Samstag, 8. Juni 2013
exzess
die lederjacke hat freitagspläne.
"komm doch vorbei", bettelt sie, als ich gerade aus dem büro nachhause komme und sich die fauchkatze um meine füße schlingt.
"ich bin müde", sage ich.
"lass dir zeit. ich lege mich auch noch eine stunde hin. komm, wenn du soweit bist."
"okay, das klingt nach einem plan!"

aus hinlegen wird bei mir dann nichts, weil ich feststelle, dass das katzenstreu alle ist und die püppi schon den ganzen tag halb auf den plastikboden ihres klos gepinkelt hat. klo sauber machen, dann streu kaufen. die zoohandlung hat schon zu, rewe hat nur noch eigenmarke, also weitergejoggt bis zu einer budnifiliale, die noch auf hat. gegen halb zehn bin ich wieder zuhause, mäßig gutes streu in der tasche, das auch noch anders aussieht und riecht, also hoffen, dass sich die katze drauf einlässt bzw. einnässt. dann schnell duschen, wieder ab aufs rad und zur lederjacke gedüst.

"du bist spät", findet die lederjacke. ich lasse mich erschöpft in ihre arme sinken.
"alles anstrengend", seufze ich.
"bei mir ging das, ich hatte jetzt drei tage schulung, da war lässig."
"gott, ich möchte auch mal schulungen und seminare und sowas! ich bin total unterstimuliert."
die lederjacke kichert ob der zweideutigkeit meiner aussage und ich zeige ihr den stinkefinger.

wir sitzen in der küche, hören musik, rauchen kette und leeren eine flasche rum. danach sind wir schon sehr angeheitert.
"kannst du noch fahrradfahren?" fragt mich die lederjacke, als ich im aufzug schwanke.
"geht schon. wenn ich auf die fresse falle, musst du mich halt nachhause tragen."
"dann schlaf doch nachher bei mir, dann muss ich dich nur bis zu mir tragen."
"ich denke, ich schnarche und strample dir zu sehr?"
die lederjacke lacht und knutscht mich.
"ach, drauf geschissen."

wir sind erst im club, wo heute rockparty ist. da fühlen wir uns allerdings optisch und musikalisch vergewaltigt und stehen nach einem bier schon wieder draußen.
"und jetzt?" frage ich.
"erstmal was trinken auf den schock", findet die lederjacke und zerrt mich in die nächste kneipe, wo sie ein paar kurze leert, während ich als die vorsichtigere verkehrsteilnehmerin von beiden eine cola ordere.
dann schreibt die drittefreundin, dass sie mit dem dritten auf dem weg von hannover hierher sei. ob ich mit auf party käme.
"hast du lust auf deprielektro?" frage ich die lederjacke.
"alles, nur nicht wieder da hin zurück!" lallt die lederjacke.

wir eiern schwankend auf den rädern weiter richtung kiez. draußen vor der tür treffen wir gleich auf den dritten und die drittenfreundin. der dritte zieht sofort die lederjacke auf seine seite, weil man mit der lederjacke super tiefschürfende wissenschaftliche diskussionen führen kann. die lederjacke freut sich ihrerseits, weil der dritte noch wodka-energy-mische im gebüsch beim katholischen kindergarten versteckt hat. anschließend zerrt mich der dritte auf die seite und schwärmt von der lederjacke.
"der ist ja ein lieber! und man kann super mit dem gespräche führen. der hat richtig was in der birne."
"das mag ich auch so an dem. und der ist vor allem loyal. im gegensatz zu gewissen anderen menschen."
der dritte grinst:
"ich weiß schon, von wem du sprichst."
dann lade ich die ganze das-objekt-rückt-meine-sachen-nicht-raus-story beim dritten mann ab.
"das ist ja mal wieder assig. und so typisch. als feststand, dass wir heute hier hoch fahren, hab ich ihn den ganzen tag lang angerufen und smsen geschickt. meinst du, der meldet sich? nö."
die drittefreundin mischt sich ein:
"und er hoffte noch die ganze zeit, dass das objekt sich nicht meldet, weil es uns überraschen und einfach so auf der party auftauchen wollte."
ich lächle. das passte zum dritten: auch wenn es unrealistisch wurde noch die mickrigsten anzeichen des positiven in einer totalen negativstory zu suchen.

wir bleiben mit dem dritten und der drittenfreundin bis kurz nach fünf. dann ist die party aus und dritter und drittefreundin verabschieden sich. sie schlafen heute bei den eltern der drittefreundin.
"und was machen wir zwei hübschen noch?" fragt die lederjacke.
"nach hause...?"
die lederjacke schaut mich an, als wäre ich von sinnen:
"JETZT?! wo es am schönsten ist?"
ich kichere:
"na gut, dann lass uns noch weiterziehen."

der kiez um sechs uhr morgens präsentiert sich uns in seiner ganzen brachialen hässlichkeit.
"hier würde ich nie wohnen wollen, nicht mal, wenn mir jemand eine wohnung schenkt", finde ich.
"ich auch nicht", meint die lederjacke.
die lederjacke strebt auf eine bar zu, doch die tür lässt sie nicht rein und meint:
"mir dir hatten wir hier schon mal ärger."
ich gucke die lederjacke an.
"was hast du denn gemacht, um hier hausverbot zu kriegen?"
"keine ahnung. vielleicht verwechseln die mich."
"also türsteher haben eigentlich ein super gedächtnis. vielleicht hast du besoffen gestrippt?"
"wie kommst du jetzt da drauf?"
ich gucke an der lederjacke hinunter.
"dein hosenstall steht offen."
"oh."

dann zieht mich die lederjacke in eine transenkneipe. ich trinke einen kurzen mit, dann wechsle ich zu bier, während die lederjacke sich weiter an hochprozentiges hält.

danach schwanken wir wieder auf die straße. es ist warm und hell.
"ich brauch mal ne haspa", sage ich.
"da drübn linkssss umme eck isssss.... gleich eine", hickst die lederjacke.
"sicher?"
"gansssssssicha. da habch nämlich ma dagegengepisst."
die lederjacke schüttet sich aus vor lachen, während ich etwas beunruhigt bin und dem orientierungssinn der lederjacke nicht mehr ganz vertraue.

doch die lederjacke findet ihre alten duftmarken zielsicher wieder und so erreichen wir kurze zeit später die haspa.
"jetzt brauch ich ein klo", sage ich, wieder draußen.
"dnnnnn müsssnnwanoch innn... eine kneipe."
"ich will nicht mehr", jaule ich. "ich bin betrunken, müde und meine füße tun scheißweh. ich weiß nicht mal so genau, wo wir hier sind."
"hafn", sagt die lederjacke.
und tatsächlich, da unten ist schon die elbe.
"alter, sind wir weit gelatscht!" finde ich.
"wollln wa da runta?" sagt die lederjacke und deutet aufs wasser.
also spazieren wir ein stück die elbe entlang, ich inzwischen barfuß wegen schmerzender füße.

"lassunssss... da raaaingn", deutet die lederjacke auf eine kneipe oben an der straße.
"wenn die ein klo haben."
die lederjacke hält mich fest untergeärmelt und schubst mich richtung tresen.
der wirt scheint die lederjacke schon zu kennen, umarmt sie und stellt uns sofort ein astra und einen helbing auf den tisch.
"ich kann nix mehr trinken", sage ich mit watte im kopf und sodbrennen von den ganzen schnaps.
"ach wa", sagt die lederjacke, trinkt stellvertretend meinen schnaps mit aus und drängt dann richtung jukebox. kurze zeit später spielen die stones "ruby tuesday" für uns.
die lederjacke stolpert auf mich zu:
"darfich bittn?"
und wir tanzen einen hart improvisierten foxtrott durch die kneipe. die lederjacke schafft es, mir nicht ein einziges mal auf die füße zu treten. dann lehnen wir außer atem am tresen und die kneipenbesucher applaudieren.
"ihr seid ein schönes paar", sagt der wirt und die lederjacke und ich grinsen uns an.

inzwischen ist es halb neun morgens. die sonne scheint warm in die kneipe. die frühschicht kommt, endlich mal jemand nüchternes, der mir einen kakao kocht, während die lederjacke eisern am bier festhält, obwohl sie nicht mehr reden und nicht mehr gehen kann. der wirt, der sich als musiker entpuppt, erzählt mir aus seiner wilden jugend. ein kneipengast spendiert mir schon wieder einen schnaps. die lederjacke grinst glücklich und entrückt und hält mich die ganze zeit an den händen. es ist auf eine sehr strange art und weise ein sehr besonderer, goldener moment.

um halb zehn schlägt die vernunft bei mir durch. ich zerre die sturzbetrunkene lederjacke aus der kneipe und rufe ein taxi.
"abba... wir müsssnnn... die rääääda!" wehrt sich die lederjacke noch, aber ich schätze mich auf mindestens 1,5, die lederjacke auf locker 3 promille und entscheide, dass die räder da bleiben, wo sie gerade stehen, was außerdem keiner von uns beiden so genau mehr weiß.

im taxi dreht die lederjacke noch mal richtig auf, lehnt sich aus dem fenster, zeigt allen passanten den stinkefinger und macht laute würgegeräusche, wenn eine fette frau vorbeigeht. der taxifahrer hat sichtlich angst, freut sich dann aber über mein großzügiges trinkgeld.
dann schubse ich die lederjacke in den aufzug.
"jetzt reiß dich ma zusammen", sage ich. "deine nachbarin ist bestimmt schon wach und du willst doch nicht gleich so einen verheerenden eindruck in dem haus hinterlassen."
damit habe ich ein weiteres fass aufgemacht, denn nun beginnt die lederjacke laut zu singen: "ach, fick dochi nachbaaaaaaan..."

an der wohnungstür vergehen noch ein paar minuten, es müssen einige schlüssel durchprobiert werden, bis endlich nach langem stochern einer ins schloss passt. während ich tränen lache, muss die lederjacke auch immer wieder kichern, was ihre zielsicherheit nicht unbedingt unterstützt. dann sind wir endlich drin.

als ich schon in unterwäsche bin und gerade ins bett krabbeln will, kommt die lederjacke mit zigarette ins zimmer und meint:
"lasssunn doch noch.... auffe dachterasse."
"nee", sage ich.
"och bitte", bettelt die lederjacke.
"dann geh doch", sage ich. "ich bleibe."
und ziehe mir die decke über die ohren, nicht, ohne vorher den wecker auf in drei stunden später zu stellen, weil ich noch arbeiten muss. und schwupp, bin ich weg, im land der träume. kurze zeit später spüre ich, wie auch die lederjacke endlich neben mich sinkt, sich ankuschelt und wie erwartet sofort rotzehackedicht zu schnarchen beginnt.

das erwachen um zwei gestaltet sich schwierig. ich wecke die lederjacke beim aufstehen, die mich betroffen anschaut.
"du hast gestern zu mir gesagt, geh doch."
"ja, mann, es war halb elf uhr morgens und du wolltest noch auf die dachterrasse. ich wollte aber schlafen, ich hab noch was zu tun heute."
"achso. ich dachte, ich hätte mir so übel benommen, dass du mich aus der wohnung rausschmeißen wolltest."
"nee. die einzigen, die dir was übel nehmen könnten, sind deine nachbarn."
"warum? war ich laut?"
"na, du hast gesungen: fickt doch die nachbarn."
"wann? wo?" die lederjacke ist schockiert.
"im aufzug."
"ach du kacke... meinst du, das hat jemand gehört?"
ich kichere.
"das merkst du schon."
die lederjacke ist betroffen.
"hab ich sonst noch was gemacht?"
"du hast ungefähr 500 leuten aus dem taxi den stinkefinger gezeigt."
"hier im viertel?"
"da nicht mehr so, da warst du damit beschäftigt, zu singen und den taxifahrer zehnmal zu fragen, ob er die musik lauter machen kann."
"na, das geht ja dann noch."

dann mache ich mich los, direkt nachhause, weil ja die dicke katze auf mich wartet und schon seit dem vorabend nichts mehr zu futtern hatte. da sie sich gut benommen hat und in meiner abwesenheit keine blumen gekillt oder die vorhänge abgefetzt oder wieder den teppich vollgekotzt hat, gibt es thunfisch, den sie begeistert wegschlabbert, während ich an einer personalpräsi sitze, mein wochenendeilprojekt für einen berliner kunden.

mann gönnt sich ja sonst nix. oder?

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Mittwoch, 5. Juni 2013
impulsive impulse
meine träume fahren die ultimative zermürbungsstrategie. heute nacht lag ich mit dem objekt im bett und hatte eine beziehung mit 1000 volt liebe, bis der wecker einen synaptischen kurzschluss produzierte.

gestern abend kurz davor gestanden, eine sms zu schreiben mit einem süßlich-blöden satz wie "ich vermiss dich so". gottseidank hab ich es nicht getan.

zum trost gabs mitternacht-m.armelade. ganz wunderbare.

note to myself: immer wieder links und rechts und nach oben gucken. auch wenn die schwerkraft des lebens alles nach unten zieht.

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Sonntag, 2. Juni 2013
spätnachts bis spätfrüh
gestern überrollt mich akute objektsehnsucht und hollywood-farbfilme von unseren guten zeiten spuken durch meinen kopf wie scheinheilige nachtgespenster. also tue ich das, was ich schon ewig tun wollte, nämlich alles einmal aufschreiben. die nachtgespenster an ihren langen kutten packen und zusammentackern, auf papier bannen und ordentlich abheften.

dann ist es zwei, ich bin unruhig und irgendwo zwischen zuhausebleiben und exzessiv feiern. ich entscheide mich nach einer dusche für letzteres. gegen drei bin ich im club, wo tote hose herrscht. der architekt ist da, mein bekannter und zwei weitere nasen, die ich kenne. wir treffen uns an der bar und haben schlechte laune wegen der miesen party. in der ecke entdecke ich meinen freund t., der mal wieder heiß aussieht und unheimlich gut in form ist, weil er ähnlich wie das objekt verdammt geile gene hat, die aber im fitnessstudio auch noch alle zu entfaltung bringt.

t. winkt mir, dann sitzen wir still nebeneinander, rauchen und nippen an unseren drinks und schweigen, ich, weil ich mir seinen schrägen bauchmuskel vorstelle, t., weil er auf das nächste gute lied hofft, das nicht kommt. irgendwann erzählt er mir von goa-parties, auf denen er war und experimenten mit mdma und pilzen, dann spinnen wir rum und malen uns aus, dass wir ja auch eine goa-party machen könnten, natürlich eine zünftige mit entsprechenden substanzen und entsprechenden djs und das alles an einem entsprechenden ort, wahlweise im südddeutschen oder in brandenburg. dann stört uns mein bekannter, der ankündigt, das er jetzt die location wechseln werde und ob wir nicht mitkommen wollten. t. schüttelt den kopf und lehnt dankend ab mit dem argument, dass er da noch nie war. ich starre t. an, erinnere mich plötzlich, dass er ja schon mitte 40 ist und dass leute mitte 40 oft bremsen und zaudern und nur theoretisch begeisterungsfähig sind. also sage ich dem bekannten zu, obwohl ich gerne noch ein bisschen neben t. gesessen hätte.

eine viertelstunde später schlagen wir in der anderen location auf. ich gehe als erste rein und frage den türsteher, ob wir jetzt, nach vier, noch eintritt bezahlen müssten. ich werde kulant durchgewinkt, mit dem hinweis, die party sei sowieso um fünf aus.
"um fünf?!" falle ich aus allen wolken.
"um fünf?" echot mein bekannter, der sich hinter mir richtung garderobe durchschieben will.
party bis um fünf, das gibt es höchstens noch in meiner exheimat. zusammen schimpfen wir auf die untergehende hamburger partykultur, dann gibt es erstmal einen willkommensdrink.

wir checken die beiden areas, die noch ganz voll sind. ich treffe den künstler, den besten freund des architekten. er ist sehr betrunken und kommt mir ganz nah. der künstler ist hübsch, und das weiß er, wir haben vor etwa einem jahr einmal geknutscht, aber er ist auch verheiratet mit einer frau aus bangladesh, die auch fast immer irgendwo in bangladesh ist, während der künstler kunst macht, in deutschland, schweden, russland und den usa, und dabei tatsächlich richtig kohle verdient.

20 nach fünf ist immer noch keine spur von einem ende der party zu spüren. die barfrau aus dem club ist inzwischen auch rübergewechselt und räkelt sich im tiger-dress auf dem sofa. ich gucke ein bisschen, sie ist eine der schönsten frauen, die ich kenne, und sie winkt mir zu. die musik ist durchgehend gut, sie spielen sogar gary numan und andere stars aus meiner gelungenen musikalischen sozialisation. ich merke, dass ich happy bin. der bekannte schleicht sich an, küsst meinen nacken und zieht mich dann auf die tanzfläche, wo wir uns an einem tango zu eletromukke versuchen, was natürlich in grenzenlose alberei ausartet.

"warum sind wir eigentlich nicht zusammen?" fragt der bekannte. "wenn ich mich recht entsinne, wollten wir doch mal heiraten."
"das geht nicht, du bist arm und meine eltern akzeptieren nur reiche schnösel."
"siehst du, bei mir ist das entspannt, meine eltern sind tot... obwohl die nett waren."
"meine sind auch nett, aber die haben eben auch nen knall."
"na irgendwoher muss deiner ja auch kommen!"

wir lachen. obwohl ich betrunken bin, ordere ich noch einen wodka energy. dann setze ich mich auf eine der holzschaukeln neben der tanzfläche und lasse mich vor- und zurückschwingen, bis die welt verschwimmt.

mitten im schönsten rausch tippt mir jemand auf die schulter. es ist der türsteher.
"wir schließen", sagt er, "holst du bitte deine jacke von der garderobe?"
"wie spät ist es denn?" frage ich.
der türsteher zeigt mir seine uhr. kurz vor sieben.
"waaaaaaaaaaaaaas?"

ich und der bekannte sind die letzten im club. ich erinnere mich, dass sich der rest bereits verabschiedet hatte.
"boah", sage ich, als wir auf der straße stehen. "ist das scheißehell."
"ja, mann, gottseidank! es ist ja auch sommer!" wirft der bekannte ein.
ich werde zum abschied geknuddelt und geherzt.
"ich mag dich so gern", sagt der bekannte.
"ich mag dich auch."
"lass uns doch mal wieder was zusammen machen. unsere exkursion in planten un blomen war doch lustig."
"absolut."
ich schwanke.
"du kannst doch nicht mehr radfahren."
"wird schwierig, aber ich seh ja so seriös aus. mich lassen die bullen schon in ruhe."
"ich meinte jetzt auch mehr, dass du so vielleicht einen unfall baust!"
"ich nehm den bus, wenn ich merke, dass es nicht mehr geht, okay vaddi?"

dann schwinge ich mich in den sattel und fahre los. mein kopf hängt gefühlt auf höhe der baumkronen, während meine beine sehr, sehr stark unter der erdanziehungskraft leiden. für einen moment fällt mir ein, dass man davon ja krampfadern kriegen könnte, aber dann legen sich wieder lauter angenehme gedanken über meine sorgen, die anhalten, bis ich an der klinik vorbeifahre, wo mein herz nochmal geschreddert wird.

zuhause empfängt mich die dicke katze, die seit gestern ein wenig relaxter ist, was mich selbst ungemein entspannt. ich mache musik an, bei der die katze ganz viel blinzeln muss, dann kuschle ich mich in mein bett und bin weg, im land der träume, wo mich diesmal kein objekt belauert.

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Donnerstag, 30. Mai 2013
fauchkatzen-update
durch konsequentes meidungsverhalten konnte ich weitere feindselige lautäußerungen der fauchkatze gegen mich unterbinden.

wenn ich morgens aufstehe, sitzt kitty im büro. dann muss ich mich im bad verstecken, damit kitty sich bequemt, ins schlafzimmer zu wechseln und unter mein bett zu kriechen. manchmal sehen wir uns dabei, das heißt kitty starrt mich aus augen, die nur noch pupille sind, an und schlängelt sich wie ein krokodil über den boden, als wolle sie mit dem parkett verschmelzen. vermutlich glaubt sie, ich könne sie so nicht sehen, was bei einer so großen und fetten katze aber sehr unwahrscheinlich ist. schlau ist sie also schon mal nicht.

abends, wenn ich nachhause komme, sitzt kitty immer noch - oder vielleicht auch wieder - unter dem bett, bis ich schlafen gehe. sobald ich mich ins bett begebe, sprintet kitty unter dem bett hervor und wechselt wieder ins büro, wo sie bis zum morgen ausharrt.

das verschreckte verhalten nehme ich ihr allerdings nicht mehr ganz ab. da die katze fett ist, schleppt sie nämlich immer katzenstreu im fell rum und verteilt es da, wo sie sitzt oder liegt. so weiß ich, dass sie tagsüber meine wohnung bis in den letzten winkel erobert und auch nicht davor zurückschreckt, sich in meinem bett breitzumachen. ein zweiter hinweis auf kittys aktivität sind meine ausgeräuberten blumen. kitty steht unheimlich auf narzissen- und orchideenzwiebeln, die sie ausgräbt und anfrisst. da sie noch keine gesundheitlichen schäden davongetragen hat, lasse ich sie inzwischen gewähren. die blumen sind sowieso schon im arsch.

kurzum, die wohnsituation ist im augenblick stark belastet. ich wäre gottfroh, wenn die olle katze bald vermittelt wäre. möchte nicht jemand von ihnen eine alte, fette, griesgrämige katze, die blumen frisst?

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Montag, 27. Mai 2013
die fauchkatze, der terrortaxifahrer und der entenkind-adoptivvaddi
gestern kam meine neue pflegekatze an. sie ist 13, latent übergewichtig und ziemlich aggro, obwohl das exfrauchen sie als sehr lieb beschrieben hat. verkaufstricks, denk ich mir und fühle mich über den tisch gezogen.

die olle katze macht es erstmal wie mademoisellchen: ab unters bett. da sitzt sie auch noch, als die lederjacke aufschlägt, mit der ich zum abendspaziergang verabredet bin.
ich lasse mich in das wohlriechende sweatshirt der lederjacke sinken und jaule:
"ich glaube, ich mag meine neue katze nicht und die mag mich auch nicht."
"ach komm, das wird noch", tröstet mich die lederjacke.
"die faucht", sage ich frustriert.
die lederjacke legt sich auf den boden und guckt unters bett:
"hey olle katze!"
die katze glotzt und faucht.
"die hat voll die pupillen, hast du der deine drogen gegeben", frotzelt die lederjacke.
"haha", sage ich.
die lederjacke wird wieder ernst:
"die hat ganz schön viel angst."
"ich weiß."
"na komm", schubst mich die lederjacke versöhnlich, "lass uns rausgehen, dann ist sie ein bisschen allein und kann mal relaxen."

ich nehme die lederjacke mit ins moor.
"boah, ist das schön hier!", ist die lederjacke beeindruckt, als wir am see stehen. um uns herum zwitschern die vögel ihre abendlieder, während zwei schwarze schwäne ihre runden ziehen und vereinzelt ein frosch quakt.
"lass uns noch da hinten lang gehen, da sind immer ganz viele wasserlilien", sage ich und die lederjacke ist einverstanden, obwohl es wie aus kübeln schifft.

"wie war eigentlich dein wochenende mit deinen eltern?" frage ich die lederjacke. "sind die heute zurückgefahren?"
"die waren gar nicht da", erzählt die lederjacke. "denen war das wetter zu mies."
"und was haste stattdessen gemacht?"
"weiß ich nicht mehr so ganz."
"gesoffen?"
"hm", sagt die lederjacke und schlägt schuldbewusst die augen nieder.
"schlimm?"
"ich hab am freitag über 100 euro versoffen."
"alter!" ich bleibe stehen und reiße die augen auf.
"und dann hab ich ein taxi genommen... und wir sind ne weile rumgefahren, weil ich nicht mehr wusste, wo ich wohne. aber dann waren wir endlich bei mir und da hab ich voll scheiße gebaut."
"warum?"
"ich hatte keine kohle mehr, hab dem taxifahrer also gesagt, er soll warten, ich geh eben hoch geld holen... und dann weiß ich nichts mehr."
"und wo ist jetzt das problem?"
"ich weiß nicht, ob ich den bezahlt habe. und mein ausweis ist weg... ich hab angst, dass der taxifahrer den hat."
"na und? der ist doch bestimmt so schlau und gibt den beim fundbüro oder so ab."
"aber wenn ich den doch nicht bezahlt hab, ist der bestimmt sauer und kommt wieder."
"war das so ein haudruff-typ?"
"weiß ich nicht mehr! kann mich doch an nix erinnern!"
"steht denn deine neue adresse schon auf deinem ausweis?"
"nee."
"na also!"
"aber mein name!"
"meinste, der macht sich die arbeit und kriecht zwischen den hochhäusern hier rum und sucht deinen namen an den klingelschildern?"
"kann doch sein."
"und wie viel, denkst du, schuldest du ihm?"
"hm... son fuffi?"
"oh mann..."
"ja was meinste denn jetzt? meinst du, der kommt und haut mir auf die fresse?" insistiert die lederjacke.
"unwahrscheinlich."
"aber ausschließen würdest du es nicht?"
"nein, kann ich nicht."
"und was soll ich jetzt tun?"
ich ziehe die augenbrauen hoch:
"mal nicht immer bis zum filmriss saufen?"
"danke", sagt die lederjacke leicht beleidigt und dann:
"naja, hast ja recht."
"ich hab immer recht", grinse ich.

als wir bei den lilien stehen und entzückt in das gelbe blütenmeer glotzen, schwimmt auf einmal eine entenfamilie vorbei.
"guck mal", stupse ich die lederjacke aufgeregt an, "entenkinder!"
"süß", findet die lederjacke, um dann laut zu rufen:
"hey, entenkinder!"
die entenfamilie ist sichtlich erschrocken. der entenpapa legt einen zahn zu und seine crew folgt ihm flugs - bis auf ein entenkind, das neugierig kehrt macht und richtung lederjacke schwimmt.

dann stehen sich entenkind und lederjacke gegenüber und die lederjacke wird ganz verlegen:
"scheiße... los... hau schon ab... schwimm wieder zu deiner family!"
"das bleibt jetzt bei dir", lache ich.
"das geht bestimmt gleich wieder, wenn es merkt, dass es nichts zu fressen kriegt", ist die lederjacke überzeugt.
doch das entenkind straft die lederjacke lügen. es bleibt. es guckt knopfäugig. es fiept. und als wir beschließen weiterzugehen, folgt es uns am ufer entlang.
"oh mann", sagt die lederjacke genervt und gerührt zugleich.
"tja", sage ich. "jetzt hast du den salat. es hat dich adoptiert. es wird nie wieder zu seiner familie zurückkehren... und wenn du nicht bei ihm bleibst, hat es gar niemanden mehr."
"haha."

irgendwann verlieren wir das entenkind im schilf.
"hoffentlich kommt es gut zu seinen eltern zurück", meint die lederjacke unruhig auf dem nachhauseweg, und ich muss lächeln, weil die lederjacke genauso tierlieb wie ich ist.

als wir wieder bei mir sind, sind wir bis auf die haut durchgeweicht. meine jeans sind schlammig bis zu den knien.
"du bröselst", sagt die lederjacke liebevoll, als ich die jeans ausziehe und in etwas trockenes schlüpfe.
"wollen wir film gucken?" frage ich.
"auja", sagt die lederjacke.
"ich muss der ollen aber erst noch was zu futtern geben."
"ja, mach mal."
ich wähle thunfisch, obwohl das schlimm stinkt, aber ich weiß, die neue kitty steht extrem drauf. vielleicht hilft ein lieblingsfressi ja beim befreunden.

wir finden die olle katze unter dem schreibtisch. sie funkelt uns mit großen eulenaugen an. ich lege mich auf den boden, damit ich kleiner bin, mache mich lang und schiebe den futternapf ganz vorsichtig und langsam an die katze ran. die lederjacke beobachtet die szene gespannt aus der entfernung. als ich den napf ungefähr 20 zentimeter vor der schnauze der katze platziert habe, springt sie wieder auf und faucht. da reißt mir der geduldsfaden und ich fauche zurück. die katze guckt erschrocken und verkrümelt sich.
die lederjacke steht unter der tür und lacht sich schlapp.
"das ist nicht zum lachen", schaufe ich entrüstet, während sich die lederjacke kaum mehr einkriegt:
"ihr seid mir schon zwei sone diven!"

dann liegen wir im bett und gucken film. die lederjacke ist nah und riecht gut. ich rutsche richtung achselhöhle und schnuppere.
die lederjacke grinst.
"wenigstens bleibst du ne schmusekatze."
"na hör mal, ich bin selektiv kontaktfreudig."
"welcher psychoheini hat dir denn den scheiß erzählt?"
"keiner. steht in meinem grundschulgutachten."
"heißt auch nichts anderes als dass du ein kleiner eigenbrötler bist."
"na und?" sage ich ziemlich aggressiv.
"nicht aufregen, ja? mich musst du nicht anfauchen", lacht die lederjacke.
"außerdem bin ich auch ziemlich komisch und ich finde es toll, dass wenigstens du mit mir klarkommst."

als der film zu ende ist, liegen wir noch ein weilchen mit vollen bäuchen zwischen leeren gummibärchentüten und trinken wodka energy. dann muss die lederjacke nach hause und ich ins bett.

als ich die tür hinter der lederjacke schließe, steht die katze hinter mir. ich erschrecke mich und stoße einen kleinen schrei aus. die katze erschrickt sich ebenfalls und rumpelt unter das bett.
ich seufze und gehe zähneputzen. nunja. man muss es ja nicht übertreiben mit der freundschaft. und morgen ist schließlich auch noch ein tag...

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Freitag, 24. Mai 2013
kittencontent
man meint ja, es könne ihn kein wässerchen trüben.




aber das täuscht. ganz gewaltig.

lieblingsbeschäftigungen dieser woche:

- auf der tastatur spazieren gehen, wenn ich gerade eine wichtige geschätliche e-mail tippe. so hat er heute eine mail mit "ffffföööööp" an einen vorstandswichtigwichser geschickt. zum glück gemerkt, fettes sorry hinterhergeschickt.

- im hinterhalt lauern und mich dann anspringen, weil man an strumpfhosen so schön laufmaschen mit den krallen ziehen kann.

- auf meine schulter klettern und meine haare anfressen

- dabei gerne auch fangen mit meinen ohrringen spielen (bis dass das blut fließt)

- hingebungsvoll meine flauschejacke lecken (potenzieller artgenosse). flauschejacke riecht jetzt nach katzenmundgeruch.

- mein telefonkabel durchnagen

tja. aber was soll man sagen außer: "hach, ist der süß!"?

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Mittwoch, 22. Mai 2013
dritter streich - against the shitstorm of life
nachdem ich den pfingstsonntag in mittellosigkeit verbracht habe, klingelt das telefon und die lederjacke ist dran. da ich deprimiert klinge, fragt sie nach, was sich seit samstagnacht so ereignet hat. ich erzähle zunächst die objektgeschichte in lederjackenfreundlichen auszügen und komme dann bei meiner finanzmisere an.
"wie viel brauchst du denn?" will die lederjacke wissen.
"naja... ich muss irgendwie durch die woche kommen..."
"sag einfach eine summe und ich leih sie dir."

die lederjacke hat mein loyalitätsprinzip verstanden: in der not sind freunde einander unbedingt verpflichtet.
"n fuffi?", frage ich zaghaft.
"das ist doch lächerlich", findet die lederjacke. "ich geb dir 100, okay?"
"hast du denn dann noch genug für den monat?"
"ich hab jetzt ziemlich genau noch... warte mal..." die lederjacke macht kassensturz, um dann bedröppelt zu sagen:
"öhem, 200 euro."
"dann kannst du mir unmöglich die hälfte davon leihen!"
"hör mal, du hast mir auch geholfen. sehr sogar."
"nee, nee. also wir machen das wenn dann jetzt so: du gibst mir jetzt deine kontoverbindung und ich überweise dir was, was du mir dann auszahlst."
die lederjacke lässt es sich nicht anmerken, aber ich kann die erleichterung spüren, die durch den hörer tropft.
"ja, das ist prima!"

wir machen rasch die transaktion, dann fragt die lederjacke:
"magst du gleich vorbeikommen?"
"klar. es regnet zwar, aber ich brauche ja meine kohle."
"ich mach nen tee, okay?"
"auja. hast du noch kippen?"
"tabak."
"magst du mir eine drehen, bis ich da bin?"
"klar doch", sagt der gentleman.
ich merke, dass ich mich wahnsinnig freue.
"bis gleich dann... und dank dir!"
"jetzt hör aber auf!" kontert die lederjacke.

ich radle durch den regen und komme klatschnass an. als ich unter der tür stehe, beäugt mich die lederjacke misstrauisch und guckt dann sehr erleichtert, weil ich schuhe und jacke schon im flur ausziehe. ich grinse verständnisvoll. in sachen sauberkeit sind die lederjacke und ich uns unglaublich ähnlich.
"du siehst lustig aus", findet die lederjacke.
"ich knutsch dich gleich, dann siehst du auch lustig aus", erwidere ich.

die lederjacke lacht und schubst mich dann mit tee und wolldecke in den händen in die gute stube.
ich setze mich und schaue der lederjacke ins gesicht.
"jetzt erzähl mal, wie war der umzug gestern?"
"umzug war okay. nur dann hab ich was getrunken und mich total mit meinem bruder gestritten."
"oha."
"ja, ich war total assig zu dem, und dabei hat der doch liebeskummer!"
"naja, aber der muss ja auch sehen, was du fürn stress hast. der anstrengende behördenjob, die schulden wegen deinem bafög und dem studienkredit und dann der umzug! du hast da auch ein päckchen zu tragen..."
"das sieht der nicht, der ist ja auch erst 24."
"naja, gut, er ist halt noch jung... aber ich finde, man merkt es dir total an, unter was für ner spannung du stehst."
"du schon. der nicht."
"aber du machst dir jetzt trotzdem vorwürfe, was? so als der älteste bruder vom ganzen clan?"
"klar."
"unklar. hast du mal drüber nachgedacht, was du dir damit für ne rolle auflastest?"
die lederjacke ist ganz still geworden.
"vielleicht hat das ja auch was mit deinen schlafproblemen zu tun."
"ich hab keine schlafprobleme! also nicht immer", wehrt die lederjacke ab.
"wenn du mal nicht besoffen bist, dann haste immer welche", analysiere ich messerscharf.
"naja, hast ja recht", gibt die lederjacke zu, um dann gleich einen plan zu machen:
"aber jetzt bist du ja da und dann trinken wir nur tee und sonst höchstens ein bier. du bist ne super suchtprävention."
"jaja, aber nur, weil du meine drogen nicht magst!" lache ich.

nachdem wir eine weile herumgesessen sind, steht die lederjacke auf, kramt in den kisten und holt dann drei antike bilder hervor.
"die wollte ich noch aufhängen, hilfst du mir?"
"klar doch. was soll ich machen?"
"halt die mal an die wand da! aber gerade!"
"aye-aye."

während ich mich mit bild an der wand langmache, steht die lederjacke unter der tür und guckt.
"bisschen runter... ja... nee, auch mit der linken kante... nee, jetzt biste rechts zu weit oben!" dirigiert sie mich, bis es dann endlich passt und die lederjacke sich mit hammer und nagel bewaffnet ans werk macht. dann hängen die drei bilder, die, wie ich erfahre, der lederjacken-großvater alle selbst gemacht hat, mit linolschnitt und anderem kladderadatsch.

"manchmal hätte ich gern damals gelebt", träumt die lederjacke vor sich hin.
"im krieg?"
"naja, weniger, aber so die zeit danach... wie geil muss das sein, wenn du in einer zeit großwirst, in der es immer nur bergauf geht!"
"hm."
die lederjacke schaut mich aufmerksam an:
"du magst dein leben doch auch nicht. das ist doch die totale kacke, in der wir leben!"
"hm", sage ich wieder.
"warum machen wir das dann?" fragt die lederjacke.
"weil wir uns schuldig fühlen?" mutmaße ich. "weil wir unsere eltern nicht enttäuschen wollen? weil uns jemand dieses haus-garten-kind-schema eingetrichtert hat?"
"na, wenigstens haben wir kein beschissenes haus und keine kinder!" schmunzelt die lederjacke und lehnt sich lächelnd gegen den fensterrahmen.
was für ein hübscher mann, denke ich, und dann sage ich es einfach, und die lederjacke grinst geschmeichelt.

danach fahren wir mit dem aufzug in den 13. stock und entern die dachterrasse. oben hängt alles voller nebel, aber wir schnappen uns dennoch zwei klappstühle, drehen zigaretten, rauchen kette und diskutieren bis spät, warum alles vielleicht doch nicht ganz so kacke ist wie es sich oftmals anfühlt.

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Sonntag, 19. Mai 2013
zweiter streich oder an evening with desaster
ich fahre noch mal zur lederjacke, weil wir die wohnung noch putzen wollen. als ich ankomme, ist auch einer der fünf brüder der lederjacke da. der lederjackenbruder ist klein und rund, hat weiche gesichtszüge und guckt sehr lieb. ich bin überrascht.
"krass, ihr habt null ähnlichkeit", sage ich und schaue immer wieder vom lederjackenbruder zur lederjacke.
"ach... wennde erst mal alle von uns kennst... da sind schon überschneidungen", sagt die lederjacke.

während die lederjacke alles desinfiziert, was jemals fremde hände erreicht haben könnten, feudle ich mit dem lederjackenbruder die wohnung. wir verstehen uns auf anhieb bombe und landen nach beendigung der wischaktion bei einem bier in der küche, wo die lederjacke zu uns stößt.
"pass auf, du aschst alles voll", weise ich die lederjacke hin.
"oh sorry", sagt die lederjacke, um dann zu fragen:
"was machstn heute noch?"
ich zucke die achseln:
"vielleicht clubbing."
"schade, dass ich morgen umziehe... sonst wären wir ja mitgekommen."
"ich seh schon, ich muss bald mal wiederkommen", sagt der lederjackenbruder.

gegen halb eins trennen wir uns an der u-bahn.
"ich muss in die richtung, ich muss noch mal nach hause, duschen und mich aufbrezeln", sage ich.
"ja dann... bis bald", sagt die lederjacke und drückt mich.
"ich ruf dich morgen mal an, okay?!"
"okay", rufe ich und steige in die einfahrende bahn.

zuhause spüre ich die müdigkeit, die mir in den knochen steckt. außerdem habe ich nur noch round about zehn euro und müsste dringend geld holen. draußen schifft es comme vache qui pisse. nach einer heißen dusche fühle mich jedoch wieder munterer und schmeiße mich in ausgehklamotten.
eigentlich will ich gleich noch zur spaßkasse, aber ich bin zu spät dran. als ich um die ecke radle, kommt schon mein bus um die kurve. also nix wie rein. in altona gibt es ja auch sparkassen.

trotz starkregens nehme ich am ziel den umweg zur bank meines misstrauens. dort dann die große überraschung: man lässt mich nicht ein. offenbar ist das kartenlesegerät am eingang defekt und meine karte wird nicht erkannt.
ich fluche, zähle mein geld, neun euro und 60 cent, das ist keine gute grundlage, aber es reicht für den eintritt und die fahrkarte zurück. getränketechnisch würde ich mich einfach frech durchschnorren.

vor dem club steht das arschlochfahrrad. sofort sinkt meine restgutelaune in den keller. verdammt, ich wollte mich ja gewitzt rächen und keine konfrontation mehr.

erstmal rein und aufs klo. dort treffe ich die neue flamme von mr. shyguy, die mich zum rauchen überredet. wir gehen noch mal kurz vor die tür und ziehen einen durch. da ich aufgeregt und schon wieder wütend bin, wirkt das dope nicht beruhigend wie sonst, sondern verursacht mir einen megaherzschlag, von dem mir schlecht wird.
"alles gut?" fragt mich die neue mrs. shyguy und guckt besorgt.
"jaja", sage ich, denn mrs. shyguy kennt die unselige objektstory ja nicht.

im club gibt es mal wieder mittelprächtige musik und mittelmäßige menschen. ich sage mr. shyguy und einem bekannten hallo. dann hänge ich mit dem bekannten an der bar. der bekannte guckt deprimiert, weil er ein laufendes gerichtsverfahren an der backe und ein gesperrtes konto hat.
"und dabei war ich mal unternehmer und hatte 20 angestellte", seufzt der bekannte frustriert. "manchmal möchte ich einfach nur hoch zur bahn gehen und den kopf auf die gleise legen." der bekannte hat sein unternehmen in die insolvenz gefahren, weil er sehr lange sehr krank war und vom krankenhaus aus zu wenig kontrolle über seinen betrieb hatte. als die auftraglage einbrach, hat er den schweren fehler begangen, seine angestellten fairerweise weiterzubezahlen und so ratzfatz schulden im sechsstelligen bereich angehäuft.
"du musst ein schwein sein in dieser welt..." intoniere ich und der bekannte lacht wieder ein bisschen.

dann betritt das arschloch den raum. es sieht mich und macht stante pede kehrt. in mir steigt ein 10000 grad heißer zorn auf.
"warte mal", sage ich zu meinem bekannten.
an der bar erwische ich das objekt. es kehrt mit den rücken zu wie ein kind, das nach dem motto "wenn ich dich nicht sehe, kannst du mich auch nicht sehen" handelt.
ich muss mich stark zusammenreißen, nicht gleich zuzuschlagen, sondern tippe ihm nur sehr energisch auf die schulter. es dreht sich um und glotzt.
"hallo", sage ich.
das arschloch guckt nur stumm.
"wir haben ein hühnchen zu rupfen, mein freund", grolle ich. "kommst du mal bitte mit."
"nicht jetzt", wehrt sich das objekt.
"es geht nicht immer nur um deine bedürfnisse!" werde ich laut.
da lässt sich objekt widerstandslos mitzerren.
"also", setze ich wieder an, als wir in einer ruhigen ecke stehen. "keine sorge, ich will nichts von dir. mit dir bin ich durch. ich will nur wissen, wann ich mit meinen sachen rechnen kann!"
offenbar hat sich das objekt doch die mühe gemacht, sich eine lösung zu überlegen.
"ich könnte sie dir schicken."
"ja, das ist gut", bin ich einverstanden. "schicken ist sehr gut. ansonsten bring sie mir vorbei, wenn ich nicht da bin. weißt ja, wann ich arbeite. kannst sie mir einfach vor die tür schmeißen, in meinem haus wird nicht geklaut."
"wenn du deswegen ausgaben hast, ersetz ich dir die natürlich", sagt das objekt zu meiner überraschung. sieh mal an, da schimmert ja ein rest anstand und charakter durch.
"nein", sage ich, "ich will kein geld von dir."
"ich will aber nicht diskutieren", fährt das objekt fort. "nicht heute. ich bin heute nicht konfliktfähig."
ich schnaube verachtungsvoll.
"wann warst du das je?!"
da dreht sich das objekt um und geht.

das wars, denke ich, und spüre die endgültigkeit als gewissheit vom herzen in richtung tränendrüsen steigen. ich reiße mich zusammen, hole meine sachen von der gardarobenfrau und sage mr. und mrs. shyguy tschüß.
mr. shyguy guckt traurig:
"es ist wirklich unfassbar, wie das mit dem objekt und dir so eskalieren konnte. ich dachte immer, er und du, das ist für die ewigkeit."
ich ringe mit den tränen.
"ist nicht alles seine schuld, glaub mir, auch wenn er in den letzten wochen einfach ein totaler arsch war. ich weiß nur, ich kann nicht mehr und ich will nicht mehr."

dann gehe ich nach draußen, schleppe mich zur haltestelle und heule ein bisschen, bis mir mein geldproblem wieder einfällt. zum glück ist da an der ecke eine haspa-filiale. doch als ich meine karte ins lesegerät halte, wiederholt sich das spiel von vorhin: karte ungültig. spitze. und das vor den beknackten feiertagen. ich kann mein pech nicht fassen, finde aber, dass die geschichte mit der karte super zum rest des beschissenen abends passt.

als ich zuhause endlich ins bett falle, fühle ich mich müde und ausgetrocknet vom weinen, todtraurig und dennoch ein kleines bisschen befreit. du bist auch nicht einsamer als zuvor, sage ich mir, bevor ich die augen schließe und einschlafe.

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Samstag, 18. Mai 2013
der erste streich
die lederjacke hat sich eine wohnung ergeiert. zum ersten mal im leben eine eigene, keine wg.
"hilfst du mir streichen?" bettelt die lederjacke, und da ich gerne rumschmiere, sage ich zu.

als ich gegen acht vor der hochhausfront stehe, bin ich zunächst enttäuscht. aber wie so oft: außen pfui, innen hui - die lederjacke hat eine wunderschön geschnittene, helle kleine wohnung und eine unfassbar geile dachterrasse.

"hier kannst du ja ferien machen", finde ich und lehne mich gegen die verglaste absperrung.
"wenn nicht gerade ein gewitter dazwischenkommt", erwidert die lederjacke und zeigt auf eine beachtliche dunkle wolkenfront, die vom hafen heraufzieht.
"wie viele stockwerke hat das haus denn?"
"wir sind jetzt über dem 13.", antwortet die lederjacke.
"hui, dann sollten wir jetzt machen, dass wir reinkommen, sonst trifft uns der blitz!"
"das ist hier schon gut möglich, hier kommt ganz schön was runter", zeigt die lederjacke auf die blitzableiter neben uns.

während draußen ein unwetter niedergeht, legen wir drinnen die folien aus, kleben die lichtschalter und steckdosen ab und fangen im großen zimmer an.
gegen mitternacht machen wir eine pause, rauchen eine und trinken ein bier.
"wir sind richtig weit gekommen", bin ich stolz.
"hast du noch kraft?"
"klar. ich will auf jeden fall weitermachen."
"hey, was meinst du, schaffen wir heute nacht die ganze wohnung?"
"gucken wir mal."

und während wir so auf dem fensterbrett sitzen, die beine baumeln lassen und uns verschwitzt anstrahlen, ertönt plötzlich ein lauter knall.
"was war das?!"
die lederjacke ist beunruhigt aufgesprungen:
"das kam aus der küche!"
zusammen rennen wir in die küche - und mitten in ein splitterfeld.
"was zum teufel ist das?!" ruft die lederjacke entsetzt.
"da, der ofen!"
ich zeige auf den ofen, dessen front fehlt.
"alles voller glas!"
die gesamte glasfront des ofens war herausgesprungen und in tausend stücke zerbrochen.
die lederjacke kniet sich ungläubig nieder und inspiziert den schaden.
"nicht anfassen!" mahne ich, "machen wir erst die sicherung raus, am ende war da spannung drauf."
die lederjacke tappt in den flur und hantiert am sicherungskasten.
"geh du bitte in den flur, du bist barfuß", ermahnt sie mich, dann holt sie schaufel und besen und beseitigt die scherben.
"kannst du dir das erklären", ruft die lederjacke in den flur.
"nicht wirklich", sage ich. "das ist echt ungewöhnlich. das glas ist ja auch total dick, das geht doch nicht mal kaputt, wenn man da dagegen rennt. also das einzige, was mir einfällt, ist, dass da irgendwie spannung drauf war."

die lederjacke kommt in den flur.
"also ich finde das unheimlich."
in diesem moment beginnt die deckenlampe zu flackern.
"ein poltergeist", lache ich. "du hast nen poltergeist. das ist die erklärung."
"du glaubst nicht ernsthaft an so nen scheiß", sagt die lederjacke.
"na, es liegt doch total nahe", kichere ich.
"hör auf mit so einem mist."
"ich hatte mal einen exfreund, der glaubte, wenn man dinge ausspricht, dann treten sie auch ein."
"du warst auch nur mit psychos zusammen, kein wunder, dass du depressiv geworden bist!" findet die lederjacke.

dann streichen wir weiter - ich im bad, die lederjacke im flur. plötzlich höre ich gesang.
ich hole die lederjacke ins bad.
"herzlichen glückwunsch, du hast auch singende nachbarn."
gemeinsam lauschen wir.
"aber wer singt denn bitte nachts um halb zwei?"
"wer streicht denn bitte nachts um halb zwei?"
"okay, eins zu null für dich", meint die lederjacke.
wir lauschen noch mal.
"klingt irgendwie so... religiös."
"wie bei meinen nachbarn."
die lederjacke beäugt mich misstrauisch:
"also erst schleppst du deinen poltergeist hier an, jetzt hab ich auch noch singende satanisten in der butze!"
"kannst ja wieder ausziehen."
die lederjacke schubst mich und knuddelt mich dann.
"machen wir weiter?" frage ich.
"wird dir das nicht zu viel?" hakt die lederjacke nach.
ich wische ihr als antwort mit dem pinsel durch gesicht und flüchte mich dann kichernd zurück ins bad.

um halb fünf uhr morgens haben wir es geschafft.
"wahnsinn", sagt die lederjacke. "das sieht echt professionell aus."
"tja. ich habe ja gesagt, vertrauen sie auf meine kompetenzen, mein herr."
"aber mein rücken ist jetzt ganz schön kaputt."
"bei mir isses gerade nur die schulter und der arm, aber du hast ja auch die decken gemacht."

dann sitzen wir noch ein bisschen auf der dachterrasse und schauen in den sonnenaufgang.
"da kommt die nächste front", sagt die lederjacke irgendwann.
"dann fahre ich mal schnell nach hause, bevor mich der regen erwischt."
"wie lange hast du?"
"ach, 20 minuten oder so."
"ich finde es ja schön, dass wir jetzt wieder näher bei einander wohnen."
ich schaue die lederjacke zärtlich an.
"ich auch."

die lederjacke bringt mich zum aufzug und gibt mir einen kuss.
"vielen dank für deine großartige hilfe."
"nichts zu danken. hat spaß gemacht."
"dann schlaf mal schön."
"grüß den poltergeist von mir!"
die lederjacke lacht und verschwindet in ihrer wohnung, während ich auf mein rad steige und durch den einsetzenden nieselregen fahre.

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Mittwoch, 15. Mai 2013
ein pfand, ein pfand in meiner hand
inzwischen hab ich dem objekt seine sachen in einer anonymen nacht-und-nebel-aktion zurückgegeben, aber meine nicht bekommen. seither stellt es sich blind, taub, stumm und unsichtbar. ich fand das erst lustig. dann fiel mir auf, dass ich die sachen, die es einbehalten hatte, eigentlich dringend brauche und dass ein neukauf ziemlich teuer würde.

tagelang habe ich darüber nachgedacht, was ihn dazu bewegen könnte, das zeug rauszurücken. mit freundlichkeit und geduld kam ich nicht weiter, merkte ich.

und dann kam die idee. die ist zwar ein bisschen sehr fies, aber da er jetzt auch nicht gerade den nobelpreis für fairness verdient hat, durchaus in ordnung.

jetzt muss ich nur noch die passende gelegenheit abwarten. bericht folgt.

nun aber erstmal wieder dröge dumpinglohnarbeit.

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