Sonntag, 13. März 2011
rivalen im revier
meine angst vor dem alles-fängt-wieder-von-vorne an wurde am gestrigen tag und abend als absolut realistisch bestätigt. ich hatte dem objekt noch eine sms geschrieben, die unbeantwortet blieb, wie so oft, wenn es stofflich ausgeknockt war. später ging ich dann noch in den club, wo wir einander über den weg liefen. offenbar hatte sich das objekt wieder berappelt und in einen ausgehfähigen zustand versetzt.

auf den ersten blick wirkte alles ganz normal. das objekt hatte eine flasche cola in der hand und lehnte lässig mit der schulter an einem pfeiler, was unglaublich sexy wirkte. dann sah es mich und lächelte, umarmte mich kurz, legte mir die hand auf die wange und meinte dann:
"komm doch mal mit, ich hab was für dich."
die glasigen augen verhießen nichts gutes.
im hinterzimmer zog das objekt einen fetten joint aus der tasche, zündete ihn an und gab ihn dann an mich weiter. schon nach dem ersten zug begann sich der raum zu deformieren und ich klammerte mich an den objektarm.
"oha."
"geil, hm?"
dann kam jemand vom personal auf uns zu und bedeutete uns, entweder zu verschwinden oder den joint wegzupacken.
"komm", sagte das objekt wieder und zerrte mich richtung klo. ungeachtet schräger blicke enterte es mit mir die damentoilette. in der hintersten kabine ließ es sich auf dem klodeckel nieder und machte da weiter, wo wir hatten aufhören müssen.
"warum sind wir nicht einfach raus gegangen?" fragte ich brav und blöde.
"ich lass mich doch nicht von so nem wichser vertreiben."
war das objekt dicht, entwickelte es hin und wieder im gegensatz zu seinem sonst sanftem charakter renitente und rebellische züge.
ich lehnte indes an der klotür und hatte das gefühl, mit ihr zu verschmelzen. dann hob das objekt den blick. wir sahen einander an, zwei dumme, derselbe gedanke, ich musste lachen und das objekt sagte:
"das ist unfair, glaubst du etwa, ich krieg in dem zustand noch einen hoch?!"
ich wartete noch ein weilchen und beschloss dann:
"ich geh mal besser wieder rein."
nach vier oder fünf zügen war mir ganz schwummrig geworden und ich fragte mich, ob das wirklich nur gras war. ich würde es ohnehin nicht erfahren, da war ich mir sicher, denn das objekt vertraute seinem dealer mehr als dem eigenen verstand und wenn der dealer sagte, is geil, das knallt, war das objekt sofort dabei.

an der bar holte ich mir einen saft und setzte mich dann auf die couch. zwei minuten später plumpste jemand neben mich. es war der architekt, ein äußerst angenehmer zeitgenosse, mit dem ich mich trotz dessen autismus sehr gut verstand.
das spannende ist, dass der architekt und das objekt sich spinnefeind sind. der architekt hatte dem objekt nämlich einst vor vielen jahren die kindsmutter ausgespannt und es auch noch geschafft, ein gutes verhältnis zum objektsohnemann aufzubauen. immer, wenn der architekt gerade da war und ich dem objekt eins auswischen wollte, unterhielt ich mich demonstrativ stundenlang mit dem feind. während dem objekt sonst vollkommen gleich war, mit wem ich knutschte oder dann auch später nach hause ging, reagierte es hier schon allein angesichts einer unterhaltung ausgesprochen empfindlich und ließ sich sogar zu bösen sprüchen hinreißen.

der architekt, der je nach müdigkeitsgrad große ähnlichkeit mit nick cave in dessen schlimmsten fixerjahren hat, sah heute zur abwechslung mal etwas erholter aus. ich fragte nach dem grund und erfuhr, dass der architekt jetzt auch endlich mal an sich dachte und in eigener sache kreativ wurde.
"ich hab mir ein grundstück angeschaut, das ich bebauen will."
430 qm grund und das häuschen, das darauf stehen sollte, hatte der architekt schon fest vor augen. er sprach mit begeisterung und als ich sagte, hey, klingt gut, war der architekt sehr überrascht.
"du wirkst eigentlich nicht wie jemand, der auf immobilien steht."
"ich wollte schon immer mal eigentum", erwiderte ich. "der punkt ist nur, ich hab nicht eben mal so 100 riesen auf der seite."
"naja, das wär dann auch mein part, oder?"
ich lauschte angestrengt. war das etwa ein angebot?
tatsächlich hatte sich der architekt gedanken gemacht, wie er sein zukünftiges leben verbringen wollte. und zwar mit frau, später vielleicht auch mal mit kindern, falls alles gut lief.
ich blickte den architekten von oben nach unten und von unten nach oben an und befand ihn als spontan alltagstauglich.
"dann müssten wir ja eigentlich auch heiraten, oder?" fragte der architekt.
ich kicherte dumm, wurde mir dann aber bewusst, dass die frage gar nicht mal unernst gemeint war. autistische menschen machen ja eher selten witze.
"war das jetzt zu offen?" fragte der architekt nach.
ich schüttelte den kopf und schluckte und versuchte vergeblich, die gedanken zu ordnen.
"naja, solange du nicht von mir erwartest, dass ich samstags im garten knie und möhrchen anpflanze..." witzelte ich.
"quatsch", meinte der architekt. "auf sowas hab ich auch keinen bock. wozu gibts denn gärtner?!"

im stadium emotionaler überforderung und immer noch etwas schwebend vom mörderstoff, den ich inhaliert hatte, bemerkte ich, wie sich das objekt mit einem freund gegenüber platzierte. es registrierte sofort, dass ich mich in vertraulicher unterhaltung mit dem architekten befand. es fixierte mich und grinste. dann flüsterte es mit seinem freund. der freund, den ich nicht leiden konnte und der mich ebenso scheiße fand, begann offensichtlich über den architekten und mich zu lästern.
anstatt dem ersten impuls zu folgen, aufzustehen und den raum zu verlassen, setzte ich eins drauf. ich rückte näher an den architekten heran, bis dieser mit deutlicher verlegenheit reagierte, allerdings nichts gegen mein näherkommen unternahm. da sieh du nur zu, dachte ich und lächelte das objekt frech an.

"lass uns doch einfach rausfahren", sagte der architekt dann.
"wiebitte?!"
"lass uns rausfahren, dann zeig ich dir alles."
"jetzt?!"
"ja klar."
"aber es ist dunkel!!" rief ich entsetzt.
"naja, das stimmt."
ich überlegte verzweifelt.
"lass uns das doch lieber morgen machen."
"das ist auch eine idee", fand der architekt. aber der architekt wirkte inzwischen, als hätte er auch prima gefunden, wenn ich vorgeschlagen hätte, mal eben brandbomben auf den bundestag zu werfen.

in diesem moment stürmte das objekt im mantel an uns vorbei.
"warte mal kurz", sagte ich zum architekten.
ich lief dem objekt nach draußen nach:
"sagst du mir jetzt nicht mal mehr tschüß?!"
"kannst du mir mal erklären, was du von diesem total versoffenen arschloch willst?!"
"aber das muss dich doch nicht interessieren."
das objekt sah mich an, irgendwo zwischen schmerz und hass und liebe, drehte sich dann um und ging.
auweiha. da hatte ich ja was angerichtet.

als ich mich umdrehte, um wieder nach drinnen zu gehen, stand der architekt hinter mir.
"soll ich dich nach hause bringen?"
das muss mann mir nicht zweimal anbieten. ich krabbelte auf den beifahrersitz des mercedes-oldtimers und lehnte mich entspannt zurück.
auf der fahrt erzählten wir einander anekdötchen aus unserer kindheit und warum wir so schräg wurden, wie wir nun offenbar eben sind.

am ziel angelangt nahm mich der architekt sehr lange sehr fest in die arme. ich überlegte, ob dies der zeitpunkt für einen kuss sei. ich entschied mich jedoch dagegen.
"ich hoffe, ich war heute abend nicht zu emotional", sagte der architekt.
"quatsch", erwiderte ich. "ich mag männer, die gefühle zeigen können, anstatt immer nur den macker zu markieren."
"da bin ich aber froh", sagte der architekt und sah mich liebevoll an. ich schaute zurück und spürte die tendenz, in die die ganze geschichte nun vermutlich münden würde.
"tschüß", sagte ich da und öffnete die tür. "und danke fürs bringen."

während der architekt schwungvoll die karre wendete, stöckelte ich auf meinen hohen absätzen die letzten meter bis zur haustür. ich war verwirrt. maximal verwirrt. ich stand zwischen den feindlichen linien und wusste, ich würde mich entscheiden müssen.

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