Dienstag, 22. April 2008
amt für irrsinn, teil III
frisches aprilgrünes gras fällt duftend in kleinen häufchen neben die sensen der mähmaschine, die autobahnabfahrt steht voller löwenzahn. die lufttemperatur ist auf pipiwarme 18 grad gestiegen und die menschen werden wieder hässlicher, weil sie weniger an haben.
trotz akuter regenwarnung fahre ich mit dem fahrrad herum, weil fahrkarten inzwischen zum luxus geworden sind. außerdem macht radfahren ein wenig glücklich, wegen der sportlichen endorphine und der mutti-hüfthöcker-verkleinernden funktion.
ich bremse bei der agentur für irrsinn in meinem heimatkaff. heute habe ich ein beratungsgespräch mit einer frau, die auf arbeitslose akademiker spezialisiert ist.
"guten tag!" forsch betrete ich auf die minute pünktlich das kleine kabuff. eine frau, sicherlich noch einmal fünf zentimeter größer als ich und mit dringend nachzufärbenden haaransatz, gibt mir die hand. dann setze ich mich und beginne, stumm die zimmerpflanzen zu mustern. die frau begreift, dass sie hier das gespräch beginnen muss.
"so, was haben sie denn so für fragen?"
ich sehe sie entgeistert an.
"in meinem schreiben steht, sie wollen sie mit mir über meine berufliche situation" - ich halte kurz inne, um zu kichern, weil es ja gar keine berufliche situation gibt - "weil sie sich mit mir unterhalten wollen. steht in diesem schreiben." ich halte ihr das anschreiben von der agentur für arbeit vor die nase.
"ja, so, dann sehen wir mal nach." sie hackt meine kundennummer in den pc und wartet. dann sind meine daten offenbar geladen und sie wendet sich wieder mir zu:
"sie haben also an der fh studiert."
"falsch."
"aber hier steht..."
"das ist falsch. ich habe an der uni studiert."
"achja. hier steht es ja: sie haben grundschullehramt studiert."
"auch falsch. ich habe gymnasiallehramt studiert."
"ach so."
"das steht aber alles in meinen unterlagen."
"ich habe keine unterlagen von ihnen erhalten."
"ich habe mein arbeitspaket aber letzte woche zum vorgegebenen termin eingereicht."
sie wühlt in ihrem schreibtisch.
"ach, da ist es ja."
"und wer lesen und abschreiben kann, erkennt darin auch ganz deutlich, was und wo ich studiert habe."
"okay..." sie schaut verwirrt drein und beginnt so hektisch wie halbherzig zu blättern.
"dann ändern wir das also."
"ich bitte darum." leicht verärgert lehne ich mich in meinem stuhl zurück. das klingt ja schon wieder alles fabelhaft.
"sie haben keinen abschluss?"
"wiebitte?" jetzt bin ich erschrocken.
"sie haben ihr studium nicht abgeschlossen, oder?"
"ich habe ihnen doch meine zeugnisse alle beigelegt. da sind ist ein bescheid dabei, in dem steht, dass ich das erste staatsexamen bestanden habe. sehen sie doch bitte nach!"
wieder wühlt sie, hält dann den falschen zettel in der hand, nickt aber.
"dann müssen wir das auch ändern, in ihrem kundenprofil steht nämlich: studium ohne abschluss."
"na, ganz prima!"
sie beginnt, die falschangaben auszubessern. fast jedes feld, vom adresseintrag abgesehen, trägt irgendwelche fehler. dann ist sie fertig.
"sie wollen also nicht grundschul-, äh, gymnasiallehrerin werden."
"richtig."
"warum nicht, wenn ich fragen darf?"
"ich mag keine kinder. es ist mir gleich, ob eines von ihnen abitur macht oder nicht. ich stehe vor der klasse und langweile mich tödlich, weil ich nichts von dem, was ich kann oder was mich interessiert, niveauvoll anbringen kann."
"aha. und was wollen sie stattdessen werden?"
"wie unschwer aus meinen angaben zu erkennen ist: ich will in die pr-branche beziehungsweise in die redaktion."
"äh, ja. und haben sie irgendwelche fragen?"
"ja. wie kommen sie darauf, dass praktika grundsätzlich nicht sozialversicherungspflichtig sind und damit bewerbungskosten nicht erstattet werden?"
"äh, ähm... warum?"
"weil das hier so steht. in der realität sieht das aber ganz anders aus. und ich möchte wissen, ob die klausel mit dem faktum der sozialversicherungspflicht hinfällig wird oder ob ich das praktikum anders deklarieren muss, um meine bewerbungskosten erstattet zu bekommen."
"äh, ähm..." große wühlaktion im schreibtisch. nach mehreren minuten taucht die beraterin wieder auf und rückt ihre brille zurecht.
"sicherheitshalber würde ich dann nicht von prakitkum sprechen. sie haben dann bessere chancen, überhaupt etwas erstattet zu bekommen."
"ja, wie, kriege ich denn jetzt doch was nicht erstattet?"
"das liegt beim gutachter und was der ihnen beimisst."
"und an welchen kriterien bemisst der gutachter genau was?"
"das kann ich ihnen jetzt auch nicht so genau sagen."
"sehen sie, das ist der satz, den ich bisher am häufigsten auf dem arbeitsamt gehört habe."
sie lacht nervös. dann wühlt sie wieder und taucht diesmal mit einem weißen blatt wieder auf.
"hier stehen internetadressen drauf, wo sich akademiker bewerben können."
ich lese biochemie, maschinenbau und vieles andere, aber nichts, was mir weiterhelfen würde.
"da ist nichts für mich dabei."
"achja. naja, aber ich kenne da eine seite im internet..." sie tippt und schaut und tippt und wartet.
"da, sehen sie, das ist ein portal für stellenanzeigen im medienbereich... also jetzt eher regional."
"sie wissen schon, dass ich ab juni in hamburg wohne?"
"äh, ja, dann... da kann unter umständen auch schon was dabei sein, wenn das unternehmen vielleicht auch in hamburg eine niederlassung hat."
"ich sehe hier kein einziges angebot aus hamburg."
"ähm, ja stimmt." sie kichert nervös.
langsam bekomme ich das gefühl, bei einem casting für grundschullehrerinnen zu sein. wir behandeln gerade das thema 'einfach erklären mit vielen wiederholungen für intellektuell schwache schüler'.
ich sage: "ich habe bisher die meisten stellenanzeigen auf brancheninternen websites gefunden." ich nennen zwei, drei meiner meistbesuchten jobbörsen.
"ähm, ja, dann brauche ich ihnen ja hier nichts zu erzählen, was sie ohnehin schon wissen."
"genau."
und bevor sie zum nächsten stoiberschen "ähm" ansetzen kann, stehe ich schon, habe meine tasche über meine schulter geworfen und sage ironisch-artig: "vielen dank, sie haben mir sehr weitergeholfen."
"ja, äh, dann auf wiedersehen."