Mittwoch, 2. Januar 2008
worte for the masses
ich bin kein typ für die massen. das ist eine art lebenseinstellung. so etwas merkt man spätestens silvesters, wenn man auf der feiermeile vor dem brandenburger tor abgeschossen und totgetrampelt wird und das nicht so klasse findet wie der rest, der begeistert die eigenen hände mit den böllern darin explodieren lässt oder raketen in die menge wirft anstatt sie himmelwärts abzufeuern.
aber auch sonst ist es kaum anders. lange habe ich mit mir gerungen, obligatorische weihnachts- und neujahrsgrüße, angereichert mit putzigen ornamenten in dieses blog zu schreiben und damit die üblichen 99 kommentare einzuheischen. ich habe es unterlassen, weil es mich an einem bestimmten punkt anwidert, mir falsch vorkommt, spätestens dort, wo ich einigen menschen eigentlich pest und cholera an den hals wünsche. vielleicht ist das unhöflich, aber nicht so unhöflich wie menschen, die mich bei segafredo mit meinem tablett voller kaffeebecher einkeilen und trotz mehrerer anfragen nicht durchlassen. von wegen, die jugend von heute habe keine manieren mehr - die alten sind genauso schlimm. aber rentner verprügeln ist ja neuerdings mainstream, also hab ich mich da bei segafredo zusammengerissen und mich zwischen den alten knackern lediglich laut schimpfend durchgedrängelt.

dennoch, ein paar sätze zum januar-feeling: das leben aufzuräumen, habe ich mir noch einmal frisch vorgenommen, und mit einigen leuten abzurechnen, auch finanziell. zähne fletschen und kläffen und vor dem zubeißen nicht zurückzuscheuen. und abends, kampfmüde, bei meinem mann mich einrollen und an wenig an ihm knabbern. dazu braucht es keinen reißerischen jargon, keine hermetische kryptik, kein kleinbloggersdorf. diese momente sind perfekter als andere, was nicht heißt, dass ich die weniger perfekten missen möchte, weil negativer stress für deutlich mehr adrenalin sorgt.
ach nein, und leben in berlin möchte ich nicht wirklich mehr. damals, vor sechs jahren bin ich als backpacker-maus durch die viertel gezogen und habe herauszufinden versucht, ob ich dort irgendwo leben und studieren möchte. ich habe es nicht getan, gottseidank. auch sechs jahre später bedeutet berlin für mich immer noch zerrissenheit, die größtmögliche in deutschland, vielleicht in europa. hinzu kamen in den letzten ein zwei jahren zahlreiche eindrücke einer grundsätzlichen perspektivlosigkeit, diejenige einer stadt, die vielleicht sterben wird, wenn sich nicht sehr bald sehr viel ändert. und damit meine ich nicht die baustellen in mitte oder die abrisshäuser am ostrand. asozial sein hat heutzutage nichts mehr mit besitz zu tun, hässliche häuser sind in der regel noch das schönste.
die neue religion ist überdeutlich sichtbar geworden, auch und nicht nur in der hauptstadt. kaufen, kaufen, pulsiert in den augen abgehärmter gesichter. jedem das sein, den armen das billige, den reichen das hochwertige. in der quantität unterscheidet es sich nicht. es wird gerafft und an sich gerissen, weil man ohne all den schrott plötzlich so wenig, so eigentlich gar niemand ist, noch nicht einmal sein eigener gott. nietzsche ist toter als gott. der gott von heutzutage hat 21 zoll und glare screen, einen superhammergeilen klingelton und spricht aus microkleinen boxen mit einer megalauten stimme. vor lauter euphorie merkt kaum einer mehr, wenn ihm das trommelfell platzt. vor diesem gott werde ich nicht die knie gehen, beschwöre ich mich, heute nicht und auch in ein paar jahren nicht, überhaupt nie.
distanz üben, auch nach unten, wo die elenden sitzen. so bekam ich heute einen anruf, den ich zunächst nicht zuordnen konnte, bei dem es sich jedoch nach einigen sekunden und rückfragen herausstellte, dass es ein alter bekannter von mir ist, den ich vor jahren schon abgeschüttelt haben wollte. das gespräch verlief dann in etwa so:
er: "ich rufe dich an, weil... ich mache mir gerade ziemlich sorgen."
ich: "soso. warum denn?"
er: "ich wollte mit c. sprechen, aber sie ist irgendwie nicht erreichbar."
ich: "das ist bei c. nichts besonderes, sie taucht mal ab und mal wieder auf. das hat nicht unbedingt was damit zu tun, dass es ihr schlecht geht."
er: "ich weiß. ich weiß alles! ich weiß, dass es ihr auch mal schlecht geht. aber ich finde das ungewöhnlich, sie hat versprochen, mich zurückzurufen, weil es mir gerade nicht so gut geht."
diesem meinen bekannten geht es grundsätzlich nie gut, er hat immer ein problem und heißt in meinen kreisen seit bruno-zeiten deshalb nur problem-m. mitleid als freundschaft funktioniert bei mir aber nicht.
ich, wohl wissend, dass er nur ein och-wie-gehts-dir-denn-du-armer hören will: "sie wird schon ihre gründe haben." (und du bist der erste und vielleicht einzigste. wink mit dem betonpfeiler.)
er: "hm."
ich: "na ich kann dir da doch jetzt nichts raten. keine ahnung, wie eng eure freundschaft ist..."
er: "naja, schon sehr vertraut." (ha, wunschdenken.)
ich: "ich muss auch gleich wieder schluss machen, ich bin gerade auf arbeit."
er: "okay. hm. sag mal, ich ruf dich dann mal an, heute abend, okay?"
ich, gedanklich tausend tode sterbend, erinnere mich mit gänsehaut an von problem-m-gesprächen gefüllten wochen, nach denen man einfach nur noch brüllen möchte: BITTE RUF MICH NIE WIEDER AN: "äh, das ist ganz schlecht, ich bin diese woche ziemlich viel unterwegs."
er: "dann rufe ich dich am wochenende an!"
ich: "das geht nicht, da kommt mein mann." (und der haut dich inne fresse, hoffentlich.)
er: "ich würde schon gern mit dir reden. geht´s dir gut?????????"
ich: "JA!! wenn ich jetzt gleich weiterarbeiten kann." (weil du jetzt blitzschnell auflegst, bürschchen.)
er: "hm, naja."
ich: schweigen.
er: "naja, dann."
ich: "TSCHÜSS."
aufgelegt.
später gewundert: woher hat problem-m denn bitteschön meine supervertrauliche handy-nummer? welcher meiner von problem-m gequälten freundinnen sind da bloß die nerven durchgegangen?

somit beginnt also auch dies neue jahr so wie das letzte geendet hat: mit fremd-problemen. naja. hilft vielleicht, meinen vorsatz zu fokusieren - die sache mit der distanz.

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