Mittwoch, 15. April 2015
aufweichung der ärztlichen schweigepflicht
ich bin psychisch krank und stehe dazu. aber ich bin auch uneingeschränkt arbeitsfähig. ich arbeite gern, zahle braver als jeder konzernchef meine steuern und friste mein dasein in frieden, auch wenn ich horrorfilme gucke und mir manchmal vorstelle, wie ich gewisse unangenehme zeitgenossen lustvoll foltere.

diejenigen, die gerade meine steuern für polizeistaatliche geheimkonferenzen verpulvern, haben heute in lübeck über die konsequenzen aus dem germanwings-unglück diskutiert - über eine lockerung der ärztlichen schweigepflicht. natürlich nur, wenn leib und leben anderer gefährdet sind. aber wie schon sascha lobo bei spiegel online richtig feststellt*, stellt eine solche entscheidung eine gefährliche gratwanderung dar: einem polizisten beispielsweise wäre der dienst an der waffe unmöglich, ein it-experte dürfte keine software mehr für ein kraftwerk schreiben. aber es kann auch einen bäckereifachangestellten treffen, der möglicherweise aus hass auf die gesellschaft oder irgendwen anderes gift in seine brötchen mengen könnte.
kurzum, theoretisch bringt fast jeder beruf eine gefährdung anderer mit sich. das käme einem generellen berufsverbot für psychisch kranke gleich.

ähnlich spannend zu wissen wäre dann noch, wann genau die meldepflicht für psychische krankheiten beginnt. ich beispielsweise habe nicht einmal eine eindeutige diagnose. zum einen, weil die ärzte heutzutage gar nicht die zeit haben, sich wirklich mit einem patienten zu befassen. im klinikbetrieb muss alles rasch durchgeschleust werden, allein die fallpauschale zählt. zum anderen, weil psychische erkrankungen sehr vielschichtig sein können. ich kenne keinen einzigen patienten, der exakt dies oder jenes ist. wäre ich psychiaterin, könnte ich sehr leicht jemandem auch eine falsche oder teilweise falsche erkrankung attestieren. das geht besonders schnell, wenn ein patient nicht in der lage ist, sich verständlich auszudrücken - wie es manchmal bei ausländischen mitbürgern der fall ist. diese schildern bei seelischen beschwerden bisweilen nur körperliche symptome, da psychische erkrankungen nicht in jeder kultur bekannt sind.

kurzum, man kann vermutlich jedem - auch gesunden - menschen eine seelische erkrankung bescheinigen, wenn man möchte. wahrscheinlich würde das auch der ein oder andere karriere-nebenbuhler ausnutzen: cheffe, hammse schon gehört, der herr xyz hat dies und das, der sollte man zum psychiater! personalplanung nach attest. in den chefsesseln säßen dann nur noch denunzianten und psychopathen.

wenn ich mir unsere regierung mit ihrer affinität zur möglichst lückenlosen überwachung so ansehe, erkenne ich da auf jeden fall mindestens eine mittelschwere paranoia. dringend behandlungsbedürftig. und sehr, sehr gefährlich, was das wohlergehen der bevölkerung betrifft.

* zum artikel