Sonntag, 15. Dezember 2013
im baumgarten
am samstag gegen mittag schreibt mir das objekt, dass es wegen der angespannten lage erst um 16 uhr rauskommt. wenn ich will und kraft habe, darf ich bei seiner arbeit vorbeikommen und dann würden wir im park spazierengehen. ich freue mich trotz allem wie irr und schreibe, dass ich da sein werde. das objekt mahnt mich, mit dem bus statt mit dem fahrrad zu fahren, weil es glaubt, dass ich derzeit zu durcheinander sei, um mit dem straßenverkehr klarzukommen. ich, die ich nicht weiß, wie lange ich noch radfahren können werde, sehe das anders.

um viertel vor vier stelle ich mein rad an der klinik ab und begebe mich durch den gebäudedschungel zu dem neubau, wo das objekt arbeitet. es ist kalt und neblig und ich verfluche mich, dass ich keine wärmere jacke mitgenommen habe. dann kommt auch schon das objekt auf mich zugeeilt, strahlt mich an und nimmt mich in die arme.
"schön, dass du da bist."
"schön, dass DU das bist", erwidere ich.
"hat das alles geklappt? hast du den bus genommen?"
ich schaue schuldbewusst zu boden.
"morphine! du bist so unvernünftig! so unvernünftig!" poltert das objekt, um dann schmunzelnd hinzuzufügen:
"und trotzdem versteh ich dich. ich würde es ja nicht anders machen."

das objekt nimmt mich über die straße mit in den park.
"warst du schon mal hier? kennst du die wege?"
"ich war zweimal hier. aber ich hab den park noch nie ganz gesehen."
"dann zeig ich dir jetzt erstmal meinen lieblingsplatz."
der objektive lieblingsplatz ist eine anhöhe mit einem dicken, uralten baum in der mitte. es gibt zwei bänke, von denen aus man auf einen teich schauen kann. das objekt kramt in seiner kuriertasche und bringt handtücher zum vorschein.
"wie gut, dass ich gestern noch schwimmen war, jetzt können wir uns auf die handtücher setzen und bekommen keinen nassen po."

die handtücher verströmen einen zarten duft nach dem objektiven limette-ingwer-duschgel. wir setzen uns nieder.
"ganz schön kalt", finde ich.
"komm", sagt das objekt, schlüpft aus einem ärmel seiner jacke, zieht mich an sich und meine beine in seinen schoß und schlingt dann die jacke um mich.
"herrlich. du bist so praktisch."
"ist ja nicht ganz uneigennützig", sagt das objekt und berührt die kontur meiner rechten brust, die an seine seite gepresst ist.
"bisschen kalt für outdoorsex", konstatiere ich.
"das wird gleich warm", meint das objekt.
es zieht tabak und eine dose aus der tasche.
"du hast nicht ernsthaft dein gras mit auf arbeit", sage ich.
"doch klar", meint das objekt völlig entspannt. es drückt mir ein paper zum festhalten in die hand und fummelt dann tabak aus der tüte, streut fein gras darüber und formt das ganze anschließend zu einem festen, schönen joint.
"du darfst anrauchen", sagt es großzügig.

wir sitzen ineinander gekuschelt da und qualmen. das objekt wärmt mich in seiner jacke und wiegt mich sachte wie ein kind. es hat seinen weichen bart an meine wange gedrückt und summt leise in mein ohr.
"das hier ist so mein burggarten", sagt es dann. "also wenn da jetzt noch ne hecke wäre. die musst du dir denken. da könnten wir auch dahinter verschwinden, wenn wir mal pinkeln müssen."
ich lache mich halbtot.
"mit hecke würden mir hier noch ganz andere dinge einfallen. stell dir vor, es wäre jetzt ein schöner sommerabend... wir wälzen uns nackt auf der erde von mutter natur..."
das objekt grinst mich an und schweigt.

dann stehen wir auf und das objekt setzt seine parkführung fort. es sind kaum noch leute unterwegs bis auf einige wenige jogger, die im dunkel ihre runden drehen.
"was würdest du machen, wenn du sehen würdest, dass eine frau hier überfallen wird", will ich vom objekt wissen.
das objekt lässt mich kurz los, ballt die fäuste und deutet einen zweikampf an, bei dem es den gegner niederstreckt.
"und dann würde ich das weibchen reißen", grinst es frech. "die beute als belohnung."
ich puffe es in die seite und gebe mich empört und das objekt knufft und küsst mich.

wir kommen zum teich, den wir von oben gesehen haben.
"hier gibt es ganz viele kaulquappen und auch ein paar fische", erzählt das objekt. "also falls die klinik deine sommerresidenz werden sollte... hier gibt es einiges zu entdecken und zu staunen. das lohnt sich immer, ich mag es jedenfalls sehr gerne hier."
ich muss lächeln und denke an mr. shyguy, der das objekt noch als jugendlichen kennt und der immer sagt, das auffälligste am objekt sei damals gewesen, dass es immer seine welt teilen und anderen das schöne zeigen wollte. im zuge der kompletten nichtachtung durch seine eltern, der rohheit seines vaters und des vermehrten alkohol- und drogenkonsum sei ihm diese lebendigkeit allerdings immer mehr abhanden gekommen. die erkenntnis, dass das objekt gerade in diesem moment vielleicht genau so ist, wie es eigentlich wirklich ist, durchschießt meinen kopf und sammelt sich als warmes gefühl in meiner brust.

nach gut einer stunde stehen wir wieder am parkausgang. das objekt zieht mich wortlos in seine arme und hält mich ganz fest.
"wie auch immer", seufzt es dann. "also... wie auch immer es ausgeht... ich werd versuchen, da zu sein. trotzdem musst du dir jetzt schon überlegen, wie es im ernstfall weitergeht. was machst du mit deinen eltern?"
"die fahren morgen wieder."
"wie hast du das denn geschafft?"
"meine mutter wollte heute meine wohnung sehen und ich hab gesagt, dass ich dich sehen werde und ich sie erst abends treffen würde. sie meinte dann, aber sie hätte meine katze sehen wollen. was mich verblüfft hat, denn meine mutter hasst katzen. nunja, über kurz oder lang war sie wieder angefressen und meinte, sie würden dann nach hause fahren. ich meinte, okay, macht das. ich hab dann nur noch kurz mit meinem vater gesprochen und ihm gesagt, dass ich für heute abend einen tisch reserviert habe und wo das genau ist. mein vater versteht mich gerade glaub ich eher."
das objekt schaute skeptisch.
"ich hätte es gut gefunden, wenn jemand für dich da gewesen wäre."
"du musst das nicht machen, echt nicht, ich komm schon klar."
"das meinte ich nicht."
"aber ich will, dass du das weißt. ihr habt doch hier eine sozialstation, ich werde da fragen, was ich machen soll, ob es eine art vorübergehende pflege für alleinstehende krebspatienten oder sowas gibt. ich zieh das alleine durch, ich schaff das schon."
das objekt schaut mich bewundernd an.
"respekt. du hast echt nen arsch in der hose."
"ich weiß. aber ich rede jetzt vielleicht auch cooler daher als ich nächste woche dann sein werde."
"was machst du mit deiner arbeit?"
"ich bin dieses jahr noch krankgeschrieben... aber ich werde nächste woche wieder arbeiten gehen. egal, was rauskommt. wenn ich allein zuhause rumsitze... davon geht der krebs auch nicht mehr weg. es sei denn, ich habe schlimme schmerzen, dann bleib ich zuhause."
das objekt nimmt mein gesicht in seine hände und streichelt meine wangen und haare. es überlegt und überlegt und sagt dann zögerlich:
"weißt du, was ich mir wünschen würde? falls es schlimm ausgeht... dann möchte ich etwas von dir haben. irgendwas, was dir gehört und was dir vielleicht auch was bedeutet. damit mir etwas von dir bleibt."

jetzt muss ich doch ein bisschen heulen, einfach, weil ich das objekt so lieb habe und es manchmal so schöne gedanken hat. und weil es mich immer noch festhält, warm, beruhigend, zärtlich, und ich so sein kann, wie ich bin.
lustig und traurig.
krank und gesund.
cool und emotional.
schüchtern und sexy.

und ich weiß, dass ich noch einmal herkommen werde, an den objektiven lieblingsplatz und an den kaulquappen-teich und genau an diese stelle hier am ausgang. immer dann, wenn ich kraft brauche und mich erinnern muss.

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