Sonntag, 12. Dezember 2010
stranger than friday
wenn man samstagvormittag noch berufsbedingt in einer fremden stadt unterwegs ist, dann 600 km retour fährt und erst am späten abend zuhause ist, kriegt das wochenende irgendwie eine leichte emotionale schieflage. man macht freitagstätigkeiten wie beispielsweise den wohnungsputz plötzlich 24 stunden zu spät. ganz komisches feeling.
auch lust und elan zum ausgehen liegen auf freitagsniveau oder sogar leicht darunter, weil man schließlich schon um sechs uhr morgens aufgestanden ist. aber was soll´s, wenn man die nacht nicht mehr nutzt, hat man tagsdrauf tanzdefizit. also die arschbacken zusammengekniffen, nichts wie rein ins partyoutfit und die hohen schuhe, und dann ab in die u-bahn.

im club als erstes das gehunfähige, da rotzbesoffene objekt aufgesammelt, das einen mit der frage: "wer bin ich? wer bin ich eigentlich?" in tiefschürfende praktisch-philosophische gedanken stürzt, die darauf hinauslaufen, dass das objekt einfach nur dringend nach hause und ins bett sollte (sofern es sich noch daran erinnert, wo es wohnt).
"aber wenn ich mich jetzt hinlege, muss ich kotzen."
das ist ein argument für weitertanzen und dem objekt ein stilles wasser kaufen.

später sitzen wir dann da, der schwere kopf des objekts auf meiner schulter ruhend, seine nase an meinen hals gedrückt, ich weiß, ich rieche sehr gut, und er auch, was für eine scheiße, denn wäre der kerl nicht so verdammt hackedicht, würde man ja fragen. bei dem pegel regt sich nur leidergottes erfahrungsgemäß gar nichts mehr im schritt.

dann spricht mich ein typ an, bestimmt schon mitte 40, bierbauch, ebenfalls angetrunken.
"hast du lust, dich mit mir zu unterhalten?"
"nein", sage ich wahrheitsgemäß.
woraufhin der typ anfängt, mich vollzulabern. meine "neins" scheinen immer irgendwie ungehört zu verhallen. ich sollte mir ein t-shirt drucken lassen mit einem fetten "nein" über der brust.
"darf ich dich mal anlächeln?" fragt der typ irgendwann, um mich dazu zu bewegen, ihm mein gesicht zuzuwenden. darauf habe ich noch viel weniger lust als auf das abgekaute ohr.
glücklicherweise sehe ich von weitem das objekt auf mich zukommen, das die situation richtig eingeschätzt hat und mir zur hilfe eilt. es schiebt den typen mit einem beeindruckenden unterarmmuskel-spiel (*sabber)auf die seite und nimmt mich schützend in den arm.
der typ stutzt. er überlegt einen moment, dann tippt er dem objekt auf die schulter. das finde ich sehr dreist. das objekt offenbar ebenfalls. es dreht sich um und sagt unwirsch:
"muss ich dich jetzt um erlaubnis bitten? ich glaube, nein!"
das objekt baut seine durchtrainierten 1,90m vor dem typ auf und guckt sehr sauer. der typ schrumpft wie eine erektion nach einem vorzeitigen samenerguss und verkrümelt sich.
das objekt drückt mich, lächelt siegessicher und sagt: "ich geh dann mal nach hause. ich muss den babysitter ablösen."
"willst du alleine schlafen", frage ich dann doch, da mich der objektduft schon wieder ungeheuer angeturnt hat.
"ja", sagt das objekt, "ich muss sowie um acht wieder aufstehen, weil da der lütte wach wird."
obwohl vernunft immer ein gegenspieler der leidenschaft ist, kann ich das objekt gut verstehen. drei stunden schlaf sind besser als drei stunden besinnungslos vögeln, zumindest, wenn man als verantwortungsvoller vater einen quietschen kleinen irrwisch unter kontrolle halten muss.

während das objekt in seinen hauch von einer jacke schlüpft, schleicht sich der typ wieder an mich heran.
"das ist aber ein schöner", sagt er und deutet auf das objekt.
"ja", sage ich und stelle mal wieder fest, dass mein geschmack nicht ganz subjektiv ist und dass mindestens genau so viele männer wie frauen das objekt anschmachten/beneiden.
"ist das deiner?" fragt der typ dann.
"also er ist nicht mein eigentum", sage ich kichernd. "wir teilen uns, gewissermaßen, auch wenn wir irgendwo schon zusammengehören."
der typ wiegt bedächtig den kopf und mustert erst mich, dann wieder das objekt:
"zwei so schöne menschen... war ja eigentlich klar."
(warum finden mich eigentlich gerade alle so verdammt schön? wurde ich heimlich schönheitsoperiert und alle merken es außer mir?)
dann geht der typ, ein wenig geknickt. fünf minuten später sitzt er neben einer kleinen dicken, die eigentlich sehr hübsch wäre, würde sie sich nicht wie ein presssack in ihre corsage einschnüren.
vielleicht ist schönheit ja auch relativ.

als es halb sechs uhr morgens ist und die letzten klassiker gespielt werden, hole ich meinen mantel und begebe mich nach draußen, wo bizarrerweise die vögel zwitschern. ich entscheide mich, den heimweg zu fuß zu gehen, es ist ohnehin eine der letzten gelegenheiten, die zentrumsnahe wohnlage auszukosten.
ich höre alec empire und freue mich tierisch darüber, am leben zu sein.

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