Dienstag, 22. Mai 2012
schluss mit lustig
die steuererklärung liegt auf dem tisch und frisst die zeit. gleichzeitig macht der gedanke, dass ich mit wöchentlich 50 bis 60 stunden harter arbeit einem haufen feiger und bornierter affen im reichtag ihre pensionen sichere und selber kaum überleben kann (mein nettolohn liegt erschreckenderweise immer noch unter 1.000 euro, stellte ich gestern fest), sehr viel lust darauf, bomben zu werfen, zu brandschatzen und leuten höchstpersönlich die zähne aus den dummen fressen zu treten.

"da kann alles so nicht weitergehen", sagt der architekt gestern im club. der architekt, der vor kurzem in einen vorstand gewählt wurde und eine anfrage von der uni für eine professur hat, hat das illustre system, in dem er neuerdings steckt, ganz fix durchschaut: "die parteien und so, das ist alles eine scheinwelt. regiert wird heutzutage durch die hintertür. das ist die schlimmste form von entmündigung überhaupt, denn sie ist verlogen bis in den letzten winkel. mit soviel perfidität kann nicht mal mehr eine hitlersche diktatur mithalten."

die städtebaulichen regierungsvorhaben, von denen der architekt berichtet, dienten ganz bewusst dazu, die soziale schere noch weiter zu spreizen.
"das alles wird unter einem sozialen deckmantel verkauft, sodass die leute glauben, man täte ihnen auch noch was gutes."
dem architekten stinkt das: "an die presse gehen müsste man."
"dann verlierst du aber vielleicht das, was du dir aufgebaut hast", erwidere ich.
"inzwischen ist mir das scheißegal. ich habe den vorteil, dass ich finanziell ausgesorgt habe. und ich sage dir, ich habe die schnauze voll von all den leisetretern. außer unserem oberbürgermeister, der wenigstens noch nicht verlernt hat, den mund aufzumachen, sitzen in unserer regierung nur pfeifen, die sich unter einem verkrusteten system ducken, das gerade dabei ist zu zerbrechen. ich meine, hey, die rufen mich zuhause an und fragen mich, was sie machen sollen, weil sie keine manpower haben. mich! bin ich könig von deutschland?"

"ich weiß nicht, ob das mit der presse funktioniert", sage ich. "die leute lesen doch heutzutage nicht mal mehr richtig zeitung. höchstens als unterhaltunglektüre, am abend, wenn sie ins traute heim zurückkehren und die füße hochlegen wollen. die meisten sitzen doch scheintot in ihren ikea-verliesen, lassen sich vom fernseher berieseln oder beschäftigen sich mit dem demokratieersatz facebook. politisches interesse, das haben die meisten doch nur, weil sie sich gerne auch mal was semi-schlaues sagen hören möchten."

"trotzdem, du musst ja mal wo anfangen", sagt der architekt. "und ich will anfangen, wenn´s sonst schon keiner macht. ich habe das privileg, dass es mir nicht schaden kann. mich brauchen die sowieso."
"du hast dir ganz schön selbstbewusstsein zulegt", finde ich.
"ja, das kam so im laufe des letzten jahres... früher wollte ich bloß eine familie und ein haus mit garten", sagt der architekt. "aber das ist doch alles bullshit, es gibt viel zu viel zu tun!"

"okay, dann machen wir jetzt eben eine revolution", beschließe ich. "du machst nen plan, und ich mache dann den teil mit der presse."
"ach stimmt, du machst das ja beruflich", erinnert sich das architekt.
"meinst du, das geht?"
"keine ahnung", sage ich, "grundsätzlich geht fast alles, solange du kein geld dafür willst."
der architekt lacht.
"das ist nicht komisch", fahre ich ihn an. "wenn ich mal nicht mehr arbeiten kann, bleibt mir ja nichts. und ich werde nicht unwürdig alt werden und jeden tag zur tafel schleichen und das fressen, was mir irgendwelche bonzen übriglassen. senioren-suizid wird in 10, 20 jahren, wenn alles zusammengebrochen ist, bestimmt mal ein großer trend. deshalb müssen sie auch irgendwann aktive sterbehilfe legalisieren - ich meine, das entlastet ja das marode system."

der archtitekt schaut mich an:
"manchmal denkst du wirklich ein bisschen sehr schwarz."
"ich bin eben realistin", rechtfertige ich mich. "aber vielleicht rettet uns ja deine revolution."
"ich meine das ernst", betont der architekt.
"ich meine das auch ernst", erwidere ich.
"ja, dann, schluss mit lustig, oder? lass uns da mal zusammensetzen und überlegen, wie wir das angehen."
"wir werden die erste zwei-mann-revolution sein."

bevor der architekt blinzeln kann, küsse ich ihn auf den mund.
"dann mal gute nacht. die revoluzzerin muss jetzt schlafen."
der architekt strahlt verstrahlt und küsst mich dann schüchtern zurück.
ich gehe hinaus in die warme nacht und fühle mich zum ersten mal seit langer zeit wieder verstanden und bestärkt in dem, was im grundes meines herzens brennt: wir dürfen nicht nur reden. es ist zeit, etwas zu bewirken. und ich bete, dass uns der mut nicht verlässt.