Mittwoch, 9. April 2014
wie im himmel
wochenenden tun mir nicht gut. nicht diese wochenenden, an denen ich 13 oder 14 stunden schlafe, innerlich wie gelähmt erwache und mich permanent frage, warum ich eigentlich noch lebe - zumal man mit dem inhalt meiner hausapotheke komfortabel eine großfamilie auslöschen könnte.

gestern nacht, nach vier tagen suizidalem kreiseln, ziehe ich die notbremse und funke das objekt an, ob wir telefonieren können. dann warte ich und merke, ich kann es kaum mehr aushalten, der druck ist bereits bedrohlich hoch. so hoch, dass ich dem gedanken verfalle, dass das objekt doch nur ein ficker sein könnte und ich ihm nicht vertrauen darf. also schicke ich kurze zeit später noch eine weitere nachricht: willst du ficken? es ist ein test, ob das objekt darauf anspringt. unfair, aber ich kann nicht anders.

als mein handy endlich klingelt, bin ich schon ein bisschen eingeschlafen.
"oh, du klingt verschlafen", sagt das objekt, "willst du weiterschlummern oder möchtest du reden?"
ich sage nichts.
"ich spüre gerade, dass es ernst ist, und dass es dir überhaupt nicht gut geht", sagt das objekt und trifft intuitiv ins schwarze.
als antwort fange ich wie ein kleinkind an zu heulen.

das objekt lässt mich eine weile schniefen und weinen und beschränkt sich in dieser zeit auf beruhigendes gebrabbel und allgemeinplätze wie "ist ja gut", "lass es einfach raus", "ich bin ja da" und ähnliches. dann merke ich, wie ich mich entspanne und ruhiger werde.
"na siehst du", sagt das objekt. "geht doch schon wieder ein bisschen."
"nein, geht gar nicht", finde ich.
"was denn los?"
"ich will nicht mehr."
"was meinst du?"
"ich kann so nicht mehr weiterleben."
das objekt überlegt einen moment.
"vielleicht ist das nur... so eine ganz tiefe melancholie, was meinst du?"
ich schluchze:
"ich war heute so draußen... und die welt war ganz weit weg... ich war schon nicht mehr teil davon, ich meine, irgendwie hab ich so... abschied genommen."
das objekt atmet scharf ein:
"wie, abschied genommen?"
"so wie ichs sage."

das objekthirn rattert im hintergrund. auf einmal fällt mir ein, dass es mich jetzt vielleicht einweist.
"also im moment denke ich gerade nicht direkt an selbstmord", schiebe ich nach.
"das sagst du jetzt nur, weil du schiss hast, dass ich nen krankenwagen rufe", durchschaut mich das objekt. "dabei wäre klinik jetzt genau das richtige. kann ich dich dazu bewegen, freiwillig in die notaufnahme zu gehen?"
"nein. die testen mich wie ein versuchskaninchen. meine ärztin verschreibt mir dauernd tetrazyklika, obwohl ich die nicht vertrage, ständig, immer wieder, die macht so ne studie, ich trau der nicht mehr, das ist eine ganz verlogene alte fotze."
das objekt seufzt schwer beherrscht.
"morphine, das ist total paranoid."
"du glaubst mir nicht, du bist genauso, ich hätte dir das gar nicht erzählen dürfen", blubbere ich aufgebracht.
das objekt seufzt ein zweites mal.
"also, morphine, entweder du kommst jetzt soweit runter, dass wir hier eine kooperative basis kriegen oder du gehst in die klinik."

ich atme ein paar mal tief durch, was gar nicht so einfach ist, wenn der puls auf 180 wummert und das herz gegen den brustkorb schlägt wie ein wuchtiger pflasterstein.
"okay, was soll ich machen?"
das objekt denkt einen moment nach:
"also wenn ich das vorhin richtig mitbekommen habe, warst du am schlafen und ich finde, das solltest du jetzt auch tun, weil dein körper danach verlangt. gehst du morgen arbeiten?"
ich überlege:
"wenn ich nicht arbeiten gehe, falle ich komplett aus dem rahmen."
"gut, dann gehst du arbeiten. dafür solltest du ausgeschlafen sein, also wirst du jetzt schlafen."
"ich weiß nicht, ob ich das kann."
"warte. was machst du morgen nach der arbeit?"
"weiß nich."
"dann komm doch rum. mein sohn ist da, aber ich hab ein bisschen zeit. ich schieb dem nen film rein, dann können wir reden. ich habe das gefühl, du brauchst auch mal ne umarmung."
warme erleichterung durchströmt mich, als hätte mir das objekt morphium injiziert.
"okay", wispere ich.
"dann schlaf jetzt. komm gut durch die nacht. ich lass das handy an, falls du dir doch die pulsadern aufschneiden willst, ja?"
"danke."
"dafür nicht. und morgen bist du erstmal bei mir. schlaf jetzt."
und schwupp, hat das objekt aufgelegt.

am nächsten tag schlage ich nach der arbeit in der objekt-gespielinnen-wg auf. als ich im flur stehe, kommt schon der objektsohnemann angeschossen.
"hallo morphine", kräht er fröhlich.
"hallo morphine", sagt eine tiefe stimme aus der küche.
ich luge hinein und da steht das objekt mit schaufel und besen bewaffnet und macht jagd auf wollmäuse. ich bekomme eine bärenumarmung.
"möchtest du was essen?" will das objekt wissen.
ich schüttle den kopf.
"keinen appetit?"
ich schüttle abermals den kopf.
"du siehst aber blass aus, ich finde, du brauchst zucker."

ich setze mich wortlos auf den küchenstuhl und versinke in schweigen, während das objekt ein paar pfannkuchen macht. dann setzt es sich zu mir, beobachtet mich, versucht, meinen blick zu fangen und grinst mich dabei an. "hallo", sagt es und zieht mir die hände weg, mit denen ich mein gesicht schützen will. dann steht es auf und umarmt mich abermals, hält mich fest und wiegt mich eine weile. ich lehne mich an, lasse mich fallen, verdrücke zwei tränchen. die objektive wärme brennt sich durch meinen pulli. ich beginne mich wohlzufühlen.

dann lässt mich das objekt abrupt los und setzt sich wieder mir gegenüber. es fixiert mich streng:
"was ich übrigens richtig scheiße fand, war dein fickangebot. stell dir mal vor, ich hätte mal keinen so hellen moment gehabt und hätte dich antanzen lassen und dir meinen schwanz in den mund geschoben. kannst du dir vorstellen, wie du dich dabei gefühlt hättest? und kannst du dir vorstellen, wie ich mich gefühlt hätte, wenn ich hinterher erfahren hätte, wie es dir wirklich geht?! oder wenn du dann vielleicht auch noch einen suizidversuch gemacht hättest?"
"entschuldigung", sage ich unter tränen. "ich konnte dir nicht vertrauen."
das objekt knirscht wütend mit den zähnen, spielt angespannt mit dem docht der brennenden kerze und beginnt schließlich, einen joint zu drehen.

nach ein paar zügen entspannt es sich, grinst wieder friedlich und hält mir dann den filter an die lippen.
"erzähl mir mal, was du im juli machst."
ich zucke mit den achseln.
"ab dem siebten hab ich urlaub."
"ich ab dem zehnten. und dann mach ich ferien mit meinem sohn."
ich rolle mit den augen.
"weiß ich alles."
"ich hab mir ein paar gedanken gemacht. ich muss ja erstmal ein auto besorgen. ich werd wohl das von meinen eltern holen. also fahr ich erst mit dem kleinen zu meinen eltern. danach würde ich dich dann gerne auf dem weg in den süden treffen. ostberlin oder so."
ich schaue an die wand.
"klär erstmal die situation."
das objekt sucht meinen blick.
"aktuell ist das als reiner vater-sohn-urlaub verbucht."
es dauert einen moment, bis ich realisiere, was das bedeutet.
"daran hätte ich ja im leben nicht geglaubt."
das objekt zuckt zusammen.
"wenn du weiterhin so misstrauisch bist, überlege ich mir das allerdings noch mal."
da muss ich endlich lächeln und das objekt lächelt mit mir.
"ich hab ja ein bisschen angst, dass du dich mit uns langweilst", hat das objekt bedenken.
"das glaub ich nicht. die natur... der kleine... und dann du... und ich..."

ich umarme das objekt und atme seinen duft. die chemie kickt mein krankes hirn wie ein elektroschock und ich merke, wie ich trotz aller misere angesext bin. dem objekt geht es offenbar ähnlich, denn seine hände wandern über mein dekolleté und berühren meine brüste.
"dein herz schlägt ganz schwer", flüstert es.
ich nicke.
"sag stop, wenn du das nicht willst", sagt das objekt und atmet schneller, "ich will, dass es dir gut geht. bitte. du bist das wichtigste. sag mir, wenn ich aufhören soll."
ich schmiege mich in den objektiven griff.
"hör nicht auf."
das objekt zieht mich hoch und beugt mich über den küchentisch. es greift unter meinen rock und schiebt seine hand in meinen slip. mit der anderen öffnet es seine hose. ich kann seine warme erektion hinter mir spüren.

in diesem moment platzt der objektsohnemann in die küche. wir haben ihn nicht kommen hören. das objekt zieht schnell die hose hinauf und meinen rock wieder hinunter. der sohnemann starrt uns mit großen augen an. während ich am liebsten im erdboden versinken möchte, stellt das objekt mal wieder sein improvisationstalent unter beweis.
"wie siehts aus mit mathe-hausaufgaben?" fragt es arschcool und schafft so die thematische 180-grad-wendung.

einige minuten später sitzen wir über bruchrechnungen und lassen die köpfe qualmen. unter den tisch stecken meine füße zwischen denen des objekts, während es mich mit einer hand zart streichelt. mit der anderen stopft es meine kalt gewordenen pfannkuchen in sich hinein. der lütte grübelt, flucht, heult und lacht und schafft dann doch ganz locker die aufgaben. so sitzen wir, bis die objektgespielin im anflug ist und ich nach hause muss.

"ach, fast hätte ichs vergessen", sagt das objekt bei der abschiedsumarmung.
es reicht mir ein kleines päckchen.
"noch was schönes zum geburtstag."
"für mich?" piepse ich erstaunt.
"aber erst zuhause aufmachen. ich hab angst, dass du das schon kennst. das war mal meines und es hat mir in der krise viel bedeutet. vielleicht kannst du ja auch was draus ziehen."
"danke. ich bin gespannt."
ich gebe dem objekt einen letzten kuss, dann schiebt es mich aus der tür.

in der bahn lasse ich die begegnung und die wahrscheinlich gewordene perspektive für den sommer auf mich wirken. für einen moment fühlt es sich an wie im himmel.

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