und wippe mit den beinen. keine fünf minuten später taucht der brillentyp auf, setzt sich zu mir und lächelt mich wieder an. ich habe ein sympathisches kribbeln im bauch, der findet mich gut, der findet mich gut, jubiliert das herz, das depressionsbedingt ständig mit selbstzweifeln kämpft, und weil ich ausnahmsweise mal so gelöst bin, nehme ich den typ einfach an der hand und zerre ihn zur bar.
"was willst du trinken?"
der typ guckt sehr überrumpelt.
"äh..."
die bedienung beugt sich über den tresen.
"hi, was möchtest du haben?"
ich bin plötzlich zögerlich, denn der gedanke an noch mehr alkohol verursacht mir brechreiz. auch mein neuer bekannter guckt noch immer verwirrt. die bedienung wird ungeduldig.
"einen kirschsaft", sage ich schnell.
"ich auch", schließt sich der typ an.

dann sitzen wir da und nippen an unserem saft.
"was ich an kirschsaft so mag, ist diese farbe", sage ich zusammenhangslos.
"ah", sagt der brillentyp.
dann schauen wir uns wieder an und grinsen wie die osterhasen.
"ich bin dir total dankbar, dass du mich angesprochen hast", sagt der typ dann. "ich hätte mich nämlich nicht getraut. und was für eine geste! das hatte was."
"ach, ich bin auch total schüchtern", sage ich lakonisch.
"echt?!"
"ja. ich finde mich nicht hübsch oder clever oder so."
"du wirkst aber gar nicht so."
"gute maske, ne?!"

der brillentyp grinst. was ich beruflich mache, will er wissen. ich sage es ihm und frage dann nach seinem job, wenn wir schon bei den heiratsrelevanten eckdaten sind.
"ich bin therapeut."
"was für einer denn?"
"in einer psychiatrie."
ich lache mich halbtot und der therapeut schaut schon wieder verwirrt.
"herzlichen glückwunsch, du unterhälst dich gerade mit deiner klientel", sage ich.
"ach was?"
"ja, leider. soll ich gehen? ist ja langweilig für dich."

und plötzlich habe ich die arme des therapeuten um meine mitte. wir hören auf zu lächeln. ich bekomme angst. aber der therapeut riecht gut. er riecht richtig. er riecht so, dass ich mich einfach in diese arme sinken lasse und den kopf auf seiner schulter ablege, gerade so, als kannten wir uns schon ewig. dann küssen wir uns. und die welt um mich herum versinkt.

es fühlt sich gut an, aber meine angst vor nähe bricht immer wieder durch. er merkt das.
"ich hab so ein nähe-problem", gebe ich zu.
"ich bin auch depressiv, wenn dir das irgendwie hilft", lächelt der therapeut.
ich bin perplex:
"wie geht das denn, therapierst du dich dann selber?"
"ich hab alles an medikamenten genommen, was es gibt. aber nichts hat geholfen. das kann vorkommen, rund 20 prozent meiner patienten profitieren einfach nicht von medikamenten."
"oh mann, das ist nicht leicht."
"depressionen sind generell nicht leicht, egal ob mit oder ohne. aber man kann sehr viel lernen und sich strategien aneignen, mit denen man anderen menschen dann überlegen ist."
"das finde ich auch!"
"leider tröstet das nicht, oder?"
"nee. höchstens ganz selten."
"ganz, ganz selten."
"ich wäre manchmal gerne einfach normal."
"das ist nicht dein ernst."
"nein. aber es gibt so momente. da möchte ich eine glattgebügelte persönlichkeit sein, die dem leistungsprinzip dieser gesellschaft nacheifert, hübsch 1,4 kinder wirft und samstags in die innenstadt geht, um ordnungsgemäß zu shoppen. und die darüber nicht nachdenken muss, ob das richtig so ist."
der therapeut lacht und schaut mich offenherzig an.

ich beschließe, meine nähe-angst vorläufig aufzugeben und einfach sitzenzubleiben, hier, in der wärme, unter den zärtlichen, forschenden blicken des therapeuten. er streichelt meinen rücken und meine schultern und küsst meine wangen, meinen hals und meine lippen. und so verharren wir, bis es halb sieben uhr morgens ist und der tanztempel schließt.

draußen stehen wir noch lange beisammen.
"ich wohne hier gleich um die ecke", sagt der therapeut. "wenn du möchtest, kannst du gerne mitkommen."
"nee", sage ich. "ich bin nicht so die frau für die erste nacht."
"so war das nicht gemeint."
"egal. ich muss nachhause. echt. ich kriege morgen nachmittag besuch."
"okay, dann..."
"dann..."
"gibst du mir deine telefonnummer?"
"klar."
wir tauschen nummern und nehmen uns dann ein letztes mal in die arme.

im bett kann ich lange nicht einschlafen. was hab ich mir da bloß geangelt? mann oder memme, würde das objekt fragen. wird er anrufen? frage ich mich. wird er? oder ist er wie alle anderen?

der therapeut ist ein bisschen wie ein weihnachtsgeschenk. noch unausgepackt. mit rätselhaften inhalten. wir werden sehen,ob es grund zur freude geben wird.

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