Sonntag, 23. Oktober 2011
alles oder nüscht
und heute nacht habe ich mir den architekten gefasst und sein herz geknutscht.

und bin nun todgespannt.

"unwirklich", sagte der architekt, "das ist irgendwie ganz unwirklich."

yes. it is.

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Samstag, 22. Oktober 2011
die woche im pärchenmodus
oder auch: die woche unter dem motto "zeichen und wunder"

"darf ich mir mal deinen laptop ausleihen?" fragt das objekt liebreizend am montagabend.
es darf.
wenig später sitzen das objekt, der objektsohnemann und icke im neuen übergangszimmer des objekts. der kleine schläft zwischen uns gekuschelt, während das objekt einen joint dreht. dann lässt es mir ein bad ein und holt ganz selbstverständlich die letzte gästezudecke aus seinen sachen. wir legen uns ab. über der brust des kleinen begegnen sich unsere hände, und wir sagen einander gute nacht.

am mittwoch treffe ich das objekt zum zweiten mal, weil es sich eine wohnung ansehen möchte und meine meinung dazu hören will. ich bin geschmeichelt, aber auch gestresst nach einen langen arbeitstag. wir versumpfen wieder beim objekt, kiffen zu viel und werfen meine ich-fahr-noch-nach-hause-pläne mit einem whiskey über den haufen. ich krieche zum todfertigen, schwer bekifften objekt in die federn und lasse den lieben gott einen guten mann sein.

am donnerstag stehe ich auf und begebe mich ins bad. als ich das wasser abdrehe, höre ich das objekt in der küche hantieren. es macht frühstück für mich. dann sitzen wir bei einer tasse cappucchino und reden über gott und die welt. ich hab viel zeit, bin eine halbe stunde zu früh dran.
"schön", findet das objekt und kramt dann nach seinen schlüsseln.
"da ist der für die haustür, und das da ist der für die wohnung. wenn du heute abend baden möchtest, komm einfach wieder zurück."
ich bin baff und stecke wortlos den schlüsselbund ein.

nach der arbeit telefoniere ich mit dem objekt. es kommt gerade aus der klinik und ist dabei, den lütten bei seinem schulfreund abholen.
"wann kommt ihr denn nach hause?"
"kann später werden. aber du kannst ja schon mal ein bad nehmen und dich entspannen. ich mache dann nachtessen."
gesagt, getan.
doch surprise, surprise, als das objekt ankommt, ist es alleine.
"ich hab den kleinen bei seinem freund für die nacht untergebracht", sagt es, "dann haben wir heute mehr platz."
noch eine überraschung hat das objekt für mich: es hat sushi gekauft.
wir nehmen die mahlzeit mit ins bad, das objekt stellt altarkerzen um die wanne herum auf, holt dann noch einen wein. anschließend tauchen wir in die fluten.
"hast du was genommen heute", frage ich das objekt, das sehr klar scheint.
es schüttelt den kopf.
"das war für diese woche schon wieder genug."

die nüchternheit bewirkt, dass das objekt insgesmt zwar deutlich melancholischer ist, dafür aber neben seiner an und für sich romantischen veranlagung auch die libido wieder durchkommt. ich schaffe es noch aus der wanne, aber nicht mehr bis ins schlafzimmer.
wie die tiere, schießt es mir durch den kopf. vollkommen willenlos.
"katze", sagt das objekt später und zieht mich auf sich. so schlafen wir ein.

heute morgen um sieben uhr klingelt der schornsteinfeger an der tür. das objekt öffnet splitterfasernackt die tür, während der schornsteinfeger pikiert zur seite blickt. ich kann mich im hintergrund vor lachen kaum beherrschen.
als wir bei tee und kakao wieder im bett liegen, fragt das objekt ganz selbstverständlich, wann ich aus der arbeit komme. ich sage es ihm.
"dann bist du also so zwischen vier und fünf hier?" fragt es.
"äh", sage ich. "ich wollte eigentlich mal einkaufen fahren."
"dann leih ich mir nochmal das auto, hol dich von der arbeit ab und dann fahren wir in die stadt", bestimmt das objekt.
ich bin verwirrt, aber noch immer angetan und nicke.

als ich arbeit aus habe, erwarte ich, dass das objekt vergisst, wann genau ich aus habe, in welcher straße ich arbeite oder überhaupt, dass es mich abholen wollte. doch dann kreuzt es pünktlich auf und sammelt mich ein.

ich gehe mit dem objekt einen pullover kaufen, den es scheiße findet.
stattdessen sucht es mir einen rock heraus, der mir dann tatsälich fabelhaft steht.
"wirst du jetzt mein stilberater", necke ich es.
"ich hätte nie gedacht, dass ich deinen geschmack treffe", erwidert es.

nachdem das objekt vor zwei tagen viel zu teueres und vor allem viel zu viel sushi gekauft hatte, lade ich es heute zum essen ein. wir gehen zum perser und entscheiden uns dann dafür, die sachen mitzunehmen und gemütlich beim objekt zu essen.
in der neuen alten übergangsbleibe sitzen wir am überdimensionalen küchentisch im kerzenschein und mümmeln unbekannte köstlichkeiten, während mich ein komisches gefühl beschleicht.

ich lausche und lausche in mich hinein und stelle fest: es ist das gefühl satter zufriedenheit. und alle glocken schrillen alarm.
"ich würde uns noch einen film holen", sagt das objekt gerade, als ich herausplatze:
"ich fahre nach hause."
das objekt guckt fragend und leicht ungläubig.
"du hättest gern hier schlafen können."
"nein, ich denke, du solltest auch besser mal wieder einen abend für dich haben."

und schwuppdiwupp bin ich draußen und renne durch die nacht. nach hause. wo ich mich gerade weniger zuhause fühle als anderswo.

das muss sich sofort wieder ändern. sofort.

und die schlüssel werde ich ihm auch zurückgeben. oder noch besser: in den briefkasten werfen.

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Sonntag, 16. Oktober 2011
besser hier als irgendwo
ich bin im club, neben mir steht eine burschikose junge frau und fragt mich, was ich trinken möchte, sie will mir einen ausgeben.
"warum?" frage ich.
"ich bin wieder single!" ruft sie und es klingt befreit und entsetzt zugleich.

wir trinken tequila und mexikaner, dann lächelt sie und hält ihre hand an meine wange. während ich mich noch angemacht fühle, innerlich zwischen will-ich-will-ich-nicht hin- und herstürze, merke ich, dass ich es genieße. nicht um der person, sondern um der sache wegen. es ist zärtlich. es ist warm. es ist das, was mir gerade fehlt.

fass mich nicht an. aber bitte berühre mich.

und ich lächle ebenfalls, angetrunken, mit weichen muskeln knochen haut, lächle und falle geradeaus schauend ins k.s blick.

die junge frau scheint k. ebenfalls zu kennen. sie stößt einen kleinen schrei aus und stürzt sich in k.s arme.
"mein lieber... herzlichen glückwunsch zum geburtstag!"
dass k. geburtstag hat, hätte ich beinahe vergessen. also schließe ich mich mit einer umarmung den glückwünschen an. k. hält mich eine sekunde länger als nötig fest und legt dann einen finger an die nasenflügel. ich überlege kurz, nicke dann und folge ihm.

wir gehen auf klo und k. legt eine kleine line. die verschwommenheit, die der alkohol hinterlassen hat, klart auf. das glücksgefühl, das sich in der letzten halben stunde bereits aufgebaut hatte, wird sachte, ganz sachte befeuert.
k. spottet ein wenig über meine "homöopathische dosierung", aber er weiß auch, dass ich kontrollverlust nicht schätze - was er wiederum an mir schätzt.
wir sehen uns an und finden einander schön, aber das ist nicht ungewöhnlich in diesem zustand, es hat nichts zu bedeuten.

das objekt ist auch da. nach vielen wochen der clubabstinenz hat es flaschenpfand eingelöst, auf diese weise drei euro zusammenkratzt und ist hergekommen. es sitzt blass und verloren in einer ecke, was wohl hauptsächlich der totalen nüchternheit geschuldet ist. als ich hingehe und es zur begrüßung in die arme nehme, drückt es mich, bis mir die luft wegbleibt.
"festhalten! einmal ganz fest halten, bitte!" seufzt es in mein ohr.
dann schaut es mir ins gesicht und legt sofort los:
"du hast was genommen! du hast ganz starre pupillen!"
"k. hat geburtstag", sage ich, als wenn das eine antwort wäre.
"das macht es auch nicht besser", tadelt das objekt, "komm her und lass dich liebhaben, aber mach dich nicht einfach weg!"

wie immer, wenn es nicht selber jenseits von gut und böse ist, ist das objekt streng und kritisch. eine stunde später verabschiedet es sich aber auch schon, denn ohne den richtigen pegel hat es keine lust, bis sechs uhr morgens durchzumachen. als es an der garderobe steht, stürmt die objektgespielin heran und will mit. ich sehe das objekt gestikulieren und diskutieren, dann gehen die beiden zusammen. ich werde nicht schlau aus diesem verhältnis, beschließe dann aber, dass es nicht mein shit ist.

anschließend sitze ich im nebenraum auf dem sofa zwischen k. und dem burschikosen mädchen, das h. heißt. wir sind breit, mit allen sinnen auf empfang und kuscheln uns wie küken aneinander. so findet uns k.s exfrau. die kenne ich zwischenzeitlich ebenfalls näher, da sie als betriebswirtin dem objekt derzeit mit den finanzen hilft.
"wie die heilige familie", spottet sie.
wir grinsen wie drei christkinder.
"wie spät ist es denn", fragt k. verschlafen.
"erst halb fünf", sagt die k.-ex.
"kommt, lasst uns noch auf den kiez weiterziehen", schlägt h. vor.

gesagt, getan. die k.-ex, die recht wohlhabend ist, spendiert uns ein taxi. dann entern wir eine schäbige kleine eckkneipe und trinken noch ein letztes bier.

und als schließlich schon die blasse oktobermorgensonne aufgeht, sitzen k. und ich allein zu zweit vor der kneipe auf einer bank, schulter an schulter, knie an knie. wir sagen nichts, müssen nur ab und an einmal lächeln. k.s haltung ist ein einziges großes fragezeichen, mir zugewandt, und ich lausche nach einer antwort in mir, die lungert irgendwo versteckt hinter einer herzklappe, sagt fang-mich-doch, aber ich bin müde, viel zu müde für ein wettrennen gegen meine angst, mein misstrauen, meine weigerung zu lieben, mich oder irgendjemand anders. ich sage: "ich fahr dann mal" und bleibe noch eine ganz weile sitzen, bis ich mich dann doch durchringe, auf das fahrrad zu steigen, eine letzte lange umarmung und das war es.

meine wohnung ist kalt, als ich sie betrete, riecht aber gut, vor allem die bettwäsche, in der das objekt geschlafen hat, und ich lege mich ab, komme sanft, sehr sanft runter und schlafe ein.

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Mittwoch, 12. Oktober 2011
nicht leise treten
manchmal überrascht mich das leben vorübergehend positiv, bevor es mich dann besonders fest in den arsch tritt.

die wohnungsabrissparty war zunächst netter als geplant. das lag unter anderem daran, dass die objektgespielin krank war und abgesagt hatte.

spät, ganz spät, als alle anderen gegangen waren, saßen ich, ein objekt-freund und das objekt alleine am küchentisch, rauchten die letzten reste weg, kippten noch einen jd und zockten ein killerspiel auf dem hyper-notebook des objekt-freundes.

plötzlich klingelte es an der tür. wir erschraken alle und dachten, jemand habe die polizei geholt, da es vorhin etwas laut war. doch dann stand die objektgespielin unter der tür. ich starrte entsetzt zur tür. die gespielin starrte entsetzt in richtung küchentisch. es war sofort klar: hier war eine frau zu viel im raum.

das objekt flüchtete hinter den bildschirm und knallte weiter virtuelle menschen ab. ich wandte mich dem netten objekt-freund zu und begann ein gespräch, an dessen inhalt ich mich nicht mehr erinnere. die gespielin saß derweil auf einem stuhl und fixierte beleidigt das objekt. die intention war klar: kümmere dich um mich und schmeiß die olle da raus.

das objekt zeigte sich zunächst erstaunlich resistent. es knallte virtuelle menschen ab und ignorierte die situation. ich stieg betont lässig in die badewanne nebenan. der objekt-freund machte eine flasche wein auf und brachte mir ein glas, als ich im schaum lag. die gespielin saß derweil da und hypnotisierte weiter das objekt. zwischendurch stand sie auf und frequentierte die toilette, um ihre magen-darm-viren der kanalisation anzuvertrauen.
"lecker", sagte ich und der objekt-freund, der am badewannenrand saß und mich unterhielt, rollte die augen.

eine halbe stunde später, als ich duftend aus der wanne stieg, begab ich mich zum mir zugewiesenen schlafplatz - im schlafzimmer, im doppelbett. natürlich hätte ich meine sache packen und nach hause fahren können. aber dazu fühlte ich mich zu breit und zu müde. die gespielin sah inzwischen angefressen aus, verharrte aber immer noch in abwartender haltung auf ihrem stuhl respektive in intervallen auf der kloschüssel. die stimmung war zum zerreißen gespannt.

das objekt begann, mit der gespielin zu diskutieren.
"die morphine schläft heute bei mir. das ist versprochen."
die gespielin starrte böse vor sich hin wie ein kleinkind, das im supermarkt die ansage bekommt, dass es jetzt doch kein überraschungs-ei gibt.
"ist das okay für dich?" bohrte das objekt nach, wohl in der annahme, die gespielin würde widerwillig, aber doch einsichtig nachgeben.
die gespielin allerdings schüttelte stur den kopf. ich hielt den atem an.

die gespielin stand auf und zog das objekt in eine ecke des raumes, wo sie pampig auf es einflüsterte. ich überlegte noch mal, ob ich gemäß dem motto "die klügere gibt nach" nach hause fahren sollte. dann beschloss ich, dass ich nicht das objekt-problem lösen müsse. ich löste schon genug andere probleme derzeit für diesen mann, während die gespielin gar nichts tat außer ansprüche stellen.

ich war müde und legte mich ab, genervt von den diskussionen. als ich schon am einschlafen war, schlüpfte das objekt zu mir hinein.
"ey, sorry für das ganze hü ud hott. ich pack jetzt meine sachen und fahre noch mit zu ihr. die muss sich jetzt erstmal beruhigen."
"viel spaß", sagte ich sarkastisch.
das objekt hielt inne und sah auf mich herab.
"wird kalt werden, so alleine", sagte es sanft. es schlüpfte aus seinem pullover und zog ihn mir über.
"sorry", sagte es noch mal.
"hau schon ab", sagte ich. "wir sind ja nicht verheiratet."
"wenigstens eine, die das so sieht", flüsterte das objekt in mein ohr und legte dann seine wange an meine.

in diesem moment flutet licht den raum. die objektgespielin knipste den schalter an und aus und wieder an und meinte dann patzig:
"kommst du endlich?"
das objekt erhob sich von der bettkante.
"tschüß."

kaum hatten objekt und gespielin die wohnung verlassen, klopfte der objekt-freund, der ebenfalls hier schlief, an die schlafzimmertür.
"was zum teufel war das denn?"
ich zuckte im dunkeln die achseln.
"eifersucht?"
der objekt-freund nickte bedächtlich.
"dass du so ruhig geblieben bist, hat mich erstaunt."
"warum sollte ich ausflippen?"
der objekt-freund guckte nachdenklich und meinte dann vorsichtig:
"aber da ist doch was zwischen euch, oder?"
"war."
"hm."
"hm", murmelte ich zurück.
der objekt-freund seufzte und machte dann den höflichen rückzug:
"ich möchte da nichts dazu sagen. ich wünsche dir eine gute nacht."
er legte sich auf das feldbett in der küche und begann nach zwei minuten herzhaft zu schnarchen.

ich kroch wieder unter die laken im eisigen schlafzimmer. unter den geschlossenen lidern war ich hellwach. ich fror und zitterte, bis mit der morgendämmerung endlich die erlösende erschöpfung kam.

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Samstag, 8. Oktober 2011
asylum unter hochspannung
am donnerstag flüchtet das objekt aus seiner halb leeren, verwüsteten wohnung zu mir, bevor es dann an diesem wochenende für die nächsten wochen zu einem freund zieht.

"es mag ja krank klingen... natürlich bin ich traurig und fertig mit den nerven, aber irgendwas in mir ist gerade auch einfach nur fasziniert von dieser entwicklung."
das objekt steht im raum mit nichts als einem handtuch, das es um die hüften geschlungen trägt. die dusche war die erste anlaufstation, nachdem es gestanden hatte, dass es sei drei tagen im eigenen dreck lebt, weil es keinen bock mehr auf fließend kaltwasser hatte. das objekt ist ein eben ein echter warmduscher, das hatte ich schon immer gewusst und sage es ihm nun auch auf den kopf zu, was zu einer kleinen rangelei führt, bei der ich schließlich auf dem boden lande, das objekt über mir.

wir bleiben für einige sekunden einfach liegen, körper auf körper, und das objekt lässt seinen kopf neben meinen sinken. dann spanne ich alle muskeln an und nutze den überraschungsmoment, um mich aufzurichten.
das objekt steht auf und schlüpft schweigend in hose und t-shirt und fragt dann, ob es mal mein internet benutzen dürfe, weil es e-mails checken wolle.
"ich muss post bekommen haben von zwei freunden von mir... wir haben mal fotos gemacht."

wie sich herausstellt, hat sich das objekt vor ein paar jahren als aktmodell verdingt. im anhang des e-mails finden sich dann tatsächlich auch eine unzahl gezippter fotos.
"komm mal, guck mal..." das objekt zieht mich zu sich heran.
neben einigen diabolisch-schönen portraitaufnahmen
gibt es zahlreiche künstlerische aktaufnahmen, die meisten gesichtslos, verfremdet und stark bearbeitet. es handelt sich nicht direkt um pornografie, wie ich zunächst vermutet hatte, auch wenn einige der bilder auf masturbation anspielen. andere bilder zeigen das objekt geschminkt, halb verhüllt und mit großen weißen flügeln an den schultern.
"wow, die sind schön", finde ich.
"die wurden auch ausgestellt und teils sogar verkauft."
"und, hast du geld bekommen?"
das objekt schüttelt den kopf.
"da hab ich auch gar nicht nach gefragt, ehrlich gesagt."
"wie kamst du zu der ehre?"
"ich hab die beiden künstler auf einer schwulen-party kennen gelernt."
ich frage absichtlich nicht nach, wie sich dieses kennenlernen konkret abgespielt hat, vermute aber, dass reichlich alkohol, poppers und andere hilfreichen accessoires im spiel waren.

"welche findest du am besten?"
ich deute auf zwei der bilder, auf denen das objekt als engel verkleidet ist sowie auf ein portrait, auf dem es seinen unverkennbar postkoitalen gesichtsausdruck hat.
"willst du die haben?"
die frage erschreckt mich und verwundert mich.
"nein", sage ich dann, "das zeigt nicht den menschen, den ich kenne."
das objekt versteckt die nase in meine achselhöhle:
"oh mann... du bist immer so..."
"wie?"
"geradeheraus."
"so bin ich."

schlafenszeit. ich biete dem objekt die chance auf ein einzelschlafzimmer in meinem arbeitszimmer, doch erwartungsgemäß lehnt es dankend ab. da ich es genieße, mal nicht alleine in meiner wohnung zu sein, fackle ich nicht lange und wir bauen aus meinen einzelmatratzen ein doppelbett.
dann liegen wir nebeneinander und sind hellwach.
"ich kann nicht schlafen", spricht das objekt als erstes aus, was uns beide bewegt.
"warum?"
"ich mach mir so viele gedanken."
"wir haben doch schon alles durchgesprochen. alles wird gut, hab geduld."
"und ich hab so schmerzen."
"was für schmerzen?"
"kopfschmerzen. und nackenschmerzen."
"du bist angespannt. dreh dich mal."
ich taste mich am hals vorwärts und spüre die verspannungen wie glasmurmeln am seitlichen nacken. das objekt zuckt, als ich zudrücke.
"wenn dir schwindelig wird, musste du es bitte sagen, mein physiotherapeut sagt immer, das kann passieren, dass man am hals auch mal ein blutgefäß erwischt."
"nein, es hat nur weh getan."

ich löse vier, fünf knochenharte verspannungen und das objekt ist ganz angetan.
"du bist ja richtig begabt."
"jetzt kann ich aber nicht mehr, meine hände tun weh."
das objekt zieht mich zu sich heran und umschließt meine hände mit seinen fingern. es küsst meine stirn und sagt:
"schlaf jetzt."
dann schlummern wir hand in hand ein.

am nächsten morgen muss ich zur arbeit, während das objekt noch ausschlafen kann. es ist also zum ersten mal alleine in meiner wohnung. ich frage mich, ob ich ihm vertrauen kann, staple ein paar sachen übereinander und versuche mir zu merken, wie sie lagen. dann verlasse ich das haus.

als ich am nachmittag wieder komme, ist das matratzenlager abgebaut und alles wieder ordentlich an seinem platz. meine künstlich drapierten stapel scheinen unangetastet. das objekt ist also kein schnüffler. stattdessen hat es mein bett gebaut und ringums kissen platziert. in der mitte liegt meine rote wolledecke, die so gefaltet ist, dass ein einzelnes schwarzes herz nach oben zeigt. ich muss lächeln und merke, dass ich mich ein bisschen zu sehr freue. vor allem, als ich kurze zeit später bemerke, dass mein zweitschlüssel nicht mehr an seinem platz neben der tür baumelt. zur entschuldigung und erklärung gibt es einen brief dazu, die situation, blabla und die erinnerung an mein angebot vom letzten winter, als ich dem objekt aus eigener motivation meinen schlüssel anvertraute und meinte, theoretisch sei es ja auch nicht verkehrt, wenn jemand den schlüssel zu meiner aktuellen wohnung hat, da ich ihn hier keinem der nachbarn geben wollte.

trotz der harmonie und nähe, die wir infolge der wohnungsmisere haben, gibt es also mal wieder ein echtes objekt-hühnchen zu rupfen. am montag werde ich das messer wetzen. mal sehen, wie es sich dann wieder aus der affaire zieht.

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Donnerstag, 6. Oktober 2011
about mice and men
im supermarkt. ich bin sehr müde und überarbeitet. ich stehe bei den brötchen und gucke paralysiert, weil ich mich nicht entscheiden kann, welches ich will. da schweift mein blick ab und ich sehe eine kleine maus unters kühlregal huschen.

vermutlich gucke ich noch mal verwirrter, denn direkt nebenan an der fleischertheke beugt sich der verkäufer über die auslage und fragt:
"kann ich ihnen helfen? in zwei minuten kann ich ihnen ganz frische brötchen anbieten."
ich schüttle noch immer irritiert den kopf und sage dann mit einem möglichst freundlichen lächeln:
"entschuldigung, ich war gerade etwas erstaunt... kann es sein, dass sie eine kleine maus hier haben?"

der fleischerthekenmann starrt mich entgeistert an und ich kann die gedanken sehen, die sich durch seine stirn pressen: achtung, irren-alarm. die alte da hat nicht alle tassen im schrank. die sieht weiße mäuse im supermarkt.

ich ahne nicht, was ich mit meiner äußerung angerichtet habe. denn schon mischt sich eine frau ein, die neben mir steht:
"hier gibt es MÄUSE?"
sämtliche kunden in hörweite stellen sichtbar die lauscher auf.
der fleischerthekenmann beschwichtigt: "ich glaube nicht, dass es hier mäuse gibt, mit sowas hatten wir hier noch nie probleme!"
hinter mir sagt eine alte schabracke laut zu ihrem general-ähnlichem begleiter: "hörst du, die frau hat eine maus hier gesehen! das ist doch widerlich!"
alle kunden in der näheren umgebung glotzen. zwei von ihnen packen ihre sachen aus dem korb in die regale zurück und verlassen eilig den laden. die anderen tuscheln und hasten richtung kasse.

der fleischerthekenmann schaut mich an, als sähe er mich gern in dünnen scheibchen neben seiner anderen wurst in der auslage liegen.
mir ist die ganze geschichte inzwischen mordspeinlich und ich bekomme zweifel an meinem eigenen verstand.
"hören sie, vielleicht bin ich nur gerade etwas gestresst... ich komme eben aus dem büro und bin sehr müde... da bekomme ich schon manchmal so ein komisches flackern vor den augen!"
meine gehaspelte entschuldigung scheint beim fleischerthekenmann die irrenhaus-these eher noch zu erhärten. bevor er den sicherheitsdienst rufen kann, sehe ich zu, dass ich ebenfalls richtung kasse komme.

ich fürchte, ich kann die nächsten wochen da keinesfalls mehr einkaufen. es interessiert mich allerdings immer noch, ob ich recht hatte oder ob ich inzwischen stressbedingt halluziniere.

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Montag, 3. Oktober 2011
auszeit
"komm, wir machen was schönes!"
"was denn?"
"egal. komm da raus aus deiner feiertagsmelancholie. ich hab das auto von meinem freund. wir fahren ein bisschen rum und machen was nettes."

das objekt ist immer für eine überraschung gut. also streife ich meine feiertags-pisslaune ab und begebe mich vorsichtig nach draußen. ich bekomme einen lux-schock von der unerwarteten sonne und dem unerwarteten anblick eines schwarzen zweisitzers vor der tür.

das objekt lehnt lässt an der seite des wagens, sonnenbebrillt, zippe, und klimpert mit den schlüsseln.
"was ist los, ist der wohlstand ausgebrochen?"
"hab mein gehalt überwiesen bekommen!"
"dann schmeiß es bitte nicht gleich aus dem fenster."
das objekt packt mich bei den schultern und meint: "ich schmeiß es nicht aus dem fenster, ich möchte einen schönen tag mit dir. keine probleme. einfach nur den letzten spätsommertag mitnehmen und das, was eben gerade geht. du musst auch mal raus deinem menschenlosen rapunzelturm."

als ich meinen arsch auf den beifahrerseit gewuchtet habe, klappt das objekt das verdeck herunter. anschließend geht es mit überhöhter geschwindigkeit ab durch die city.
"und, wohin willst du?"
"egal, nur raus hier. ins grüne, wo es keine schnöselmenschen gibt!"
eine halbe stunde später stehen wir irgendwo im nordwesten hamburgs im grünen.
"ich hab keine ahnung, wo wir sind, aber es ist alles da, soweit ich sehe: bäume, büsche... wiese... und stechmücken", grinst das objekt.
dann gehen wir spazieren, arm in arm wie ein altes ehepaar. ich fühle mich wohl, nicht mehr. wie eine schwester. es fliegen keine funken. es ist einfach nur gut, wie es ist.

dann sitzen wir auf einer bank. das objekt hat mir eine flasche sekt gekauft, obwohl ich so eine tussen-plörre normalerweise nicht mag. für sich selbst hat das objekt nur eine apfelsaftschorle mitgebracht.
"wenn ich jetzt was trinken würde, so in der situation... da würde ich mich wahrscheinlich totsaufen. also trink und lass bitte nichts übrig."
natürlich schaffe ich keine flasche sekt, also schütten wir den rest in die hecke.
"davon werden jetzt die ameisen und so besoffen", meint das objekt. "anarchie im ameisenstaat. rien ne va plus! das ende eines totalitären regimes!"
"und das am tag der deutschen einheit!"
"na und, passt doch - du wessi, ich ossi."

irgendwann schaut das objekt auf die uhr.
"was sagt dein hunger? wollen wir was essen?"
"oh gerne. was kochst du?"
"gar nichts."
"wie, nichts? also das, was ich koche, willst du bestimmt nicht essen."
das objekt macht eine ausladende geste: "wir gehen essen, ausnahmsweise. und du bist eingeladen, als kleines dankeschön für deine hilfe in der letzten zeit."
wir gehen zu einem kleinen, feinen franzosen in die schanze und essen galettes mit ziegenkäse, scampi und lachs.

"und nun?" fragt das objekt, als es tatsächlich ganz alleine gezahlt hat.
"wollen wir noch was machen? ich hab das auto noch bis mitternacht, dann verwandelt es sich zurück in einen kürbis."
"und du dich in einen frosch, haha."
"wir könnten schwimmen gehen", schlug das objekt vor.
"die schwimmbäder machen gleich zu."
"schwimmbad ist ja auch langweilig."
"im see isses zu kalt, da erkälten wir uns", setze ich mein veto.
"du bist immer soooo vernünftig", seufzt das objekt, "du wärst ne super mutti."
"solange du nicht das kind bist, auf das ich dann aufpassen muss."

am ende fahren wir wie in guten alten zeiten zur videothek und holen einen film und lümmeln dann in der noch-wohnung des objekts herum, bis das objekt den kürbis zurückgeben und ich nach hause muss.
"war ein schöner tag", finde ich, als ich in jacke und schuhe schlüpfe.
"es hätte keine bessere möglichkeit gegeben, so einen scheißfeiertag zu verbringen", erwidert das objekt ud drückt mich zum abschied. dann stimmt es falsch und schief die nationahymne an und schubst mich aus der wohnung, bevor es die tür nochmal aufreißt, mich packt und auf den mund küsst.
"sorry, das hatte ich vergessen."
um schlimmeres zu verhindern, drehe ich mich um, eile die treppe hinunter und bin schwuppdiwupps draußen, bevor das objekt weitere verführungsmanöver landen kann. schließlich bin ich eine frau mit prinzipien.
neuerdings.
bis auf weiteres.

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Samstag, 1. Oktober 2011
stromausfall
energielevel bei null. das betrifft den körper, die seele, den geist, aber nicht nur. das "nicht nur" liegt an vattenfall (jawohl, ich beziehe atom-strom, denn ich glaube auch nicht an glückliche kühe), die online-rechnungen ausstellen, die ich nie angucke. jetzt kam die (postalische) mahnung mit allerletzter zahlungsaufforderung und stromabdreh-drohung. doof, dass am montag feiertag ist und die agentur ohnehin immer gern vergisst, meinen mikro-lohn zu überweisen.

auch sonst fühle ich mich ein wenig ausgelutscht. daran ist neben beruflichem stress das objekt schuld. es hat in mir seine lieblings-kaffeekränzchen-tante gefunden. als hätte wer den hahn aufgedreht, labert es, während es sonst gern den großen geheimnisvollen spielte. wir fangen beim thema obdachlosigkeit in spe an und hören bei als-ich-unfreiwillig-vater wurde auf. das objekt ist dabei weiterhin clean, was mich stark überrascht. dafür ist es erstaunlich gut drauf. ähnlich wie beim letzten entzug beginnt es, in allem einen wink des schicksals zu sehen.

so sitzen wir beispielsweise am mittwoch abend am tisch und essen kartoffeln und rest-nudeln, die das objekt auf arbeit geklaut hat. plötzlich geht das licht aus: lampe im arsch.
objekt: "siehst du, auch die lampe!! auch die lampe!! das sind alles zeichen, dass ich hier ausziehen soll."
ich rolle die augen.
objekt: "doch, doch, das macht alles zusammengenommen sinn!"
ich: "vielleicht ist das licht ausgegangen, weil wir jetzt armen klinik-insassen das abendessen wegfressen. wir sind deshalb geswitchbumst worden und stehen gleich hypnotisiert auf, um nasse finger in steckdosen zu halten."
das objekt lässt sich nicht von seiner theorie abbringen. es berichtet von der ausgefallenen warmwassertherme.
"das ist auch ein zeichen. hier ist alles kaputt, ich bin kaputt, ich muss zurück zu den wurzeln! ich dusche jetzt immer eiskalt, so wie zu großvaters zeiten."
ich verkneife mir einen bösen spruch über die ddr-vergangenheit des objekts und esse weiter nudeln mit einer sauce, die aussieht wie nasser rindenmulch, aber wahnsinnig köstlich und extravagant schmeckt. was das betrifft, ist das objekt noch immer das alte.
"was ist in der sauce drin?" frage ich.
"ente."
"haben wir weihnachten?"
"ist nur die basis."
"ja und sonst so?"
das objekt grinst.
"das willst du eh nicht wissen."
ich vermute das schlimmste - hasenherzen, gänsestopfleber oder kutteln - und halte die klappe.

als wir fertig sind, sind noch kartoffeln übrig. das objekt hat eine idee. es zerdrückt die exakt quadratisch geschnitzten kartoffelstückchen zu brei und füllt damit ein tuch. daraus wird ein wickel gegen meine nackenschmerzen.
die wärme ist köstlich, ich fühle mich umsorgt und geborgen wie früher, was bewirkt, dass ich mir weitere objekt-ergüsse anhöre.
als wir auf die uhr sehen, ist es zwei uhr nachts.
"ich muss nach hause, in fünf stunden muss ich wieder aufstehen und zur arbeit", sage ich.
"bleib doch", bietet mir das objekt an.
"vergiss es, wir ficken nicht", platze ich heraus.
"du kannst auch im kinderzimmer schlafen", sagte das objekt, "so, wie du dich wohlfühlst. aber es wäre doch blödsinn, jetzt noch eine dreiviertelstunde durch die nacht zu fahren."
"okay, dann schlafe ich im kinderzimmer."

das objekt holt bereitwillig decken und kissen und bezieht das bett frisch.
"ist dir ka-halt", ruft es ins bad.
"jetzt schon", sage ich und meine damit das fehlende warmwasser.
zwei minuten später, als ich meine kontaktlinsen aus den augen friemele, stürmt das objekt ins bad.
"ich hab dir eine wärmflasche gemacht!"
ich hole luft.
"sag mal, kannst du mir einen gefallen tun?"
"was denn", eifert das objekt.
"kiff doch bitte noch einen fetten joint. oder nimm ein paar schlaftabletten. aber tu irgendwas, was dich von einem kind mit zappelphillip-syndrom wieder in den faulen, zerstreuten und semiautistischen menschen zurückverwandelt, als den ich dich kennengelernt habe."
das objekt grinst friedlich und küsst meine wange.

eine halbe stunde später liege ich eingemummelt in zwei decken mit wärmflasche an den füßen ud kuschelkissen auf dem bauch im kinderbett.
"gute nacht", sagt das objekt liebevoll und knipst das licht aus.
ich schließe die augen.
dann nähern sich die objektschritte wieder der tür.
"duuhuu, morphine..."
"nein", sage ich.
"ich möchte aber noch was fragen!"
"WAS", blaffe ich.
das objekt setzt sich an die bettkante. es folgt der nächste monolog, der in der frage gipfelt, ob ich glaube, dass das objekt auch die arbeit verlieren wird.
"was weiß ich", sage ich.
"soll ich mal mit meiner chefin reden, was meinst du?"
"würde ich nicht machen. wie sieht das denn aus, wenn ein 36-jähriger vater nicht klarkommt. am ende schicken dir die das jugendamt vorbei, die machen vielleicht noch einen drogentest bei dir und das wars dann."
"du hast recht."
"ich weiß", sage ich. "gute nacht."
das objekt zögert.
"gehts dir gut?"
"mir ging es nie besser, vor allem, weil du nun diesen raum verlassen und ich gleich schlafen werde."
"ich finde das ja strange. wir sind noch nie getrennt eingeschlafen."
da ich keine pistole bei mir trage, die ich zücken könnte, drängt sich das objekt mit in das bettchen.
"nur, bis du eingeschlafen bist", bettelt es. "ich möchte dich so gern festhalten und wissen, dass du gut schläfst und nicht schlecht träumst..."
"jaja. halt die klappe und komm."

zwei sekunden später bin ich eingeschlafen. gefühlte drei minuten später werde ich wieder wach, weil sich das objekt umdreht und im schlaf redet. ich schüttle es durch, bis es aufwacht.
"oh, tut mir leid", sagt es, "ich habe was geträumt."
als ich nichts sage, bestürmt mich das objekt:
"willst du gar nicht wissen, was?! du kannst doch so gut träume deuten."
"nein."
"aber es ist wirklich spannend! und du kommst auch drin vor!"
"morgen."
"okay. ich erzähle es dir beim frühstück."
"meinetwegen."
dann endlich ist ruhe.

als ich das nächste mal aufwache, ist es hell. im flur pfeift das objekt fröhlich vor sich hin. bevor ich richtig wach bin, bekomme ich cappucchino und toast ans bett.
"warum bist du denn schon wach, du hast doch erst spätdienst, denk ich."
"ich bin schon seit sechs wach und da dachte ich, ich mach dir frühstück."
ich will "nett" sagen und "danke", komme aber nicht wirklich dazu, weil das objekt beginnt, mir seinen strangen traum zu erzählen.
"kann ich nix zu sagen", erwidere ich kauend.
"echt nicht?"
"nein."
"wirklich??"
"so", sage ich, schiebe den teller und das objekt gleich mit weg, "ich muss mich fertig machen fürs büro."

als ich mich endlich auf den weg zur s-bahn mache, merke ich, dass ich zum ersten mal erleichtert bin, dem objekt zu entkommen. und das nach einer nacht ohne sex. und ich frage mich: bin ich nun geheilt?

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Dienstag, 27. September 2011
die welle rollt
das objekt und ich sitzen am tisch.
"eigentlich wollte ich nicht, dass du kommst und mich so siehst. aber irgendwie ist es auch schön, dass du da bist."

das objekt hat waschbärringe unter den augen und bart im gesicht. es hat nicht geduscht und sieht aus, als hätte es drei nächte unter der brücke geschlafen. aber es ist nüchtern, wie ich überrascht feststelle.

dann packt das objekt den hammer des abends aus.
"es läuft eine räumungsklage gegen mich."
den hintergrund sowie zwei, drei weitere familienkatastrophen erfahre ich in einem zweistündigen monolog, während dem ich eine halbe schachtel zigaretten qualme, stellvertretend den wodka leere und sprachlos bin, derweil sich das objektverhalten der letzten wochen und monate so langsam erklärt.

das objekt blinzelt immer wieder angestrengt, um nicht weinen. es lässt sich nicht anfassen oder umarmen. nur die hand darf ich ihm halten, die hält es ganz fest.

das wohnungsproblem scheint beinahe unlösbar. in zwei wochen etwa wird man dem objekt die wohnung leeren. und mit so vielen schufaeinträgen und schulden bekommt man in einer so unsozialen reiche-wichser-metropole sicherlich nicht so schnell was neues. ich denke angestrengt nach, gehe in gedanken alle meine potenziell nützlichen kontakte durch, weiß allerdings genau, dass von denen auch nie einer für mich da war, als ich jemanden brauchte. die mehrzahl der menschen sind eben arschlöcher, da hat der architekt sicherlich recht.

hinter uns öffnet sich die tür und der objektsohnemann tappst schlaftrunken auf toilette. als er wieder in seinem zimmer im bett liegt, brechen alle dämme.
"wie soll ich das nur meinem kleinen erklären? soll ich etwa sagen, wir sind jetzt obdachlos?" fragt das objekt, während ihm die tränen über die wangen schießen.

ich beschränke mich auf zuhören, schweigen und hand-halten an diesem abend. und als ich gehe, weiß ich, dass ich wieder eine nacht nicht schlafen werde.

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Sonntag, 25. September 2011
schöner schein(en)
gestern den architekten getroffen. er hat sich vergangene woche ein zweites grundstück gekauft.
"ich bin ein gemachter mann", seufzt er.
"das ist doch toll!" finde ich. "davon träume ich: mir keine sorgen mehr machen zu müssen, was nächsten monat passiert."
der architekt guckt nachdenklich.
"ich glaube, das ist das ende."
"was?"
"dass ich mir jetzt keine sorgen mehr machen muss."
"du meinst, weil das vermögen leere evoziert? weil die suche woanders weitergeht?"
"so ähnlich."

der architekt starrt ins leere.
"stell dir mal vor, da sitze ich dann auf meinem grundstück in meinem haus, vielleicht mit einer familie, hab einen hund und noch zwei, drei andere tiere... so, wie ich mir das immer vorgestellt habe... ja, und dann? was hab ich denn davon?"
"die meisten menschen wären glücklich."
"weil sie nicht verstanden haben, dass sich dadurch nichts ändert. in wirklich bleiben alle immer dieselben arschlöcher."
"die meisten menschen entwickeln sich nicht, das stimmt. weil sich keiner hinterfragt. mag sein, dass besitz die notwendigkeit, sich zu hinterfragen, noch weiter einschläfert."
"genau das ist das problem."
ich überlege.
"aber wenn man auf der materiellen seite ausgesorgt hat, wenn man sicherheit hat, bietet das ja vielleicht neues entwicklunspotenzial. weil dann woanders sehnsüchte aufpoppen und man sich mit ihnen beschäftigen muss."
der architekt schüttelt den kopf.
"guck dir doch die leute an, die werden immer langsamer. die leben wie im elfenbeinturm und hören auf, sich miteinander zu beschäftigen. sich mit sich zu beschäftigen. klar, meinungen haben sie alle. und die werden auch ständig rausposaunt. zeitunglesen wird damit verwechselt, weltpolitik zu machen. aber was machen sie denn? nichts. sonntags wird das auto poliert und der rasen getrimmt, das machen sie."
"ich habe die welt auch noch nicht verändert."
"aber du hast die voraussetzung dafür. weil du dich mit seelen beschäftigt. auch mit deiner. das können die meisten nicht."

wir schweigen. dann setzt sich ein bekannter des architekten, seines zeichens psychiater, zu uns.
"ich kenne dich", sagt er zur begrüßung zu mir.
ich gucke dumm.
"du wohnst doch in winterhude."
"nicht ganz."
"egal, jedenfalls hab ich da neulich gesehen."
"echt? kann schon sein, ich bin da öfter."
"du hast ein riesiges bündel wäsche mit dir rumgeschleppt."
"ja, ich gehe da immer in den waschsalon waschen, weil meine waschmaschine neulich kaputt gegangen ist."
"siehst du, lag ich doch richtig."
"dass du mich wiedererkannt hast! da war ich doch bestimmt noch halb in schlafklamotten, oder?"
"weiß nicht. du sahst verdammt verloren aus, da mit deinem wäschebündel."
"ich bin eben lieber für mich", sage ich eine spur zu aggressiv.
"enttäuscht?" fragt der psychiater nach.
haarscharfe analyse.

der architekt erspart mir weitere antworten, indem er von seiner familie zu erzählen beginnt.
"früher hatte ich einen unglaublich starken wunsch, meinen bruder umzubringen", berichtet er. "ich glaube, ich stand auch mehrmals kurz davor. das hat der auch mitbekommen. neulich haben wir uns darüber unterhalten."
"und?"
"er meinte, er habe mir verziehen", sagte der architekt und lacht.
"hast du auch geschwister", fragt mich der psychiater.
"nein", sage ich.
"familie?"
"nein", sage ich, "also nicht hier, ich komme ja nicht von hier. 600 km weiter im süden. aber wir sehen uns alle paar monate."
"und eigene familie?"
"nein", sage ich wieder. "ich will erst kinder, wenn ich die auch selber versorgen kann. ich will mich da auf keinen mann verlassen, heutzutage ist das ja immer nicht weit her mit dem großen versprechen."
"doch enttäuscht", stellt der psychiater fest. "das ist aber schwierig, wenn man offenbar so allein auf der welt ist wie du."
"tja, exilantenproblem."
"nicht unbedingt. hast du wenigstens ein paar gute freunde hier?"
"ich denke schon."
"das klingt nicht besonders überzeugt."
"naja, freundschaften entstehen und vergehen. die meisten leute kenne ich noch nicht länger als ein oder zwei jahre, da weiß man doch nicht, wohin das gehen wird, auch wenn es sich für den moment vielleicht ganz gut anfühlt. und ich habe vor ein paar wochen meinen besten freund verloren, kann sein, dass ich deshalb ein wenig desillusioniert klinge."
der psychiater schaut mich aufmerksam an.
"pass bloß auf, sonst sehen wir uns eines tages in meiner praxis wieder."
"sie sucht eben seelen", mischt sich der architekt ein. "das kann man doch verstehen, das ist doch was ganz wunderbares."
der psychiater guckt skeptisch:
"das ist aber ein schwieriges unterfangen."
"aber kein hoffnungsloses."
"nein, sicher nicht. aber menschen, die so ticken wie ihr, die sind nicht unbedingt in der überzahl. die wahrscheinlichkeit, dass ihr irgendwann ziemlich verzweifelt sein werdet, ist durchaus recht hoch."
"das sind wir schon", lacht der architekt.
"aber ihr sagt bescheid, bevor ihr auf dumme gedanken kommt?" schmunzelt der psychiater.

später, als der psychiater gegangen ist, sage ich zum architekten:
"was, wenn wir irgendwann den glauben daran verlieren?"
"woran denn?"
"dass es noch menschen gibt, die auch so sind."
"dann muss man sich in die reine geistigkeit flüchten."
"ih, nein", rufe ich. "dazu bin ich viel zu gerne weltlich. mit allem, was dazu gehört."
der architekt denkt nach und lächelt:
"wir können ja schafe züchten."
"nette idee. aber die sagen halt dann nicht viel."
"eben drum."

in der morgendämmerung bringt mich der architekt nach hause. wir umarmen uns sehr lange. wieder denke ich darüber nach, ihn einfach zu küssen. ich lausche nach innen, aber in mir schweigt es. leere.
dann lasse ich den architekten los.
"gute nacht", sage ich.
"gute nacht", sagt der architekt und winkt, als er die straße zurück zu seinem wagen geht.

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