Dienstag, 15. April 2014
talking about suicide
da mir das objekt dazu geraten hatte, weihe ich meinen therapeuten in meine gedankengänge ein. wie immer fällt es mir irre schwer, über suizid zu sprechen, ohne mich kitschig und theatralisch zu fühlen. schließlich bin ich kein verhungertes afrikanisches kind oder jemand, dem es objektiv so schlecht geht, dass er grund zum sterben hätte. wenigstens muss ich bei meiner beichte nicht heulen, das ist schon mal was. wer bei selbstmordankündigungen heult, gibt damit zu, dass er eigentlich nur gerne gerettet werden würde, finde ich. das würde ich vor meinem therapeuten niemals zugeben.

"ich habe einen aussichtslosen job und einen ekelhaften chef, ich habe keinen partner, keine familie, ich verliere meine freunde, ich habe null freude mehr am leben, mal abgesehen von gelegentlich ficks. das ist doch eine recht überzeugende negativbilanz", analysiere ich vor mich hin.
mein therapeut schaut latent betroffen.
"ich fände das sehr schade. sie sind doch eine so vielversprechende persönlichkeit."
"ich habe aber keinen platz im leben. ich stoße alles ab wie ein falsch gepolter magnet. ich habe x-fache versuche unternommen, fuß zu fassen. ich habe mich letztes jahr elf monate lang beworben und beworben, um weg aus der agentur in einen popeligen unternehmensjob zu kommen. und was ist? ich habe so wenig geld, dass ich nur ganz knapp über die runden komme. ich lebe mit dauernden schmerzen, die sich in den nächsten jahren voraussichtlich noch verschlimmern werden. ich habe so viele menschen kennen gelernt, aber niemand hält es mit mir aus, außer wenn es ums ficken geht... ich fühle mich total einsam und habe in allen für mich relevanten belangen versagt, aller vielversprechender anläufe zum trotz."
"sie hatten halt viel pech", meint mein therapeut. "das sollten sie nicht persönlich nehmen."
"ich nehme das aber inzwischen persönlich. ich hatte die letzten jahre fast nur pech. und jeder minierfolg hat immense ressourcen gekostet und sich letztlich nicht gelohnt. ich bin müde. da ist nichts mehr, an was ich noch glauben könnte."

"was machen sie denn, wenn es ihnen so geht?" will mein therpeut wissen.
ich zucke die achseln.
"ich heule. ich starre auf meiner 100er-packung painkiller und sage mir, jetzt, los, alle in ein glas und runter damit."
"was hat sie bislang abgehalten?"
"der gedanke, dass das alles nicht wahr sein kann. dass das alles vielleicht nur ein sehr lang anhaltender alptraum ist. dass irgendwann der wecker klingelt. es ist eine komplett surreale situation."
mein therapeut schaut mich lange an.
"versprechen sie mir was?"
aha, denke ich, jetzt kommt die nummer mit dem antiselbstmordabkommen, das ich schon vom objekt kenne.
"was? dass ichs nicht tue?"
"dass sie jemanden anrufen. das objekt zum beispiel."
ich lache hart.
"sie meinen, das objekt sitzt den ganzen tag neben seinem handy und wartet, ob es mir eventuell schlecht geht? das ist nicht ihr ernst. das kann man von keinem menschen verlangen, wenn auch sicher vom objekt noch am ehesten."
"zumindest hätten sie da jemanden, der sich mit hoher wahrscheinlichkeit richtig verhält."
"vergessen sies."
"dann wenigstens den notruf."
der therapeut guckt wie ein welpe, den man getreten hat. herrje.
"meinetwegen. ich will ihnen ja die patientenstatistik nicht versauen."
das objekt hätte mir für diese zynische bemerkung jetzt den arsch versohlt. ich merke, wie mich der gedanke schon wieder anturnt, also verdränge ich ihn. schließlich sitze ich hier mit meinem alt-68er-therapeuten, der heute exakt denselben rentierpulli wie in bridget jones trägt.

abschlussgespräch zum thema mir-guttun.
"was tun sie, um es sich schön zu machen und sich zu entspannen?"
ich denke nach.
"ich trage objekt-klamotten."
"wiebitte?"
"ich habe ein paar sachen vom objekt. die hat es mir mitgegeben, zum einschlafen oder wenn ich mal zu kalt angezogen war. manchmal zieh ich die dann an. die riechen nach ihm."
das macht mich geil, hätte ich fast gesagt.
"das beruhigt mich dann."
der therapeut nickt zufrieden. an seiner stelle hätte ich mich aufgefordert, objektklamotten niemals zu tragen, sondern sie zu verbrennen und mich nach einer eventuellen berührung mit dem pheromonkontaminierten stoff sofort stundenlang zu duschen. aber mein therapeut ist ja ziemlich luschig.
"und sonst? wann fühlen sie sich am meisten geborgen?"
"beim ficken."
ich vermute, dass drei oder vier finger in der muschi oder ein schwanz im mund nicht als sinn des lebens durchgehen und somit kein adäquates mittel zur depressionsbewältigung sind, aber ich ernte keine widerworte.
"was mich manchmal wundert, ist, dass das noch geht", sinniere ich. "depressive sind doch an sich asexuell."
grinsen, schulterzucken. vermutlich sind psychotherapeuten auch asexuell, bei all den storys, die sie sich den ganzen tag lang anhören müssen.

beim abschied hält der therapeut meine hand ein wenig länger als sonst.
"ich wünsche ihnen kraft", sagt er, was er noch nie gesagt hat. fast bin ich gerührt.
erst draußen fällt mir auf, dass er mir keinen neuen termin gegeben hat, so, als hätte er mein ableben bereits eingeplant.