Montag, 13. April 2009
drei tage lang karfreitag
das wetter brilliert, die vögel zwitschern. und nichts tut etwas zur sache.

es sind die situationen, in denen man sich einen bruder oder eine schwester wünscht. jemanden, der mit einem zusammen übrig bleibt. jemanden, der nicht nur sagt, alles wird gut, sondern die oder der dasselbe fühlt.
meine eltern haben sich gedanken um sterben und tod gemacht. für mich bedeutet das nun, mich über patientenverfügungen, vormundschaftsregelungen und vollmachten zu informieren und die dinge in die wege zu leiten. "du bist ja alles, was wir haben", sagt mein vater immer wieder. ich soll für den eintretenden fall zum vormund meiner eltern bestimmt werden. das haus erhalten oder verkaufen. familienangelegenheiten nicht in in fremde hände geben. vermögensverwaltung im schnellkurs. morgen dann bank- und arzttermine.
später streiten sich meine eltern. meine mutter würde am liebsten sofort ins betreute wohnen wechseln. raus aus dem haus. mein vater droht, dass er sterben wird, wenn er ausziehen soll. das haus ist sein ein und alles, er hat selber soviel dran gebaut. ich sitze zwischen den stühlen, kann beide verstehen.
wir setzten schriften auf, in welchen medizinischen fällen wie verfahren werden soll. zum glück habe ich ein semester lang ein seminar der palliativmedizin belegt. meine mutter ist beleidigt, weil ich meinen vater darin unterstütze, alles notariell festtackern zu lassen.
dann der punkt beerdigung. mein vater will ins familiengrab. meine mutter will sich verbrennen lassen und am liebsten in alle vier windrichtungen zerstreut werden. sie hadert mit dem tod, glaubt an nichts, glaubt auch an keine seele. an dem punkt bin ich erstaunt, wie ähnlich mein explizit areligiöser vater mir ist. er hat sehr plastische, wenn auch ungewisse vorstellungen vom sterben, mischt moderne hirnforschung mit ein wenig naturromantik und dem typischen philosophischen zurückdenken auf die letzte ursache der weltentstehung. als ich aristoteles´ unbewegten beweger ins spiel bringe, verlässt meine mutter das zimmer.
die tatsache, dass sich meine mutter nicht mit dem tod auseinander setzen kann, zeigt mir, wieviele ängste sie versteckt, was sie nicht wahrhaben will. tagelang versuche ich ihr zu verdeutlichen, dass sterben zum leben gehört und der letzte abschied die bilanz des daseins schlechthin ist. wie wichtig es ist, alles frei, friedvoll und versöhnt loszulassen: besitz, beziehungen und zuletzt auch sich selbst. dass meine mutter, die mich einst in erster linie religiös geprägt hat, jetzt so verbittert nihilistisch reagiert, macht mir schwer zu schaffen.

zu ostern kommt die verwandschaft. mein onkel, auch schon über 70, ist nur noch halb so breit wie vor zwei oder drei jahren. meine oma, 90jährig, will meine hand nicht mehr loslassen. und obwohl alle diesmal explizit nach mir und meinem leben fragen, habe ich das gefühl, die verantwortung für die ganze familie und ihre gräber zu tragen.

wie wenig zeit uns vielleicht bleibt, wird mir zum ersten mal bewusst. die ungutes verheißenden arztbefunde. das hohe alter. ich bin die jüngste in der verwandtschaft, ich werde übrigbleiben. und weiß gott, auch ich habe ängste, klammere mich an alles, was ich lernen durfte und sehe, dass es eigentlich nicht ausreicht, um das thema zu bewältigen. aber ich habe meine familie abgelöst. ich bin heute diejenige, die erklärt, tröstet, hände streichelt. es ist meine aufgabe, die familie zu versorgen, weniger materiell als vielmehr emotional und geistig. denn da sieht es spärlich aus. es spielt kaum eine rolle mehr, was sie mir einst gaben oder nicht geben wollten und konnten. es ist eine liebe in mir, die es trotz aller widrigkeiten gelernt, sich über all das geschehene zu stellen. und wieder erinnere mich an das, was ich vor etwas mehr als 12 jahren als selbstdefiniertes ziel und sinn des lebens in mein tagebuch notierte: universelle liebe. die körperlose liebe, die alles verzeihen kann. teilziel erreicht? vielleicht. ich werde weiterlernen müssen. meine liebe muss noch stärker werden. vielleicht kann man ja erreichen, dass man eines tages nicht mehr verzweifelt. denn der verzweiflung nahe bin ich, wo meine kraft nicht ausreicht, wo ich mich leer und müde fühle. abends im bad klappt mein kreislauf zusammen, anschließend herzrasen, ungesund. fast eine stunde bleibe ich auf dem weichen badezimmervorleger liegen, plötzlich angst vor dem eigenen tod.

draußen blüht das leben.

... link