Freitag, 16. Juli 2010
kick him oder wann man wirklich dringend auf sex verzichten sollte
er ist schon ziemlich alt, dachte ich mir, als ich ihm zum ersten mal in der kneipe sah. aber irgendwie geriet ich in diesem moment in flirtlaune, als er so in anzug und krawatte dasaß, eine gewisse eleganz und sicherheit verströmend, meinen vaterkomplex animierend. ich weiß nicht, wer zuerst guckte, aber irgendwann kam er herüber an meinen tisch und das unheil nahm seinen lauf. er spendierte mir etwas zu trinken, antialkoholisch, weil ich ja noch arbeiten musste. der typ erzählte und erzählte, während ich zuhörte - die klassische männlein-weiblein-rollenverteilung also - dann überreichte er mir seine visitenkarte und meinte, er würde sich freuen, wenn ich mal anriefe. ich nickte, dankte und ging.

vier tage später fiel mir seine karte wieder in die hände und nachdem das objekt der begierde mal wieder auswärts ficken war, beschloss ich, den kontakt zum alten mann zu reanimieren. er freute sich, von mir zu hören und wir verabredeten uns für drei tage später. der alte mann schlug eine radtour über die dörfer vor, ich übersetzte das clever in "outdoor-vögeln" und packte gummis ein.

als echter gentleman holte mich der alte mann mit dem auto ab. wir fuhren zu ihm. er besaß einen riesigen bungalow am stadtrand und eine ganze horde katzen, was mich kurzfristig vollkommen verzückte. wir landeten auf dem enormen balkon, der voller orientalischer teppiche und möbel stand, tranken erstmal einen wein und ließen die katzen auf unseren füße liegen.
"weißt du eigentlich, warum ich dich angesprochen habe?" fragte der alte mann.
"nein."
"du siehst meiner verstorbenen exfrau sehr ähnlich."
ich war betroffen, allerdings auch leise alarmiert. schließlich kann man(n) ja keine toten frauen durch lebendige kopien ersetzen.

doch es kam viel besser. im laufe des gesprächs stellte sich heraus, dass der alte mann nicht nur einmal, sondern sage und schreibe dreimal verheiratet gewesen war. nummer zwei und nummer drei waren angeblich anders als die erste nicht verstorben, sondern weggelaufen. er zeigte mir fotos. alle drei exfrauen sahen mir zum verwechseln ähnlich. jetzt schrillte meine psychoalarmglocke schon lauter. nicht, dass ich ihm spontan zugetraut hätte, dass er die frauen alle abgemurkst, zerstückelt und im garten verscharrt hätte. (das wäre nicht gegangen wegen der katzen, aber vielleicht hätte vorher einbetonieren funktioniert.) ein komisches gefühl war es trotzdem.

aber es kam noch einmal besser. nach einer radtour über die dörfer (ohne outdoor-sex, das funktioniert in dem alter vermutlich nicht mehr so gut) und einem abendessen in der dorfkneipe erfuhr ich, dass alle exfrauen borderlinerinnen waren. ich staunte nicht schlecht.
"ich such mir eben immmer die gleichen aus", sagte der alte mann.
"aber ich bin keine borderlinerin, sorry, ich bin leider nur eine einfache suchtpersönlichkeit", wagte ich vorsichtig zu scherzen.
"auch suchtverhalten kann ein hinweis auf borderline sein", sagte der alte mann eindringlich. "ich kenne mich da aus, weißt du."
"ich denke, das wäre schon mal jemandem, der mich besser kennt, aufgefallen, wenn da was nicht mit mir stimmt", konterte ich. was dachte er denn? dass er mir jetzt hier borderline andichten und mich dann heiraten könne? damit er mich irgendwann wie die exfrauen...?

irgendwann kam mein hühnchen und ich war froh, erstmal nichts mehr sagen zu müssen und meine weiblichen formen nähren zu können. der alte mann redete dafür um so mehr und erzählte mir in den nächsten zwei stunden in einem langen monolog seine komplette lebensgeschichte, die sich mehr oder minder um seine exfrauen sowie um seine mutter drehte, die - raten sie mal - zufälligerweise auch borderlinerin war. ich nickte und kaute und überlegte angestrengt, ob es in diesem verdammten kaff auch einen bahnhof gibt und wie lange da wohl an einem donnerstag abend die züge fahren.

als wir zurück im nobel-verlies waren, tigerte ich aufgebracht über die teppich. die katzen miauten. der alte mann machte musik an und schlich sich dann an mich heran. ich bekam gänsehaut, allerdings nicht aus entzücken. ich atmete tief durch. was tun? hau bloß ab hier, flüsterte mir mein fluchtreflex, der ist nicht ganz dicht. anderseits war ich vom vergangenen wochenende mit dem objekt der begierde noch immer zum bersten sexuell geladen. und ein schwanz ist ein schwanz ist ein schwanz, sprach mein unterleib. außerdem fickt das objekt jetzt vielleicht gerade eine 18-jährige blondine oder sowas. agreement ist agreement, also komm jetzt gefälligst auf deine kosten. machste halt die augen zu. aber er riecht falsch, sagte meine nase. du bist bloß verwöhnt vom objekt, kritisierte mein unterleib.

inzwischen war ich ausgezogen und lag im xxl-size-bett des alten mannes. ich hatte die augen geschlossen, machte aber dann den fehler, kurz zu blinzeln. der anblick meines unbedeckten gegenübers war ernüchternd. wäre ich ein kerl gewesen, wäre in diesem moment mein bestes stück in seine hülle zurückgeschrumpft. zum ersten mal in meinem leben musste ich eine nummer abbrechen.
ich setzte mich abrupt auf und sagte: "sorry, ich muss nach hause."
"warum?"
"ich hab meine kontaktlinsenaufbewahrungsflüssigkeit vergessen", schwindelte ich spontan und hoffte, dass der alte mann kein kontaktlinsenträger war. ich hatte glück.
"kann man da nicht einfach wasser nehmen?"
"nee, davon gehen die kaputt", log ich. so schnell hatte ich noch nie eine wohnung verlassen. ich sprang in meine kleidung, drängte den alten mann zum auto und ließ mich zurück in mein kleines zuhause bringen. ich machte die tür hinter mir zu und atmete erleichtert auf.

da ich jedoch ein nettes mädchen bin und die geschichte nicht einfach so stehenlassen wollte, verabredete ich mich noch einmal mit dem alten mann.
"ich habe nachgedacht, das wird nichts mit uns", platzte ich heraus.
"stimmt", sagte der alte mann. "das war ein bisschen zu schnell."
"das meine ich nicht", erläuterte ich. "ich möchte keine beziehung mit dir. ich bin zu weit gegangen. ich wollte keine falschen hoffnungen schüren."
"aber wir passen doch so gut zusammen", sagte der alte mann.
das hatte wohl in all den jahren unserer vertrauensvollen beziehung herausgefunden.
ich versuchte, auf meinen standpunkt zu rekurrieren, doch der alte mann erwies sich als stur. ich solle es mir noch einmal überlegen. er sei doch so ein toller und es gäbe noch viel für mich zu entdecken. ich dachte an den nacktanblick und gruselte mich bei der vorstellung. wir einigten uns schließlich darauf, das er mich in ruhe lassen werde, bis ich mich wieder melde. damit war ich sehr einverstanden, da ich natürlich nicht vorhatte, an die begegnung anzuknüpfen.

einige tage nach dem unrühmlichen ende der bekanntschaft ging es dann richtig los. ich bekam eine vermiss-sms. ich beschloss, sie unbeantwortet zu lassen. schließlich hatten wir eine abmachung. doch mein ignorieren brachte den alten mann anscheinend so richtig in fahrt. es folgten vier weitere sms. ich sei ein leichtes mädchen und eine borderlinerin, weil ich keine nähe ertragen könne. das machte mich wütend. das musst du dir nicht bieten lassen, dachte ich mir und pfefferte zurück. kann ich ja gut. der alte mann konterte. da mich die sms-konversation auf diesem niveau langweilte, schrieb ich, ich sei dafür, den kontakt an dieser stelle abzubrechen. schließlich hatte ich noch was anderes vor als mir schimpfwörter auszudenken.

wer jetzt glaubt, ich hätte endlich ruhe gehabt, irrt. einige tage später, ich traf mich gerade mit dem anderen leckeren mann, ging es weiter. laberrhabarber. der alte mann schrieb mir, wer und was ich alles schlimmes und therapierbedürftiges sei und fragte, ob es noch sinn mache, auf mich zu warten. ich fasste mir ein herz und schrieb ein klipp und klares nein zurück, dass ich nichts von ihm wolle, jetzt erst recht nicht mehr, weder eine beziehung noch irgendwas anderes.

der friede nach meiner hoffnungszerschmetternden ansage dauerte leider nur wenige tage. es ereilte mich eine einladung zu einer feier. eine gutmütige idiotin, wie ich nunmal bin, antwortete ich, das sei interessant, allerdings käme ich nur als platonische freundin mit. daraufhin zog der alte mann alle register des charms. kleine botschaften seiner angeblichen zuniegung trafen im minutentakt auf meinem handy ein. ich bereute, dass er meine telefonnummer kannte. ich bereute den tag, an dem ich ihn kennengelernt hatte. und ich bereute eintausendmal, dass ich mich auf den versuch, sex zu haben, eingelassen hatte. und ich fragte mich: was, zu teufel, ist an einem einfachen nein nicht zu verstehen?

ich habe inzwischen mein handy ausgeschaltet. ich werde meine nummer ändern und am besten auch meine adresse. und wenn ich glück habe, werde ich mich am wochenende zum objekt und seiner blondine oder seinem blonden ins bett kuscheln. nicht zuhause sein. um sich vielleicht endlich mal wieder zuhause zu fühlen. und eines tages, hoffe ich, wird dieser alptraum enden.

bis dahin halte ich sie auf dem laufenden.