Mittwoch, 23. Januar 2008
das kultusministerium verklagen
sie ist eine große, etwas dicke frau, immer adrett, todlangweiliger stil, nichtssagende stimme. aber sie ist brilliant, all die jahre gewesen. in seminaren, die ich immer im tiefschlaf verbrachte, blühte sie auf, hielt freiwillig referate. im examen hat sie gleich nach den schriftlichen prüfungen an die vorbereitung für die mündlichen gemacht, während ich mir erst einmal drei wochen abstand und vermehrten sex gegönnt habe. nun sitzt sie wieder vor den büchern und wiederholt die prüfungen, weil sie noch schlechter abgeschnitten hat als ich, denn ich, die ich dachte, versagt zu haben, bin erstaunlicherweise die zweitbeste unserer kleinen examensgruppe.
glück haben, das ist alles. ein zentralistisches bayerisches staatsexamen besteht man nur, wenn das schicksal zu einem hält und die richtigen fragen kommen, denn man kann nur auf lücke lernen. wo magister und diplomanten ihre einser-schnitte haben, sind wir froh, wenn gerade noch eine zwei vor dem komma steht. wir erlangen auch keinen titel - also volle arschlochkarte für diejenigen, die sich nicht vom staat an schulen ausbeuten gehen lassen, sondern in die wirtschaft wollen.

in deutsch in ndl sind wir übrigens fast alle mit fünfen abgespeist worden. unter meiner interpretation steht "das ist keine interpretation". ein wildgewordener ich-hab-keinen-bock-zu-korrigieren-prof hat da seine wut ausgelassen. die korrekturen und anmerkungen am rand sind nahezu unleserlich und verschmiert, einmal vermutete ich rotweinflecken auf dem papier. mehrfach der vorwurf, ich bleibe nicht am text. selber stellt er nachfragen nach stichpunkten, die gar nicht erst im text auftauchen und thematisch nicht von relevanz sind. kennt er das gedicht, fragte ich mich, hat er überhaupt meine aufgabe vor augen? zwischen den zeilen verhöhnt er mich grob mit ironischen zwischenfragen, die nicht den funken witzig sind, verliert völlig den letzten respekt, den man als korrekteur vielleicht auch vor einer weniger gelungenen arbeit behalten sollte. wir sind doch menschen, müssen wir uns so behandeln lassen?
am interessantesten wird es auf seite sechs, als ich die klassische interpretation von mir gebe, teilweise in wortlaut. dort unterstreicht er wild mehrfach die worte, die die klassikerinterpretation verwendet und macht spöttische anmerkungen. dürfen wir uns jetzt nicht einmal mehr an die lehrbücher halten, nur weil unser korrekteur die offensichtlich nicht kennt?
der zweitkorrekteur hat in zwei sätzen höflich, klar und deutlich ausgedrückt, warum er meine arbeit nicht gut findet. das unterschreibe ich ihm sofort, weil die genannten punkte bei mir tatsächlich schwach sind. ein verrisssüchtiges, inkompetentes arschloch mit rotstift werde ich dagegen nicht akzeptieren, habe ich mir geschworen.
"bringt doch eh nix", sagt meine bekannte, die auch eine fünf hat, niedergeschlagen.
"mir egal", sage ich, "meinen mund verbieten lasse ich mir nicht. auch wenn sich an der note nichts ändert, so ein korrekteur sollte von diesen aufgaben suspendiert werden."
sie meint: "du bist ganz schön sauer."
"na und ob. ich koche. ich explodiere gleich wie rumpelstilzchen. am liebsten würde ich ja gleich das ganze prozedere an den pranger bringen. alle belächeln uns mitleidig wegen unserer notendurchschnitte, dabei haben wir hundertmal mehr getan. das ganze system ist eine einzige riesige verarschung, und obendrein noch völlig ineffizient, wie die pisastudien beweisen."
"du solltst in die politik gehen", sagt sie und kann schon wieder ein bisschen lachen, "ich würde dich wählen, da sei dir mal sicher."