Freitag, 22. April 2011
now playing: vögelgezwitscher
nachdem ich gestern einen höllentag im büro mit abschließenden harten, aber erfolgreichen gehalts- und arbeitszeitverhandlungen hinter mich gebracht, mein ehemals plattes fahrrad nunmehr unplattbar vom fahrradfuzzi abgeholt, die wohnung geschrubbt, koffer gepackt und noch ein wenig getippt hatte, überfiel mich das unwiderstehliche verlangen nach feiern. ich fand, das hatte ich mir nach diesem donnerstag auch redlich verdient.

es gab auch gleich zwei potenziell gute parties zur auswahl. vielleicht würde ich auf einer das verschollene objekt oder mitglieder der objektboygroup treffen, hoffte ich. also warf ich mich in schale und fuhr los.

party nummer eins war recht wenig party für recht wenig geld mit recht wenigen gästen. ich traf meinen netten bekannten vom letzten wochenende wieder, der als einziges vertrautes gesicht die zwanzig-mann-party angenehm ergänzte.
"ist ja öde hier", fand ich.
"ja, ich würde ja theoretisch auch noch weiterziehen..."
"lass uns doch auf den kiez gehen. da ist noch ne andere party!"
"weiß nicht, ich hab nur noch zehn euro, die müssen bis montag reichen."
ich stutzte. dann erfuhr ich vom nicht zahlen wollenden kunden, der meinem bekannten das osterwochenende versaute.
"drecksack", meinte ich.
da ich aber ein deutliches interesse am weiterfeiern, vorzugsweise nicht alleine, hatte, erklärte ich mich bereit, den weiteren gemeinsamen abend zu finanzieren. mein bekannter fand das natürlich klasse, trank sein letztes bier aus und holte seine jacke.

eine gute halbe stunde später befanden wir uns auf der reeperbahn und eilten zur mir vorschwebenden lokation.
"ich hoffe mal, das ist nicht so eine kiddie-rock-party", meinte mein bekannter, der den veranstaltungsort von früher kannte und fürchtete.
"neenee, erwiderte ich, "das soll schon elektronisch sein, wenn auch nicht ohne gitarren und so."
an der tür schallte uns joy division entgegen. wir sahen uns an und nickten, dann enterten wir die hallen.

als wir den eingangsbereich passiert hatten, stellten wir fest, dass der große saal geschlossen war.
"ist DAS jetzt die party?!" entsetzte sich mein bekannter.
"sieht so aus", nuschelte ich.
eine eingangsbereichparty also. na gut. die 20 anwesenden gäste hätten sich im großen saal vermutlich auch verloren.
"was ist heute eigentlich los?!" fragte ich. "wo sind die denn alle? was machen die leute bitte an so einem verfickten gründonnerstag?"
"keine ahnung, vielleicht dsds oder die heidi-klum-show gucken", meinte mein bekannter.
"na toll", fand ich. mein bekannter und ich waren uns sehr einig: fernsehen macht nicht nur dumm, sondern auch noch tanzfaul, fett und hässlich.

das dj-set war nichtsdestoweniger exzellent, ja sogar ausgefallen. mein bekannter tanzte ausgelassen, während ich an meinem bier nippte und mich unbefriedigt fühlte. klar. zweimal eine zwanzig-mann-party für einen haufen rausgeschmissener kohle waren trotz anwesenheit des netten bekannten nur schwer erträglich.

gegen halb fünf uhr morgens meldete ich den wunsch zu gehen an.
"ich hab ja noch so weit", argumentierte ich, "und in dreieinhalb stunden muss ich schon im zug sitzen."
"du kannst doch auch bei mir schlafen", meinte der bekannte, der in ottensen zuhause war und daher nicht weit hatte.
"neenee!" legte ich veto ein. das letzte mal, als ich das getan hatte, endete die nacht in vögelei, nach der sich alle beide etwas seltsam fühlten. manche bekannte müssen einfach bekannte bleiben.
"schade", fand mein bekannter. dann nahm er mich bei der hand und wie ein altes ehepaar wankten wir die straße bis zu meiner bushaltestelle entlang. dort angekommen stellte ich fest, dass der bus eben abgefahren war. in 20 minuten kam erst der nächste.
"ich lauf dann noch ein stück", sagte ich.
"ich muss aber in die andere richtung", meinte der bekannte.
"ist doch kein thema", fand ich.
"aber das hier ist kiez, willst du da alleine lang?!"
"hab ich bisher immer unbeschadet geschafft."
"na gut."
mein bekannter verabschiedete mich herzlich, dann zogen wir in entgegengesetzte richtungen von dannen.

nach einer weile des einsamen spazierengehens bemerkte ich schritte hinter mir. es kam mir vor, als folgten sie mir dezidiert. ich schalt mich eine blöde hysterische kuh und stöpselte meinen mp3-player ein.
kurze zeit später dann bemerkte ich meinen verfolger knapp hinter mir. ein rascher schulterblick sagte mir türke, jung, sehr klein und schmächtig. falls er kein messer bei sich trägt, bin ich die körperlich überlegene, beschwichtigte ich das unangenehme gefühl in mir.
tatsächlich ging mein verfolger kurze zeit später auf tuchfühlung.
"was? wiebitte?" fragte ich und schaltete den mp3-player ab.
mein verfolger lächelte sehr nett und ein wenig schüchtern.
"entschuldigen sie bitte, ich wollte nur wissen, ob sie zufällig lust auf sex haben", sagte er höflich und in einwandfreiem deutsch.
in anbetracht von so viel offenherzigkeit musste ich schallend lachen.
"entschuldigung, ich wollte nicht unhöflich sein", stotterte mein verfolger.
"neinnein", beruhigte ich ihn. "kann man doch mal fragen, ist doch nichts bei."
"es ist nur so, ich finde, sie sind eine sehr attraktive frau."
na das hört frau doch immer gerne.
"danke", sagte ich.
"könnten sie sich vorstellen, dass wir mal einen kaffee zusammen trinken?"
"wenn du nicht davon ausgehst, dass das dann bei sex endet."
"schade", fand der kleine türke. "aber ich würde das auch so machen."
da notierte er mir seine telefonnummer.
"tschüß", sagte ich und bestieg den bus, der endlich angekommen war.
das mit dem kaffeetrinken werde ich mir allerdings noch einmal ganz genau überlegen.

zuhause angekommen legte ich mich für ein stündchen aufs ohr, bevor ich mich auf den weg zum bahnhof machte, um richtung heimat zu fahren. schon die u-bahn schien vor menschen mit koffern zu bersten und war ein unheilvoller vorgeschmack auf das, was mich im zug erwarten sollte.

am hauptbahnhof war mein abfahrtsgleis brechend voll. wie sollen all diese menschen in einen zug passen, fragte ich. das erfuhr ich zwei minuten später. es wurde gequetscht und gedrängelt, die hälfte der fahrgäste hatte keinen sitzplatz, und dazwischen meckerten entnervte muttis, die mir mit ihren riesenkinderwägen über die zehen rollten und alle naselang ihre kreischenden blagen aus den augen verloren.

ich hatte noch nie angenommen, dass die deutsche bahn so etwas wie vorausschauende planende fähigkeiten besitzt. aber dieses desaster übertraf vieles, was ich bislang erlebt hatte. hier versuchte ein unternehmen, profit um jeden preis zu machen, indem es für unangebracht hohe summen so viele menschen wie möglich auf so kleinem raum wie möglich zusammenzupferchen versuchte. ich fühlte mich wie eine anarchistin auf der deportation in ein neuzeitliches kz. ich verbrachte fast fünf stunden in einer nische zwischen zwei koffern, halb an, halb unter einen sitz gekauert. irgendwann aber erinnerte ich mich daran, dass ich ja schmerzpatientin war und holte meine opiate aus der tasche. wenn schon eingequetscht und unkomfortabel reisen, dann wenigstens ordentlich gechillt.

bei fulda, als ich schon eine ganze weile fröhlich vor mich hingrinste und mich überhaupt nicht mehr für das chaos um mich herum interessierte, fiel mir ein mittelalter typ auf. schicke kleidung, schicke brille, laptopköfferchen. ich spürte seine blicke, während ich plenzdorfs "die neuen leiden des jungen w." las, dann wagte ich es, zurückzuschauen. einen moment smilten wir einander an, bevor wir über ein dickes kleines mädchen lächelten, das zwischen den beinen der fahrgäste herumwuselte und einen heidenspaß an der extremen überfüllung hatte.

hinter würzburg folgte ich dem attraktiven mann dann auffällig-unauffällig ins bordbistro, wo er mich ansprach. er entpuppte sich als unverheirateter, recht unspektakulär lebenden bodenseeler mit einem sehr hohen sexappeal und dem dringenden wunsch nach luftveränderung. er hatte sich die woche über wohnungen in der hafencity angesehen und zukunftspläne geschmiedet. spontan bot ich mich als blindenhund an, sofern er mal wieder nach hamburg kommen sollte.
"das wäre unheimlich nett", strahlte er mich an.
er drückte mir seine nummer aufs auge und ich ihm die meine. dann musste ich aussteigen. schon im auto neben meinem vater meldete das handy den eingang einer sms. es war der mann vom bodensee, der sich noch einmal für meine entzückende begleitung bedankte.

zuhause bei meinen eltern legte ich mich dann entspannt auf der terrasse ab und schlief zu vogelgezwitscher ein.
liebes schicksal, ich sage danke für diese beiden tage mit ihren kleinen, feinen lichtblicken. ich bin bereit für den aufschwung auf allen eben - egal ob hamburg, bayern oder bodensee.

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