Dienstag, 29. Januar 2008
kindheit reloaded
seitdem meine mutter arbeitslos ist, klingelt das telefon häufiger bei mir. sie beginnt das zu tun, was alte leute machen, die zuviel zeit haben: sich einmischen.
nach den vorwurfsvollen feststellungen über mein examen, ich sei einfach nur schlecht, kommen neuerdings ganz tolle ratschläge für mein weiteres leben aus ihrem mund. manchmal, wenn ich von der arbeit komme, blinken mehrere nachrichten auf meinem anrufbeantworter, die mir erzählen, was ich alles besser machen kann. dazu, wie das alles besser gehen soll, gibt es die kuriosesten lösungsvorschläge, weil sie keine ahnung von meinem leben hat. sie sieht dort probleme, wo keine sind, schafft es aber, mich eine halbe am telefon darüber rechtfertigen zu lassen.
mir fehlt im augenblick der humor, um es nur komisch zu finden. 'sie meint es nur gut', suggeriere ich mir, kann aber nicht aufhören, mich verzweifelt verärgert zu fühlen. ich erinnere mich an mein diktat, damals in der dritten klasse, ich hatte als einzige eine eins minus, ein halber fehler wegen eines fehlenden kommas, und zeigte stolz wie bolle mein heft. meine mutter schlug die hand vor den mund, "warum in aller welt hast du denn da kein komma gesetzt?" später saß ich in meinem zimmer und schrieb den satz zehnmal in mein privates übungsheft, mit komma. 'hoffentlich weint sie nicht wieder in der küche', dachte ich damals, und: 'ich bin ein schlechtes kind.'

mein vater zählt nur mit, wieviele tassen kaffee ich trinke, um mich darauf hinzuweisen, dass das ungesund sei, oder er erklärt mir, ich würde nur kommen, um den kühlschrank zu plünden, wenn ich eine scheibe käse zu mir nehme. er verdächtigt mich, seine socken zu klauen und beim duschen zuviel wasser zu verbrauchen. er hält mich für eine schmarotzerin, der man nicht immer trauen darf, aber nicht für eine versagerin. er verzeiht mir sowas wie vergessene kommas in diktaten, "naja, nicht so schlimm", sogar meine erste mathe-vier war kein grund für ihn, an meinem verstand zu zweifeln. nachhilfe sollte ich nehmen, aber gleich auf die realschule zu wechseln wie meine mutter es für mich vorsah, das war in seinen augen noch nicht notwendig.

wie damals als achtjährige fühle ich wieder, wie ich mich anwidere, wie ich beginne mir einzureden, ich sei nichts wert, sei egoistisch und könne niemanden glücklich machen. nachts träume ich, wie ich meine mutter brutal erwürge, zerstückle, von hochhäusern stoße, sie zu brei schlage. alles sträubt sich beim aufwachen.
krieg ist in mir, während ich meinen körper unbeteiligt durch die wirklichkeit schiebe.
aber ich will leben. und ich will endlich jemand sein.