Samstag, 26. Mai 2012
die fette bulldogge sehnsucht
die fette bulldogge sehnsucht steht mit ihrer derben schnauze vor mir, speichelt auf den teppich und kaut am türrahmen. wenn ich mich zwei schritte bewege, kläfft sie und will zuwendung. sie selbst ist indes immer auf den beinen und wuselt herum, stößt an empfindliche stellen und verursacht glasbruch: eine tasse, ein teller, ein herz.

sie ist kein schoßhund und so hässlich, dass man sie nicht anfassen möchte. ich nicht und ein anderer schon dreimal nicht. sie lässt sich auch nur schwer an die leine legen. die nagt sie einfach durch, in einem wütenden moment. ein schlecht erzogenes tier, aggressiv und bissig.

gestern wanderten wir stumpf und out of space durch die straßen des kiez und ich hoffte, der chemische nebel in meinem blut möge die fette bulldogge endlich verschlucken. doch der köter zog mich weiter und wusste offenbar instinktiv sehr genau wohin.

gegen halb vier, als wir die holstenstraße überquerten, blieb die fette bulldogge plötzlich stehen, während zwei hände mein gesicht packten und ein kuss auf meiner stirn landete.
"morphine! was für ein zufall, was machst du denn hier?" fragte mich das objekt.
"keine ahnung", sagte ich wahrheitsgemäß.
wir standen auf einem grünstreifen neben einer ampel, links und rechts rasten taxis an uns vorbei, und die fette bulldogge hatte in respektvoller entfernung friedlich sitz gemacht.
"ich wollte eigentlich noch in keller", berichtete das objekt, "aber da haben sie mich so nicht reingelassen."
das objekt war alkoholisiert und hatte feine klamotten an.
"meine cousine hat heute geheiratet", sagte es und zeigte auf hemd, bügelfaltenhose und ordentliche haartracht.

dann standen wir nebeneinander und rauchten eine zigarette.
"ein bier wäre jetzt nett", fand das objekt.
"hm", sagte ich und schaute mich nach der fetten bulldogge um, die in der ferne um einen baum schlich.
"erinnerst du dich, als wir mal über den teil gesprochen haben, der mich mit dir verbindet?" sagte ich dann unvermittelt.
"ja", schaute mich das objekt wach und erwartungsvoll an.
"das ist eine gabe, die du hast."
das objekt lächelte geschmeichelt und schaute fragend.
"deine gabe, das heißt, du kann menschen, insbesondere wohl frauen, etwas vermitteln, wonach sie unbewusst schon ewig suchen."
"das ist interessant, das hat mir ja noch niemand gesagt", erwiderte das objekt.
"aber insgeheim weißt du es. und du weißt auch um die abhängigkeiten, die du erzeugt, vor allem dort, wo du mit deiner gabe nicht verantwortungsbewusst umgehst. und gleichzeitig kennst du wahrscheinlich auch die kehrseite der medaille, dass menschen dich nicht mehr loslassen können und ihre forderungen dich unter druck setzen."
"ja", sagte das objekt ernst.
"du bist aber kein heiler. du bist ein joker. du bist ein joker, den man nicht spielen kann, ohne zu verlieren. und man neigt dazu, dich zu verspielen, weil du es so dermaßen herausforderst, in beinahe jedem moment."

das objekt starrte mich mit offenem mund an und schwieg eine weile, bevor es sagte:
"touché, madame. ohne dass ich jetzt sagen kann, dass ich das zu hundertprozent verstanden habe, fühle ich mich jetzt irgendwie ertappt... so ertappt, wie man sich selbst manchmal unvermittelt ertappt... in dingen, die schon lange verborgen in einem liegen."
ich nickte wild.
das objekt betrachtete mich.
"manchmal glaube ich, der grund, dass wir uns begegnet sind, ist, dass du so eine art orakel für mich bist. du scheinst mich zu kennen, oft auch in den dingen, die du eigentlich gar nicht wissen kannst."
"vielleicht ist das teil, der ich für dich bin."
"vielleicht, aber ich denke, das ist längst nicht alles."

dann nahm mich das objekt in die arme und meinte:
"ich nehme mir jetzt ein taxi nach hause. wie kommst du heim?"
"mit dem rad."
"irgendwann passiert dir mal was."
"worauf du einen lassen kannst."
"ich finde das nicht komisch", sagte das objekt streng.
"tschüß, vaddi", sagte ich lächelnd.

solange ich kräftig in die pedalen trat, hechelte die fette bulldogge hinter mir her und blieb immer weiter zurück. erst zuhause im bett plumpste sie mit vollem gewicht auf meine brust und versuchte, mich vom schlafen abzuhalten, indem sie mir mit ihrer schleimigen zunge tränen in die augen leckte.