Samstag, 11. April 2009
eine zugfahrt, drei alte tanten und ich
gründonnerstag, 20:30 uhr: ich bestieg den en hans albers richtung wien westbahnhof. eine knapp siebenstündige reise lag nun vor mir.
da es schon so spät war, rechnete ich mit wenig andrang. welche irren reisen schon mitten in der nacht auf karfreitag nach wien? eine sitzplatzreservierung war per internet nicht mehr möglich - aber auch sicherlich nicht nötig, dachte ich.
weit gefehlt. besagte irre gibt es zuhauf, musste ich im abteil feststellen. ich wartete, bis sich der wilde platzfindungsprozess beruhigt hatte, dann suchte ich nach einem freien sitz. neben einem jungen mädchen - so breit wie hoch aber mit verdammt hübschem gesicht - fand ich ihn dann. doch dann kam eine durchsage vom schaffner: alle reisenden ohne reservierung hätten sich sofort in wagen nummer fünf zu begeben. eine erneute völkerwanderung setzte ein. schließlich kam ich in wagen nummer fünf an und schnappte mir den letzten sitz. meine sitznachbarinnen, drei alte tanten, stellten ihr massives gepäck zwischen meine füße und die eines kleinen mädchen, das auf dem klappsitz im gang hing und bleich und übernächigt aussah. "das stört sie doch sicherlich nicht", stellte die eine alte schachtel mit blick auf meine nunmehr verkrampft angezogenen beine und die eingeklemmten knie des kleinen mädchens fest. ich blickte nach oben in die gepäckfächer, wo alles leer war und fragte dann höflich, warum sie ihre koffer nicht im gepäckfach deponieren würden. "die koffer sind zu schwer", behauptete die eine alte schachtel mit vornehm gerümpfter nase. ich stand kurz auf, soweit ich mich denn erheben konnte und griff nach den koffern. okay, das gewicht entsprach in etwa dem eines kleines wohnwagens. "hier gibt es sicherlich einen starken mann, der ihnen zur hand gehen kann", sagte ich laut in die runde. die starken männer guckten allesamt schnell aus dem fenster oder schalteten die mp3-player laut. die alten pissnelken hatten sich inzwischen ebenfalls gepflanzt, sich hinter den hochglanzseiten eines spießermodemagazins verschanzt und ließen mich mit dem kofferproblem alleine. ich versuchte es nochmal auf die moralische: "sehen sie mal, das kleine mädchen hier, wenn der zug mal bremst, rutschen ihr all die schweren koffer auf die beine." die hässlichen alten schnallen ignorierten mich geflissentlich. wutschäumend setzte ich mich schließlich und hoffte, der schaffner würde kommen und die piefigen weibern mal ordentlich mit einem einlauf versehen.
der schaffner kam nach etwa einer dreiviertel stunde, als meine beine bereits eingeschlafen waren und mein rücken sich zu einem schwer zu entknotenden verspannungsteppich flocht. ich sandte dem blauuniformierten mann einen flehentlichen blick, doch der reagierte nach typischer bahnangestellten-manier: einen erschreckten blick auf die menschen- und gepäckmassen werfen und die tür schnell wieder zumachen. nicht einmal meine fahrkarte wurde kontrolliert.
im abteil stank es erbärmlich. das lag zu einen an den alten tanten, die viel zu viel maiglöckchenparfum aufgetragen hatten. zum anderen, wie ich ich nach einer kraxltour über die gepäckhaufen feststellte, war das klo defekt und eine bräunliche suppe trieb durch die kleine kabine. lecker.
meine tötungshemmung sank minütlich. kurz hinter hannover und nach mehrfachen anfragen wurde das problem dann gelöst, indem jemand die tür verriegelte und "defekt" notierte. für pipimacher bedeutete dies, durch das ganze überfüllte anteil in das nächste robben zu müssen und sich in die schlange vor dem dortigen klo einzureihen.

erst gegen viertel vor zwölf und nach dem halt in göttingen endlich entspannte sich die die situation, weil plötzlich ganze massen ausstiegen. darunter auch die drei alten pissnelken mit ihrem monstergepäck. keine ahnung, was man um mitternacht in göttingen wollte, aber es schien wohl der papst vor ort zu sein oder ein sonstiger wichtigtuer. sobald der schaffner wieder in richtung schlafabteile verschwunden war, floh ich aus den nichtreservierer-getto ins das abteil nebenan. dort, oh wunder, fand ich drei leere sessel in reihe. ich klappte die armlehnen nach oben und haute mich aufs ohr. ich hoffte, rechtzeitig wieder aufzuwachen, denn in diesem zug wurden die haltestellen nicht angekündigt, aus gründen der nachtruhe, die laut durchsage ab 22 uhr herrschte. an nachtruhe war dennoch nur schwer zu denken, da lebhafte gespräche geführt wurden und die beleuchtung die ganze zeit über gleisend hell blieb, trotz des vorhandenen nachtlichts. so müssen sich hühner in einer legebatterie fühlen. adrenalin pur. dennoch gelang es mir, ein wenig schlaf zu finden. "die ist mutig", hörte ich jemanden hinter mir sagen, "die verpasst bestimmt ihren bahnhof."
dem konnte ich jedoch getrost lügen strafen. ziemlich pünktlich um halb drei erwachte ich wieder und musste also doch nicht bis nach wien mitfahren. zehn minuten nach drei trudelten wir in nürnberg ein. wie ein kleines kind hing ich mit der nase am fenster, fuhr ich doch an ehemaligen wohnorten und anderen für mich bedeutsamen plätzen vorbei. sentimentalitäten quollen in mir hoch, die ich seit zehn monaten erfolgreich unterdrückte. schließlich stand ich allein im nürnberger bahnhof. und vielleicht kennen sie es, dieses gefühl zwischen zuhause sein und völliger fremdheit und einsamkeit, das das herz wild schlagen macht und ein brennen in der brust erzeugt. mit diesem bestieg ich ein taxi, betrat das haus meiner eltern, mein zimmer und legte mich schließlich in mein bett. einschlafen konnte ich jedoch lange nicht.

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