Samstag, 24. Dezember 2011
weihnachtsexzess
gestern abend, nachdem alle geschenke besorgt und der koffer gepackt war, drängte es mich noch einmal auf die piste: buntes volk, 80er-jahre-hits und das angenehme wissen, sicherlich kein geld für drinks ausgeben zu müssen. außerdem hatte mir der drogenbulle per sms gestanden, dass er verheiratet war - eine schmach, die es zu kompensieren galt.

vor ort war es relativ leer. die menschen schienen offenbar an heilig abend was vor zu haben und schonten sich deshalb. gans und so sind ja allesamt fette abenteuer und setzen beste gesundheit und ausgeruhte mägen voraus. auch meine eine hatte ein ziel: ich musste um acht wieder hoch und zur bahn joggen, aber ähnlich wie tyler durton gebe ich es mir gern mal volles rohr in die eigene fresse.

dieser plan sollte durchaus aufgehen.
zunächst traf ich den architekten an der bar. der war von meiner e-mail noch nachträglich schockiert, wie er mir gestand, holte aber dann zu einem längeren vortrag über seine komplexe persönlichkeit aus und betonte seine grundsätzliche mich betreffende zuneigung. ich stellte wieder einmal fest, dass der architekt okay war. er log mich nicht an. er war live konfliktfähig. er lebte halt nur in seiner welt, und zwar an 29 von 30 tagen im monat. konnte ich dies ertragen? wie groß war der output im verhältnis zum input/den qualen der ungewissheit, die ich dafür auf mich nehmen musste?
hm.

während ich dem architekten über die schulter linste, schwang die tür auf und das objekt betrat in seinem wildcat-auf-raubzug-gang lässig und elegant den raum. dann entdeckte es mich und erstarrte. nach einer schrecksekunde ungläubigen glotzens drehte es sich auf dem absatz um und ging wieder hinaus.
auweia. da hatte ich ganze arbeit geleistet.

obwohl mein herz wild schlug, wandte ich mich wieder dem architekten zu, der gerade darüber philosophierte, wie wichtig ihm zuhören sei. immer schön rein ins fettnäpfchen, dachte ich mir. dem architekten, der einen sehr wachen blick für die an mir interessierte männliche umwelt hatte, war das schrecksekunden-intermezzo sicherlich nicht entgangen. er sagte jedoch nichts.

zehn minuten später hielt ich ein zweites mal den atem an, als das objekt noch einmal in den raum stürmte, seine jacke aus der ecke hinter dem sofa zog, hineinschlüpfte, eilig den schal um sich schlang und nach draußen rannte.
es war kurz nach drei. noch nie war das objekt so früh gegangen. ich konnte es ja verstehen, dass es mich nicht mehr kennen oder in einem raum mit mir sein wollte. aber gleich die party zu verlassen fand ich übertrieben. doch ich kannte das objekt gut genug und wusste, dass es damit auch markierungen setzte und reaktionen einforderte.
ich beschloss, mich unbeeindruckt zu zeigen und mich weiterhin um den architekten zu kümmern.

nach dem zweiten gratis-drink bekam ich geborgenheitssehnsüchte und rutschte näher an den architekten heran. der fand meine initiative schön und kuschelte sich seinerseits an. ich dachte an die lederjacke und verdrängte sie aus meinem kopf. ich dachte an das objekt und nahm noch einen schluck, um auch diesen gedanken aus meinem hirn zu ätzen.

erst als die lichter angingen und die barfrau mich fragte, ob ich denn mal auszutrinken gedächte, damit sie mein glas abspülen könne, wurde mir bewusst, wie spät es sein musste. der architekt erschrak nicht minder und kramte seine uhr hervor.
"halb sechs", sagte er. "oh mein gott, ich muss morgen früh noch geschenke kaufen!"
"oh mein gott", rief ich, "ich muss in vier stunden im zug sitzen!"

doch es wurde nichts mit gehen. erst kam uns der lieblingstürsteher, der mich immer mal wieder umsonst reinschmuggelt, dazwischen, indem er ein paar mexikaner auf den tresen schob. auch die barfrau trank einen mit und wurde plötzlich ganz umgänglich. wir bekamen schokolade und nüsschen geschenkt. schließlich kam die zweite tresenkraft und erzählte ein paar anekdoten aus der bewegten vergangenheit des clubs.

erst als der garderobenmann mit meiner jacke den raum betrat und meinte, ich sei nun die letzte, die ihre marke noch nicht abgegeben hatte, rafften wir uns auf und gingen nach draußen.
"ich bring dich", sagte der gentleman-architekt.
ich liebe männer mit autos.
im wagen sah ich noch einmal auf die uhr. es war zehn nach sechs. ich beschloss, nun nicht mehr auf die uhr zu sehen, sondern mir stattdessen zu überlegen, ob ich noch anderthalb stunden schlafen wollte oder lieber gar nicht.

als wir die straße zu meiner wohnung hochfuhren, meldete sich beim architekten der hunger.
ich warf meine schlafen-pläne über bord.
"dann lass uns jetzt frühstücken gehen."
ich schleifte den architekten zu meinem griechischen bäcker.
"na, noch gefeiert wie immer", begrüßte er mich.
"klar. für dich beginnt der tag, für mich endet er."
"aber is doch weihnachten", warf der bäcker ein.
"drauf geschissen", sagte ich.
"ich scheiß auch", meinte der bäcker.
dann bestellte ich ein feudales frühstück und lud den architekten ein, als dankeschön für die taxidienste.

später, ganz spät, standen wir einander vor meiner haustür gegenüber. es regnete in strömen. doch eine warme macht zog und zerrte an unseren herzmuskelfasern, bis wir uns endlich küssten.

es war schon eine verrückte sache mit dem architekten. aber eben nur eine halbe. trotzdem nahm ich das weihnachtsglockenläuten mit, ebenso wie die triefende nässe und die leichten halsschmerzen.
zuhause schlüpfte ich in trockene sachen, fönte meine haare und nahm den koffer. dann lief ich mit brennenden augen und kaputten füßen zur u-bahn, um zum bahnhof zu gelangen.

frohe weihnachten ihnen allen.
und nicht vergessen:

gegen den strom
schwimm gegen den strom
der strom schwimmt gegen den himmel
seine verschlossenen türen sind offen.

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