Samstag, 17. Mai 2014
die sache mit den inneren und äußeren werten
ich behaupte gerne von mir, dass mich äußerlichkeiten nicht beeindrucken. tatsächlich gehen mir markenklamotten, schicke smartphones oder dicke autos am allerwertesten vorbei. auch habe ich nicht das leiseste bedürfnis, mich als künstler oder ähnliches auszugeben. im gegenteil, ich würde mich manchmal freuen, als etwas weniger extravagant und exzentrisch wahrgenommen zu werden.

dennoch können mich äußerlichkeiten manchmal ganz schön aus der bahn werfen - positiv wie negativ. wenn es zum beispiel um die partnerwahl geht, wo doch eigentlich genauso die inneren werte zählen sollten.

diese woche hatte ich ein blind date mit einem buchhalter. ich war zunächst skeptisch, denn buchhalter waren bei mir bis dato mit einem extrem langweiligen image verknüpft. dann telefonierten wir und es stellte sich heraus, dass der gute gerne metropolen bereist, drei sprachen fließend beherrscht, über 1,90 m groß ist, krafttraining macht und auf weiße hemden zum anzug steht. er habe dunkle haare und trage einen bart, sagte er mir, woraufhin ich an den wallenden objektbart dachte, das ganze in dunkel, und schon präventiv unterleibskontraktionen bekam.

wir verabredeten uns zum essen in einem schicken restaurant in harvestehude. ich wählte mit bedacht meine kleidung und versuchte stundenlang, die haare zu bändigen und eine hübsche stino-frisur hinzukriegen - erwartete ich doch einen großen anzugtragenden, muckibuden-gestählten testosteronbrocken mit ausgeprägter gesichtsbehaarung. wer so aussah, hatte bestimmt auch hohe ansprüche und gab sich nicht mit jeder zufrieden. das hatte er auch beim telefonat durchblicken lassen, als er von früheren blinddates berichtete, die er allesamt als uninteressant beschrieb. ich zweifelte zwar stark, dass ich sein interesse wecken könnte, beschloss aber, versuchsweise mein bestes zu geben.

punkt 20 uhr wartete ich vor dem restaurant, nervös, aber auch vorfreudig. zwei nach acht tauchte ein typ auf, der in die beschreibung passte, allerdings hatte er keinen bart. aber halt, da auf der straßenseite gegenüber eilte ein gutaussender anzugträger heran. ach nein, er stieg zu einer blonden ische in den porsche.

fünf nach acht tippte mir jemand auf die schulter. ich drehte mich um. da stand ein langer, dünner typ mit sehr schütterem haar und ebenso spärlichem bartwuchs, der mich durch eine brille für sehr kurzsichtige menschen aufmerksam betrachtete und mich freundlich mit hasenzähnchen angrinste. er trug einen grünen anzug, dem ihm vermutlich seine mutter ausgesucht hatte und der ihm deutlich zu kurz war.
"hallo", sagte der mann.
"hallo", sagte ich und hoffte auf eine verwechslung.
"du bist bestimmt morphine", zerschmetterte mir mr. hasenzahn meine illusion.
"äh, ja", stammelte ich und hätte mich gleich darauf ohrfeigen können, aber der optische schock hatte mein rationales denken gelähmt.

mr. hasenzahn hielt mir die tür auf, half mir aus der jacke und rückte meinen stuhl zurecht. eins-a-manieren, das gab einen dicken pluspunkt. dann setzten wir uns und die unterhaltung begann zu fließen. mr. hasenzahn entpuppte sich als äußerst angenehmer gesprächpartner mit einem wunderbaren sinn für humor. dafür, dass er vollkommen unbefleckt wirkte und so, als wohne er noch bei mutti, hatte er bereits erstaunlich viel von der welt gesehen und sich eine sehr eigene meinung zu allem gebildet. ich meine eine erzählte ein wenig von mir, meinem anstrengenden brotlosen job, meinem fiesen chef und was ich sonst so machte und mochte. mr. hasenzahn hörte mir sehr aufmerksam zu. auch das fand ich toll, wann hat man schon mal gesprächspartner, die wirklich interessiert waren. ich begann, mich vom optischen schock ein wenig zu erholen und den abend zu genießen.

ich betrachtete mein gegenüber noch mal näher. wenn man nur das gesicht für sich nahm, war er eigentlich gar nicht mal so übel. er strahlte etwas warmherziges und intelligentes aus. der spärliche haar- und bartwuchs verlieh ihm etwas linkisches. er lächelte viel und manchmal auch so, dass man seine hasenzähne gar nicht sah. und die brille, nunja, es gab ja auch kontaktlinsen oder wenigstens schönere brillen.

dann wanderte mein blick wieder weiter und ich registrierte die dürren ärmchen, die sich unter den für seine statur viel zu üppigen schulterpolstern abzeichneten. trainiert sah anders aus. ich fragte also ganz unverbindlich nach, ob er außer krafttraining gerne noch anderen sport mache. er gab daraufhin zu, dass er schon sehr lange nicht mehr trainiert hatte. andere sportarten mache er nicht so gerne, allerdings ginge er manchmal in die therme zwecks wellness.
"ohja, schwimmen ist toll", sagte ich und dachte an meine letztes lustiges wettschwimmen mit dem objekt.
nein, meinte mr. hasenzahn, schwimmen sei nicht so seins.
ich nickte. alle andere hätte mich überrascht. ich schätzte den kerl bei 1,90 m auf maximal 65 kg. trotz seiner hagerkeit hatte er einen bauchansatz. keine guten voraussetzungen für kraftvollen wasserwiderstand.

dann begannen die dinge kompliziert zu werden. nach dem hauptgang servierte der kellner, den ich unter anderen umständen vermutlich angeflirtet hätte, frischen wein. als ich nach meinem glas greifen wollte, nahm mr. hasenzahn unvermittelt meine hand und versuchte, sie zu küssen - und ich erlitt den zweiten schock des abends. die möglichkeit, dass mich mr. hasenzahn interessant finden könnte, hatte ich vollkommen ausgeblendet. jetzt musste ich mir etwas einfallen lassen. das tat mir mächtig leid, weil ich merkte, dass hinter dieser wenig attraktiven fassade ein wundervoller mensch steckte.

bei der frage "gehst du gerne mal aus?" wittere ich meine chance. ich begann, von meinen nächtlichen exkursionen durch düstere tanztempel zu berichten und dass so etwas ein unbedingtes muss für mich war, mindestens zweimal pro wochenende, nicht zuletzt, um freunde zu treffen, sich zu besaufen und sich mal auch mal eine nase zu ziehen. leider wirkte mr. hasenzahn kein bisschen schockiert, sondern fragte sogar interessiert nach der musikrichtung und zeigte sich grundsätzlich bereit, mich auch mal zu begleiten.

gut, wir mussten eine nummer härter werden. also signalisierte ich freude ob seines begleitangebots und erwähnte dann einen stadtbekannten s/m-club. dorthin, log ich, ginge ich regelmäßig auf die extra harten parties, um mich in großer runde auspeitschen und anwichsen zu lassen. es funktionierte. mr. hasenzahn klappte die kinnlade herunter und er betrachtete mich mit offensichtlicher fassungslosigkeit. ich setzte also noch einen drauf und gestand ihm, dass mich auch natursektspiele unheimlich anmachten. all das, fasste ich zusammen, würde ich mir natürlich auch von meinem partner wünschen.

mr. hasenzahn saß noch immer mit offenem mund da. erleichterung auf meiner seite, egal für wie abartig er mich nun halten mochte.
"ich bin gerade ein wenig sprachlos", gestand mir mr. hasenzahn.
"ja, sorry, ist mir schon klar, dass ich ziemlich extrem bin. aber eine funktionierende sexualität ist mir sehr wichtig."
und jetzt kam es.
"nein, nein", sagte mr. hasenzahn, "ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass ich über eine ganz normale partnerbörse eine so tolle frau treffe, die genauso tickt wie ich. und ja, ich will das alles mit dir erleben!"
der dritte schock des abend.
mr. hasenzahn sah mich erwartungsvoll-begeistert an.
"schön", würgte ich kraftlos aus meiner kehle und musste dann erstmal auf toilette, um zu hyperventilieren.

nach einer weiteren halben stunde, in der mir mr. hasenzahn seine spanking- und fesselspielchen-fantasien erzählte, signalisierte ich große müdigkeit und den wunsch, den abend abzubrechen. mr. hasenzahn zahlte, dann standen wir draußen.
"tschüß", sagte ich und wollte eine vorsichtige umarmung wagen. mr. hasenzahn hingegen zog mich an sich und versuchte, mich zu küssen. ich drehte das gesicht weg und strampelte mich frei.
"aber..." sagte mr. hasenzahn.
"ich steh nicht so auf küssen", log ich.
"ach."
"ja dann machs mal gut", sagte ich.
mr. hasenzahn sah mich an:
"wollen wir nicht noch ein wenig zu mir?"
brechreiz setzte ein.
"ähm, ich muss morgen früh raus", brachte ich den klassiker.
"ja... dann..." schenkte ir mr. hasenzahn einen weitere langen blick.
"bis dann", sagte ich unverbindlich und eilte vondannnen.

zuhause telefonierte ich mit meinem vater, der mal wieder ein pc-problem hatte. ich erzählte ihm die geschichte in der kurzfassung, als er wissen wollte, was es bei mir neues in der männerwelt gab.
"man kann auch mal jemanden liebgewinnen", meinte er, als ich fertig war.
"es gibt aber auch minimalstkriterien, die einer erfüllen muss."
"du bist halt verwöhnt", fand mein vater. "das muss dir mal klar werden, dass nicht jeder aussehen kann wie ein ddr-olympia-sieger."
ein böser seitenhieb aufs objekt.
"das muss er ja auch gar nicht. aber ich muss doch irgendwas an dem finden können! sonst kann ich mit dem keinen sex haben."
bei dem thema stieg mein vater aus und ich legte auf.

sagen sie mal. haben sie es schon mal geschafft, jemanden scharf zu finden, der zwar menschlich, aber optisch so gar nicht ihr fall war?