Sonntag, 11. September 2011
9/11: vom abkapseln und andocken
"ich gehe dir aus dem weg, weil ich mich dir nicht erklären kann und will."
das objekt starrt auf die zigarette, die es sich gerade dreht.
der tabak sträubt sich gegen das papier und will sich nicht einrollen lassen. das objekt rutscht unbehaglich auf dem sofa hin und her und erwartet gespannt meine reaktion.
ich sage nichts. ich finde das frech.
"ich finde das frech", sage ich dann doch geradeheraus.
das objekt starrt in den raum.
"es ist mir klar, dass das unmut provozieren muss."
solche sätze kenne ich nicht aus dem objektmund.

als die zigarette brennt, wendet sich das objekt mir plötzlich doch zu und schaut mir ins gesicht.
"weißt du, ich sauf gerade mit mir selbst total ab. und es ist mir egal. es ist mal wieder so eine phase, die sich anfühlt wie eine metamorphose." dann lacht es hart. "aber ohne wirklich eine metamorphose zu sein. kennst du das, wenn du meinst, dich zu häuten, und hinterher ist alles genauso beschissen wie vorher? ich habe gerade so ein eindruck, ich muss das alles sein lassen: die unehrlichkeit. die exzesse. die unvernunft. aber ich weiß, wenn die phase vorbei ist, stehe ich wieder da und denke: okay, wo haben wir aufgehört?! und gebe wieder vollgas."
das objekt pfafft ein paar züge und die hand, die die zigarette hält, zittert.
"es kommt nichts von mir, von innen. ich warte auf etwas, das von außen kommt."
"das kannst du nicht erwarten", erwiderte ich. "was soll denn da bitte kommen?! alles, was passieren kann, musst du selber bewirken. zumindest indirekt, den ein oder anderen netten zufall gibt es dann schon, so alle fünf jahre."
"ich weiß."
"du hast dich ja auch von ALLEN leuten distanziert, die dich mögen oder mochten", werfe ich ihm vor.
"du weißt, dass ich dich enorm schätze, aber so die anderen... ich habe dieses kindische getue satt. die objektgespielin, die objektexfreundin, die drittefreundin... die gehen mir alle so auf die nerven. stell mir eine abschussrampe auf, ich schieße die alle zum mond."
"das ist respektlos", finde ich.
"ich weiß. ich sage ja auch nicht, dass ich die nicht mag, es sind liebe menschen, aber sie gehen mir total auf den geist. es ist ein gefühl, gegen das ich machtlos bin."
das objekt schaut ernst, lächelt dann aber zaghaft entschuldigend.
"aber genug. erzähl doch lieber von dir. wie geht es dir denn so?"
ich zucke die achseln.
"die frage kommt jetzt ein bisschen spät."
"ach komm. was macht der rücken? was macht der job? was macht die männerwelt?"
"ganz okay soweit", gebe ich die kurzzusammenfassung.
"und warum bist du heute abend hier? ich meine, du warst doch vorher woanders und bist so spät noch hierher gekommen?"
ich überlege, ob ich lügen soll, aber ich entscheide mich dann für die wahrheit.
"ich wollte mit dir reden."
"alles, nur keine gespräche, bitte", schießt das objekt unwirsch hervor.
ich muss widerwillig lachen.
"aber wir reden doch schon."
"stimmt."
"und, ist es so schlimm? ist es so schlimm, jetzt neben mir zu sitzen? nicht die sichere distanz zu haben?"
da rutscht das objekt ganz nahe an mich heran und lächelte mit einem male ganz entspannt.
"nein. gar nicht. du beraubst mich sämtlicher argumente."
"es war mir schon klar, dass ich wieder den ersten schritt machen muss. du kriegst ja den arsch nie hoch. von dir kann man echt nichts erwarten."
jetzt wird es gleich aufstehen und weggehen, denke ich, aber das objekt bleibt, hält die nähe und schweigt einfach nur.

später dann schmeißt k. eine runde tequila und lädt mich und das objekt ein. als k. auf toilette geht, starrt das objekt glasigen blickes auf mein dekolleté und fragt leicht lallend:
"sag mal, sind deine brüste gewachsen?"
"nein, das ist ein push-up."
"bei dir kann man nichts mehr pushen. das sind die schönsten sekundären geschlechtsmerkmale, die ich je gesehen habe."
"und ich habe schon viele gesehen, hättest du jetzt noch sagen müssen!" lache ich. "dann wäre das kompliment perfekt gewesen."
"och mensch", nuschelt das objekt und legt den kopf auf den tresen.
k. kommt zurück. ich unterhalte mich mit k. währenddessen fixiert mich das objekt ununterbrochen und grinst anzüglich. verschleierten blickes lässt es mich an seinem kopfkino teilhaben. ich finde das dreist im anbetracht unserer situation, bin aber ebenfalls angefixt. ich schiebe es auf den ojektentzug und den allgemeinen sexentzug in der letzten zeit. bloß nicht weichkochen lassen, denke ich mir. sag nein, falls es dich fragt, ob du mitkommst.

am ende des abends nimmt mir die objektgespielin die entscheidung ab. sie macht dem objekt eine szene, wie ich der körpersprache von weitem entnehmen kann. das objekt rudert mit den armen und zuckt mehrfach mit den schultern. dann holt es mürrisch seine jacke und verschwindet mit der objektgespielin, ohne sich von irgendjemandem zu verabschieden.

ich gehe wenig später. draußen blitzt und donnert es. an der ersten abzweigung beginnt es in strömen zu regnen. das wetter passt zur stimmung. ich bin geladen. 9/11 eben. die objektmetamorphose gefällt mir nicht. es mutiert immer stärker in richtung arschloch. trotzdem wirken die pheromone. ich beschließe, nicht auf den bus zu warten, sondern durch den regen zu laufen, bis ich ruhiger werde. vor einem club an der stresemannstraße steht ein junger typ und starrt mich drogenschwangeren blickes an. er ist sehr süß und schmeckt auch so, als wir uns zwischen zwei blitzen küssen. aber er ist es nicht und ich möchte keine zeit verschwenden. in meinem alter zieht man den nachtschlaf dem potenziell enttäuschenden beischlaf vor.


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