Sonntag, 31. August 2014
fortschreitende heilung
sonntag, 14 uhr. das objekt klingelt mich aus dem bett:
"hey morphinchen! hast du lust, mit mir schwimmen zu gehen?"
schlafschwere betäubung in meinem kopf.
"hmhmhm..." murmle ich, ohne recht zu begreifen.
"oh, ich hab dich aufgeweckt... ich geb dir mal ein paar minuten zum wachwerden, ja?"
schwupps, hat das objekt aufgelegt. und ich bin mit der ersten schweren frage des tages konfrontiert:
schwimmen oder nicht schwimmen?

bis vor wenigen wochen wäre dies keine frage gewesen, sondern ein kraftvoller impuls, über das serotonin-morgenloch hinweg sofort aus dem bett zu springen, jubilierend den tag zu begrüßen, dann schwimmsachen, kondome und spielzeug einzupacken und zum objekt zu rasen. inzwischen ist jedoch eine bemerkenswerte veränderung im denken eingetreten. der kopf schreit nicht mehr, hurra, hauptsache objekt, sondern hakt kritisch nach: habe ich wirklich lust, heute ins schwimmbad zu gehen? jetzt, an einem kater-sonntag, so mit kreischenden kindern und millionen anderer hässlicher menschen?

ich putze erstmal zähne. dann klingelt das handy erneut.
"wo willste denn überhaupt schwimmen gehen?" will ich vom objekt wissen. "st. pauli?"
"nee, ich würde heute rausfahren, richtung kellinghusen."
auch noch weit fahren, hm. ich werfe einen blick aus dem fenster. es regnet bindfäden. und ich merke, wie mir das wetter die letzte entscheidung abnimmt.
"nee, ich glaub, ich hab kein bock", sage ich den für mich unvorstellbaren satz, den ich gegenüber dem objekt meines wissens noch nie ausgesprochen habe.

das objekt verstummt betroffen. ganz offenbar hat es mit dieser reaktion nicht gerechnet.
"schade", sagt es irgendwann und es klingt tatsächlich nach "schade", nicht nach "na gut, ich hab trotzdem spaß".
dann legen wir auf.

zwei minuten später dreht meine biochemie durch. wohlige erinnerungen durchzucken mein bewusstsein: heiße küsse in der gemeinschaftsumkleide, unterwasserfummeln, nacktschwimmen im whirlpool. du musst sofort das objekt anrufen und ihm sagen, dass du doch mitkommen willst, befiehlt mir der objektverseuchte teil meines hirns.
nein, du hälst das jetzt mal aus, sagt ein anderer und sendet abschreckende vorahnungen vor mein geistiges auge: unrasierte muttis unter der dusche, kleinkinder mit vollen windeln, jugendliche, die ins wasser pullern, lüsternde typen, die mir auf den arsch glotzen.

und dann geschieht das wunder: ein stückchen gelassenheit und das vage gefühl, trotz allem die richtige entscheidung getroffen zu haben, machen sich in mir breit.
tschakka!

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Donnerstag, 28. August 2014
arschlecken
der mitinsasse hat den kontakt abgebrochen. hamburger-typisch ohne ankündigung oder angabe von gründen. war ja auszurechnen, wär ja mal wer vernünftiges gewesen. also sind wir jetzt unvernünftig und gehen heute mal wieder einen familiendaddy ficken. das objekt würde jetzt wieder schreien, dass das selbstverletztendes verhalten sei. aber das objekt kann mich mal. kürzlich schickte es mir eine anfrage, ob ich es nicht am wochenende in den swingerclub begleiten möchte. ich schrieb ihm zurück, dass ich bezweifle, dass es mich dafür angemessen bezahlen könne. seither herrscht humorbefreite funkstille.

die lederjacke ruft mich plötzlich nach monaten doch wieder an und tut, als wäre nichts gewesen. nach zwei minuten fragt sie, ob ich eine wohnung für ihren kriminellen bruder wüsste, der dringend die stadt wechseln muss. so schnell ist man also wieder en vogue. ich nutze die situation eiskalt aus und verpflichte die lederjacke als packesel beim schwedischen möbelgiganten. ich entwickle meine kernkompetenz "berechnendes arschloch" also doch noch.

apropos kernkompetenz, ich habe mal wieder ein vorstellungsgespräch. bei einem kirchlich getragenen unternehmen. ich musste ein wenig grinsen, als ich telefonierte, konnte aber nicht laut lachen, denn die kollegen hörten mit. also tat ich, als handle es sich um einen kunden und vereinbarte fix einen termin. man wird sehen.

die egalitätsgrenze verschiebt sich derzeit stark nach oben. vielleicht kiffe ich auch nur zu viel.

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Sonntag, 24. August 2014
kollisionskurs
das objekt schickt eine nachricht, die sich liest wie eine einladung zum prä-clubbingmäßigen vorglühen. doch als ich um 23 uhr klingle, öffnet mir ein erstauntes objekt die tür:
"du kannst doch nicht einfach so hierher kommen!"
"na hör mal, du hast mir doch geschrieben..."
"aber das doch nur so allgemein! was wäre denn, wenn die gespielin jetzt da gewesen wäre?!"
"dann kommuniziere halt klarer!"

zunächst ist es mir peinlich, das objekt so überrumpelt zu haben. dann denke ich, na und, soll es sich mal nicht so anstellen. die gespielin weiß, dass wir uns kennen und dass wir beide in den club gehen, also warum sollte ich das objekt nicht mal zum ausgehen abholen? außerdem hat die gespielin nachtschicht, und da sie inzwischen in derselben klinik arbeit wie das objekt, kann sie nicht nur das objekt noch besser kontrollieren, sondern weiß das objekt auch ganz genau über schichtanfang und -ende bescheid. überraschungen ausgeschlossen.

das objekt beruhigt sich nach wenigen minuten wieder und scheint sich dann doch zu freuen, dass ich da bin. wir setzen uns an den küchentisch und rauchen noch eine. es beginnt ein stockendes gespräch.
"ich habe gestern drei bewerbungen abgeschickt", sage ich.
"klasse. wo haste dich denn beworben?"
"überall."
"aha."
ich zucke die schultern.
"du hast ja damals auch gesagt, dass du es gut fändest, wenn ich hier endlich weg bin."
das objekt reißt die augen auf:
"DAS soll ich gesagt haben?!"
"ja."
"niemals habe ich SOWAS zu dir gesagt."
"doch, an dem abend, als wir uns auf der straße begegnet sind, weißt du nicht mehr?"
"das hab ich bestimmt nicht so gemeint."
"ich hab dir von einem bewerbungsgespräch in berlin erzählt, und dann hast du das gesagt."
"das kann ich mir nicht vorstellen, das hab ich bestimmt in einem anderen kontext gemeint."
"hör mal, ich weiß sehr genau, dass du das genau so gesagt hast, und an den kontext erinnere ich mich ausgezeichnet, weil solche sätze gehen bei mir sehr, sehr tief und da denke ich sehr lange darüber nach."
das objekt schweigt betreten, dann machen wir uns auf den weg.

im club betrinke ich mich bis zum umfallen. es graben mich zwei typen an, ein unternehmensberater mit einer hässlichen hysterischen lache und ein anderer, der aber schnell wieder aufgibt. als der unternehmensberater mich in eine ecke zieht und die hände unter mein oberteil schiebt, greift das objekt ein. der unternehmensberater lässt daraufhin von mir ab:
"ey, ist das dein freund?!"
"exx..lover."
"dafür ist der aber ziemlich unentspannt!"
"der mussich gaaa nich so habn... der hat selba... ne freunnnndnn", sage ich provokant in objekthörweite.
das nimmt der unternehmensberater als aufforderung, mir an die titten zu gehen.

das objekt registriert das aus den augenwinkeln, dreht sich noch einmal um, packt den typen unsanft und schubst ihn beiseite. dann zieht es mich an die bar und schiebt mir einen hocker unter den arsch.
"ey, wassss solln das...", wehre ich mich.
"du bist total breit, du schnallst doch gar nicht mehr, was du willst! und du willst mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass du von diesem idioten befummelt werden willst!"
"na unnnn... er hatmia aba wassu trinkn ausgegemmm."
"wenn der auch nur baumschulen-iq gehabt hätte, hätte er dir ein wasser gekauft."
ich muss kichern wegen dem baumschulen-iq, merke aber auch, dass das objekt jetzt sauer wird.
"jezzz... enspann dichma... willzu noch was suuu trinkn?"
das objekt schüttelt den kopf. ich winke dem barkeeper mit meinem glas:
"machsssu mia nochso ein?"
das objekt gestikuliert:
"sie braucht ein wasser."
der barkeeper schmunzelt und versteht und schiebt mir ein wasser hin.
ich schaue das objekt beleidigt an:
"spiel dich nich so aufff...du machs mia den gannzn ammmd kaputt!"
jetzt platzt dem objekt der kragen:
"nee! du machst mir meinen kaputt!"
dann stürmt es richtung tanzfläche.

ich suche mir einen platz auf der couch und lasse mich in die polster sinken. ich bleibe sitzen, bis ich mich wieder klarer fühle. dann gehe ich tanzen, bis das knie schmerzt und die kleidung schweißnass an mir klebt.
als ich von toilette komme, treffe ich das objekt noch einmal.
"tut mir leid wegen vorhin", sage ich.
"gehts dir wieder besser", will das objekt wissen.
"ja. ich werde gleich nach hause."
das objekt nimmt mich in den arm.
"hab ich das damals wirklich so gesagt, dass ich es gut finde, wenn du weg bist?"
ich nicke.
"aber ist schon in ordnung, du hast ja recht damit. hier gibts keinen platz für mich. und du hast auch keinen platz für jemanden wie mich in deinem leben. ich weiß ja noch nicht mal, ob ich überhaupt so für das leben gemacht bin. ich pass hier nicht rein. nirgends."
das objekt starrt mich wortlos ab.
"ich starte jetzt so meinen letzten versuch, weißte, mit diesem ganzen bewerbungsmarathon. aber wenn sich so in den nächsten monaten nichts ergibt... also noch ein weihnachten mach ich so nicht mit."
"du meinst...", stammelt das objekt schockiert.
ich nehme es in den arm.
"hör mal, wenn es passiert, mach dir bitte keine vorwürfe. es ist meine entscheidung. was willst du denn mit mir, du hast dich für die gespielin entschieden. und ich will nicht deine patientin sein. das ist eine ganz doofe rolle."
"du bist doch nicht meine patientin."
ich löse meine umarmung.
"aber eben auch sonst nichts anderes. schau mal, wir haben so unseren kleinen gemeinsamen nenner. da driftet ab und an ein wenig warmherzigkeit zu mir rüber. das ist schön und hilft mir, so durch die nächsten tage zu kommen. dafür bin ich dankbar, aber ich weiß auch, mehr ist da nicht. wir werden auch nie zusammen irgendwo leben. weil du das gar nicht willst."
das objekt starrt mich nur an und weiß nicht, was es sagen soll.
ich schlüpfe in meinen mantel und gebe ihm einen kuss auf die wange:
"tschüß."

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Donnerstag, 21. August 2014
crazy
gestern abend ruft das objekt an und fragt ganz direkt: "kann ich vorbeikommen?"
das klingt ernst und ein wenig dringlich. ich bin irritiert und denke, vielleicht weil ich am samstag so abweisend war. möglicherweise fällt der groschen ja pfennigweise und es hat über sein verhalten in den letzten wochen nachgedacht.
"von mir aus", sage ich.
"super, ich freu mich", antwortet es.
ich schweige.
pause.
"soll ich... was mitbringen... brauchst du was?" stottert es dann.
ich überlege. warum eigentlich nicht? außerdem ist der wodka gerade alle.
"eine flasche wodka."
"okay, madame. ich bin dann in einer halben stunde da, wenn dir das recht ist."
"ist mir recht."

als das objekt ankommt, hat es zwei dicke einkaufstüten dabei. ich staune bauklötze.
"ich koch uns was, was meinst du? großer hunger oder kleiner hunger?"
"äh, ich hab schon gegessen", antworte ich wahrheitsgemäß.
"dann was für den kleinen hunger. und guck mal, ich stand gerade so beim wodka, dann ist mir der da ins auge gefallen, und ich dachte, wir gönnen wir uns mal was richtig feines!"
es hält mir eine flasche upper-class-whiskey unter die nase.
"na, ist das was, das ist doch mal was, nicht immer nur dein billigfusel!" dreht es auf und strahlt mich an.
ich atme tief durch.
"kannst du dich bitte hinsetzen und einfach mal die klappe halten?"

"entschuldige, ich bin aufgeregt", sagt es, als es endlich sessel unter dem arsch hast.
"ich merks", sage ich.
"du... du bringst mich immer so aus der fassung."
"na herzlichen glückwunsch, dir gelingt das aber auch ganz gut", sage ich sarkastisch.
das zieht ungehört am objekt vorbei, denn es ist schon dabei, die neusten news zu erzählen. unter anderem will das bafögamt endlich sein bafög zurück, wodurch das objekt nun schon wieder auf mehreren tausend euro schulden sitzt. das tut mir leid, aber nur ein bisschen und bestätigt meinen glauben an karmische vergeltung.

"ich hoffe, du erzählst mir das jetzt nicht, weil du denkst, ich leih dir geld", sage ich.
"nein, nein... gar nicht. ich habe vielmehr daran gedacht, meine mutter anzuhauen. das kostet mich zwar stolz... weil ich das studium ja nie zu ende gebracht habe... aber besser als das jetzt noch unnötig rauszuzögern, oder?"
"warum fragst du nicht deinen freund n.? der ist doch so reich."
"ähm, also, wir sind... nicht mehr befreundet. so richtig."
"warum das denn?" bin ich irritiert, denn n. ist der älteste und beste objektfreund.
"ich hab mir sein auto geliehen."
"na und? durftest du das nicht?"
"doch, doch. also so um in der gegend rumzufahren."
"aber?"
"naja, ich bin damit in urlaub gefahren."
ich schlage mich mit der hand auf die stirn:
"und da wunderst du dich."
"das war doch gar nicht das problem. sondern dass er das auto dann selber brauchte, wegen irgendwas beruflichem, und ich... wollte doch urlaub machen. und dann bin ich erst zwei tage später zurückgefahren."
"okay, ich fasse zusammen, du nimmst dir ein auto, fährst damit heimlich in urlaub, und es war dir egal, als der besitzer das auto dann selber wieder brauchte?"
"aber seine frau hat doch auch ein auto."
"vielleicht hatte seine frau ja keinen bock, ihm das auto zu geben, weil die unzuverlässigen freunde ihres mannes nicht ihr problem sind?" sage ich spitz.
das objekt seufzt tief.
"ja, ich weiß, ich hätts nicht machen sollen, aber ich... ich weiß auch nicht, ich hatte total den aussetzer."
"einen egozentrischen aussetzer, soso."
das objekt macht große unschuldige kulleraugen:
"morphinchen, du kennst mich! du weißt, wie ich bin!"
ich schaue ihm fest in die augen:
"ja. leider."

"wie gehts denn deinen eltern? und deiner oma?" wechsle ich schließlich das thema.
"gut. meine oma wird jetzt 98."
"dann macht sies wahrscheinlich nicht mehr lange."
"nein. und ich muss überlegen, wie ich das mit dem haus mache. ich habe nochmal mit der gespielin gesprochen, aber die denkt ja noch gar nicht an die zukunft. da ist sie einfach noch nicht weit genug."
"vielleicht ist ihre zukunft ja nicht deine zukunft?"
das objekt wippt in seinem sessel.
"weißt du, ich will das nicht allein machen. und ich könnte mir das total toll vorstellen... so mit dir zusammen!"

ich verschlucke mich am whiskey und muss husten. was in aller welt geht da bloß im objekthirn ab?
ich höre mir den folgenden monolog an, der sich darum dreht, dass das objekt auf dem grundstück eine art trailerpark aufbauen will. es faselt von energiekosten und wassersparen und bio und totaler autarkie, bis ich sage:
"du glaubst nicht ernsthaft, dass ich mein leben hier für nen trailerpark aufgebe?"
das objekt sieht mich an:
"du würdest da gesund werden, da glaube ich ganz fest dran."
ich atme langsam aus.
"lass uns darüber sprechen, wenn es relevant wird, ja? und wenn die gespielin doch mitzieht, brauchst du mich ja gar nicht."

das objekt betrachtet mich angestrengt, versucht offensichtlich den zynismusanteil meiner aussage abzuschätzen, und beschließt dann, sich einen kommentar zu sparen. es steht auf und geht in die küche. dort kocht es uns griesbrei mit apfelkompott und vanillezucker.
"ein essen aus meiner kindheit", seufze ich, nun doch ein wenig angetan. "und du hast sogar an die laktosefreie milch gedacht."
"klar."
wir lümmeln wieder im sessel und lassen uns von meineröhre berieseln. das objekt wird ruhiger, kifft kette, erzählt keine durchgeknallten stories mehr und wird mir wieder ein wenig vertrauter.

"warum bist du am samstag eigentlich so früh abgehauen", will es dann doch wissen.
"ich wollte halt lieber auf einer brücke stehen und heulen."
das objekt lächelt angestrengt.
"ich hatte so ein komisches gefühl... ich stand dann da später auf diesem aussichtsturm und da fiel mir ein, ob du dir nicht überlegt hast, in die elbe zu springen."
"du kennst mich halt doch ganz gut."
da stellt das objekt den teller beiseite, kniet sich vor mich und zieht mich an sich, so fest, dass ich kaum noch luft bekomme. dann nimmt es meinen kopf in beide hände und sagt eindringlich:
"das darfst du nie, nie, niemals tun."
prompt bekomme ich meinen schwachen moment und tränen schießen in meine augen. ich komme mit der objektgegenwart nicht klar, es ist mir nah und fern, vertraut und fremd, und dann küsst es mich einfach ganz tief und ganz lange.

"ich will so gerne bei dir sein", flüstert es in mein ohr.
ich zögere und zögere, dann mache ich mich gerade, räuspere mich ein wenig und stammle dann:
"aber... aber ich morgen früh raus. also mein chef... ich muss mit dem reden."
das objekt schaut verunsichert, dann fängt es sich und schlägt vor:
"was hälst du davon: wir bauen uns jetzt ein bett und dann schlafen wir einfach... und dann bin ich da, wenn du morgen früh los musst?"
ich schaue zweifelnd:
"musst du nicht zurück zu deiner ollen?"
"das hat zeit", behauptet das objekt.
ich beschließe, keine fragen zu stellen. stattdessen horche ich ganz tief mich hinein, was mein bauch zur objektiven idee meint. dann sage ich:
"du kannst noch ein bisschen bleiben, so bis ich eingeschlafen bin, aber in einer stunde verschwindest du bitte."
"wir machen es so, wie du es kannst und willst", verspricht das objekt.

das objekt bringt mich also ins bett. es legt sich neben mich und nimmt mich in den arm. es fühlt sich an wie früher, das warme rauschen der geborgenheit, gepaart mit dem sanften flackern latenter geilheit.
wir liegen wach und belauern uns. ich versuche, ruhig und gleichmäßig zu atmen und die atmung zu verlangsamen, damit das objekt denkt, dass ich schlafe. das gelingt mir so gut, dass ich tatsächlich kurz wegknacke und minuten später panisch hochschrecke.
"was ist los", will das objekt wissen.
"hab geträumt", lüge ich.
das objekt streichelt mich sachte und vorsichtig mit einer seltsamen mischung aus verlegenheit und sehnsucht im blick. ich kuschle mich in seine achselhöhle und schnuppere und schnuppere, bis ich tatsächlich ruhig werde und wieder einschlafe.

gegen halb fünf werde ich erneut wach. das objekt schläft tief und fest neben mir. ich wecke es auf und werfe ich es aus der wohnung.
"ich bin zu angespannt, ich muss alleine sein", argumentiere ich.
"das ist in ordnung", findet das objekt. "geht mir auch manchmal so."
es packt sein sachen, schlüpft in jacke und schuhe und kommt dann noch einmal für eine letzte umarmung.
"es ist übrigens noch griesbrei da. kannste später frühstücken."
"ja."
"soll ich dir auch das kompott dalassen?"
"von mir aus."
"ich stells dir kalt."
"danke mutti."

als sich das objekt aus der tür drückt, überfällt mich eine seltsame mischung aus heimweh und erleichterung. weiterschlafen unmöglich. also liege ich wach bis zum weckerklingeln und denke über dieses mehr als merkwürdige intermezzo nach.

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Mittwoch, 20. August 2014
arbeitsverweigerung
da mein chef ein arschloch und ausbeuter ist, schiebe ich ein ihm wichtiges projekt bis zum sanktnimmersleinstag. das erlaube ich mich insofern, da es ein umfangreiches projekt ist, das sich weit außerhalb meines arbeitsvertrags bewegt. da ich ohnehin ständig gezwungen bin, außervertragliches neben den regulären tätigkeiten zu erledigen, setze ich in diesem fall auf widerstand, nicht zuletzt in der hoffnung, dass ich doch noch schneller als gedacht einen anderweitigen job finde.

am freitag kommt cheffe mal wieder, um seine befehle zu verteilen und um uns zu sagen, dass ihm das alles zu langsam geht.

ich hab ein bisschen die hosen voll. soll ich frech sein? ihm einfach sagen, mach ich nicht? soll ich die kündigung riskieren? ihm, wenn er frech wird (höchstwahrscheinlich), vielleicht selbst mit kündigung drohen?

auf jeden fall wird es knallen. und ich darf nicht weinen. ich darf gottverflucht nicht rumheulen!

sagen sie doch mal. ich brauche rat.

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Sonntag, 17. August 2014
teletubbies
die beste party des jahres steht an. ich habe mich die ganze woche drauf gefreut. nur noch drei, zwei tage, nur noch den freitag arbeiten, sage ich mir, dann ist es soweit. der dritte und die drittefreundin und auch die objektexfreundin haben sich bereits angekündigt, mich zu begleiten. besser geht nicht, finde ich.

gestern gegen 23 uhr weiß ich, dass meine lieben freunde doch nicht kommen werden. meine vorfreude sinkt von exorbitant auf sehr lau. ich weiß auch nicht, ob das objekt anwesend sein wird. wenn es nicht da ist, habe ich einen entspannten abend und werde viel tanzen, verspreche ich mir, und ein drink ist auch drin, armut hin oder her.

um mitternacht, als ich im bad stehe und meiner fresse den letzten schliff verpasse, plingt das handy. eine sms. kommt die drittefreundin, die eigentlich gerne dabei gewesen wäre, aber pärchensyndrombedingt beim unlustigen dritten auf der coach verweilen muss, nun etwa vielleicht doch noch? nein, es schreibt völlig überraschend das objekt, das schon seit zwei wochen nicht mehr mit mir gesprochen hat. eine "vorwarnung" wolle es mir geben, dass es heute da sein wird.

meine erste reaktion ist keine reaktion. in mir bleibt es kalt. erst, als ich auf dem weg zur bahn bin, macht sich leichte aufregung bemerkbar. wie soll ich dem objekt begegnen? das neue nichtverhältnis erlaubt keine extremreaktionen wie ohrfeigen oder vögelangebote. unschlüssig laufe ich durch die potthässliche hafencity. der wind pfeift, in hamburg ist im august herbst, und es wirft ein paar tropfen vom himmel.

am ort des geschehens bin ich erstmal erleichtert, als ich feststelle, dass es trotz schlechtwetters wie immer vier floors auf dem schiff gibt. man kann sich also verlaufen. ich stelle mich an deck und rauche eine. der architekt grüßt, dann zwei bekannte. ich fühle mich innerlich kalt und konversationsgelähmt. ein gin zum aufwärmen, dann geht es rein.

drinnen sind zu viele leute. angst. mir wird schwindelig, ich habe den eindruck, nicht mehr atmen zu können. ich quetsche mich in eine ecke. vor mich stellt sich eine fette lackuschi mit enormen titten. ich bin gefangen. ich versuche mich zu entspannen, sage mir, komm, einfach ruhig bleiben, keiner tut dir was, es ist genug sauerstoff für alle da und du wirst jetzt auch nicht ohnmächtig. nach einigen minuten lässt die angststarre wieder etwas nach und ich mache drei schritte, quetsche mich an der fetten lackuschi vorbei und will zur treppe. über die gerade das objekt nach unten kommt.

der erste impuls: flucht. ich verstecke mich schnell wieder hinten den titten der lackuschi und gehe auf beobachtungsposten. das objekt hat mich noch nicht entdeckt. verdammt, wie komme ich nun hier raus? ich erinnere mich an die hintertreppe hinter dem dj-pult, taste mich blind durch den nebel und nehme den schmalen gang. endlich kommt die treppe, und über einen weiteren floor, der angenehm leer ist, gelange ich wieder an die frische luft.

als ich wieder an deck bin, zittern mir die beine, mir ist schlecht und ich brauche dringend noch einen drink. aber an der bar ist zu viel los, ich kann mich nicht lösen und entscheide mich, einfach noch eine zu rauchen. als ich über die flamme meines feuerzeugs schaue, sehe ich schemenhaft einen roten schopf, dann umarmt mich ein durchgeschwitztes, nach alkohol riechendes objekt. im nächsten moment lässt es mich los, taumelt seitwärts und sackt gegen die reeling.
"ooooch... das war nix, nochhh... maaaa", lallt es und nimmt anlauf für eine zweite umarmung, der ich dann aber aus dem weg gehe. ich nehme das objekt scharf unter die lupe und komme zum schluss, dass es besoffener tut als es ist, um mir keine angriffsfläche für etwaige diskussionen zu bieten.
"tu mal nicht besoffener als du bist", sage ich kühl.
das objekt berappelt sich, lehnt sich neben mich und meint dann:
"ichhhab dir... vooohin... ne nachrichhh geschick."
"hab ich bekommen."
schweigen.
das objekt fummelt nach einer zigarette.
"unnn... warum bissdu heute hier?" fragt es mich die frage des abends.
"war verabredet."
"mim kerl?"
"nee, mit nem paar", sage ich wahrheitsgemäß und überlasse den rest der objektfantasie.
das objekt schweigt wieder, kaut an den spärlichen informationen, legt dann überschwänglich den arm um mich und schaut mir ins gesicht:
"unnn... wie gehts dir übahaup, sachma."
"willst du doch gar nicht wissen", sage ich bissiger als ich vorhatte.
das objekt zieht den arm wieder zurück. wir stehen schulter an schulter, ich kann die objektwärme weiterhin spüren und die verzweiflung, die in mir aufsteigt.

"weißte, ich bin heute so hierhergekomm... so mit ner ganssss... hohn schutzmaua ummich rumm", sagt das objekt, macht eine pause und fährt dann fort:
"aberssss.. geht so, ich... ich kann hier so eintauchn... mich fallen lassen."
"schön", sage ich indifferent.
"abbach bin auch schon gansss... schön breit."
"haste die schutzmauer weggesoffen also."
das objekt kichert:
"nee, ich sauf... hinter meina schutzmaua. weil... ohne die schutzmaua... würdmwa hi auch nich stehn... sondern so tun wie... teletubbies."
ich schaue das objekt kritisch an. aha, es würde also theoretisch gar nicht mit mir sprechen? kurz flammt wut auf, aber die kommt nicht richtig zur geltung. ich habe das gefühl, ein eisklotz zu werden, mich von innen nach außen hin durchzufreezen, bis ich eine ganz starre, unbewegliche und stumme figur geworden bin.
"ich bin dann mal drinnen", sage ich nach einigen minuten als stumme eisskulptur und lasse das objekt stehen.
ich kann auch desinteressiert tun, ha!

ich postiere mich neben der tanzfläche. zum tanzen fühle ich mich zu befangen. aber zugucken geht inzwischen halbwegs entspannt. ich habe auch einen zweiten drink ergattert und spüre die warme umarmung des alkohols. ich beginne, im takt zu wippen, als mich jemand von hinten fest um die taille fasst und eine harte gürtelschnalle an meinen po presst.
das objekt natürlich.
im ersten moment laufe ich gefahr, mich in die bewegung hineinfallen und mich ansexen zu lassen. doch dann rasten die brandneuen inneren widerstände zuverlässig ein und schließen den bereitwilligen spalt, den das objektive verführungsmanöver geöffnet hat. das objekt merkt das, gibt mir belustigt einen versöhnlichen klaps und lässt dann von mir ab. ich flüchte ein zweites mal.

ich bleibe an deck, rauche meine zippen leer und schaue auf die uhr. vier uhr. normalerweise nehme ich immer den sonnenaufgang mit, mein persönliches hightlight dieser party. denn nichts ist schöner als das zarte orange, das sich zu ambient-klängen langsam in den himmel schiebt, die kran- und containerlandschaft illuminiert und die elbe zum glitzern bringt. diesmal allerdings verspüre ich nicht geringste lust darauf, hier bis um sechs uhr morgens auszuharren. mein körper meldet müdigkeit und eine deutlich verlangsamte serotoninproduktion. hör auf deinen körper, sage ich mir, du hast noch einen ordentlichen fußmarsch vor dir, und wenn du total erschöpft an der bahn ankommst, wird die fahrt mit anderen besoffenen assis der totale horror für dich.

ich entscheide mich für die vernunft, hole meinen mantel und stehe dann unschlüssig auf der treppe. noch mal rein, dem objekt tschüß sagen? es hat dich nett begrüßt, also kannst du auch nett tschüß sagen, rate ich mir, du hast auch keinen grund, jetzt einen lächerlichen kleinkrieg anzufangen. ihr seid jetzt teletubbies, gewissermaßen, also sei artig und mach winke-winke. doch irgendeine trotzige stimme in mir sagt, nö, ich bin jetzt dran mit arschloch-sein. also stapfe ich ohne verabschiedung über die schmale brücke an land.

der nervenzusammenbruch kommt ungefähr fünf minuten später, kurz nachdem ich mir schon für meine coolness gratulieren wollte. an einer brücke bleibe ich stehen, sacke tränenblind zusammen und lehne am geländer. ich kann das kalte eisen an meinem rücken spüren, es bildet einen angenehmen kontrast zu der ungeheueren hitze im kopf und in der brust.

ich verliere jegliches zeitgefühl. ab und an fährt ein auto vorbei, doch sonst bin ich mutterseelenallein auf dieser brücke mitten in einer gigantischen baustelle. irgendwann habe ich mich leer und müde geweint, wische mir die tränen ab, putze mir die nase und rauche eine letzte zigarette. dann gehe ich weiter meinen weg. und kurz bevor ich richtung zentrum abbiege, bemerke ich, dass der erste helle morgenschimmer über der stadt liegt.

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Freitag, 15. August 2014
180-grad-gefühle
gestern der tiefpunkt. existenzangst, kreiseln um das objekt. in einem spontanen impuls stieg ich am abend aufs rad, um rüber zum objekt zu fahren. um ihm zu sagen, dass es vorbei ist. mit allem. für immer. oder mir am besten gleich die gespielin krallen und die bombe platzen lassen.

wie eine irre hingedüst, atemloser tunnelblick, tränen hinter den lidern, hass im hals. dann, ganz plötzlich, kam die vernunft. also drehte ich einen großen kreis bis hinter st. pauli und kehrte dann nach anderthalb stunden nach hause zurück. ruhig. und ein bisschen belustigt über mich selbst.

ins bett gegangen, vom objekt geträumt, dass es am anderen ende der welt weilt und ich es mit gps tracke. dann ein anschluss-alptraum, dass ich wieder in die klapse muss. irgendwie auch logisch nach der gps-nummer.

beim aufwachen war das objekt aus meinem kopf verschwunden. die normalität wartete auf mich. zum ersten mal seit sechs wochen kein serotoninloch. stattdessen lust auf frühstück. auf die radtour ins büro. auf musikhören dabei. auf gespräche mit meinen kollegen. so, wie meine welt früher mal war.

gesteigerte produktivität, die ich wie immer krass ausnutzen muss. wie eine irre gearbeitet. nach hause gedüst, einkaufen, abspülen, waschen, weiterarbeiten. sport machen. leicht überdreht, aber gut drauf.

wie immer frage ich mich, ob die medikamente endlich wirken oder ob die stimmung von selbst so normal ist. ich werde es vermutlich nie erfahren.

but nevermind.

mein mitinsasse schickt gute-nacht-grüße. um 23.16 uhr, weil ich gestern auch um 23.16 uhr welche geschickt habe.
mir ist warm ums herz.
heute nacht vielleicht keine objekt-alpträume.

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Sonntag, 10. August 2014
zärtliche parasiten
der anruf kommt unerwartet gegen mittag. ein ehemaliger mitinsasse, der mich schon während meiner zeit drinnen mit großen augen verfolgt und mir einmal gestanden hatte, dass ich für ihn ein faszinierendes wesen sei.

heute hat er freigang und fragt, was ich so mache. wie immer habe ich keine sonntagspläne, außer dass ich auf mein spar-mittagsmenu vom lieblings-asiamann warte - das kulinarische highlight meiner woche, mangels anderweitiger highlights.

"ich könnte in einer halben stunde bei dir sein", sagt der mitinsasse.
"äh", sage ich und denke: der will bestimmt ficken.
"also nur wenn du willst", beschwichtigt der mitinsasse.
"wir könnten ja spazierengehen", schlage ich leicht hysterisch vor.
"das können wir doch auch nachher noch entscheiden", sagt der mitinsasse sanft.

nachher. nach dem fick?
ich bin skeptisch. anderseits: den ganzen sonntag alleine rumhängen? ich lausche in mich hinein. ein fick ist immer noch eine erträgliche dosis nähe, oder nicht? und wenn es nicht läuft, schicke ich ihn eben weg.
"okay", sage ich.
"schön", freut sich der mitinsasse.
herrimhimmel. ich sollte mal nein sagen lernen.

kurz darauf klingelt es an der tür. ich öffne und bin dann von mir selbst überrascht, denn ich freue mich. der mitinsasse tritt ganz langsam ein und zieht im flur die schuhe aus. wow. gut erzogen. das gefällt mir.
"bei dir siehts ja aus wie bei mir", sagt er, als er sich langsam umsieht.
"echt? lebt du auch im sperrmüll und so spartanisch?" versuche ich witzig zu sein.
"das ist nicht spartanisch, das hat stil", findet er.
aha.

er setzt sich in meinen besuchersessel, während ich tee mache. alkohol darf er nicht, wird ja in der klapse streng kontrolliert.
dann sitzen wir zusammen und reden über dies und jenes. es ist angenehm. ich entspanne mich langsam. vielleicht ist er ja doch nicht nur zum ficken gekommen.

als wir am fenster stehen und ich von meinem horror-volontariat erzähle, nimmt er mich unvermittelt in den arm. ganz ruhig und ganz sacht. ohne die hände wandern zu lassen wie andere es immer tun, um meinen hintern zu befummeln oder meine brüste zu betatschen. ich atme tief ein und aus. und werde ruhig. die anspannung fällt von mir ab. für einen moment brennen tränen der dankbarkeit hinter den augäpfeln, aber sie bleiben unsichtbar, trocknen. ich atme ein und aus im takt mit meinem besucher.

als wir uns lösen, sagt keiner etwas. es ist klar, diese umarmung war ein geschenk, mit dem wir uns gegenseitig beschämt haben.

wir gehen dann doch spazieren. aus einem impuls heraus führe ich den mitinsassen ins moor. wir sitzen am wasser und beobachten die enten, während die enten uns beobachten, ob wir nicht doch gleich etwas essbares aus der tasche ziehen.
"soll ich mal was gemeines machen" frage ich.
der mitinsasse nickt.
ich raschle mit einer packung taschentücher. daraufhin stürzen von überall enten aus den büschen und versammeln sich vor unseren füßen.
"das ist ein agentur-trick", erläutere ich. "man verspricht eine belohnung, woraufhin sich das team beide beine ausreißt, und wenn der erfolg eintritt, nimmt man alles zurück."
der mitinsasse schaut mich lange an.
"dir ist viel scheiße passiert, was?"
"kann man so sagen. obwohl ich nicht behaupten möchte, das meine scheiße so wahnsinnig viel schlimmer ist als die der anderen."
da legt der mitinsasse seinen arm um mich, und ich krieche hinein.

später stehen wir an der u-bahn. ich ertappe mich, dass ich breit grinse.
"das war eine gute idee, dass du vorbeigekommen bist", sage ich.
"finde ich auch", strahlt der mitinsasse. "mir gehts gerade richtig gut."
"mir auch."
"sehen wir uns wieder?"
ich nicke.

dann drehe ich mich um und gehe. der mitinsasse winkt noch einmal vom gleis, ich winke zurück. und kann mich nicht erinnern, wann ich mich das letzte mal so wohlgefühlt habe.

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nadelöhr
party-versuch. ich tauche gutgelaut ins nachtleben, aber kaum bin ich unter leuten, schlägt die soziale lähmug zu. ich klebe in der ecke, sauge an einer zigarette und bin nicht in der lage, ein bier zu bestellen. los jetzt, du dumme kuh, sage ich mir, aber die dumme kuh will nicht vom eis.

aus der menge löst sich der architekt und grüßt mich. die soziale lähmung lässt nach einigen sätzen nach.
"wie findest dus heute", will der architekt wissen.
"nicht so pralle", sage ich. die lieder sind alle tausend mal gehört, die leute sind schrecklich besoffen oder schrecklich hässlich oder beides, und ich bereue es, den weg hierher gemacht zu haben.
"du warst aber schon länger nicht mehr hier", stellt der architekt fest.
"ich war sozusagen nicht in freiheit."
der architekt schmunzelt.
"klingt, als wärst du im knast gewesen."
"so ähnlich. psychiatrie. so richtig mit nicht rausdürfen und so."
"warum denn das?"
"ich habe ein bisschen zu überzeugt vorgehabt, mich aus diesem leben davonzumachen."
der architekt guckt und guckt und weiß offenbar nicht, was er sagen soll.
"du musst das jetzt nicht kommentieren", nehme ich ihm die verlegenheit.
"äh ja. menschen sind schon seltsam", sagt er dann.
"definitiv. und man steht als seltsamer auch immer auf verlorenem posten."

der architekt schweigt und nuckelt an seinem bier.
"ich würde ja gern mal wieder knutschen", sagt er dann.
"ich stehe nicht zur verfügung", sage ich lächelnd. "außerdem wär das langwilig, du hattest mich ja schon."
"das wäre jetzt meines erachtens kein hindernis."
"ich weiß. aber für mich schon. ich habs satt. ich will nicht so einen luftikus. ich will einen menschen, der mich für ein bisschen länger erträgt als für eine zufällige begegnung."
der architekt wiegt den kopf.
"verständlich."

wir lehnen an der wand und schauen in die menschenmenge.
"da ist heute aber auch nix, was man knutschen könnte", finde ich.
"mann oder frau, was meinst du?"
"beides. ich bin bi, ich hab immer den blick auf beides."
der architekt lächelt.
"menschen sind schon komisch", sagt er noch einmal, und dann:
"aber ich mag das."
"ich mag das nicht mehr so, obwohl es auch interessant ist."
"was meinst du?!"
"nunja, es zieht mich an. es ist nicht langweilig. aber gleichzeitig... mag ich nicht mehr. ich hab mich so von den menschen verabschiedet, großtenteils. obwohl ich vermutlich süchtig bin nach begegnungen."
der architekt schaut verwirrt.
"das ist ein krasser grenzgang. wenn es die ganze welt gibt voller menschen, für mich gibts nur ein nadelöhr. das ist unheimlich schwierig", sinniere ich.

der architekt gibt das verstehenwollen sichtlich auf und schnorrt ein zigarette.
"ich werde gleich gehen", kündige ich an.
der architekt nickt.
"obwohl du ja gerade erst gekommen bist."
"nicht mein abend", erwidere ich.
"kannst du mir einen gefallen tun", fragt der architekt noch, und ich denke, was für einen gefallen, und träume einen augenblick davon, dass er sagt, bitte bring dich nicht um.
"gibst du mir noch ein zigarette für später?"
ich muss lächeln, weil ich so absurd denke, und gebe dem architekten die ganze schachtel.
"da."
der architekt guckt wieder verwirrt.
"ist okay", sage ich.

dann gehe ich.
ohne mein nadelöhr gefunden zu haben.

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Sonntag, 3. August 2014
baumgarten reloaded
gegen acht klingelt das objekt an.
"ich habe jetzt gleich arbeit aus... und du wolltest doch noch eine aussprache. ich dachte, wir könnten uns doch hier in den park setzen, weißte, wo wir im winter waren?"

20 minuten später treffen wir uns am besagten heiligen ort. das objekt kommt gerade angeradelt, als ich die zelte im übertragenen sinne aufschlage und schon mal den tabak auf dem paper ausbreite. ich bekomme eine bärenumarmung, dann plumpst das objekt auf die bank, schleuert die tasche von sich, trennt das arbeitsschildchen von der kleidung und zieht das hemd über dem t-shirt aus.
"schön, dass das so spontan geklappt hat!" findet es und beugt sich dann herüber, um gras auf den tabak zu krümeln.

ich sitze in der pheromonwolke, die glücklicherweise rasch von einer brise warmem sommerwind davongetragen wird, und fühle mich angespannt. nach einigen zügen und mit zunehmender entspannung sucht das objekt nach worten und macht den anfang unserer unterredung.
"morphine, ich möchte dir sagen, dass ich eigentlich gar nichts zur aussprache beitragen kann, weil von meiner seite aus im grunde alles in ordnung ist. ich mag dich, du bist ein wunderbarer mensch, und ich bin froh, dich zu kennen."

ich merke, wie die wut in mir hochsteigt.
"und zum thema urlaub? hast du dazu auch nichts zu sagen?"
"es tut mir leid, dass es nicht geklappt hat..."
"ach."
"ich wollte nicht mit der gespielin fahren. echt nicht. ich hatte den urlaub sogar noch mal verschoben und es geschafft, dass sie nicht mitkonnte. aber dann hat sie solange ihren dienst getauscht, bis es doch möglich war. ich war total durch den wind wegen diesem ewigen hin und her. ich wusste bis zum tag vor der abfahrt selber nicht, was werden würde. ich war sogar regelrecht traurig und hätte gedacht, dass die gespielin das merkt und mich wenigstens fragt, willst du vielleicht lieber allein fahren, ist das überhaupt okay für dich, dass ich dabei bin?"
"du armes opfer deiner beziehung."
das objekt schaut nervös.
"ich weiß, ich hätte es ihr sagen müssen, dass ich mit dir fahren wollte. ich hab mich nicht getraut und ich habe das den ganzen urlaub lang bereut. es tut mir wirklich leid, ich habs nicht übers herz gebracht und dachte dann, na ist ja sowieso alles zu spät."

ich schaue das objekt an, das vage richtung teich blickt. schöne worte mal wieder.
"du hast mir sehr wehgetan, und ich will, dass du das weißt."
das objekt schaut mich kurz verzweifelt an.
"deshalb bin ich ja so. deshalb will ich dir auch nicht näher kommen. ich tu dir bloß weh. die distanz ist die einzige möglichkeit, dich vor mir zu schützen."
ich bin verwirrt.
das objekt fährt fort:
"ich versuche immer, dass du mich nicht zu fassen bekommst. weil du schaffst das leicht, manchmal selbst wenn ich die distanz halte... du kannst mich erreichen und berührst dann so punkte... du rüttelst an meinem ganzen system. deshalb vermeide ich es, dir nah zu kommen."
das objekt hat angst vor mir. und vor seinen gefühlen in unserem kleinen kosmos. endlich habe ich meine theorie durch das objekt höchstpersönlich bestätigt.
"trotzdem war das echt scheiße von dir", sage ich.
"wirklich, es tut mir so leid", beteuert das objekt und starrt dann wieder zum teich rüber.

dann sagt es zögerlich:
"ich habe in drei wochen noch mal ein paar tage urlaub."
"schön für dich, ich nicht", sage ich barsch.
das objekt kaut auf seiner unterlippe.
"wir könnten doch dann wegfahren. so du und ich. die gespielin muss arbeiten, das steht fest."
"ich muss auch arbeiten. wie stellst du dir das vor?! außerdem, woher weiß ich, dass dus ernst meinst?"
das objekt hibbelt nervös auf der bank. ich fahre fort:
"und wie kommst du überhaupt darauf, dass ich noch mit dir da hinfahren will? mal im ernst, vielleicht bin ich ja froh, dass ich das inzwischen gar nicht mehr möchte."
meine stimme bebt, ich spüre neben der wut auch tränen hinter den augen drücken.

das objekt streckt den arm nach mir aus und zieht mich an seine brust.
"ich hab mich wegen dir so furchtbar gefühlt, dass es mir den halben urlaub versaut hat", fahre ich fort und komme mir dann doch mies vor, da ich ja gar nicht weiß, ob es mir mit dem objekt und dem sohnemann wirklich so gut oder besser gefallen hätte.

das objekt streichelt mich ein wenig hilflos und findet keine worte mehr. dann dreht es einen zweiten joint und danach einen dritten.
"ich wünschte, ich könnte das alles ungeschehen machen."
"kannst du nicht."
"aber denk doch noch mal drüber nach. vielleicht wäre das eine option. wir könnten alles nachholen."
"und dann sagst du zwei tage vorher ab?"
"nein. echt nicht."
ich hole tief luft:
"dann denk du doch erstmal drüber nach, was du tun kannst, damit ich dir das glauben könnte. wenn du es dir schon so sehr wünschst."

fünf minuten später stehen wir am ausgang des parks, nicht versöhnt, aber um einiges unaugesprochenes erleichtert. nach einer umarmung radelt jeder in seine richtung durch eine sternklare sommernacht. jeder stern eine hoffnung, habe ich früher immer gesagt. heute sage ich, alles nur blendwerk längst verloschener sonnen.

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