Montag, 22. Juni 2015
psycho family
"ich war bei einem psychotherapeuten", berichtet mein vater am telefon, und ich falle fast rücklings vom stuhl.

die geschichte dazu ist allerdings undramatisch und schnell erzählt: mein vater ist seinem kardiologen so lange mit seiner op-panik auf die nerven gefallen, bis dieser ihn gewissermaßen an den kollegen weiterleitete. mein vater, privatversichert, hatte daraufhin eine woche später seinen ersten termin. jetzt kann er ein paar atemtechniken und ist mächtig stolz.

an dieser stelle werde ich furchtbar neidisch. suizidgefährdete warten drei monate, mein leicht neurotischer vater nur wenige tage. das ist die freie marktwirtschaft in der medizin, die unsere regierung für uns alle will. die guten ins töpfchen, und die schlechten sollen sich das kröpfchen durchschneiden.

als mein vater erzählt, merke ich, dass es ihn dennoch überwindung kostet. wird seine tochter wie so manches mal die verbalen krallen ausfahren und die aktion mit einer spitzen bemerkung kommentieren?
"ich finde das total gut", sage ich dann liebevoll. "ich halte sehr viel davon, dass du dich dazu entschlossen hast. weißt du, ein teil deiner angst stammt vielleicht auch aus deiner vergangenheit, und möglicherweise befördert dein therapeut da was zutage, und dann verstehst du dich besser."
"du kannst da ja auch mal hingehen!" findet mein vater.
oh ja. wenn du wüsstest.

ich beschließe, das gespräch vorerst zu beenden.
"viel glück für deine op morgen", sage ich. "und haltet mich bitte auf dem laufenden."
"du kannst doch auch anrufen", sagt mein vater. "ich hab ja das handy."
"das ist doch immer aus", sage ich.
"wenn es verboten ist", sagt mein vater. "in der notaufnahme beispielsweise darf man nicht telefonieren."
"ja, papa, weil da ALLE telefonieren würden, um onkel heinz und tante trude zu erzählen, dass sie einen herzinfarkt haben, obwohl ihnen nur ein furz quer liegt. aber du bist ja in einem zimmer und nicht in der notaufnahme!"
"in ordnung, ich mach das handy an."
"das sagst du immer, und dann ist es doch aus."
"ich mach es wirklich an."
"na gut."
"oder du rufst deine mutter an."
ich seufze.
"also machst du es doch nicht an."
"wenns aber doch verboten ist."
"sei doch mal subversiv", nörgle ich.
"WAS soll ich sein?"

an dieser stelle gebe auf, sage schnell tschüß und stelle mich dann ans fenster, eine rauchen. mein vater und psychotherapie, das muss ich jetzt erstmal verkraften.