Dienstag, 25. September 2012
die katze fällt nicht weit vom kratzbaum
in einer sache muss ich zustimmen: je teurer das katzenfutter, desto weniger stinkt es. also kaufe ich nicht mehr discounter-ware wie die vorbesitzer, sondern bin inzwischen im höherpreisigen supermarktsegment angekommen.

mademoiselle hasenfuß macht keine zicken und frisst alles mit begeisterung bis zum letzten krümel. am liebsten mag sie derzeit eiersoufflé mit lachs, was auch nur ganz wenig stinkt und von mir daher bevorzugt als frühstück gefüttert wird, da es mir danach noch möglich ist, einen kaffee zu mir zu nehmen, ohne vorher eine halbe stunde lüften zu müssen.

aber es geht natürlich immer noch teurer und besser. weil ich ja inzwischen fast soviel verdiene wie ein altenpfleger, studierte ich kürzlich das qualitätsfutterangebot im biosegment. ich persönlich scheiße bei meiner ernährung auf bio, da ich bio überwiegend für etikettenschwindel halte, auf den viele konsumenten reinfallen, weil die hersteller einfach ein paar wohlschmeckende zutaten weglassen, um allen lebensmitteln damit den gleichen muffig-faden geschmack zu verleihen, den der ottonormalkonsument mit bio assoziiert. aber da mir für die katz nichts zu teuer ist, bestellte ich probehalber einen sixpack biofutter mit truthahn. (thunfisch oder rind gibt es bei mir nicht mehr, das riecht in allen preisklassen ekelerregend.)

das paket kam heute abend an. mademoiselle stinkepups umkreiste es im erwartungsfreudigen delirium, zumal pakete auch immer so herrlich rascheln und zum reinhüpfen einladen. ich entnahm
ein töpfchen und öffnete es. der inhalt glitt mit einem feuchten "plopp" in den napf, was ich schon mal gut fand, da ich es hasse, den stinkenden fleischabfallmatsch mit der gabel herausstochern zu müssen. das zweite, was mir positiv auffiel, war, dass der inhalt fast geruchslos war. er verströmte lediglich den schalen biomuff, den auch bio-menschenessen so an sich hat. ergo war der teuer-fraß auch todsicher bio bzw. das, was man dafür verkaufte, und damit garantiert sein geld wert.

ich übergoss das ganze wie immer mit heißem wasser, weil katzen es ja körperwarm mögen und weil ich mir stets sorgen mache, dass wildcat nicht genug flüssigkeit zu sich nimmt. dann versuchte ich, das fressifressi und das wasser irgendwie zu vermengen. ich scheiterte. der truthahn entpuppte sich als echter gummigeier und flutschte unwillig im napf hin und her. schließlich nahm ich ein messer zuhilfe.

minuten später servierte ich den zerschredderten gummiadler meiner wildcat, die mir inzwischen schon ungeduldig auf den füßen herumtappte.
ein kurzes schnuppern, ein lecken. dann der erste bissen. ich sah wildcat fragend an. wildcat zögerte, schnupperte dann noch einmal und schleckte ein bisschen gummiadler-soße. dann guckte sie wieder zu mir hoch - und ja, wir waren uns definitiv einig: bio ist einfach scheiße. zum trost gab es dann billig-sheba mit extra schlimm stinkender forelle.

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Samstag, 22. September 2012
silence
arbeiten, arbeiten, arbeiten. künftig noch mehr. für weniger geld. der herbst, eigentlich auftragstechnisch eine hochphase, ist viel zur ruhig.

der lederjacke geht es ebenso mies. neben der promotion jobbt sie in der sozialhilfe. auch hier wird zusammengestrichen, was zusammengestrichen werden kann. nur noch unqualifiziertes hilfspersonal. "das kann so keiner mehr schaffen", sagt die lederjacke. nach drei mehr als zehnstündigen nachtschichten ist sie krank geworden, darf aber nicht zuhause bleiben. mit schwerer grippe schleppt sie sich dieses wochenende durch die spätschichten. stationärer dienst, besonders anstrengend. mit menschen, die nicht einmal alleine aufs klo finden.

wie ungerecht in diesem land entlohnt wird. man möchte schreien und toben, aber man fällt nur übermüdet ins bett. ins bett, wo mademoiselle hasenfuß wartet und sich an einen schmiegt. das einzige highlight in einer harten zeit.

montags die sitzungen mit meinem therapeuten, dem ich sage, dass mich mein selbstmitleid ankotzt.
"wenn sie aber doch grund dazu haben", meint er, "dann ist es doch legitim. und wen haben sie denn schon sonst, der mitleid mit ihnen hätte? ihr chef etwa? der fährt seine dicke karre auch, wenn sie von wasser und knäckebrot leben."
eine klare ansage, die meine immer wieder aufpoppende illusion, dass es menschlichkeit auch im job geben müsse, wie ein seifenblase platzen lässt.

wir verhandeln auch über die dosierung meiner medikamente. seit es kitty gibt, geht es mir theoretisch besser, auch wenn auf arbeit desaster herrscht.
"sie haben was zum liebhaben gefunden", sagt der therapeut. "ich bin stolz auf sie. vielleicht finden sie ja auch irgendwann einmal einen menschen, der diese rolle bei ihnen einnehmen kann."

da ist niemand. noch immer nicht. auch die lederjacke ist es nicht. obwohl ich diesen menschen sehr gerne habe.

aber vielleicht wird da doch mal noch wer sein. auch wenn ich darauf noch warten muss. bis dahin hat meine liebe vier beine.

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Sonntag, 16. September 2012
kater und kätzchen
in meinem schlafzimmer liegt die lederjacke mit einem fetzen-kater, liebevoll bewacht von miss kittin.

ich bin natürlich schon wach, weil ich naturgemäß nie großartige nachwirkungen habe, egal, wie wild meine mischungen ausfallen. ich nehme kalium und magnesium und einen protein-shake zu mir, um meinen körper zu regenerieren, während die lederjacke noch vollkommen weggetreten ist, was sich bis abends um 18 uhr auch nicht großartig ändern soll. ab und an dreht sich die lederjacke und stöhnt, und miss kittin mauzt.

irgendwann bereite ich katzenfutter zu und bringe der lederjacke auch einen mineralstoff-drink.
"oh gott, mir gehts echt scheiße", seufzt mein bettgenosse.
"brauchst du noch was?"
"hmmm... ein aspirin, eine dusche und dann mal was zu essen.... sag mal, wie spät ist das überhaupt?"
"sechse."
"du verarschst mich."
"nein, guck halt selber nach."
die lederjacke wühlt konsterniert im klamottenhaufen neben dem bett nach seiner uhr.
"tatsache. das ist mir jetzt aber peinlich. wie lange bist du schon wach?"
"drei stunden etwa."
"sorry."
"ach quatsch. so hatte ich wenigstens schön zeit für mich."
die lederjacke lächelt:
"du bist sooo... unkompliziert."
"ich bin ein eigenbrötler. mit ist das einfach nur egal, wenn du stundenlang pennst."
die lederjacke guckt mich scharf an:
"du warst bestimmt auch als kind viel alleine, hm?"
"ich war ein soziopathisches einzelkind."
"also bist du heute ganz normal."
ich lächle:
"ist das jetzt ein kompliment?"
"klar doch."

die lederjacke springt unter die dusche und verbringt dort eine ganze weile. dann kommt sie heraus und sieht sehr jungenhaft und süß aus. obwohl mich die lederjacke chemisch betrachtet nur bedingt kickt, eine augenweide ist sie allemal.
"hast du auch son hunger wie ich?" fragt sie.
ich nicke.
"lass uns was vom asiamann holen."
"hmmmm", überlegt die lederjacke, "ich hab da ne idee."
sie ruft ein taxi und wir fahren richtung eimsbusch, wo die lederjacke wohnt.
"ich muss einmal kurz frische klamotten anziehen", sagt sie, "dann hole ich geld und dann... gehen wir richtig essen. zu meinem liebings-thai."

beim lederjacken-thai gibt es suppe und hühnchen, fischfrikadellen und gebackene garnelen. wir essen bis zum platzen, dann sitzen wir herum und ich merke, wie mein kreislauf rumspackt.
"mir ist schlecht", sage ich zur lederjacke.
"mir auch", erwidert die lederjacke.
"hoffentlich war das essen okay."
"glaub schon. das mit dem kreislauf liegt nur daran, dass wir jetzt nen vollen magen haben."

wir machen uns auf den heimweg. vom thai bis zur lederjacke sind es vermutlich nicht mal 500 meter.
"ich hab das gefühl, dass ich gleich zusammenbreche", jammert die lederjacke. "dabei wollte ich noch mit dir in der videothek vorbeischauen."
"das machen wir auch."
"oh gott."
ich kichere.
"wir können ja ein taxi da vorn nehmen und fragen, ob er uns mal 100 meter die straße runter mitnimmt."
die lederjacke schubst mich und grinst.

in der videothek streiten wir dann wieder über die filme.
"du immer mit deinen ultra-horrorstories!" sagt die lederjacke zu mir.
"du mit deinem schwarzenegger-fetisch", maule ich.
am ende einigen wir uns auf einen horror- und schwarzenegger-freien movie.
"das ist doch hübsch leichte kost, da kannst du dein asia-essen in ruhe bei verdauen", ziehe ich die lederjacke auf.
die lederjacke zeigt mir den stinkefinger.

zuhause bei der lederjacke kuscheln wir uns ins bett. der mitbewohner kommt kurz rein und grinst, als er uns elendsgestalten sieht.
"na, gut gefeiert?"
die lederjacke nickt und fragt dann:
"sag mal, hast du aspirin?"
der mitbewohner bringt uns ein paar kopfschmerztabletten, die wir dankbar annehmen. dann schmeißt die lederjacke den film rein. ich bekomme kaum die ersten zehn minuten mit, dann schlafe ich im arm der lederjacke ein.

als ich wieder hochschrecke, ist es fast mitternacht. die lederjacke sitzt neben mir und schreibt sms.
"hmhmhmhm..." murmle ich.
die lederjacke guckt besorgt bis belustigt und fragt mich:
"willst du nicht vielleicht hierbleiben heute nacht?"
"hmhmhm... eigentlich müsste ich noch nach a., mein fahrrad vom club abholen... und nachhause, die katze füttern!"
"dein fahrrad wird bestimmt nicht geklaut, und die katze hält das auch mal bis morgen früh aus. in dem zustand lasse ich dich sowieso nicht radfahren."
ich überlege kurz, dann mache ich als antwort einfach wieder die augen zu. die lederjacke zieht mir die bettdecke bis unters kinn und kuschelt sich neben mich.

so schlafen wir, bis am nächsten morgen mein wecker klingelt, weil ich in therapie und die lederjacke ihr promotions-vorhaben vorantreiben muss.
als ich schon angezogen bin und meine tasche nehmen will, beugt sich die lederjacke hinunter und wühlt in seiner klamottenkiste:
"warte mal..."
dann zieht sie einen schal hervor - denselben, den sie auch immer zur lederjacke trägt, und der mir so gut gefällt, weil man ihn knöpfen kann.
"den magst du doch so."
ich bin ganz gerührt, dass sich die lederjacke so viel merkt, was mir gefällt und was nicht und umarme sie ganz fest.
"danke. das ist furchtbar lieb."
dann schubst mich die lederjacke aus der wohnung.
"wir können uns ja demnächst mal zum spazierengehen treffen, wenn du willst", sagt sie zum abschied.
"wir könnten auch mal zusammen wegfahren", fällt mir spontan ein.
"auja", sagt die lederjacke. "aber wir können doch beide nicht auto fahren."
"es gibt züge."
"ach nee."
"ach doch."
"dann lass uns das mal ins auge fassen."
ich bekomme noch eine große, schöne, feste umarmung, dann renne ich zum bus, während die lederjacke die andere richtung einschlägt, um leergut wegzubringen.

als ich schließlich im bus sitze, freue ich mich ganz schrecklich über die lederjacke. es tut gut, solche menschen zu kennen.

und solche katzen.

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Donnerstag, 13. September 2012
wildcat goes wintersleep
mein bett ist die aktuelle kitty-place. neuerdings oben. nicht mehr drunter. wir werten das als fortschritt.



wenn wildcat schläft, sind die augen immer ein wenig geöffnet und die öhrchis auf luscherstellung. ich dachte zunächst an fehlende entspanntheit. mitnichten. in dieser position pennt wildcat wie ein stein und verpasst manchmal sogar den feind nummer eins, den staubsauger.

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Montag, 10. September 2012
lederjacke reloaded
ein abend bei der lederjacke.

als ich ankomme, kriecht die lederjacke ohne lederjacke nur in hemdchen und höschen bekleidet durch sein wg-zimmerlein und schrubbt den boden mit sagrotan. ich stehe noch unbemerkt unter der tür und beobachte das treiben eine weile, bevor ich dann sage:
"nana, aber ich stehe doch nicht auf devote männer."
die lederjacke taucht ertappt und mit hochrotem kopf unter seinem schreibtisch hervor.
"ich hab was verschüttet. das zieht sonst in den holzboden ein!"
ich lächle:
"gottseidank sind wir nicht verheiratet!"
die lederjacke grinst:
"kannste nicht mit männern mit putzfimmel? ich kann auch ganz dirty, du."
"ich erinnere mich dunkel."

die lederjacke ist inzwischen auf den füßen und schwenkt mich zur begrüßung in objekt-manier herum. große muskelpakete haben einfach was.
"ich muss was essen", sagt die lederjacke und ordert pizza. dann sitzen wir rum und diskutieren filme. ich mache mich für einen abgefahrenen horror-movie stark und die lederjacke lässt sich breitschlagen.

danach sitzen wir schulter an schulter im bett und starren auf den monitor, wo viel totes fleisch, blut und sperma zueinander finden. die lederjacke hält sich alle zwei minuten die augen zu, um mich dann wieder vorwurfsvoll zu fixieren:
"das ist einfach abartig! kein wunder, dass du in der psychiatrie gelandet bist."
ich kaue pizza und zucke die achseln.
"dass du dabei auch noch ESSEN kannst!"
"wir können ja aus machen, wenn dir das too much ist", sage ich versöhnlich-provokant.
das will die lederjacke natürlich auf keinen fall.
"ist bloß, weil wir gerade essen, weißt du."
"jaja. und später, wenn ich weg bin, klammerst du dich in die kissen und starrst panisch auf die potenziellen zombies, die um dein bett schleichen."
die lederjacke knufft mich.
"frollein, jetzt werden sie aber frech."
ich kichere.
"du kannst ja dableiben", schlägt die lederjacke vor.
"vergiss es, ich habe keine medis dabei. bei sonnenaufgang verwandele ich mich in einen schluck wasser und versickere in deinem holzboden."
die lederjacke starrt mich an. ein bisschen zu lang. ich gucke schnell wieder auf den bildschirm.

"geht es dir gut?" fragt die lederjacke später vorsichtig.
"mir geht es immer gut, wenn andere menschen höllenqualen leiden."
"ich habe noch nie ein mädchen getroffen, dass mir solche filme zeigt."
"tja."
ich schlüpfe in meine stiefel.
"schick", findet die lederjacke.
"mit den blöden pfennigabsätzen bleibt man nur dauernd wo hängen", erwidere ich.
"dann bleib mir jetzt auf dem weg bloß nirgendwo hängen."
"nein nein. in nichts und in niemandem."
"finde ich gut", lächelt die lederjacke.

die lederjacke umarmt mich. sie ist ganz warm und riecht gut.
"wollen wir mal wieder zusammen ausgehen?" fragt sie dann schüchtern.
"klar, gerne."
"samstag?"
"wollen mal sehen."
"sag mir bescheid."
"mach ich."
"tschüß."
"bis bald."

als ich schon an der klinik vorbeiradle, plingt mein handy und ich lese die sms, die mir die lederjacke noch nachschickt: "ich habe mich sehr gefreut, dass du heute da warst."
alles, was frau wissen will.

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Samstag, 8. September 2012
pogo
"ich weiß nicht, was ich später will. reich werden."
der typ, der sich ungefragt neben mich gepflanzt hat, ist auf dieser üblen punk-party ziemlich verloren. er lebt erst seit drei monaten in der stadt, um sein abi nachzuholen.

"wie alt bist du denn?" frage ich.
"21."
21 und als lebensziel reich werden, das finde ich ziemlich autsch. dieses lebensziel haben andere etliche jahre früher, in seinem alter aber bereits wieder verworfen und durch einen echten sinn ersetzt.
"wie willst du denn reich werden?"
"weiß nicht. ich wollte mal pilot werden. oder fremdenlegionär. oder börsenmanager."
als ich lächle, sind ihm seine zukunftspläne offenbar peinlich.
"du denkst, das ist dumm, oder?"
"nö. dir fehlt aber vielleicht... ein bisschen lebenserfahrung."
"ja, toll, du hast halt ein paar bücher mehr gelesen als ich, sonst ist da doch kein unterschied."
"naja, ich würde mal sagen, in zehn jahren passiert mehr als ein bisschen zuwachs in deiner bibliothek."
"du meinst also, du bist nicht die richtige für mich?"
der gedankensprung ist gewagt, noch gewagter als die theorie, dass man innerhalb einer viertelstunde wissen kann, ob jemand eine traumfrau ist oder nicht. da aber ungeachtet der denkrichtung die schlussfolgerung stimmt, nicke ich eifrig.

"wie alt bist du denn?"
"na wenn ich zehn jahre älter bin als du...?"
"31!" der typ ist entsetzt.
"ja, sorry, bin halt schon ne omma."
"nee, gar nicht. du siehst total jung aus."
entweder hat der gute tomaten auf den augen, oder das schwarzlicht und der drei-tage-urlaub zeigen bereits wirkung. ich bin geschmeichelt.
"du hast auch ein total cooles outfit."
"ich bin halt nicht so ein h-und-m-opfer."
"wo kaufst du deine klamotten?"
"auf flohmärkten, oder im internet... in erotik-shops... oder einiges mache ich auch selbst."
der junge ist schwer beeindruckt:
"das heißt, du kannst nähen?"
"naja! ein bisschen. für kleinkram reicht es."
"kannst du mir dann auch mal was nähen? ich hätte auch gern so was im punk-style."
"tja, ich wohne aber nicht hier. sondern in hamburg."

der typ starrt mich an.
"dann bist du echt nicht die richtige."
ich muss lachen.
"hatten wir ja bereits festgestellt."
"aber es ist trotzdem cool, sich mit dir zu unterhalten. du bist anders als die mädchen, die ich so kenne."
"wo lernst du die denn kennen?"
er nennt mir zwei, drei locations, in denen, wie ich weiß, nur spackos und tussen abhängen.
"dann liegt das vielleicht daran, dass deren iq die 60 nicht besonders weit überschreitet."
"wie viel ist 60?"
"60 ist die grenze zum schwachsinn. damit kommt man maximal auf die sonderschule."
der typ ist amüsiert und kichert.

als der dj das nächste üble lied spielt, merke ich, dass ich müde bin. meine freunde stehen am tresen und sind betrunken. ich habe mir medikamentenbedingt irgendwann ein trinkstopp erteilt und erlebe die tristesse in ihrer ungefilterten version.
"ich gehe", sage ich zu dem typen.
"wohin", macht er große augen.
"ins bett."
der typ starrt mich an.
"och nö!"
"oh doch. ich bin zu alt für schlechte parties."
"och nööö... lass uns doch noch wo was trinken."
er nennt den namen einer bar, in der, wie ich weiß, auch lauter tussen und spackos rumhängen.
"was willst du da, den durchschnitts-iq heben?" erwidere ich lachend.

doch der typ gibt nicht auf. irgendwann, als er mir dann verspricht, dass er taxi und besäufnis finanzieren und mich später sicher zum bus bringen wird, lasse ich mich breitschlagen. wer so unbedingt will, hat einfach eine chance verdient, finde ich.

ich rufe ein taxi und wir fahren in die schreckliche bar mit den tussen und den spackos. doch vor der tür drängen sich bereits hunderte von gretels in goldglitzernden highheels, den immer gleichen hotpants und so viel make-up, dass daniela katzenberger daneben wie ein model für den öko-look wirkt. sie sind umringt von unzähligen vollidioten in hawaihemden und bermudas, denen nicht nur alkoholbedingt grammatik und satzbau vollständig abgehen. der türsteher winkt uns bereits von weiten mit einer abwehrenden geste entgegen. kurzum, ich habe glück und die bar ist so überfüllt, dass ich nicht mal als daniela-katzenberger-verschnitt reingekommen wäre.

"was nun?"
der typ ist enttäuscht.
"gehen wir einfach weiter in die innenstadt und nehmen die nächste kneipe."
leider habe ich vergessen, dass nürnberg nicht nur keinen kiez hat, sondern dass die wenigen, verstreut gelegenen kneipen auch am wochenende alle gegen eins oder zwei oder allerspätestens drei zumachen.
nach einer längeren odyssee landen wir schließlich an der tankstelle, kaufen uns whiskey cola und bier und setzen uns auf den grünstreifen.
"ich würde jetzt gern was verrücktes machen", sagt der typ.
"was denn?"
"keine ahnung... in eine kirche einbrechen oder so. oder ein auto klauen."
"spitze", finde ich.
"du hälst mich für doof", beschwert sich der typ.
"wenn du sowas von dir gibst, schon", muss ich kichern.
aber humor hat er, denn er lacht mit mir, und das finde ich sympathisch.
also lege ich ihm die hand auf die schulter und sage sehr ernst:
"ich glaube, du bist ein prima mensch. daran musst du immer festhalten, egal was dir irgendwelche penner einreden. das sage ich dir jetzt so als... große schwester, okay?"
der typ guckt ein bisschen verwirrt, bedankt sich dann verlegen und nimmt schnell einen schluck aus seiner dose.

gegen fünf uhr morgens, als wir schon die letzten auf der straße sind, bringt er mich zur bahn.
"sehen wir uns mal wieder?" fragt er.
wir tauschen mailadressen und ich verspreche ihm, dass er mich mal in hamburg besuchen kommen darf.
"da kann man dann auch bis sieben uhr morgens und noch länger feiern", sage ich.
"cool", findet der typ. "dann bis ganz bald!"
bis nicht ganz so bald, hoffe ich, und mache mich auf meinen heimweg.

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Donnerstag, 30. August 2012
kitten content
der gestrige empfang war wie gedacht: die mieze flüchtet aus der box direkt unters bett und versteckt sich hinter einer am bettpfosten herabhängenden jacke. nur die äußerste schwanzspitze guckt noch hervor, wird dann aber eingezogen, als ich mich auf den bauch lege und unter mein bett linse. die lederjacke, selbst katzenerfahren, steht daneben und meint: "die siehst du vor dem wochenende nicht mehr."

wir gehen ins wohnzimmer und die lederjacke pflanzt sich in meinen sessel. ich hibble verlegen im drehstuhl, kann mich nicht entspannen. das vieh unter meinem bett und die sexy lederjacke, die heute ein muscleshirt trägt und durchtrainierte oberarme offenbart, machen mich ganz kirre. die lederjacke fragt vorsichtig:
"willst du mal erzählen, was in den letzten monaten so passiert ist?"

ich beginne, von meiner frisch erworbenen psychischen zerbrechlichkeit zu berichten. die lederjacke hört sehr aufmerksam zu und für einen moment fühle ich beinahe objekt-geborgenheit. männer, die zuhören, die ruhe und geduld ausstrahlen, die ihre langen beine ausstrecken und damit meinen stuhl zu sich heranziehen, die sind mir sympathisch.

die lederjacke hat mir auch ein geschenk mitgebracht: ein kleines gebiss, das mit den zähnen klappern kann. ich bin ganz gerührt.
"da hat die katze auch was von", findet die lederjacke.
"der macht das bestimmt angst", mutmaße ich.
"dann verbringt sie auch das wochenende unter deinem bett, haha."

plötzlich und unbemerkt steht der kleine tiger unter der tür. ich entdecke ihn zuerst und flüstere "guck mal" und langsam drehen wir unsere köpfe. das genügt, um bei madame sämtliche fluchtreflexe zu aktivieren. doch die neugier ist stärker als die furcht, und zwei minuten später steht sie wieder unter der tür und guckt.
"boah, was für ein schönes tier", flüstert die lederjacke.
"wildkatze", flüstere ich.
"und guck mal die augen... riesige blaue, nein rote, oder nein... rotblaue augen!"

wildcat pirscht im tiger-style um uns herum und schnuppert misstrauisch. dann streckt die lederjacke die hand aus. wildcats näschen kommt näher und näher. schwupps, angedockt. danach kommt sie zu mir und wir sagen uns hallo.
wir halten ganz still, während wildcat umherwandert und meine wohnung pfote für pfote erobert. dann klackert das trockenfutter im napf und wir wissen, dass auch in sachen appetit alles okay ist.
"die ist schneller als wir dachten", sagt die lederjacke und ich bin ganz erleichtert.

als die lederjacke auf klo muss, folgt ihm wildcat bis vor die tür.
"pass auf, wenn du die tür aufmachst", rufe ich.
als die lederjacke wieder im wohnzimmer sitzt, sage ich:
"also wenn die dich nachher vermisst, muss ich dich leider zwingen, hier einzuziehen."
die lederjacke lacht.
"da kann ich mir was schlimmeres vorstellen."
"danke für das kompliment."
"bittebitte."

als die lederjacke entschwindet, weil depri-morphine serotoninmangelbedingt frühzeitig ins bett muss, bin ich im gegensatz zu sonst hellwach. wildcat sitzt gelangweilt auf meinem bett und erhebt sich dann, um ins wohnzimmer abzuwandern. dort streckt sie sich auf dem teppich im mondschein aus und macht katzenwäsche.

ich lege mich ins bett und fühle mich angespannt. ich bin tiere nicht gewohnt. wildcat ist so leise, dass ich mich zu tode erschrecke, sobald auch nur der vorhang im dunkeln raschelt. es wird eins, dann zwei, dann drei. als ich kurz eindöse, werde ich schnell wieder wach, weil etwas warmes, schweres zwischen meinem po und meine kniekehlen liegt. die besitzer hatten behauptet, wildcat würde nie ins bett kommen, aber vielleicht haben sie einfach nur einen festen schlaf.

am morgen bin ich total gerädert und spät dran. zähneputzen, anziehen, haare kämmen und los. ach halt. die katze.
luft anhalten und klo sauber machen, dann noch mal luft anhalten und die dose ragout öffnen. nassfutter ist ja wichtig. als ich den napf in sicherer entfernung weiß und einatme, muss ich würgen. das zeug stinkt zum himmel, und es ist noch nicht mal thunfisch. zumindest für die nüchterne nase eine vegetarierin ist katzenfutter eine echte zumutung.

wildcat ist unsichtbar. ich rufe sie, aber sie kommt nicht. erst, als ich den vorhang im schlafzimmer zurückschieben will, entdecke ich das fell-vorhang-knäul am boden. da hat es sich aber jemand gemütlich gemacht. wildcat starrt mich erschrocken an, bewegt sich jedoch nicht. ich strecke den finger aus. sie schnuppert und lässt sich ganz zart unter dem kinn kraulen.

dann kann es losgehen. als ich die tür abschließe, überlege ich, ob ich an alles gedacht habe (kippfenster schließen, herd ausmachen, klodeckel schließen, yucca-palme in sicherer entfernung platzieren), dann ziehe ich los ins büro - nicht, ohne vorher noch ein stoßgebet zum himmel zu schicken, dass wildcat in meiner abwesenheit keine bambule veranstaltet und vor allem nicht beginnt, reviere in meiner wohnung zu markieren.

wider erwarten finde ich bei meiner rückkehr eine saubere und unberührte wohnung vor. aber alle näpfe sind leergefuttert und das klo benutzt. wildcat hingegen ist wieder unsichtbar. ich finde sie nach längerem suchen hinter dem kleiderschrank. da sitzt sie bis jetzt und bewegt sich nicht. vermutlich muss die lederjacke nun doch bei mir einziehen.

t.b.c.

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Samstag, 25. August 2012
nachtschicht
als ich gestern sehr spät aus dem büro komme, so spät, dass der feierabendverkehr schon durch ist und die leute wieder in die stadt drängen, um zu feiern, erreicht mich eine sms der krankenschwester. die krankenschwester ist eine neue freundin von mir, eine frau, die ich ursprünglich mal für mr. shyguy hatte abschleppen wollen, was aber irgendwie schiefging und achichweißauchnichtmehr.

die krankenschwester hat heute und morgen frei, ihren sohn ausquartiert und will mich zum saufen überreden. da ich sowieso in freizeitkluft auf arbeit war - schwarzer rock, schwarzes kitty-thinks-you-are-an-asshole-punker-t-shirt - mache ich stante pede kehrt und fahre richtung schanze. in der bahn überlege ich, ob das mit dem saufen sinn macht, aber ich habe noch nicht so viele psychopillen intus, dass alkohol zwangläufig zum totalen knockout führen würde.

in meiner stammkneipe freut sich der barkeeper, mich endlich mal wieder zu sehen und gibt uns gleich zwei caipis aus. die krankenschwester sieht scharf aus wie immer und nuckelt, ich glaube, sie kann sie anders, aufreizend an ihrem strohhalm. dann erzählt sie mir von ihrem horror-unfall vor zwei wochen, als sie besoffen vom fahrrad gefallen war.
"schleudertrauma, gehirnerschütterung und kapselriss in der schulter", berichtet sie ein bisschen stolz und ein bisschen zerknirscht.
"autsch", sage ich. "ich bin auch letzten winter mit dem rad auf dem eis gestürzt und hatte ne gehirnerschütterung. die hab ich aber zu spät bemerkt. das hat vier wochen oder so gedauert, bis die kopfschmerzen und diese merkwürdige müdigkeit mal weg waren."
"ja, scheiße", sagt die krankenschwester.

wir trinken noch einen caipi, dann fragt mich die krankenschwester, ob ich was zum ziehen hab. da ich das zeug noch immer gewohnheitsmäßig-blauäugig in der arbeitstasche mit mir rumtrage, kann ich ihr aushelfen.
als sie vom klo wiederkommt, hat sie einen kleinen laberflash und lästert erst über ihren paranoiden freund, dann über die neue stationsleitung.
"wie lange machst du das eigentlich schon?" frage ich und meine ihren job.
"16 jahre", sagt die krankenschwester.
"boah", sage ich, "ich hätte ja ständig angst, dass ich jemanden aus versehen umbringe."
"naja, auf der intensivstation ist das recht einfach", kichert die krankenschwester.
"eine bekannte von mir, die auch wegen depressionen in behandlung ist, war kinderkrankenschwester auf der krebsstation", erzähle ich. "die hat echt die macke gekriegt, weil immer die lütten gestorben sind."
"bei mir sterben meistens nur alte leute", zuckt die krankenschwester lapidar die achseln. "und ich mein, die sterben ja sowieso. ob jetzt bei mir im krankenhaus oder zuhause in der wohnung. ob jetzt fünf jahre früher wegen krebs oder fünf jahre später zuhause beim kacken an einer hirnblutung."
"skol", sage ich und proste ihr zu mit dem neuen caipi, den mein barkeeper, der unser gespräch grinsend verfolgt hat, uns über den tresen schiebt.

gegen eins kriege ich das große gähnen und die krankenschwester den zappeldrang.
"da ist noch eine party auf dem kiez", sage ich, während der alkohol schwer in meinem kopf kreist.
die krankenschwester reißt mich vom barhocker und schleppt mich dann über den pferdemarkt durch halb st. pauli bis zum club.
"ich glaube, ich werde nicht alt", sage ich und meine den abend.
"sagte die frau mit dem pep in der tasche", lacht die krankenschwester.
"ich weiß nicht, ob das so gut wäre", wende ich ein. "ich habe neulich erst den totalen systemabsturz produziert."
"heute bist du ja unter ärztlicher aufsicht, sozusagen", beruhigt mich die krankenschwester.

ziehen will ich nicht, also lege ich mir eine homöopathische dosis auf die zunge, oral kommt softer und langsamer, das gilt für drogen wie für einen guten blowjob. zehn minuten später ist mir ordentlich schwummrig, dann bekommt das herz die überhand über den absaufen wollenden kreislauf und es geht mir wieder gut.
wir entern den club und gehen tanzen und schwitzen. ich lande jetzt bei cola und wasser und irgendwann schnell in den sesseln.

plötzlich steht der paranoide freund der krankenschwester vor mir und beschuldigt uns, wir seien gar nicht zusammen trinken gewesen. der paranoide freund ist schwer gestört, also ich mache ich das, was ich auch mit durchdrehenden patienten in der notaufnahme der psychiatrie schon fabriziert habe: themawechsel.
fünf minuten später sind wir beim thema beruf, der paranoide freund entpuppt sich als designer für computerspiele und spricht mit großer leidenschaft von seiner kreativarbeit und dem neuen genialen illustrator, den er gerade eingestellt hat. als ich berichte, dass ich schreibe, ist er ganz angetan. kreative unter sich.

so findet uns die krankenschwester. als sie zu uns stößt, ist die situation wieder entschärft und der paranoide freund nicht mehr so paranoid. stattdessen beichtet er mir, dass er der krankenschwester manchmal einfach nicht glaube und angst habe, dass sie fremdgeht. wie ich die krankenschwester kenne, ist die sorge nicht ganz unberechtigt, allerdings weiß ich von ihr, dass auch der paranoide spieledesigner kein kind von traurigkeit ist.

da psychopharmaka und alkohol die halbwertszeit von pep offenbar drastisch verkürzen, bin ich gegen viertel nach drei tatsächlich am ende meiner kräfte und kann kaum mehr sprechen vor erschöpfung. ich will zum bus, während sich die krankenschwester sorgen macht und möchte, dass ich ein taxi nehme.
"bist du auf, ich hatte gerade meine steuernachzahlung", wehre ich mich.
die krankenschwester will mir geld leihen, aber ich sehne mich nach frischer luft und bin überzeugt, dass mir der spaziergang zur haltestelle nur gut tun würde.

ich setze mich durch und wanke zum bus. ich spüre meine füße. ich spüre hunger. an einem kiosk kaufe ich mir noch ein wasser, schokolade, gummibärchen und zigaretten. dann sehe ich schon den bus herannahen und spute mich.

im bus lasse ich mich neben einen jungen asiaten fallen, der geschlafen hatte, aufwacht und mich erschreckt anschaut. dann lächelt er über mein t-shirt und macht eine geste, dass es ihm gefalle. zwei minuten später nickt er wieder ein und rutscht gegen mich. ich tippe ihn an, er macht die augen wieder auf und sagt sorry. dann funkt mir der sandmann dazwischen und der junge asiate muss mich in einer kurve von seinem schoß pflücken. wir müssen lachen. ich schaue ihn an, er sieht wirklich gut aus, obwohl ich nicht auf asiaten stehe. er ist groß und kräftig gebaut, hat ein unglaublich gleichmäßiges, glattes gesicht und trägt eine riesige brille, die ihn sehr intellektuell wirken lässt. ich schätze sein alter auf mitte 20.
als ich in winterhude aussteige, sagt er etwas freundliches in einer fremden sprache. ich lege ihm kurz die hand auf die wange, dann springe ich die kühle nacht und ziehe meiner wege.

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Mittwoch, 22. August 2012
b + b
ankommende objekt-sms: "lust auf b + b?"
ich: "bed + breakfast???"
objekt: "beer + blowjob!!!"
ich: "fick dich selber! :)"
objekt: "okay, mach ich. kannst trotzdem vorbeikommen, ein bier mitbringen und zuschauen."

da fehlen einem doch die worte.

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Donnerstag, 9. August 2012
totally bright
"das ist selbstverletzendes verhalten. das ist... das ist schon sowas wie von der brücke springen", sagt die objektstimme vorwurfsvoll-besorgt in mein ohr.
"es tut mir leid", sage ich.
doch die anspannung, die sich über den tag in eine art unerträgliche unruhe gesteigert hatte, hatte sich mit meinen daily psychopharmaka diesmal einfach nicht recht lindern lassen. also schluckte ich hübsch meine notfallration benzodiazepine und gegen abend schließlich, als ich schon ahnte, dass ich aller chemie zum trotz nicht schlafen können würde, kam unvernünftigerweise der wodka dazu. das passierte ganz automatisch, irgendwie halbbewusst, so, als wäre ich nicht ganz ich selbst gewesen.

in hinblick auf den ersten effekt kann man die kombi durchaus als empfehlenswert beschreiben. sie killt alle ängste und gefühle. der kopf schwebt knapp unter der zimmerdecke und der körper ist angenehm schwer. in hinblick auf nebenwirkungen, die dann beispielsweise beim sprechen, denken oder bei bewegungsabläufen noch bis 24 stunden später auftreten, muss allerdings vor einer solchen mische dringend gewarnt werden.

der objekt-anruf jedenfalls kam genau zum falschen zeitpunkt. und dennoch auch zum genau richtigen.

am telefon lalle ich. ich denke zunächst, das kommt vom liegen, weil ich alkoholschwanger im bett lümmle. doch im sitzen ist es auch nicht besser. das objekt, selbst erfahren genug, checkt sofort, was los ist.

"steh auf", befiehlt es mir, als ich gebeichtet habe.
"müde!" wehre ich mich.
"steh sofort auf und geh duschen!"
ich sage nichts. denke, das ist ja voll bescheuert. jetzt, wo endlich alle schrecklichen gefühle mal tot sind.
"du darfst jetzt nicht einschlafen", redet das objekt auf mich ein.
"wasn dann", entgegne ich. "sterbe ich dann?"
"nee. aber dann wirst du morgen nicht arbeiten können, weil du das down deines lebens hast", erklärt das objekt.

ich überlege. sterben wäre für diesen moment theoretisch okay gewesen, aber nicht arbeiten, das geht natürlich nicht.
"hmhmnn" murmle ich und drehe mich schon mal auf die andere seite. so ein kissenrascheln klingt doch hoffentlich kooperativ. nicht, dass mich das objekt jetzt einweisen will.

"steh auf", wiederholt das objekt, das mich zu durchschauen scheint. "und wehe, du drückst mich jetzt weg. ich ruf in der klinik an."
"hör auf", bettle ich, "ich bin doch froh, wenn ich endlich mal pennen kann!"
"sich wegmachen hat mit schlafen nichts zu tun", kritisiert das objekt.
ich, schlaflos und mit irrer angst vor der angst, sehe das natürlich anders.

"okay, ich sitze", berichte ich, als meine beine über die bettkante baumeln.
sitzen fühlt sich dann aber an, als würde mein kreislauf gleich kollabieren. nicht gut.
"es tut mir so leid, du hasst mich jetzt bestimmt", sage ich zusammenhanglos.
"oh mann", sagt das objekt und es klingt noch genervter als ich befürchtet hatte.

ich halte die klappe und wünsche mir tränen. weinen bewirkt häufig, dass mitmenschen nicht so sauer sind wie sie eigentlich sein wollen.
doch da sagt das objekt noch mal "oh mann", aber jetzt klingt es gottseidank schon sanfter und eher verzweifelt und ein bisschen hilflos. dann sagt es:
"ich weiß auch nicht mehr, wie ich dir helfen soll. du psychiatrisierst. deine seele löst sich auf, wenn du sowas machst, kapierst du?"

das tut mir so leid, dass ich dann doch kurz den tränen nahe bin. für wen, frage ich mich, tut mir das eigentlich leid, für mich oder für das objekt, doch dann ist der gedanke schon wieder weg. ich schnüffe ein bisschen, aber die augen sind schon wieder so trocken wie altes feuerholz.

"okay, wir machen jetzt einen plan", fasst sich das objekt. "du stehst auf und gehst duschen. und dann isst du was. auch wenn es nur was kleines ist."
beim gedanken ans essen dreht sich mir der magen um, aber ich sage erstmal "hm", nicht dass das objekt denkt, ich rolle mich gleich wieder ein und penne.
"und dann?" frage ich, weil ich mir gerade nicht vorstellen kann, wozu wach sein gut sein könnte.
"dann gehst du kurz raus. einmal frische luft. du wirst es nicht weit schaffen, aber vielleicht einmal bis zu den mülltonnen in der grünanlage vor deinem haus. das reicht auch, denn auf der straße ist es für dich so eigentlich zu gefährlich."
"hm", sage ich, total begeistert.
"und dann rufst du mich noch mal an", ergänzt das objekt.
"okay."
"versuch einfach, runterzukommen und ein bisschen nüchtern zu werden."
"ja doch", sage ich etwas gereizt.
"sorry", schiebe ich nach.
"oh mann", sagt das objekt zum dritten mal während des telefonats. die tonlage ist diesmal unspezifisch. therapeutenneutral. das finde ich arschig. das objekt soll herkommen und mich in die arme nehmen. anderseits bin ich todfroh, dass es professionell genug ist, um sich nicht von meinen eskapaden erpressen zu lassen. das sichert uns die oberhand über das, was gerade mit mir geschieht. seiner inneren distanz werde ich es verdanken, wenn ich es am nächsten tag irgendwann ins büro schaffe.

zwei stunden später bin ich geduscht, angezogen, habe was im magen und mich einmal kurz nach draußen gewagt. ich mache gehorsam meldung.
"du klingst schon besser", lobt mich das objekt.
"aber ich bin wach", beschwere ich mich.
"das macht nichts. dann verstoffwechselst du noch ein bisschen was."
"aber wenn ich wieder nicht schlafen kann?"
"bleibst du eben wach. lies was."
"inzwischen verbinde ich ein buch mit schlaflosigkeit", jammere ich. "ich will lesen nicht irgendwann doof finden müssen."

das objekt seufzt mühsam beherrscht und ich merke, sein geduldsfaden ist zum zerreißen gespannt.
"eigentlich sollte ich vorbeikommen und dir mal richtig den arsch versohlen", sagt es grimmig, muss dann aber lachen. und auch ich muss ein bisschen kichern.
"mach doch", erwidere ich.
"das könnte dir so passen. solange du scheiß baust, mach ich keine rendezvous mit dir. ich bin ja nicht lebensmüde."
"danke dafür", sage ich, "danke, dass du so vernünftig bist und so ein arschloch."
"hör auf mich zu provozieren."
"gar nicht."
"tust du doch. du brauchst echt mal eine geschallert. und jetzt geh schlafen oder wachbleiben oder masturbieren oder was auch immer."
"tschüß du lieber, lieber arsch", beende ich das gespräch.
"machs gut, my suicide-girl."

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