Samstag, 1. Oktober 2011
stromausfall
energielevel bei null. das betrifft den körper, die seele, den geist, aber nicht nur. das "nicht nur" liegt an vattenfall (jawohl, ich beziehe atom-strom, denn ich glaube auch nicht an glückliche kühe), die online-rechnungen ausstellen, die ich nie angucke. jetzt kam die (postalische) mahnung mit allerletzter zahlungsaufforderung und stromabdreh-drohung. doof, dass am montag feiertag ist und die agentur ohnehin immer gern vergisst, meinen mikro-lohn zu überweisen.

auch sonst fühle ich mich ein wenig ausgelutscht. daran ist neben beruflichem stress das objekt schuld. es hat in mir seine lieblings-kaffeekränzchen-tante gefunden. als hätte wer den hahn aufgedreht, labert es, während es sonst gern den großen geheimnisvollen spielte. wir fangen beim thema obdachlosigkeit in spe an und hören bei als-ich-unfreiwillig-vater wurde auf. das objekt ist dabei weiterhin clean, was mich stark überrascht. dafür ist es erstaunlich gut drauf. ähnlich wie beim letzten entzug beginnt es, in allem einen wink des schicksals zu sehen.

so sitzen wir beispielsweise am mittwoch abend am tisch und essen kartoffeln und rest-nudeln, die das objekt auf arbeit geklaut hat. plötzlich geht das licht aus: lampe im arsch.
objekt: "siehst du, auch die lampe!! auch die lampe!! das sind alles zeichen, dass ich hier ausziehen soll."
ich rolle die augen.
objekt: "doch, doch, das macht alles zusammengenommen sinn!"
ich: "vielleicht ist das licht ausgegangen, weil wir jetzt armen klinik-insassen das abendessen wegfressen. wir sind deshalb geswitchbumst worden und stehen gleich hypnotisiert auf, um nasse finger in steckdosen zu halten."
das objekt lässt sich nicht von seiner theorie abbringen. es berichtet von der ausgefallenen warmwassertherme.
"das ist auch ein zeichen. hier ist alles kaputt, ich bin kaputt, ich muss zurück zu den wurzeln! ich dusche jetzt immer eiskalt, so wie zu großvaters zeiten."
ich verkneife mir einen bösen spruch über die ddr-vergangenheit des objekts und esse weiter nudeln mit einer sauce, die aussieht wie nasser rindenmulch, aber wahnsinnig köstlich und extravagant schmeckt. was das betrifft, ist das objekt noch immer das alte.
"was ist in der sauce drin?" frage ich.
"ente."
"haben wir weihnachten?"
"ist nur die basis."
"ja und sonst so?"
das objekt grinst.
"das willst du eh nicht wissen."
ich vermute das schlimmste - hasenherzen, gänsestopfleber oder kutteln - und halte die klappe.

als wir fertig sind, sind noch kartoffeln übrig. das objekt hat eine idee. es zerdrückt die exakt quadratisch geschnitzten kartoffelstückchen zu brei und füllt damit ein tuch. daraus wird ein wickel gegen meine nackenschmerzen.
die wärme ist köstlich, ich fühle mich umsorgt und geborgen wie früher, was bewirkt, dass ich mir weitere objekt-ergüsse anhöre.
als wir auf die uhr sehen, ist es zwei uhr nachts.
"ich muss nach hause, in fünf stunden muss ich wieder aufstehen und zur arbeit", sage ich.
"bleib doch", bietet mir das objekt an.
"vergiss es, wir ficken nicht", platze ich heraus.
"du kannst auch im kinderzimmer schlafen", sagte das objekt, "so, wie du dich wohlfühlst. aber es wäre doch blödsinn, jetzt noch eine dreiviertelstunde durch die nacht zu fahren."
"okay, dann schlafe ich im kinderzimmer."

das objekt holt bereitwillig decken und kissen und bezieht das bett frisch.
"ist dir ka-halt", ruft es ins bad.
"jetzt schon", sage ich und meine damit das fehlende warmwasser.
zwei minuten später, als ich meine kontaktlinsen aus den augen friemele, stürmt das objekt ins bad.
"ich hab dir eine wärmflasche gemacht!"
ich hole luft.
"sag mal, kannst du mir einen gefallen tun?"
"was denn", eifert das objekt.
"kiff doch bitte noch einen fetten joint. oder nimm ein paar schlaftabletten. aber tu irgendwas, was dich von einem kind mit zappelphillip-syndrom wieder in den faulen, zerstreuten und semiautistischen menschen zurückverwandelt, als den ich dich kennengelernt habe."
das objekt grinst friedlich und küsst meine wange.

eine halbe stunde später liege ich eingemummelt in zwei decken mit wärmflasche an den füßen ud kuschelkissen auf dem bauch im kinderbett.
"gute nacht", sagt das objekt liebevoll und knipst das licht aus.
ich schließe die augen.
dann nähern sich die objektschritte wieder der tür.
"duuhuu, morphine..."
"nein", sage ich.
"ich möchte aber noch was fragen!"
"WAS", blaffe ich.
das objekt setzt sich an die bettkante. es folgt der nächste monolog, der in der frage gipfelt, ob ich glaube, dass das objekt auch die arbeit verlieren wird.
"was weiß ich", sage ich.
"soll ich mal mit meiner chefin reden, was meinst du?"
"würde ich nicht machen. wie sieht das denn aus, wenn ein 36-jähriger vater nicht klarkommt. am ende schicken dir die das jugendamt vorbei, die machen vielleicht noch einen drogentest bei dir und das wars dann."
"du hast recht."
"ich weiß", sage ich. "gute nacht."
das objekt zögert.
"gehts dir gut?"
"mir ging es nie besser, vor allem, weil du nun diesen raum verlassen und ich gleich schlafen werde."
"ich finde das ja strange. wir sind noch nie getrennt eingeschlafen."
da ich keine pistole bei mir trage, die ich zücken könnte, drängt sich das objekt mit in das bettchen.
"nur, bis du eingeschlafen bist", bettelt es. "ich möchte dich so gern festhalten und wissen, dass du gut schläfst und nicht schlecht träumst..."
"jaja. halt die klappe und komm."

zwei sekunden später bin ich eingeschlafen. gefühlte drei minuten später werde ich wieder wach, weil sich das objekt umdreht und im schlaf redet. ich schüttle es durch, bis es aufwacht.
"oh, tut mir leid", sagt es, "ich habe was geträumt."
als ich nichts sage, bestürmt mich das objekt:
"willst du gar nicht wissen, was?! du kannst doch so gut träume deuten."
"nein."
"aber es ist wirklich spannend! und du kommst auch drin vor!"
"morgen."
"okay. ich erzähle es dir beim frühstück."
"meinetwegen."
dann endlich ist ruhe.

als ich das nächste mal aufwache, ist es hell. im flur pfeift das objekt fröhlich vor sich hin. bevor ich richtig wach bin, bekomme ich cappucchino und toast ans bett.
"warum bist du denn schon wach, du hast doch erst spätdienst, denk ich."
"ich bin schon seit sechs wach und da dachte ich, ich mach dir frühstück."
ich will "nett" sagen und "danke", komme aber nicht wirklich dazu, weil das objekt beginnt, mir seinen strangen traum zu erzählen.
"kann ich nix zu sagen", erwidere ich kauend.
"echt nicht?"
"nein."
"wirklich??"
"so", sage ich, schiebe den teller und das objekt gleich mit weg, "ich muss mich fertig machen fürs büro."

als ich mich endlich auf den weg zur s-bahn mache, merke ich, dass ich zum ersten mal erleichtert bin, dem objekt zu entkommen. und das nach einer nacht ohne sex. und ich frage mich: bin ich nun geheilt?