Samstag, 22. März 2014
beziehungsgeschichten
freitag. ich bin müde, aber ich traue mich: ein saufabend auf dem kiez. ein freund wird da sein, mich an der bahn abholen und dafür sorgen, dass ich nicht zu viele berührungen mit fremden habe und nicht ausraste, sondern mich langsam, aber stetig in richtung seligen vollrausch bewege.

eine leere kneipe an einem freitag zu finden ist leider ein ding der unmöglichkeit, also gehen wir irgendwann in eine volle. nachdem ich die erste panik weggeatmet habe und mich an einem glas festkrallen kann, finde ich es ganz schön da. der freund kennt die barbesitzerin und wir dürfen exklusive mischungen testen. zwei drinks später bin ich gelockert und fühle mich fast gesellschaftsfähig. am fenster sitzt ein hübscher typ, der die ganze zeit zu mir rüberschaut.

"geh doch mal hin", ermuntert mich der freund.
"nee", sage ich. "egal, was es wird - freundschaft, beziehung oder affaire - ich machs doch sowieso wieder kaputt."
"quatsch", sagt der freund, "wir sind doch auch befreundet."
"du weißt ja nicht, was hier in den letzten wochen schon wieder gelaufen ist."
ich gebe den kurzüberblick über die beängstigende real existierende misere inklusive meiner auf diesem boden frisch erblühenden verrücktheit.
"au backe", findet der freund. "da musst du was machen."
"ich lass mich jetzt zum sommer einweisen", sage ich.
"meinste, das ist das richtige?", wägt der freund ab. "ich meine, du bist so intelligent, eine gruppentherapie mit irgendwelchen mitinsassen wird dir nicht viel bringen. die sind mit hoher wahrscheinlichkeit alle dümmer als du. und auch was den therapeuten betrifft, der muss schon richtig fit sein, sonst steckst du den in die tasche."
"keine ahnung", sage ich. "ich habe keinen blassen schimmer, wo ich hingehöre. was man mit sowas wie mit mir macht."
"ich finde das so schade, dass menschen wie du keinen platz in dieser welt finden."

ich zucke die schultern.
"hat ja seine gründe, dass ich seit fünfeinhalb jahren alleine bin."
"vielleicht ist das ja einfach dein modell. während andere kinder kriegen und heiraten oder umgekehrt, genießt du deine zeit mit dir. da ist doch nicht falsch dran."
"ich hab durchaus einen beziehungswunsch, so ist das nicht. nur immer, wenn ich wen kennen lerne, langweile ich mich ganz schnell und fange an, irgendwo anders ficken zu gehen, bevor ich den typ schließlich ganz absäge."
"hast du noch kontakt zu diesem objekt?"
ich nicke.
"vielleicht solltest dus mit dem mal versuchen."
"nein."
"oh doch."
"für den bin ich viel zu viel. der genießt das mit seiner aktuellen."
"was will er denn von der?"
"er sagt, es ist einfach mit ihr. sie ist ihm weder intellektuell noch kommunikativ gewachsen. er mag diese naivität. das findet er warmherzig und darauf kann er bauen."
"das klingt doch total bescheuert."
"weißte, das ist so eine, wenn das objekt sagt, die und die figur in der und der fernsehserie findet er gut, dann guckt sie sich alle staffeln an und eifert dieser figur dann nach, um ihm zu gefallen."
"wie alt ist die denn, 14?"
"nee, die schon so mitte ende 20. aber das macht die echt. neulich hat sie sich die haare geschnitten und gefärbt, damit sie so aussieht wie irgendeine ische in ichweißnichtinwasfüreiner serie."
"das fände ich total abturnend. und gruselig."
"er findet das geil. das gibt ihm das gefühl von macht, schätze ich. der hat ja auch kein gutes selbstbewusstsein. sowas schmeichelt, wenn eine alles für dich tut."
"das fände ich nicht schmeichelhaft, sondern einfach nur langweilig."
"tja. ich auch. aber wir sind nicht er."

"bei meinen eltern war das seinerzeit nicht anders", denke ich nach. "meine mutter war mal eine weltoffene, in vielerlei hinsicht geradezu revolutionäre frau. obwohl sie nicht gebildet war, hat sie mit anfang 20 in den 70ern die welt bereist, war mit anwälten und lehrern und sogar nem richter zusammen. dann kam mein vater, einer kleiner neurotischer beamte, der noch bei mutti wohnte. ich weiß nicht, was die beiden zusammengebracht hat. meine mutter hat ein ausgeprägtes sicherheitsdenken, vielleicht war es, weil alle sagten, beamten haben ihren job aufs lebenszeit. sie haben geheiratet und mich gekriegt und ein haus gebaut, so wie totale spießer das halt so machen. und dann haben sie sich immer weiter assimiliert. ich erinnere mich an meine eltern als eine geradezu angsteinflößende einheit, in der jeder die neurosen und marotten des anderen mitgetragen und wahrscheinlich auch verschlimmert hat. heute beispielsweise traut sich meine mutter nicht mehr ins ausland fahren, weil sie kein englisch spricht. vor 35 jahren hat sie das kein bisschen gestört."
"das wundert mich nicht, dass deren modell dann nicht dein modell geworden ist."
"es gibt zeiten, da bewundere und beneide ich meine eltern. ich meine, die haben sich. ich bin kein scheidungskind geworden. trotzdem bin ich durch meine ganz eigene hölle der idylle gegangen."

der freund leert sein glas und ordert dann eine weitere runde.
"ich will jetzt auch mal ne analyse machen."
"du? warum das denn?" ich reiße erstaunt die augen auf.
"na, ich hab auch so meine blockaden. guck mal, ich bin jetzt fast 40 und auch schon ewig single. und ich kenne das, was du mit der langeweile beschreibst, nur zu gut. ich will dem mal auf den grund gehen."
"sag mir unbedingt bescheid, was rauskommt, ja?"
der freund lächelt.
"na klar. vielleicht muss ich ja auch in die klapse. können wir dann zusammen machen, dann haben wir dort wenigstens intelligente gesprächspartner."

nach dem dritten drink habe ich sodbrennen und watte im kopf. trotzdem fühle ich mich wohl. in der brust, wo sonst eiskalte beklemmung sitzt, ist es ganz warm. ich mag den freund, stelle ich fest.
"du musst nach hause", sagt der freund dennoch irgendwann. "du bist müde."
"ist grad so nett."
"aber du weißt doch, das tut deinem serotoninhaushalt nicht gut, wenn du nicht schläfst."
"hast ja recht. lass uns zahlen."

wir haben fast 50 euro versoffen. der freund übernimmt die kosten bis auf 10 euro.
"das meiste hab ich ja ich getrunken."
"aber ich hab das teurere getrunken."
der freund winkt ab. er hat genug geld.
dann bringt er mich zu bahn.
"uha, jetzt mit alle den besoffenen bahn fahren..."
"denk dir nichts, du bist doch selber besoffen, die könnten deswegen ja auch angst vor dir haben."

mit diesem erheiternden gedanken im kopf schaffe ich es tatsächlich angstfrei bis nach hause. trinke vernünftigerweise noch ein wasser. nehme mein schlafmedikament. und penne 13 stunden.

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