Sonntag, 8. Mai 2011
jojo-effekte
gestern mit dem architekten im club verabredet gewesen. wir trafen uns an der bar. er begrüßte mich sehr herzlich, dann orderte ich uns ein bier.
ich fragte nach meinen schwiegereltern in spe. der architekt war nämlich bei mama ud papa gewesen, hatte sich dort ein festliches mittagessen gegönnt und ein wenig familienleben genossen.
"die sind so nett, die freuen sich immer so, wenn ich mal da bin, dass sie sich ganz große mühe mit allem geben."
"das kenne ich von meinen", erwiderte ich. "die sind auch immer ganz süß und alle meine marotten werden beinahe kommentarlos toleriert."

leider war der architekt an diesem abend völlig übermüdet. er sprach irgendwann kaum mehr ein wort. wenn autisten müde oder gestresst sind, erfuhr ich, werden soziale herausforderungen wie ganz normale gespräche zur extrembelastung. ich sagte, hey, dann lass uns zusammen schweigen. der architekt fand das ganz bezaubernd.
"normalerweise muss ich mich in solchen situationen immer endlos erklären, das nervt mich total."
"ich bin da ganz easy. außerdem heiraten wir bald, da kann ich doch nicht schon jetzt zicken machen."
der architekt schmunzelte und sah mich herzzerfetzend freundlich an.

das objekt hatte ich gar nicht bemerkt. ich registrierte es erst, als ich mich, einen aschenbecher suchend, auf dem barhocker umdrehte. es war offenbar die ganze zeit schon dagesessen und hatte mir in den rücken gestarrt.
ich erschrak mich richtiggehend. das lag jedoch nicht nur am überraschungsmoment, sondern auch daran, wie das objekt aussah: dünn, tiefe dunkle augenringe im blassen gesicht, wirres haar, nachlässig zu einem pferdeschwanz gebunden, sehr ernst, geradezu traurig der gesichtsausdruck.
ich stammelte "hi", dann drehte ich mich schnell wieder um und war sehr froh, dass ich nicht alleine da saß. solange der architekt um mich herum war, würde das objekt auch nichts zu mir sagen, da war ich sicher. schließlich brauchte ich jetzt erstmal bedenkzeit.

dummerweise wollte der architekt aber schon gleich gehen:
"ich bin ja mit dem auto da, ich fahr nicht so gerne, wenn ich so extrem müde bin."
ich hatte ein einsehen und brachte den architekten zum ausgang.
dann überlegte ich, ob ich zurück in den barraum gehen sollte. aber ich musste, weil mein bier noch da stand und ich vermeiden wollte, dass die manchmal etwas übereifrige crew das gleich wegräumte.

als ich mein bier holte, stand das objekt zusammen mit k. da. ich bekam sofort einen doppelten adrenalinstoß. von der verkrachten objektsituation mal abgesehen war es ja nun auch schon wieder todspannend, wie k. reagieren würde.
ich schnappte mir meine flasche und lehnte mich lässig an eine wand, wo ich die beiden gut im blick hatte. während k. redete, nickte das objekt zerstreut und schaute immer wieder zu mir herüber. schließlich löste es sich aus sich der gesprächssituation und kam tatsächlich auf mich zu.
dann standen wir voreinander, ich defensiv, die arme vor der brust verschränkt, das objekt unsicher und verhalten, bis es dann den schritt auf mich zumachte, mich in den arm nahm und meinen namen in mein ohr sagte.

ich konnte die umarmung nicht erwidern, dazu war zu viel in mir passiert. das objekt merkte das sofort und ließ mich los.
dann sagte es:
"ich hab die botschaft schon richtig verstanden."
"und?"
in der erwartung erneuter distanz und entgültiger vernichtung zog ich den kopf ein.
doch dann sagte das objekt:
"lass uns nächste woche treffen."
ich blinzelte misstrauisch.
"ich ruf dich auch an, wirklich", schob das objekt nach.
"soso", sagte ich ungläubig, wenn auch positiv überrascht, dass es überhaupt noch eine objektseitige bereitschaft gab, den kontakt zu reanimieren.

dann tauchte k. hinter dem objekt auf und schielte ihm über die schulter. unsere blicke trafen sich und - jetzt halten sie sich fest - k. kann lächeln! und zwar so richtig, also nicht nur so ein zucken der mundwinkel!
das objekt schnallte sofort, was los war, grinste amüsiert zwischen k. und mir hin und her und verdrückte sich. k. stand noch zwei millisekunden bei mir, dann dackelte er dem objekt hinterher. naja. man kann nicht alles haben. klar.

nach einigen minuten entschloss ich mich, ebenfalls mal den raum zu wechseln und tanzen zu gehen. neben der tanzfläche standen k. und das objekt. sie guckten zu mir und unterhielten sich ganz offensichtlich über mich. dann bewegte sich k. wieder in meiner nähe und mein adrenalinspiegel stieg von neuem an. verschrobene menschen sind aber auch einfach zu spannend!

k. begann, hinter mir zu tanzen. das ging zwei, drei lieder gut, bis ich mich dann mutig umdrehte. k. guckte ertappt und erschrocken und trippelte vondannen.
mist. da war ich mal wieder zu schnell gewesen, obwohl langsamer in meinen augen schon gar nicht mehr ging.

als ich mich umsah, bemerkte ich, dass sich das objekt noch immer auf seinem beobachtungsposten befand. dann kam es auf mich zu, grinste kopfschüttelnd und umarmte mich. "fast", sagte es in mein ohr.
das objekt als kuppler, das hätte ich mir ja auch nie träumen lassen. irgendwie verdammt niedlich. als ich die umarmung erwiderte, wanderte die objekthand unter meinen rock, und da ich aufgrund der wärme keine strumpfhosen trug, noch ein stück weiter. leider wusste das objekt immer noch sehr gut, wie es mich mit einem einzigen griff zum hyperventilieren brachte.
nach einem kleinen, aber heftigen kampf gegen sehnsucht und verlangen wand ich mich aus der umklammerung und brachte wieder respektvollen abstand zwischen uns. schließlich befanden wir uns mitten in der öffentlichkeit. außerdem war die aktuelle objektgespielin im anmarsch und es roch nach ärger, der sich dann kurz darauf gewitterartig über dem objekt entlud. das arme mädchen.

k. und ich umschlichen uns im laufe der nacht noch mehrmals und das lächeln funktionierte immer besser. vielleicht schaffen wir es dann nächste woche doch mal zu einem hallo.
bis dahin warten noch schwierige herausforderugen auf mich, wie beispielsweise meine ungeduld zu zügeln, während ich auf den objektanruf wartete, und dann nicht umzukippen, falls das objekt tatsächlich vorbeikam und mir die hand ins höschen zu stecken versuchte.

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