Donnerstag, 12. Dezember 2013
kieselsteinchen
bloggen, was die zeit hält. ich nehme sie mir gerade, auch wenn ich eigentlich vorhabe, den alltag weiterzugehen. es gilt vor allem, die nächte zu nehmen, die nackte todesangst, die ungewissheit und die schmerzen zu überbrücken. sich an das positive halten, das, was gerade da ist. und es gibt diese momente zum festhalten, allen schrecklichkeiten zum trotz.

der erste mensch, der nach der diagnose sofort live und in farbe an meiner seite stand, war das objekt. bevor ich mir noch recht überlegen kann, was ich von dem krebs, meinen meinetwegen schicksalsgebeutelten eltern und den voraussichtlichen auswirkungen der erkrankung auf meine berufliche situation halten soll, hat das objekt schon die vermietergespielin kurzerhand für den rest des tages zu ihrer freundin ausquartiert und mich einfliegen lassen.

dann sitze ich in der neuen objektwohnung, die trotz sechsmonatiger renovierung schlimm aussieht. davon abgesehen ist ganz offenbar auch die vermietergespielin keine leuchte im putzen und aufräumen. besonders im bad sieht es schrecklich aus. nicht ohne genugtuung stelle ich allerdings fest, dass das objekt und die vermietergespielin getrennte schlafzimmer haben. auch sonst kaum hinweise auf eine vermischung dieser beider leben. keine romantischen gegenstände, keine kleinen zettelchen mit botschaften wie "bis heute abend, schatz, hängst du schon mal die wäsche auf?" wie ich es von anderen zusammenlebenden paaren kenne. kurzum, ich bin beruhigt.

ich darf mich an den küchentisch setzen, das objekt nimmt gegenüber platz. fünf sekunden später überlegt es sich es jedoch anders, steht auf, schiebt mich zur seite, pflanzt sich neben mich und nimmt mich sehr fest in die arme. so sitzen wir eine weile, bis der objektsohnemann reinplatzt und vor freude schier ausflippt, dass ich da bin. er stürzt sich auf mich und umarmt mich in objekt-manier.
"du warst aber lang nicht mehr bei uns", sagt er und es klingt wie ein vorwurf.
das objekt schaut lächelnd von mir zu seinem kind, steht dann langsam auf und meint:
"ich mach mal essen, bleibst du solange bei der morphine?"
der kleine nickt und zieht mich ins schlafzimmer seines vaters, wo wir spiele spielen, bis das essen fertig ist. es gibt tagliatelle mit wildlachs und spinat, und obwohl ich der meinung bin, keinen bissen runterzubekommen, schmeckt es ganz köstlich. das objekt strahlt und lobt mich, als mein teller tatsächlich leer ist.

"können wir noch ein spiel spielen", greift der sohnemann nach dem abwasch nach meiner hand, aber der papa ist streng, beharrt darauf, dass ich sein besuch sei und mich der sohnemann schon lange genug in anspruch genommen habe.
ich sehe den jungen an, der die haare inzwischen ebenfalls lang wie sein vater trägt, sein hübsches mädchengesicht mit dem forschen blick. ich verspreche ihm, ihn nachher mit ins bett zu bringen, dann verzieht er sich, um einen film zu gucken.

"der hat sich aber gemacht", sage ich zum objekt. "der wortschatz, und wie er mit einem umgeht..."
das objekt grinst sehr zufrieden.
"na wenn die frau lehrerin das sagt."
"wie isses in der schule?"
"ganz okay. also, es könnte natürlich sehr viel besser sein, aber ich klage ja vom hohen ross."
"und wie kommt er hier so klar mit der situation", frage ich, und meine damit die objekt-wg.
"naja, also, so recht warm wird er nicht mit der gespielin. die dulden sich gegenseitig, aber es ist jetzt kein herzliches verhältnis."

weil ich erschöpft und kalt bin, steckt mich das objekt in sein bett, krabbelt hinterher und nimmt mich wieder in die arme.
"stell dir vor, all die positive energie, die du hier bekommst, sind wie kieselsteinchen. wenn du sie aufsammelst, behälst du sie, auch wenn du wieder alleine zuhause bist und die nacht durchstehen musst."
die unglaubliche wärme und die zart über mein haar und meine wangen streichelnden hände machen mich mich tatsächlich ruhiger, auch wenn die panik noch immer zwischen meinen schultern sitzt, wo sich inzwischen knochenharte verspannungen gebildet haben.
"morphine, es ist ganz normal, dass du solche gedanken hast", sagt das objekt, als könne es die schwarz wabernden hirnströme lesen. "das hat nichts mit hysterie oder so zu tun. es ist ja durchaus klug, sich innerlich auf die gefahren vorzubereiten. aber dazu ist jetzt der falsche zeitpunkt. wir haben noch ein paar tage. also versuch, die gedanken ziehen zu lassen und sie einfach fernzuhalten."

langsam steigen wärme und leben in mir auf.
es gibt objekt-hausmarke zu rauchen und weil mir geld inzwischen egal ist, kaufe ich dem objekt eine größere menge ab.
"ich werds brauchen", sage ich und das objekt schmunzelt und nickt.
der sanfte rausch breitet sich in meinem kopf aus und ich werde schläfrig und entspannt. das objekt hat meine kalten hände auf seinen bauch gepackt und hält sie fest. aller misere zum trotz finde ich das sexy. und auch hinter der objektstirn scheinen sich inzwischen nicht mehr ganz so unschuldige gedanken abzuspielen. wir schenken einander verstohlene blicke, dann küsse ich das objekt schüchtern auf die wange. es küsst mich zurück auf den mund, schaut mich dann an und überlegt, schweigt aber.

ich bewege meine hände, die noch immer auf seinem bauch liegen, ein kleines stück weiter nach unten, warte aber ab, denn das objekt ist mittlerweile auch sehr breit und damit eigentlich in keiner guten verfassung für sex. aber der kopf ist bereits angetriggert, das kann ich spüren.
"morphine", flüstert das objekt irgendwann. "wenn du so weitermachst, fallen mir lauter sauereien ein."
"also ICH sehe da kein problem", erwidere ich lachend. "du hast eine so genannte 'freundin', an der deine wohnsituation hängt. für mich ist es vielleicht der letzte sex meines lebens!"

anstatt einer antwort steht das objekt auf und beginnt, im flur zu kramen. dann kommt es wieder herein und schließt seine zimmertür von innen zu, damit die gespielin nicht unerwartet vor unserem bett stehen kann.
"aber das merkt die doch, so doof ist die auch nicht", sage ich.
"manchmal muss man eben prioritäten setzen", entgegnet das objekt. "auf jeden fall gibt uns das zeit, im ernstfall schnell was überzuziehen und ein bisschen abstand zwischen uns bringen."
ich schaue das objekt an und zweifle mal wieder heftig an der aufrichtigeit seiner gefühle für die vermietergespielin, beschließe dann aber, dass ich mir darüber eine sorgen machen muss.

das objekt lässt beiläufig und elegant die kleider fallen, steigt wieder zu mir ins bett und beginnt, mein winteroutfit aufzuknöpfen. ich taste mich indes richtung objektschwanz, der noch traurig auf halbmast hängt.
"ich kann dir nicht garantieren, dass das heute noch ein richtiger schwanz wird", sagt objekt das. "eigentlich habe ich viel zu viel gekifft."
"vertrau mal auf meine fähigkeiten", beschwichtige ich.

keine zwei minuten später habe ich einen prallen, harten schwanz aus der hülle gezaubert und das objekt wälzt sich begeistert über mich. dann vergessen wir alles um uns herum. beim orgasmus gibt das objekt eine art urschrei von sich. unsere hände halten sich umklammert und wir sehen uns aus weit aufgerissenen augen an.
ich sauge den moment in mir auf und versuche, ihn zu speichern. irgendwie für immer, egal, wann für immer enden wird.
"fantastisch", seufzt das objekt, als es wieder sprechen kann, und vergräbt den kopf an meiner schulter.

plötzlich raschelt es im flur. wir springen aus dem bett und greifen orientierungslos nach den wild übereinandergeworfenen klamotten. eine hand drückt von außen die türklinke hinunter. das objekt schaut mich panisch an und fummelt sich in seine hose. dann ruft eine stimme:
"papa! papa, was ist denn los, was macht ihr denn so lange, ich muss doch ins bett."
wir sehen uns an, bekommen einen lachanfall.
"uff", sagt das objekt leise, um dann die stimme zu heben:
"alles in ordnung, mein spatz, ich komme gleich mit der morphine rüber und dann lesen wir noch eine geschichte."

mit schlechtem gewissen, weil es schon nach halb elf ist, bringen wir den kleinen mann zu bett. dann steige ich in meine schuhe und verabschiede mich vom objekt:
"ich geh mal besser, sonst steht dein weibchen tatsächlich gleich in der tür."
"die kommt wahrscheinlich tatsächlich gleich, die hat ja morgen frühschicht."
wir umarmen und küssen uns.
"kannst du was versuchen, bitte", flüstere ich dem objekt ins ohr.
"ja, was denn?"
"kannst du irgendwie die nächsten tage bitte nicht einfach verschwinden?"
das objekt schmunzelt, nickt und sagt dann, es werde das handy anlassen, möglichst immer ansprechbar sein und auch zu untersuchungen sowie am gefüchteten stichtag mit in die klinik kommen.

dann mache ich mich auf den weg in die nacht, in eine weitere lange nacht zwischen hoffnung und zweifel.

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