Sonntag, 16. Februar 2014
mein leben, eine party
seit sechs wochen gehe ich nicht mehr aus. zum einen ist das geld knapp, und an einem wochenende waren 30 euro oder sogar mehr schnell mal verfeiert. zum anderen bin ich im kopf all die personen durchgegangen, mit denen ich mit auf partys unterhalte. und fand heraus, dass ich diese unterhaltungen eigentlich größtenteils langweilig, banal und belastend finde. leute, deren sorgen sich darauf belaufen, wohin sie dieses jahr in den urlaub fahren oder welche farbe das neue auto haben soll, kann ich nicht ernstnehmen.

die entscheidung ist insofern hart, da ich gerade auch sonst nicht viel tun kann. alles, was mit bewegung zu tun hat, bereitet schmerzen. kultur wie konzerte oder theater ist teuer bis unerschwinglich. alleine in kneipen rumsitzen und an einem billigen bier nuckeln, bis mich irgendein suffkopp anspricht, ist nicht so mein ding. wegfahren geht auch nicht immer, also bleibe ich zuhause und versuche, die langeweile auszuhalten und mir einzureden, es sei eine gute übung für später, wenn ich dann im rollstuhl und inkontinent rumsitze und auf den sozialdienst warte, falls es bis dahin sowas noch gibt.

mein therapeut sagt, langweile sei ein prozess, aus dem etwas entstehen kann. ich sehe erste resultate: beispielsweise habe ich mein büro zum raucherzimmer umfunktioniert. mein teppich hat jetzt brandlöcher, was mich motiviert, weiter darüber nachzudenken, ob ich den ohnehin total versifften teppich jetzt nicht doch mal rausschmeiße. anderseits liegt der teppich da, um den kaputten parkettboden zu verdecken. herrlich, sich mit solchen materialistischen problemen beschäftigen zu können! nie zuvor war ein simpler teppich so ins zentrum meines bewusstseins gerückt.

"du musst auch die kleinen sachen würdigen", sagt das objekt dann gerne, worauf ich immer erwidere, dass solch dämlichen phrasen auch meine eltern dreschen und dass mich das stinksauer macht. an bösen tagen füge ich hinzu, dass ich die kleinen dinge durchaus würdige, sonst würde ich ihm schließlich auch nicht den schwanz lutschen.

im kokon der erzwungenen häuslichkeit stelle ich fest, dass das objekt inzwischen nahezu der einzige mensch ist, der mich noch anruft. diese solidarität rechne ich ihm hoch an, schließlich ist es kein vergnügen, mit mir zu telefonieren. meist fange ich an irgendeinem punkt des gesprächs an zu heulen. spätestens dann weiß sonst niemand mehr so recht, was er sagen soll. kann ich verstehen, ginge mir vielleicht nicht unähnlich.

mein lieblingsnachbar hat einen therapieplatz in einer klinik ergattert. in der totalen aussichtslosigkeit denke auch ich oft in richtung flucht. einweisen lassen, alle meine benzos auf einmal nehmen, oder einfach eine tasche packen und weggehen, alles zurücklassen, vielleicht penner werden. mein ordentliches über-ich hält mich allerdings rigide zurück, schickt mich arbeiten, aufräumen, saubermachen, und immer so fort, wie ein wohlerzogener, adrett gekleideter kleiner roboter. hinter der schale tickt eine zeitbombe.