Sonntag, 1. Januar 2012
es knallen lassen
1. kapitel: befreiende erkenntnis

das alte jahr begann sich am nachmittag des 31.12. von seiner nettesten seite zu zeigen. und zwar als ich erfuhr, dass die lederjacke nun doch nicht der psychopathische exfreund einer bekannten ist. bisher hatte ich die lederjackengeschichte aufgrund der besagten warnung immer mit vorsichtigem abstand betrachtet und nur auf die erste schote gewartet, die mein vertrauen zerstören würde.
wie zum beweis rief die lederjacke zehn minuten nach erhalt der wichtigen information an, um mir ein tolles silvester zu wünschen, da wir nicht zusammen feiern würden. ich sagte ihr, dass ich glücklich sei, sie kennengelernt zu haben. die lederjacke war gerührt.

2. kapitel: wie es gut anfing und gut weiterging

silvester ist bei mir immer ein sehr empfindliches datum. der letzte jahreswechsel war zwar verrückt, aber insgesamt nicht allzu erquicklich gewesen. die treuen leser unter ihnen erinnern sich vielleicht noch die verquere horror-story mit objekt, objektfreundin und der odyssee auf dem eis. es war ein tag, den ich mir trotz des hohen abenteuerfaktors so schnell nicht wieder wünschte. daher hatte ich mich entschieden, diesmal mit k., der k.-ex, mr. shyguy und noch zwei, drei anderen bekannten auf eine richtig große wohnungsparty bei unbekannten menschen zu gehen und anschließend in einen club weiterzuziehen.

k. rief mich am abend an und erbot sich, mich an der holstenstraße abzuholen. das fand ich toll, da ich böllertechnisch ein kleiner schisser bin und an silvester in steter angst lebe, von einem knallfrosch tödlich getroffen in flammen aufzugehen.
als ich die brechend volle bahn verließ, sah ich k. schon im nieselregen stehen und winken.
"na?" sagte er.
"na?" sagte ich, "schon in feierstimmung?"
"silvester wird stark überbewertet", stellte k. trocken fest und guckte über die straße, wo menschen in die neue flora strömten.
"welche beknackten vollspießer rennen denn bitteschön silvester in ein
blödes musical?!"
"solche, die sonst auch auf so nen seichten scheiß stehen?"
k. lachte, ärmelte mich unter und zog mich weiter durch den regen.

3. kapitel: vom futtern und füttern

wir klingelten irgendwo, ich weiß nicht mehr wo. es öffnete eine bekannte, die ich schon mal in meinem stamm-club gesehen hatte. im hintergrund stand ein mann.
"das ist c., mein ex-freund und jetzt mitbewohner", stellte sie uns vor.
sie schob uns in die küche, wo es sekt, bier, kaffee und allerlei leckereien gab. um den küchentisch herum saßen bereits die k.-ex und mr. shyguy. ich nahm in der ecke platz und lehnte mich zurück. da rumpelte etwas hinter mir. erschreckt fuhr ich auf.
"oh, jetzt sind sie aber aufgewacht", lachte die bekannte.
ich drehte mich um und sah, dass ich vor einem käfig mit chinchillas saß.
"oh, die sind ja süß", rief ich.
"wir können sie rauslassen, wir haben so ein gitter, das wir immer in die küchentür stellen", schlug die bekannte vor.
"boah nee, ich mag keine viecher zwischen meinen füßen rumwuseln haben", sagte k. und schenkte sich einen wodka nach. auch die bekannte sah ein, dass freilaufende tiere bei steigendem alkoholpegel vielleicht keine gute idee waren. man kennt ja die bedauernswerten missgeschicke mit hamstern, die unter teppiche geraten und so.

c., dem meine begeisterung für die kleinen grauen fellknäule nicht entgangen war, fragte mich dann, ob ich sie füttern wolle. während sich der rest betrank und die ersten lines gelegt wurden, saß ich mit kleinen scheiben trockenfutter in der hand da und betrachtete fasziniert die mümmelnden chinchillas. wenn ich tiere um mich habe, brauche ich nichts auf dieser welt.

4. kapitel: zur richtigen zeit am richtigen platz im richtigen leben

gegen halb zehn zogen wir dann weiter auf die große privatparty. zwischendurch rief ich den wahnsinnigen doc an, der gerade in der stadt war und lud ihn ein, auch zu kommen. dann saßen wir alle zwischen menschen, die wir größtenteils nicht kannten und amüsierten uns prächtig. ich unterhielt mich irgendwann in der küche weiter mit der bekannten und ihrem mitbewohner. dabei stellte ich fest, dass ich die bekannte immer sympathischer fand. wir versprachen einander als guten vorsatz, uns im neuen jahr zu treffen. abgesehen davon hatten es mir ihre kleinen haustiere angetan und verdrängten kurzzeitig sogar meine immer noch unverwirklichten katzen-anschaffungspläne.

um mitternacht verteilte die gastgeberin sekt. ich hatte mich zwischenzeitlich an den wodka gehalten und spürte schon den ersten schluck der blubbergetränks. aber dann waren da all die arme, in die ich fallen durfte: k., die k-ex, die bekannte und ihr mitbewohner-ex, mr. shyguy, der wahnsinnige doc und noch vier, fünf unglaublich freundliche quasi-fremde. anstatt das übliche gute neue jahr zu wünschen, sagten wir uns, wir sehr wir uns freuten, einander zu kennen. ich spürte, dass es ehrlich gemeint war und diese zuneigung und freundschaft erfüllte mich von den zehenspitzen bis unter die schädeldecke mit einem großen, hell strahlenden glück.

5. kapitel: das glück der anderen

gegen eins verließen wir die privatparty und machten wir uns auf den weg in einen club. wir nahmen zwei taxis und eierten im schneckentempo durch die straßen. hamburg war von dichtem nebel verschluckt. an einer übersehenen roten ampel hatten wir beinahe einen unfall. mit einem gewaltigen schrecken in den knochen betraten wir schließlich den club.

k. peilte gleich die toilette zwecks nachlegen an und fragte, ob ich mitkommen wolle. ich überlegte und verneinte. mir war warm und wohl. ich traf weitere bekannte gesichter und verteilte umarmungen und gute wünsche. ich bekam viele getränke ausgegeben und sank schließlich reichlich betrunken im raucherraum neben k.
"weißt du, heute kann ich genau das zeigen, was für mich der sinn des lebens ist", lallte ich.
"was denn", fragte k. ziemlich benommen.
"liebe", nuschelte ich. "universelle liebe. ich liebe diese menschen da."
"hast du was genommen?"
"nee. das ist die nüchternste erkenntnis meines lebens", stammelte ich. "auch, wenn es wie dummes tussengeschwätz klingt."
"nee, das ist schön", fand k., "ich hab keinen sinn des lebens."
"echt nich?"
"nee, ich häng nicht so am leben."
"ich merks", sagte ich. "du konsumierst gerade ziemlich viel."
"ich weiß", sagte k., "aber es ist mir irgendwie egal."
"mir nicht", sagte ich und dachte auch an das objekt, "ich will nicht, dass du stirbst."
k. sah mich lange an und sagte nichts. dann zog er mich zum tresen und orderte noch zwei tequila.

gegen halb vier merkte ich, dass ich nicht mehr richtig laufen konnte. das kam nur bedingt vom alkohol, sondern rührte auch daher, dass ich seit acht stunden in meinen neuen schuhen steckte. ich saß am rand einer tanzfläche zwischen mr. shyguy und den wahnsinnigen doc gekuschelt. der wahnsinnige doc hatte vorhin ebenfalls getanzt, was er sonst nie tat. er hatte dabei die augen geschlossen und ein entspanntes lächeln auf dem gesicht gehabt und ich hoffte sehr, dass er glücklich war. denn dies ist das einzige, was noch schöner als das eigene glück ist: die menschen, die man mag, beim glücklichsein zu erleben.

6. kapitel: finale

kurz vor sechs beschlossen k. und ich aufzubrechen. die anderen waren bereits los.
"lass uns doch noch frühstücken gehen", schlug k. vor. "ich bin noch total wach."
"ich eigentlich auch", sagte ich. "aber ich will nicht mehr so weit gehen, ich kann einfach nicht mehr."
also schleppten wir uns nebenan zum bahnhofsbäcker.
dort saßen wir, tranken kaffee, aßen frische brötchen und beobachteten die passanten - betrunkene, streitende, umschlungen gehende, küssende, pöbelnde, lachende und weinende menschen.
k. lächelte.
"ach morphine-hase, nächstes wochenende wird bestimmt super."
"warum das denn?"
"weil da kein silvester ist. keine böller und keine scheinheiligkeiten."
"ich bin nicht scheinheilig."
"du doch nicht."
k. drückte mich, dann veraschiedeten wir uns. k. wankte zur s-bahn, ich, inzwischen wieder munter und gehfähig, tippelte zur u-bahn. eine halbe stunde später war ich dann endlich zuhause.

gegen halb acht lag ich im bett und ertappte mich dabei, wie ich noch immer lächelte. unter meiner haut kribbelten sanft geborgenheit, friede und warme freude, sodass ich nicht gleich einschlafen konnte, obwohl ich vollkommen erschöpft war. als ich schließlich doch einschlummerte, träumte ich von mümmelnden chinchillas und u-bahn-fahrten.


ihnen allen ein frohes und gesundes 2012!

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