Sonntag, 11. Dezember 2011
auf du und du
es ist ein merkwürdiges gefühl, mehrere tage mit der ehemaligen ersten großen liebe in einer wohnung zu verbringen. die ambivalenz der emotionen im vorfeld war beträchtlich. mein ex ist mir relativ fremd, aber nicht fremd als mann, sondern als mensch. zum einen weil er eine sehr statische person ist und ich mich selbst in den letzten 13 jahren immens verändert habe. zum anderen dadurch, dass die rollen andere geworden sind.

doch es lief besser als gedacht. am freitag nach seiner ankunft gingen wir erstmal essen. da petrus sich von seiner ungnädigen seite zeigte, ich von der arbeit und mein besuch von seiner langen und aufgrund der unwetterlage eher beschwerlichen anreise erschöpft waren, verzichteten wir auf ausgehen und gingen relativ früh schlafen. ich konnte zunächst schwer einschlafen, da es zu seltsam war, diesen fremden und ausgesprochen vertrauten menschen auf der anderen seite der wand liegen zu wissen. ich versuchte mich mit dem gedanken zu entspannen, dass ich ja auch schon das objekt beherbergt hatte, dem ich aufgrund seiner unschönen gewohnheiten wesentlich mehr misstrauen entgegenbrachte. aber so war es wohl doch etwas anderes, als pheromontrunken und nackt aneinandergeschmiegt einzuschlummern.

am samstag verschlief ich gnadenlos. mein ex, der auch am wochenende spätestens um acht aufsteht, war längst unterwegs und trotzte bei einem innenstadt-bummel schnee und regen. ich fand es höchst rücksichtsvoll, dass er mich nicht geweckt hatte. also brachte ich meine wäsche weg und kaufte ein, bis wir dann ziemlich gleichzeitig vor der tür standen.

wir gingen wieder essen. ich stellte fest, dass mein ex noch immer geistreich und witzig war. anders als sonst ließ er sich zu keinen miesen bemerkungen über andere (= meist mich ) hinreißen. trotz statik im leben also eine weiterentwicklung.
mein ex erzählte auch von seiner tochter, die inzwischen eine junge dame war und ausziehen wollte. trotzdem verstünden sie sich gut, meinte mein ex, und sie würde ihm alles erzählen, von abenteuern mit jungs mal abgesehen.

als wir fertig waren, zahlte mein ex die gemeinsame rechnung. das war ebenfalls ein novum. sogar als ich noch schülerin war, hatten wir rechnungen immer ganz peinlich genau geteilt. mein ex ist kein krösus, aber immer noch in sicherer position im selben unternehmen wie vor 13 jahren.
"ist dir das nicht langweilig", fragte ich.
"naja, die aufgaben sind immer dieselben, von daher ist das nicht so spannend... aber die atmosphäre da stimmt einfach und die kollegen sind so unglaublich nett."
"das zählt natürlich viel", erwiderte ich. "das ist bei mir ja ähnlich."
"mal abgesehen davon, dass das, was da bei dir passiert, die totale ausbeutung ist."
"tja, der eine ist die taube, der andere das denkmal."
"wie meinste denn das jetzt?"
"naja, die einen scheißen, die anderen werden beschissen."
"du redest immer noch genau so daher wie früher."
"der unterschied ist, dass meine aussagen jetzt mit einem geballten haufen mieser lebenserfahrung gespickt sind."
"du bist für dein alter ein total desillusionierter mensch", fand mein ex.
"na herzlichen dank auch", meinte ich.
"ich meine das jetzt gar nicht mal so negativ", schob mein ex hinterher. "du hast ja auch eine energie, bei der man sich fragt, wo du die herholst. jemand anderes hätte sich in deiner lage vielleicht längst gegen nen baum gefahren."
"ich hab kein auto, das ist der unterschied", lachte ich.
"solange du noch lachen kannst..."
"ja, mein humor hat mir schon oft den arsch vom grundeis gezogen."

nachdem wir uns die bäuche vollgeschlagen hatten, stand das highlight des wochenendes an: das covenant-konzert. es war zwei jahre her, dass ich covenant das letzte mal live gesehen hatte, aber ich hatte die show in mehr als guter erinnerung.
am ort des geschehens trafen wir mr. shyguy, k., die k.-exfreundin und eine weitere bekannte. wir hatten uns zwar zuvor verabredet, doch der ungeheure ansturm der besucher erschwerte das sich-finden. nachdem erst mr. shyguy vorübergehend verschollen war, ging kurz vor konzertbeginn mein ex verloren.

schließlich stand ich mit k., der k-ex und der bekannten auf einer seitentreppe, wo man vor remplern und angeschossenen unkoordinierten getränke-jonglierern einigermaßen geschützt war. mein ex hatte sich bis fast ganz nach vorne gekämpft, um zu tanzen.

auf der treppe kuschelten wir fünf uns aneinander und grinsten vor vorfreude wie die osterhasen. k. hatte zudem stimmungsaufhellende substanzen konsumiert, wie man ihm an der nase noch deutlich ablesen konnte. mr. shyguy machte ihn darauf aufmerksam.
"oh", sagte k. und wischte sich über die nasenflügel.
"jetzt weiß ich auch, was du vorhin so lange auf toilette getrieben hast", kicherte mr. shyguy.
k. lächelte nur und wieder einmal stellte ich fest, wie sehr ich ihn für seine sanfte und zugleich feste art schätzte und mochte.

dann begann das konzert und wir wurden allesamt weggerissen von einem unglaublichen bass und eskils energetischer bühnenpräsenz (wie kann ein mensch nur singen und zugleich so viel hüpfen?). ich bereute es mal wieder, kein anständiges handy (heutzutage nennt das man das vermutlich smartphone) zu besitzen und livetickerartig bilder und mitschnitte auf fratzenbuch einstellen zu können. (wollt ihr die totale kommunikation?!)

eine anderthalbstündige darbietung später schien das koks nicht mehr so gut zu wirken, eskil hüpfte weniger hoch und schien phasenweise ein klein wenig außer atem. mit der phänomenalen und leidenschaftlichen darbietung des uralthits "leiermann" und einigen weiteren zugaben verabschiedeten sich die skandinavier schließlich von uns.

bei konzertende wurden wir von den hinausströmenden massen erneut auseinandergerissen. 50 sms und mehrere halbe nervenzusammenbrüche später hatten wir sechs uns dann im foyer versammelt, rauchten eine und beschlossen einstimmig, nicht länger zu bleiben, sondern nach altona zu wechseln. mein ex wollte nach hause, meinte aber, ich solle ruhig feiern gehen. ich freute mich über so viel unkompliziertheit. anstandshalber brachte ich ihn noch zu u-bahn, während die anderen schon mal weiterzogen. dann begab auch ich mich zur s-bahn.

in der s-bahn stellte ich fest, dass ich in der falschen linie fuhr. ich stieg holstenstraße aus, um den rest zu fuß zu gehen. ein fehler, denn an der holstenstraße standen kontrolleure und sperrten den bahnsteig ab. ich hatte keinen fahrschein, konnte mich aber dank nachtschwarzer gewandung und einer gruppe randalierender, besoffener jugendlicher unauffällig an der kontrolle vorbeischleichen.

im club feierte jemand vom personal geburtstag und gab uns mehrere runden aus. gegen fünf uhr morgens lehnte ich hackedicht an k.s schulter. k. war ebenfalls stark betrunken, aber dank der vorherigen drogenzufuhr klarer als ich.
"du schaffst das nicht mehr bis zum bus", lallte k..
"ich muss!" versuchte ich mich aufzurappeln.
"schlaf doch bei mir", bot k. an.
"nee", schwankte ich.
"du kannst auch auf der couch", verschluckte k. nuschelnd das verb.
"das geht nich, meinex is doch da."
"dasis deim ex doch wurscht wo du schläfz", stammelte k.

eine halbe stunde später wankte ich mit k. in den morgen hinaus. an der unterführung löste ich mich und verabschiedete mich.
"is besser so", nuschelte ich.
"wiedumeinz", sagte k.

der busfahrer grinste unverschämt, als ich lallend mein ticket kaufte. auf der fahrt nickte ich dann mehrfach ein, war aber an der richtigen haltestelle wieder wach. den folgenden 20-minütigen fußmarsch erlebte ich höchst verschwommen, nur der schmerz in füßen, beinen und rücken vom 10-stündigen tanzen und herumstehen auf hohen hacken war omnipräsent und äußerst deutlich.

zuhause fiel ich in mein bett und ratzte, bis mich gegen elf mein ex weckte. wir gingen noch kurz frühstücken. während mein ex einen riesigen teller rührei wegschaufelte, nippte ich an einem kaffee.
"na, kater?" fragte mein ex.
"nee, restalkohol", nuschelte ich.
"du siehst jedenfalls aus, als hättet ihr es gestern noch richtig krachen lassen."
"du nicht", sagte ich lächelnd.

als wir uns verabschiedeten, umarmten wir uns fest und herzlich.
"melde dich mal bei mir, wenn du im süden bist", bat mein ex.
"mach ich", versprach ich.
"na dann..."
"bis bald!"

als ich dem davonbrausenden kleinwagen nachsah, fühlte ich mich ebenso merkwürdig wie vor dem wochenende - irgendwo zwischen bedauern und erleichterung. aber vielleicht sollte ich einfach nur noch eine runde pennen, um meine hirnchemie zu aktualisieren.