Freitag, 26. Dezember 2008
charakterstudien
ich bin nur manchmal zynisch, komme jedoch viel häufiger so rüber. einige ernst gemeinte loblieder, auch metaphorische, werden mir leicht als häme ausgelegt. da fragt man dann verunsichert nach oder wendet sich beleidigt ab. andere wiederum sagen nichts, fürchten sich dann aber, mich ein zweites mal um meine meinung zu fragen.
"du bist zu streng mit deinen mitmenschen", sagte mir gestern jemand, kurz nachdem ich mich fassungslos zeigte angesichts der bevölkerung meiner heimatstadt, die es für mich immer wieder schwer vorstellbar machte, dass wir von derselben spezies abstammen: wir standen mit hässlichen, kleinen, sicht- und hörbar dummen kreaturen beim bekannten amerikanischen schnellimbiss in der schlange. weil die bedienung und die burgerbrater mit dem service aufgrund personeller unterbesetzung nicht schnell genug nachkamen, hatte die gehirnfreie meute begonnen, die angestellten auf primitivste und rassistische weise zu beschimpfen. "ich möchte denen aber trotzdem allen am liebsten in die fresse treten", jammerte ich und stampfte mit dem stiefel.

ich halte meine ansprüche an die menschheit für realistisch. soziale intelligenz sollte wenigstens in dem maße vorhanden sein, mit dem ein duldendes miteinander möglich wird. ich muss nicht jeden mögen. dazu bedarf es auch viel. ich bin kein einfacher mensch und mit dem verschenken von vertrauen ausgesprochen geizig. aber ich möchte im anbetracht (a)sozialer verhaltensweisen ungern ständig kotzen müssen. zugegeben, der auslösepunkt für meinen sozialen brechreiz liegt nicht besonders tief. in hamburg wird er seltener und anders berührt als in bayern. da sind es eher die arbeitsscheuen yuppie-ärsche, die im kaufhaus dramaturgisch beeindruckend über das ach so schlimme, stressige shoppen jaulen. soziale dummheit ist also bei reich und arm verschieden ausgeprägt, wenn auch in jedem fall vorhanden. ein guter stall bewahrt vor torheit nicht. oder wie ich es mal bei anka radakovich las: "ein kerl, der sich öffentlich an den eiern kratzt, tut dies auch in einem 3000-dollar-anzug."
es gibt tage, an denen ich an der menschheit zweifle. aber ich hasse sie nicht. ich klebe an meinem glauben an der gute (was auch immer es ist) in jedem oder beinahe jedem. das ist - von zeit zu zeit - eine verzwickte und verzweifelte situation. zynismus ist sicherlich ein ausdruck dieser verzweiflung. als lehrerin wäre ich wahrscheinlich gnadenlos gescheitert. "ich hab dir immer gesagt, dass du keine lehrerin bist", hörte ich heute.
ich versuche, meine nerven zu schonen. trotzdem werde ich morgen mit tausenden anderen in der innenstadt shoppen gehen. vielleicht finde ich ja die versöhnung in den fangarmen des konsums und der rabatte.