Samstag, 5. Januar 2013
antibiotikum
der objektsohnemann stromert durch meine wohnung, während ich mit seinem papi auf der homepage des arbeitsamts stöbere. ab und an scheppert was, da der sohnemann ähnlich wie der papa zum unabsichtlichen zerstören neigt. dann kommt er wieder ins wohnzimmer, schmiegt sich an mich und fragt ganz schüchtern:
"duhuuu... warum hast du antibiotikum in der küche liegen?"
ich stutze, da bei mir kein antibiotikum in der küche herumfliegt, weil ich keines nehme und ich medikamente normalerweise vor kinderhänden gut verstecke, um den lütten davor zu bewahren, sich meine psycho-smarties reinzuziehen. weiterhin bin ich ganz perplex, dass der kleine weiß, was ein antibiotikum ist.

"das kann nicht sein", erwidere ich erstmal.
"dohoch! ein halbes!"
der objektsohnemann flitzt in die küche und bringt dann tatsächlich eine halbe weiße tablette herein.
das objekt schaut mich fragend an und ich vermute, dass es auf irgendwelche drogen tippt und im sichergestellten material den beweis sieht, dass ich - wie es ab und an mutmaßt - doch nicht auf die kleinen chemischen freuden verzichte.

ich glotze auf die tablette und gerate selbst erstmal in erklärungsnot, zumal das ding tatsächlich aussieht wie ein halbes antibiotikum.
"wo hast du das denn gefunden?" frage ich den lütten.
"hinter der kaffeemaschine."
ich wundere mich noch einmal, denke scharf nach, dann endlich fällt es mir wie schuppen von den augen:
"das ist eine halbe mineralstofftablette! das ist kein antibiotikum, sondern ein ganz normales nahrungsergänzungsmittel!"

das objekt sieht eindeutig erleichtert aus, während der objektsohnemann von neuem fasziniert ist:
"und was kann man damit machen? wofür ist das gut?"
"da sind kalium und magnesium drin. das sind zwei ganz wichtige mineralstoffe, die gut sind für herz, nerven und muskeln."
"und warum brauchst du das?"
"brauchen kann man nicht sagen. es ist ein zusatz. beispielsweise wenn man einen wadenkrampf hat - das kennst du vielleicht auch..."
und der sohnemann nickt:
"das tut fies weh!"
"also sowas kann mit magnesiummangel zusammenhängen. wenn man dann so eine tablette nimmt, kommt der krampf so schnell nicht wieder."

der objektsohnemann guckt interessiert und fragt dann:
"kann ich die haben?"
"die lag offen rum, dann würde ich sie lieber wegschmeißen. außerdem brauchst du das nicht, du hast ja keine krämpfe. und wenn du vorbeugen willst, dann mach ich dir jetzt lieber eine apfelsaftschorle, da sind auch viele mineralstoffe drin."
"auja!"

der objektsohnemann springt begeistert auf, begleitet mich in die küche und das antibiotikum ist vergessen.
dann schnappt er sich mein handy und spielt friedlich ein spiel, während das objekt und ich den objektlebenslauf tunen und die unterlagen fürs arbeitsamt fertigmachen.

das objekt lächelt mich mehrmals von der seite an, drückt meine hand unter dem tisch und ich fühle mich für einen moment ganz zauberhaft familiär. dann fängt der objektsohnemann an, uns unter lautstarken "guck mal, guck mal"-rufen seine neuen hiphop-moves vorzuführen und bringt meine zimmerpflanze dabei zu fall. während der papa schimpft und den kleinen losschickt, um schaufel und besen zu holen, bin ich dann doch wieder sehr glücklich, dass der familienmoment kein lebenslänglicher ist.

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Dienstag, 1. Januar 2013
hallo 2013!
der erste eindruck war ja schon mal positiv. du hast gut angefangen. so viele umarmungen wie gestern habe ich gefühlt in ganz 2012 nicht bekommen - und in den vier jahren zuvor erst recht nicht. damit hast du hohe erwartungen gesteckt, aber auch dankbarkeit spürbar gemacht.

schön, dass ich so viele nette menschen kenne und dass diese mich kennen mögen. und es waren noch längst nicht alle dabei, die ich gerne in meinen armen gehalten hätte. und dabei verwechsle ich nicht qualität und quantität. denn ich bin nicht everybody´s darling. ich suche mir meine darlings verdammt noch mal ganz genau aus.

"das wird dein jahr", haben gestern vier leute gesagt, leute, die meinen psychischen absturz zumindest in auszügen miterlebt haben und mir trotzdem die stange halten. "du bist im besten alter, du bist intelligent, und du hast einiges an erfahrung, dass muss doch mal irgendeiner anerkennen." ich hoffe noch immer das beste und versuche den problemberg weiterhin als spielerische herausforderung zu sehen.

um mitternacht hab ich ein tränchen verdrückt und mich reich geschätzt. ich befand mich auf einer tollen party und stand mit k., t. und h. auf dem balkon der wahnsinnigen eigentumswohnung des gastgebers. der gastgeber war, obwohl schwerreich, irgendwie ganz normal geblieben und hatte für jeden ein freundliches wort, obwohl er die meisten gar nicht kannte - die eigendynamik, wenn ein ganzes haus zusammen feiert.

gegen halb zwei war ich mit dem gastgeber in der küche und futterte mich durch die verbliebenen köstlichkeiten, während k. und t. schon im flur standen, da wir noch weiterziehen wollten. der gastgeber erzählte gerade, dass er ein kind habe und sehr glücklich geschieden sei, als k. hereindrängte und verkündete, dass taxi sei da.
"jetzt haben wir uns gar nicht richtig kennengelernt", sagte der gastgeber bedauernd zu mir. also nahm ich meinen ganzen mut zusammen und fragte ihn nach seiner telefonnummer. "ja, aber nur, wenn du sie auch benutzt!" lautete die antwort. das fand ich fein. hübsche, glücklich geschiedene männer mit eigentumswohnungen sollte man sich nämlich warmhalten.

warmhalten und wertschätzen ist überhaupt das stichwort. die meisten geschenke, die das leben macht, sind nämlich einmalig. so etwas ähnliches sagt mir auch der glückskeks, den ich heute beim japaner bekommen habe:



insofern: danke auch an alle leser! ihnen ein fantastisches 2013!

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Freitag, 28. Dezember 2012
vaters tochter
als ich gestern mittag ins wohnzimmer tappe, schlaftrunken, kreislaufschwach und blass, sitzt da nur mein vater.
"du schläfst aber lang", sagt er. "du warst doch gar nicht aus. sonst bist du doch immer aktiv und unterwegs."
"ich kriege eine erkältung, glaub ich", erläutere ich meine psychopharmakabedingte schläfrigkeit.

ich hole mir eine decke, kuschle mich ein und vergesse für einen moment, dass ich erwachsen bin und für meinen vater die schreckliche sozialversagerin.
"ich hab dir was aufgenommen", sagt mein vater dann und meint ein video.
ich tippe auf eine dokumentation über irgendwelche kirchenhistorischen angelegenheiten, weil wir beide sowas ganz gerne gucken, werde dann aber vollkommen überrascht, als es ein konzertmitschnitt eines auftritts von depeche mode ist.
"woher weißt du, dass ich sowas mag?" frage ich ganz perplex.
"du hast mir mal so ein lied aufgenommen von denen."
aufgenommen heißt, ich habe es auf eine cd gebrannt. mein vater spricht immer noch von "aufnehmen", weil er aus der generation des tonbands stammt. mit dem tonbandgerät verbrachte er in meiner kindheit ganze wochenenden am radio, um die aktuelle hitparade mitzuschneiden.

als ich mich daran erinnere, ist mir klar, warum ich wochenenden mit youtube verbringe und alleine oder gemeinsam mit dem objekt oder anderen musikversessenen konzertmitschnitte oder bestimmte songs suche. ich bin die tochter meines vaters und ihm ähnlich.

"oh, guck mal, das ist von anton corbijn!" rufe ich entzückt, als das konzert beginnt.
"wer ist das denn?"
"der regisseur von control!" sage ich und vergesse dabei, dass mein vater joy division vermutlich nicht kennt.
er sagt nichts und guckt nur.

ich kann nach wenigen takten die titel der meisten songs vorhersagen, und mein vater ist beeindruckt.
"woher weißt du das alles?"
"ich hab ganz viel von denen!"
"wieder aus dem internet? irgendwann erwischen die dich mal mit deinen illegalen aktivitäten!"
"nein, nein, ich habe cds von denen. vier oder fünf. die hab ich schon, seit ich 15 oder 16 bin."
"da hast du ja noch hier gewohnt."
"ja."
"das hab ich gar nicht mitgekriegt."
ich danke still der erfindung der kopfhörer, die unter anderem verhindert haben, dass meine eltern mit meiner vorliebe für punkmusik belästigt wurden. nur die äußerlichen veränderungen - bunte haare, nasenstecker, abgeranzte klamotten - ließen damals darauf schließen, dass ich mich irgendwie in der pubertät befand.

"was ist das für eine musikrichtung?" will mein vater wissen.
"synthiepop."
"hm."
wir lauschen noch ein lied.
"das klingt alles gleich", findet mein vater.
"das ist ja auch dieselbe band. die haben natürlich ihren style. das macht einen künstler unverwechselbar."
"das macht immer so dumdumdum im hintergrund", merkt mein vater an.
"das ist der bass."
"hm", hmt meint vater abermals. "ich hab es ja lieber rockiger."
"ich höre inzwischen sogar ganz viel elektro."
"da bei denen ist auch einer mit einem keyboard dabei, das ist ja dann auch elektrisch."
"ja, aber das ist synthiepop, das kommt vom einsatz der synthesizer, mit elektro meine ich eher sowas wie... techno."
"gehst du etwa auch auf solche technoparties, wo sie alle ecstasy nehmen?!"
"ständig. deswegen bin ich auch dauernd pleite."
mein vater glaubt mir das ganz offensichtlich, bis ich laut lache. in den augen meiner eltern ist hamburg eine art sündenpfuhl, den der teufel persönlich angelegt hat.

obwohl sich mein vater sichtbar langweilt, guckt er das ganze konzert mit mir, wahrscheinlich, weil ich ihm dabei die halbe depeche mode-biografie erzähle. erst nach dem letzten song geht er in die küche, weil es drei uhr nachmittags ist und er gucken will, ob meine mutter schon in die gänge kommt, um die kaffeetrinkzeit um halb vier einhalten zu können.

ich sitze noch eine weile still im zimmer und fühle mich seltsam berührt.

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Mittwoch, 26. Dezember 2012
ticktack
die familie sitzt im wohnzimmer. meine mutter fragt in die runde:
"hat jemand ne uhr?"
ich zeige nach links: "da an eurer wand hängt eine."
meine mum: "ach!"
ich: "jaja, das alter ist aufregend. jeden tag neue entdeckungen, und das auch noch alles gratis.."

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Montag, 24. Dezember 2012
und dann kam mutti
als ich dem objekt die türe öffne, strahlt es mich an, obwohl alles wieder mal länger gedauert hat als gedacht, weil die schichtablösung 20 minuten zu spät dran war und überhaupt weihnachten in der klinik die hölle los ist.

das objekt pfeffert die motorradjacke in die ecke, steckt sich erstmal eine kippe an und wechselt dann die hosen. unter der arbeitsbekleidung hat es sich für objektverhältnisse richtig fein gemacht: schwarze stoffhose, weißes shirt, schwarzes hemd.
"wow", sage ich und das objekt kommt näher:
"ich hab mich sogar rasiert, fühl mal!"
ich kraule die objektwange, in die sich trotz des noch nicht dramatischen objektalters bitterkeit und frohsinn zu gleichen teilen in form von erschreckend tiefen falten verewigt haben.
"und du hast geduscht", stelle ich angenehm überrascht fest.
"naja, ich wollte nichts riskieren, falls du zum blowjob übergehen möchtest", grinst das objekt frech und zieht mein becken zu sich heran. dann schiebt es die hände in meinen hosenbund und stellt fest, dass ich dünner geworden bin.
"du musst echt dringend was essen", findet es.
"ich hab auch ganz feudal eingekauft", antworte ich.

das objekt steht am offenen kühlschrank und ist begeistert angesichts frischer teigwaren, landkäse, fisch und thailändischer mangos.
"sag mal, das hat doch ein vermögen gekostet!"
ich grinse nur und nicke.
das objekt küsst mich.
"du bist ein herz."
"nein, du. du weißt doch ganz genau, dass ich heute alleine gewesen wäre, und bist jetzt hier, obwohl du eine andere frau wo sitzen hast, die ständig auf deine anwesenheit verzichten muss."
"ich will ja bloß dein internet benutzen und musik recherchieren. naja, und natürlich den blowjob."
ich puffe das objekt in die seite und klammere mich dann an, bis mich das objekt wegschiebt:
"sorry, ich hab weihnachten echt immer eine ganz komische stimmung, ich kann da nur begrenzt zärtlichkeit annehmen. hat vermutlich was mit meiner kindheit zu tun."
ich lächle.
"siehst du, und ich kompensiere heute meine sehnsüchte. mit dir, mit essen und alkohol."
"also zum essen würde ich dringend raten."
"dann mach ich mal wasser heiß."
"jawohl, frau, ab in die küche. und vati dreht derweil einen schönen dicken, langen joint."

es gibt tortelloni und fisch mit einer experimentellen soße, die ich selbst gezaubert habe. das objekt ist ganz angetan.
"was ist denn das grüne da?" will es wissen.
"basilikum."
"ah. na ich bin jedenfalls beeindruckt. und du sagst immer, du kannst nicht kochen!"
"kann ich ja auch nicht. reiner zufall, dass das essbar ist."
"quatsch, du bist ein sinnlicher mensch, du zelebrierst dinge und schaffst dir rituale, warum solltest du beim kochen keinen geschmack an den tag legen?"
"wenn du meinst."
"ich meine nicht nur, sondern das hier ist ganz eindeutig einfach köstlich."

später sitzen wir bei musik rum und unterhalten uns.
"du siehst echt ein bisschen besser aus als am samstag", finde ich.
"ich hab leider wieder nicht mehr geschlafen als drei, vier stunden."
"hm."
"ich habe gestern sogar zwei stunden mit meiner mutter telefoniert und ihr gestanden, dass ich über eine therapie nachdenke."
"ach du grüne neune. und was hat sie gesagt?"
"sie hat sich sorgen gemacht, war aber eigentlich ganz cool."
"für mütter ist sowas immer ein harter brocken. da kommt bestimmt noch was nach."
"glaub ich nicht. die sitzen da in ihrem dorf und können sich das hier sowieso alles nicht vorstellen."
"hast du manchmal sehnsucht?"
"nach zuhause? nie. ich hab sehnsucht nach den guten zeiten, wenn dann. kennst du das?"
ich nicke.
"so mit 23 war ich echt glücklich. mein studium war toll, meine freunde waren toll, ich bin noch mal in eine neue wohnung gezogen, so mit badewanne und allem drum und dran... ich konnte mir die leisten, weil ich ne gute arbeitsstelle hatte und es gab irgendwie recht wenig probleme. gar keine, um genau zu sein. ich war sogar so happy, dass ich hoffte, dass ich mich nicht verliebe, weil ich dann weniger zeit für meine freunde hätte. wir waren die ganze zeit am feiern, und wenn wir nicht gefeiert haben, konnten wir super miteinander reden... so richtig, über gott und die welt."
"dann hast du heute natürlich auch entsprechend hohe erwartungen an dein soziales umfeld, hm?"
"naja, ich weiß, wie sich glück anfühlt. und glücklich war ich bis auf wenige sporadische momente nicht mehr, seitdem ich 25 bin."
"hast du das auch, dass dich das glück manchmal anwidert? dass du sagen möchtest, geh doch weg, glück, hau ab, du bist doch sowieso nur eine vorübergehende illusion?"
ich nicke.
das objekt betrachtet mich:
"wir sind uns echt ähnlich."
ich gucke nur, rauche kette und fühle mich vollgefressen.
ich mache ein bäuerchen und das objekt lobt mich:
"du hast richtig gut gegessen."
"wenn ich nicht allein vorm rechner esse, ist das auch was anderes."
"glaub ich dir."

wir reden irgendwann immer weniger, es macht sich ein schweigen breit, dieses berühmte schweigen wohligen einverständnisses, des wortlosen verstehens. wir legen für einander musik auf und weisen auf den text hin. andere sprechen lassen, darin sind wir beide gut. eine reihe kleiner liebeserklärungen und wertschätzungen und kultureller perlen, nur für uns beide.

bis plötzlich das objekthandy klingelt.
ich bin sofort angenervt und denke, es ist die objektgespielin, die mal wieder was will oder kontrolliert oder flunschig ist. doch am objektton merke ich sofort, dass es jemand anders ist.
"ja, ist gut. ich hole dich natürlich ab. ja, es kommt jetzt eben nur ein bisschen überraschend, und ich bin auch derzeit gar nicht zuhause..."
dann lässt das objekt das handy sinken und sagt fassungslos:
"meine mutter ist auf dem weg hierher."
ich bin irgendwie wenig überrascht:
"das hab ich kommen sehen. die macht sich sorgen."
"ich soll in einer stunde am bahnhof sein und die abholen."
"dann machst du das."
"ich will das hier aber nicht so abbrechen! ich will hier gar nicht weg."
"naja, wenn du deiner mutter das herz ausschüttest, ist das recht normal, dass sie irgendwie reagieren wird. unsere eltern sind rentner, die haben zeit. die machen auch mal was damit."

das objekt muss erstmal auf klo, stresspipi loswerden. dann kommt es wieder ins wohnzimmer.
"ich hab SO KEINEN BOCK auf meine ehemalige erziehungsberechtigte."
"ich finde das ja irgendwie süß. da setzt sich deine mutti an heilig abend spontan alleine in den zug und fährt stundenlang, weil sie weiß, ihrem sohn geht es gerade nicht gut."
"ja, sie meint es ja auch gut... nur..."
"wo bringst du sie unter? hat sie denn ein hotel?"
"nee. die will bei mir schlafen.
bei mir fällt der groschen:
"deine mama weiß nicht, dass du aus der wohnung rausgeflogen bist."
das objekt schüttelt den kopf.
"aua, dann wird das heute auch noch der tag der wahrheit."
das objekt guckt sehr verzweifelt. ich nehme es fest in die arme und es kuschelt sich an, und für einen moment fühle ich mich wie die mama.

eine halbe stunde später packt das objekt seine sachen zusammen.
"wie komm ich jetzt zum bahnhof?"
"mit der u-bahn."
"echt, hier ist ne u-bahn?"
"klar doch. es sieht zwar aus wie pampa hier, ist aber keine. du bist in 12 minuten im stadtzentrum."
"krass. ich hab hier immer das gefühl, als wäre ich schon raus aus hamburg."
ich lächle:
"naja, ist schon anders als da bei dir in der romantischen sozialhochhaussiedlung."

arm in arm wackeln wir zur u-bahn.
"was machst du nun mit dem angebrochenen abend?" fragt mich das objekt.
"ich such mir wen anders für den blowjob."
das objekt grinst gequält.
"hauptsache, es geht dir jetzt nicht schlecht."
"glaub bloß nicht, dass du mir irgendwie wichtig bist."

wir stehen an der u-bahn und halten uns fest umschlungen, so fest, dass wir nicht merken, dass schon ein bahn durchgefahren ist. dann muss das objekt eine fahrkarte kaufen, die es nicht bezahlen kann. ich lege die fahrkarte aus und das objekt schämt sich.
"da gibt es nichts zu schämen", finde ich.
"doch, ich bin über sechs jahre älter als du und vater und krieg nichts auf die reihe."
"tröste dich. mein vater hat mich erst gestern am telefon wieder merken lassen, dass er mich für eine totalversagerin hält und mir nicht mehr glaubt, dass ich irgendwann mal die füße auf den boden kriege."
"genau das richtige zu weihnachten", lacht das objekt bitter.
"ja klar. das kind ist dazu da, erfolgreich zu sein, kohle zu machen und den eltern gesprächsstoff zu liefern, damit sie vor bekannten und verwandten angeben können."
das objekt knuddelt mich ein letztes mal und sagt sehr ernsthaft:
"lass dich nicht runterziehen. du bist ein großartiger mensch. wer dich wirklich kennt, wird dich lieben."
ich kriege rührungstränen in den augen und schiebe das objekt unwirsch richtung rolltreppe.
"los, ab zu mutti, und lass dir auch mal die leviten lesen, weil du es in deinem leben zu nix gebracht hast."
das objekt winkt ein letztes mal, dann ist es auf dem bahnsteig, während ich langsam kehrt mache und traurigkeit und glück gleichermaßen in mir aufsteigen fühle.

das war mein weihnachen 2012. jetzt kommt nichts gutes mehr. nur sehr viel whiskey.
prost.

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Sonntag, 23. Dezember 2012
love, love, love
mit diesem beatles-hit im kopf aufgewacht. draußen schnee. schon wieder. ohgottohgott, denk ich mir und verbessere mich dann sogleich in gedanken: ohpetrusohpetrus.

dann fällt mir ein, dass das objekt ja später vorbeikommen wollte. schlagartig bessert sich die laune und ich beschließe, mal was schönes zu machen. schwimmen gehen.

um 14 uhr, einer zeit, um die ich mich sonst oftmals erst aus dem bett schäle, radle ich im eisregen in die schwimmhalle. zwischendurch wird es mir ein bisschen zu viel eisregen, die bremsen setzen aus, also nehme ich den bus.

im schwimmbad dann das große glück, dass bis auf ein paar dicke türkische männer und ein paar tätowierte russen niemand anwesend ist. ich ziehe eine weile meine bahnen, dann gibt es dampfbad und whirlpool. dort sitzt ein blonder junger mann, der mir bekannt vorkommt. er guckt, ich gucke, ich schwimme ans andere ende des beckens, er folgt mir.

"sorry, dass ich so starre", wage ich dann den ersten schritt. "aber ich kenn dich doch."
"wir haben uns anfang des jahres kennen gelernt, hier, im whirlpool."
"stimmt!" fällt es mir wie schuppen von den augen.
der junge typ lächelt.
"ich weiß aber nicht mehr, wie du heißt", sagt er dann.
"ich doch auch nicht", erwidere ich lachend.
wir gucken uns an und grinsen wie die osterhasen, dann nimmt der typ meine hand und zieht mich nach draußen.
"lust auf eine runde aufwärmen?"

wir gehen noch mal ins dampfbad, und da sind wir alleine. der typ küsst mich wie aus dem nichts. dann kommen drei alte tanten rein und starren uns an. also flüchten wir wieder in den whirlpool, den wir ganz für uns alleine haben. der typ rutscht nah an mich heran, und mein hirn beginnt zu rattern: gut? schlecht? wohin führt das und will ich das?

die küsse leisten überzeugungsarbeit, also vögeln wir in der umkleidekabine. der typ ist ziemlich laut und ich rechne jeden moment damit, dass jemand klopft und uns auffordert, subito das schwimmbad zu verlassen und nie wieder zu kommen. doch als wir fertig sind und vorsichtig aus der tür linsen, stehen da nur die drei dicken türken und grinsen sehr breit.

der typ will mich wiedersehen, oder vermutlich eher wieder ficken. also verabreden wir uns für nächste woche, same time, same place.

inzwischen ist es halb sieben uhr abends. meine hände sind vor lauter schwimmbad schon ganz schrumpelig und ich mache mich auf den nachhauseweg. im bus funke ich das objekt an und will wissen, wann es kommt. es ruft zurück und klingt komisch.
"was ist denn los mit dir?"
"ich hab geheult", sagt das objekt frank und frei.
"aber warum denn?"
"erzähl ich dir später. ich habe gerade den kleinen zu mama gebracht, ich komme gleich direkt zu dir."
"alles klar. dann so bis in einer stunde?"
"ja gut, ich freu mich."
"ich mich auch. und kopf hoch, wir reden gleich mal, ja?"

als das objekt dann bei mir im wohnzimmer sitzt, hat es rotgeweinte augen und sieht fix und alle aus. es ist mit dem rad von altona durch den eisregen gefahren und bibbert. ich packe es in eine decke und mache eine suppe.
dann setze ich mich dazu und wärme die kalten objektfüße.
"was ist los? warum hast du geweint?" hake ich nach.
ich erfahre, dass das objekt seit einer woche schuldenfrei ist. in der erwartung des 13. gehalts hat es anfang des monats den rest seiner schulden getilgt. doch dann hatte das schicksal wieder mal erbarmungslos zugeschlagen und das weihnachtsgeld war in diesem jahr bis auf einen winzigen bruchteil gestrichen worden.
"am montag hatte ich noch 16 euro auf dem konto, und ich hab ja keinen dispo mehr."

um dem kleinen was zu essen bieten zu können, hat das objekt geklaut. eine ganze woche lang.
"ich hab mich so scheiße gefühlt, aber weißt du, der kleine war immer so, oh papi, es ist doch weihnachten, kann ich das und das und oh guck mal, können wir nicht das kaufen? ich habs einfach nicht übers herz gebracht, ihm das zu verwehren."
"bist du erwischt worden."
"neeeeeeeeeein. aber trotzdem, weißt du, ich verlasse mich auf etwas, es trifft nicht ein, und dann all diese erwartungen. ich habe wieder nicht geschlafen. ich liege seit einer woche bis vier oder fünf wach und stehe ein, zwei stunden später wieder auf. arbeiten, und dann natürlich der kleine, und ständig diese ganze misere... ohne aussicht, dass es mal besser wird. ich kann einfach nicht mehr."
bei diesem worten hat das objekt schon wieder tränen in den augen.

"aber jetzt bist du erstmal hier", sage ich dann.
"ja. gottseidank."
"du bist hier immer willkommen und zuhause. ich will, dass du das weißt. auch, wenn du manchmal ein arschloch bist und ich dich hasse."
das objekt lächelt.
"ich hatte in dieser woche einen schönen tag. einen wirklich schönen tag. und das war dieser abend mit dir."
und ich spüre ein kribbeln wie schmelzwasser knapp unter dem herzen, kann nichts sagen, nur das lächeln halten und halten und halten, weil ich nicht sagen will, dito, bis das objekt irgendwann verlegen zur seite sieht.

dann essen wir und hören musik, gucken ein halbes interview und machen dies und das, bis das objekthandy klingelt und die objektgespielin dran ist.
"ich bin verabredet", sagt das objekt danach ganz offen.
"dann geh. jetzt."
das objekt starrt mich an.
"ich überlege derzeit, ob ich diese liaison nicht lösen sollte."
mein herzschlag setzt aus.
"was meinst du?"
"du fragst die falsche, ich bin absolut nicht unparteiisch", sage ich ebenso offen.
"ich will trotzdem wissen, was du denkst", bittet mich das objekt.
"ich denke, dass du so voll bist mit verpflichtungen, dass du inzwischen gar nicht mehr weißt, was du willst. und dieses wissen um den willen spielt durchaus eine rolle, man sollte immer in etwa wissen, was man will und in welche richtung es gehen soll, zumindest grob, und nur wenn der andere diese richtung mitgehen will, also nicht zu 100 prozent, aber zu sagen wir mal wenigstens 60 prozent, habt ihr eine chance."
"du siehst das genau richtig, ich weiß nicht, was ich will. ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr. ich brauche echt hilfe."
"dann hol dir hilfe."
"das will ich auch. ich denke, ich brauche auch eine therapie."
"nutzt nüscht viel. die erzählen dir bloß, was du schon weißt, und das bringt dich nicht weiter. deine idee mit der umschulung fand ich besser."
"meinst du?"
"ehrlich gesagt: therapeuten bringen dir nur bei, wie du es irgendwie gerade noch mal eben so mit dem status quo aushälst. der punkt ist aber doch, den status quo zu verändern."
"ja!"
"also lass uns das machen. wir hatten doch einen plan für januar."

das objekt löffelt still seine suppe und sagt dann:
"danke."
"dafür nicht. du hast mir 100 mal den verstand gerettet und vielleicht auch das leben. und dafür hab ich dich so lieb wie noch nie einen menschen."
wir nehmen uns sehr fest in die arme und das objekt drückt mich, bis mir die luft wegbleibt.

"hast du an heilig abend schon was vor", fragt das objekt, als es sich die frischen tränen aus den augen geblinzelt hat.
"nein. außer dumm gucken und überlegen, wie ich die zeit rumbringe."
"ich hab bis 13 uhr schicht und danach zeit..."
"das heißt, du würdest gern vorbeikommen?"
das objekt lächelt.
"wir könnten was kochen", sagt es.
"okay", erwidere ich.
"ich könnte ganz viel zeit mitbringen. wir könnten filme gucken. oder raus gehen."
mir wird warm ums herz.
"das wäre ja mal famos."

wir laufen zusammen zur u-bahn, weil wir keine kippen mehr haben, dann schwingt sich das objekt in den sattel, weil sich die gespielin zwischenzeitlich schon verwundert hat, wo es denn bleibt.
ich sehe der sich entfernenden rückansicht des objekts hinterher und kann nicht fassen, dass mein weihnachten vielleicht doch noch stattfinden soll.

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Dienstag, 18. Dezember 2012
prä-weihnachten
mein weihnachten soll ausfallen, habe ich beschlossen. heilig abend werde ich allein bleiben, tief durchatmen und dabei einen rauchen. mein weihnachten soll so werden, wie ich mich fühle: leer und ohne stern am himmel. hier im blog gibt ohnehin schon zu viele davon.

ein wenig prä-weihnachten hatte ich dann gestern doch. das objekt schneite vorbei, weil es mein internet brauchte. da der objektsohnemann immer noch nicht wirklich lesen kann, das objekt jedoch der meinung ist, dass er nächstes jahr aufs gymnasium gehen soll, versuchen wir es eben mal mit hörbüchern. ziel des abends sollte sein, das angebot zu recherchieren und zugleich meine fähigkeiten als internetkriminelle zu nutzen, weil hörbücher teuer sind und das objekt schon viel geld für einen ordentlichen mp3-player ausgegeben hat.

das objekt kommt nach der spätschicht, als ich gerade einkaufen bin. es steht schon vor der tür und hibbelt hin und her, weil es dringend aufs klo muss.
"wo warst du denn?"
"bei re*we".
"und was hast du gekauft?"
ich halte ihm eine pizza vor die nase.
"deine lieblingspizza."
"och..." das objekt ist gerührt und drückt mich.
"ich wollte ja eigentlich kochen", merke ich an.
"oooohhh! und warum hast du das nicht gemacht, das hätte ich ja mal spannend gefunden!"
"ich wollte deiner gesundheit nicht schaden. ich hatte schon mal einen mann, der hat von meinem essen magen-darm bekommen."
das objekt kichert.
"ist das essen zu scharf, bist du zu schwach. komm, lass uns reingehen."

während das objekt pullern geht und sich dabei durch die tür mit mir unterhält, schmeiße ich den ofen an, öffne ein bier und suche meine bösen kräuter für später.
dann lümmelt sich das objekt in meinen sessel, raucht eine kippe und zieht mich zu sich heran.
"was für ein feierabend!"
ich bekommen zwei nasse küsse, die nach tabak schmecken, dann wandern die objekthände tittenwärts.
"sind die eigentlich echt?"
"bitte?!"
ich winde mich aus dem objektgriff, gehe ins schlafzimmer und komme mit einer silikontitte wieder, die ich mal auf arbeit geklaut habe, weil die dinger super als punchingbälle sind.
"da!"
ich werfe dem objekt die titte zu.
"jetzt fühl mal den unterschied!"

das objekt steckt sich kichernd wie ein schulmädchen die titte unter den pulli und beschwert sich dann:
"das ist aber nicht meine größe!"
"naja, bei deinem brustkorb brauchst du ein bisschen mehr, das ist schon klar. aber du sollst ja nur mal checken, was kunst und was natur ist."
das objekt legt eine hand auf seine neue titte und die andere auf meine brust.
"und?"
das objekt grinst:
"du hast auf jeden fall die besseren nippel."
ich grinse zurück:
"alles, was ich hören wollte."

dann gibt es pizza und mehrere joints, zwischendurch geht der rauchmelder an und ich muss ihn mit dem besen von den zimmerdecke schlagen. wir wechseln von der frustrierenden hörbuchsuche zu musik über und der objekt spielt mir seine ddr-best-of-hits vor.
schwuppsdiwupp ist es fünf uhr nachts.
"ich muss in zwei stunden aufstehen", sage ich.
"oh! das tut mir leid."
"ich geh mal ins bett."
das objekt betrachtet mich nachdenklich.
"wenn du dich jetzt hinlegst, stehst du nicht mehr auf."
"meinst du?"
"leg dich in einer stunde kurz hin, nur für den kreislauf und schlaf nicht ein."
"und du? bist du gar nicht müde?"
"nö, ich hab heute bis 12 uhr geschlafen, ich hatte ja spätschicht und morgen hab ich frei."
"schwein", sage ich und das objekt grinst.

"willst du vielleicht hier bleiben?" frage ich vorsichtig.
das objekt schweigt und überlegt.
dann gesteht es mir, dass die objektgespielin nachtschicht hatte und wahrscheinlich in kürze beim objekt zuhause auftauchen wird.
"die stellt bestimmt unangenehme fragen, wenn ich nicht da bin..."
"musst du wissen", sage ich etwas angefressen.
"anderseits würde ich gern noch ein bisschen bei dir bleiben. wenn ich das darf. ich fühle mich gerade wohl hier und es macht so viel spaß."
"du kannst hier bleiben, solange du willst, ich geb dir einen schlüssel, dann kannst du auch ausschlafen und gehen, wann du willst."
"ich mach nachher auch wieder alles ordentlich."
"machst du doch immer."
ich gebe dem objekt einen kuss, mache ihm ein schlaflager zurecht und überreiche ihm feierlich zahnbürste und handtuch.
"das ist ja wie im hotel", findet das objekt.
"betrachte es als dein zuhause", sage ich großmütig, und das objekt strahlt.

gegen halb sechs bin ich am wegdösen. das objekt hebt mich aus dem sessel und trägt mich ins bett wie ein kind, breitet die decke über mich und knipst das licht aus.
"nur schlummern, nicht einschlafen", schärft es mir ein.
"okay", sage ich noch, dann bin ich schon weg und im tiefschlaf.

eine stunde später weckt mich das objekt.
"scheiße, ich hab voll fest geschlafen... gott, ist mir schwindelig!"
"langsam", warnt das objekt, "warte mal auf den kreislauf."
es lässt mich eine weile auf der bettkante sitzen, holt mir ein großes glas wasser und einen energydrink und schiebt mich dann ins bad.
"du hast gar nicht geschlafen", bemerke ich.
"nee, ich fahr doch lieber zu mir."
"du stehst ganz schön unter dem pantoffel."
"das ist nicht wahr."
"doch ist das wahr."
das objekt guckt genervt und ich weiß, dass ich einen wunden punkt berührt habe. die objektgespielin ist ein heißes eisen zwischen uns geworden.

dann packt das objekt seine sachen, küsst mich ein letztes mal und schiebt sich aus der tür.
ich putze wie belämmert zähne und radle dann restbekifft in die arbeit.

kann man ja mal machen, würde ein anderer blogger dazu sagen.

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Sonntag, 9. Dezember 2012
[aufruf]
ich weiß, sie sind gerade alle sehr damit beschäftigt, weihnachtsplätzchen zu backen, besinnlich in den adventskranz zu glotzen, sich angestrengt zu überlegen, ob der weihnachtsbaum dieses jahr lieber nur 1,50m oder doch 1,70m hoch sein soll und ob sie ommas christbaumspitze aus dem keller hervorkramen sollen oder nicht.

trotzdem bitte ich darum, einen blick auf das untere ende diese seite zu werfen und eine petition zu unterzeichnen, die mir persönlich sehr am herzen liegt.

ich weiß, petitionen sind meist fürn arsch, aber der (teil)erfolg, den der druck der öffentlichkeit in sachen acta und kürzlich auch in sachen gema hatte, war nicht von schlechten eltern. also schauen wir einfach mal, denn was besseres als eine petition fällt mir gerade auch nicht ein.

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Samstag, 8. Dezember 2012
wichtigwichser vs. morphine
wenn man die komplette verantwortung für die mehrheit der kunden trägt, hat man zwar immer zu tun, aber es gibt einen vorteil, insbesondere, wenn die gf nicht die besten führungsqualitäten hat: man kann einfach machen. man kann vor allem auch mal fehler machen, ohne dass es auffliegt und man deshalb abgemahnt oder gefeuert wird. ich muss dazu sagen, ich habe sehr loyale untergebene. das findet man nicht alle tage, liegt aber auch sicherlich an meinem demokratischen teamleitungsstil. denunziationen gibt es bei uns daher nicht. nach oben sind wir wie pech und schwefel.

kürzlich beauftragte uns ein kunde, eine presseaussendung zu einem personalwechsel im vertrieb zu machen. dazu sollte ich mich direkt mit dem neuen typ in verbindung setzen.
gesagt, getan, ich rufe ihn an.

im ersten moment ist der typ nicht mal unnett. er hat eine angenehme stimme. allerdings kommt er sofort vom thema ab und beginnt, mir seine glorreiche autobiografie zu schildern. er war im vertrieb bei diversen kleinen und mittelständischen unternehmen tätig, die ich allesamt nicht kenne, obwohl ich mich auf branchentypischen messen rumtreibe. ich sage also in regelmäßigen abständen "aha" und "soso" und zwischendurch auch mal "das ist ja beeindruckend", während ich zwei e-mails tippe, den report der volontärin checke und eine liste schreibe, welche redaktionen und sender ich heute noch anrufen muss.

"was war das", fragt der azubi mit hochgezogenen augenbrauen, als ich den hörer aus der hand lege.
"ach, nur so ein wichtigwichser, arbeitet jetzt bei *** und meint, ohne ihn würde sich die welt aufhören zu drehen."
"was ist der denn?"
"vertriebsheini."
"was macht der dann da konkret?"
"naja, was vertriebler so machen: kunden bequatschen, schick essen gehen und nachher mit firmenkreditkarte in den puff und jammern, wie stressig und unterbezahlt das alles ist."
"wie viel verdient man denn da so?"
"kann ich nur schätzen. *** ist ja ein ziemlich großes, international agierendes unternehmen, also sechs bis acht mille, denk ich mal."
"boah! was muss man studieren, um das zu werden?"
"bwl oder so."
"wär das was für mich?"
ich betrachte den azubi liebevoll:
"wär schade um dich."
der azubi ist geschmeichelt:
"weil ich was anderes viel besser kann?"
ich grinse fies:
"nee, weil wir uns dann einen neuen suchen müssten, der für einen ungesetzlichen minilohn deinen job macht."

ich verfasse die meldung und schicke sie zur freigabe an den wichtigwichser.
die erste rückmeldung ist nicht ungewöhnlich, ein paar kleine anmerkungen, weil sich mr. wichtig stellenweise nicht genug beweihräuchert fühlt - und ein ergänzungswunsch, weil der wichtigwichser auch papa ist und unbedingt in der meldung stehen haben möchte, dass er eine zehnjährige tochter hat. potenznachweis.
ich mache die änderungen, schreibe dem kunden zurück und merke an, dass sich für seinen familienscheiß kein aas interessiert, weil er nicht für den bundestag kandidiert. natürlich politisch korrekt formuliert.

zwei stunden später erhalte ich einen empörten anruf. der wichtigwichser referiert ein zweites mal seine glorreiche laufbahn und weist mich darauf hin, dass er sehr viel erfahrung in pressearbeit habe und sehr viele unglaublich wichtige meinungsmacher persönlich kenne, weshalb er auf meine hinweise nicht angewiesen sei.

der azubi schaut wieder fragend, ich halte den finger auf den mund und stelle auf lautsprecher um. azubi, volontärin und die beiden praktikanten hören mit und kichern stumm.
ich hole mir das gespräch zurück, dann sage ich sehr freundlich, dass ich es total super finde, dass er so viele so wahnsinnig nützliche pressekontakte habe, er soll die gleich mal rüberschicken, denn selbstverständlich erhalten die dann die meldung exklusiv vorab.

der wichtigwichser ist für einen moment still, meint dann aber, er mache das. ich warte gespannt. es erreicht mich eine e-mail mit einer kontaktliste. an den e-mail-adressen sehe ich sofort, dass der wichtigwichser keinen einzigen persönlichen kontakt da hat. aber gut, es handelt sich um ein paar fachblätter, branchenspezifisch vielleicht nicht unbedeutend, warum sollte ich die nicht berücksichtigen. natürlich würde ich nichts vorab und exklusiv starten.

als ich die aussendung schon zur bearbeitung freigeben will, erhalte ich noch eine weitere e-mail von mr. wichtig. ob ich es denn gut fände, dass wir das datum so schreiben, man sollte das in einer RICHTIGEN pressemeldung doch so und so machen.

langsam beginne ich zu sieden. der typ fängt an, fehler zu suchen, die gar keine sind. typisch für menschen mit schweren minderwertigkeitskomplexen. ich denke an seine tochter, sie tut mir leid. bestimmt ist der wichtigwichser so ein sonntagnachmittagsvaddi, der seiner frau ständig in die erziehung reinquatscht und die kleine zu lauter scheiß zwingt, auf den sie gar keinen bock hat. sowas wie geige spielen oder im elite-turnverein rumeiern.

nachdem ich das datum geändert habe, fällt dem wichtigwichser dann noch ein, dass wir eine andere schrift nehmen sollten, nämlich seine hausschrift statt unserer, und als ich das geändert habe, möchte er eine andere schriftgröße und ein anderes foto. als ich das foto in unser formular eingefügt habe, beschwert er sich, dass ich das bild (ganzkörperfoto) zugeschnitten habe, weil es sonst nicht in den vorgesehenen rahmen passt. zuletzt echauffiert er sich noch einen doppelpunkt, statt dem er einen punkt wünscht.

ich schimpfe inzwischen zum amüsement meiner kollegen laut in bösester fäkalsprache vor mich hin, weil mich die aussendung den halben tag gekostet hat und sich die arbeit auf meinem tisch schon stapelt.

aber rache ist blutwurst. ich beauftrage die volontärin, sich einmal durch unseren presseverteiler und die kontaktliste von mr. wichtig zu arbeiten und sich die medien genau anzusehen. sie soll mir die auflagenzahlen recherchieren und sagen, welche medien personalmeldungen drucken und welche nicht, welche das groß mit bild machen und welche ohne.

dann sortiere ich die medien aus, die quasi jede meldung mit bild drucken, die wichtigen sowieso und lasse nur unbedeutende, auflagenschwache magazine sowie solche, die meldungen grundsätzlich ohne bild als notiz am rande drucken, im verteiler. das ist noch immer eine ganze menge, sodass ich keine angst haben muss, nicht ausreichend im sinne des kunden gehandelt zu haben.

eine woche später ernte ich die früchte der racheaktion: die meldung wurde mehrfach gedruckt, allerdings ohne bild und so unauffällig und in so unbedeutenden medien, dass sich mr. wichtig keinen drauf runterholen kann. der geschäftsführer des kundenunternehmens ist dennoch hochzufrieden, als ich ihm vermelde, dass wir fast 20 nennungen erzielt haben.

tja. kleine archlöcher bestrafe ich sofort. die großen müssen eine woche warten.

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Dienstag, 4. Dezember 2012
business as usual
montag, kurz vor 11 uhr, psychiatrie. mein ambulanter therapeut hat in meinen augen auf ganzer linie versagt, als er meinen zustand (dauerflennend) einfach auf angeblichen schlafmangel schob.
"aber ich hatte gottverdammte acht stunden schlaf!" heule ich.
"sie brauchen aber eher neun bis zehn" hält der therapeut dagegen.
"DAS NÜTZT MIR JETZT AUCH NICHTS", kreische ich zurück. "machen sie, dass das aufhört."
"dann gehen sie in die klinik. jetzt gleich."
na toll.

nach einer kleinen, selbstverabreichten extradosis notfallmittelchen, die mich artig in die psychiatrische notaufnahme spazieren lassen, stehe ich vor dem kleinen glaskabuff der anmeldung. dahinter sitzt eine blonde ältere frau, die mich schon kennt. sie lächelt freundlich und sagt dann mit ihrer beruhigenden singsangstimme, dass leider noch drei psychos vor mir dran sind.

das klingt für den ottonormalpatienten nicht weiter schlimm, aber psychiatrieerfahrene wissen sofort: rund drei stunden wartezeit. weil psycho-patienten nunmal mehr zeit brauchen. bis der arzt genau raushat, was ihnen fehlt. und bis die psychos die rasierklingen oder die 100 schlaftabletten oder drogen oder weißdergeierwas rausrücken.
ich hasse psychopatienten, das muss ich nicht sagen. aber ich bin ja selber eine, chemisch ruhiggestellt zudem, also bin ich höflich und artig, sage danke und bitte und setze mich dann erstmal auf meinen platz. ich erinnere mich, dass ich beim zweiten mal auch fünfeinhalb stunden wartezeit prima mit angsthaben und versuchen, nicht in tränen auszubrechen weil peinlich rumbekommen hab, und beschließe, mich zusammenzureißen.

ich höre leise musik. ab und an gehe ich nach draußen, um eine zu rauchen oder einmal in slowmotion um den block zu watscheln. arschkalt ist es, oder vielleicht ist mir auch nur so kalt, weil mich das weinen müde gemacht hat. dank slomotion-medis kann ich jetzt nur noch dröge starren, und das ist vielleicht ganz gut so.

gleich nebenan ist der komplex, in dem das objekt arbeitet. sein fahrrad steht davor, mit ikea-tüte auf dem gepäckträger, also weiß ich, das objekt war mal wieder heimlich in der klinik waschen, mangels eigener waschmaschine und weil es gottverdammmich zu stolz ist, mal den mund aufzumachen und zu fragen, ob es wäsche vorbeibringen darf.

13:30 uhr. es sind immer noch zwei patienten vor mir. ich stehe draußen mit den rauchern und zähle von 100 bis null meinen persönlichen countdown zum lungenkrebs. der vorteil an krebs ist, dass man weiß, das kriegt man in den griff oder eben nicht. es gibt eine begrenzte anzahl an möglichkeiten, und nach der letzten ist sense. bei psychogeschichten bleibt das offen, ein leben lang. es wird fein herumgedoktert, und eigentlich weiß keiner so recht, was er mit dir anstellen soll. der eine arzt gibt das zu und lässt dich irgendwann machen. der andere hat seinen fünf-punkte-plan und droht danach mit einweisung.

14:00 uhr. das objekt stürmt aus dem gebäude, holt schnell seine ikeatüte und kommt minuten später wieder schwer bepackt heraus. ich gehe ihm ein stückchen entgegen.
"morphine, was machst du denn hier?!" das objekt ist so verblüfft wie beunruhigt.
"wochenende war mies."
"du, ich muss schnell nach hause..."
"die wäsche."
"ja, und mein lütter hat schule aus, den muss ich gleich holen."
"dann mach."
"ich ruf dich nachher an, ja? ich wollte dich heute sowieso anrufen."
"jaja." ich winke ab und das objekt hetzt weiter. ich weiß, es ist seit fünf uhr morgens auf den beinen und saumüde, aber es hat noch viele stunden vor sich. als es mit dem rad an mir vorbeifährt, reckt es den daumen nach oben. hoffnung, heißt das. ich soll die hoffnung nicht verlieren.

14:30 uhr. ich frage höflich, wie lange es noch dauert.
die blonde frau von der anmeldung geht fragen, kommt dann wieder und guckt mitleidig.
"schwer zu sagen... die ärztin ist gerade weg, jetzt kommt noch ein durchgangsarzt..."
"komme ich dann heute noch dran?"
"jaja, das kriegen wir schon hin", ist die dame zuversichtlich. dann meint sie: "fahren sie doch noch nach hause, sie haben doch nicht weit. dann rufe ich sie nachher an und dann kommen sie wieder her, okay?"

ich bin dankbar, dass ich kurz nach hause darf und dann auch gleich wieder nicht mehr, denn zuhause lassen sich die ultraschwarzen gedanken gar nicht mehr abblocken. nach kurzer zeit bin ich wieder am heulen. dann bekomme ich den anruf, dass ich heute nur noch über die zentrale notaufnahme behandelt werden kann oder bis morgen warten soll. was die dame nicht weiß, ist, dass ich morgen wieder eine freundliche, kompetente und rundherum aufmerksame humane ressource sein muss, die nur deshalb am leben ist, um ihren job auszuführen. für mich gibt es kein morgen.

ich rufe beim objekt an, weil ich nicht weiß, was ich tun soll. andererseits weiß ich ziemlich genau: ich will nicht noch stunden in der zentralen rumsitzen und warten, ob mir noch jemand schnell fünf minuten schenkt, bis er zum nächsten unfallopfer gerufen wird. zentrale bringt nur etwas, wenn eine aufnahme stattfinden soll, und das kommt mir irgendwie nicht in den sinn.

das objekt ist offenbar beschäftigt, ruft erst um neun uhr abends zurück, während ich noch immer hemmungslos am heulen bin. als ich rangehe, habe ich schluckauf und kopfweh und kriege keinen vollständigen satz heraus, und ich spüre sofort, dass das objekt sich riesige sorgen macht, obwohl es sich um ruhe bemüht.
"lass dir zeit", sagt es ungefähr fünfmal, aber ich weiß, dass es die zeit gerade selber braucht, um nachzudenken, was es jetzt sagt und weil es weiß, dass mich der falsche satz zum fäkalsprachlichen ausrasten oder zur totalen selbstaufgabe bringen kann. also versucht es, mich erstmal erzählen zu lassen, sagt dann, dass es für mich da ist und mich lieb hat und dass ich ihm alles sagen kann und keine angst haben brauche.

ich habe das gefühl, nur unzusammenhängenden hochdramatischen scheiß zu blubbern, aber das objekt bekommt schnell ein gefühl für meine gesamtverfassung. dann ist ganz geradeheraus und meint, es gäbe zwei möglichkeiten. entweder es würde jetzt den notruf wählen und mich wegen suizidgefahr einweisen lassen oder ich könne hier und jetzt vor ihm eine art antiselbstmordabkommen für die nacht schließen und dann sehen, wie es mir bis zum nächsten morgen geht. ich bekomme eine halbe stunde bedenkzeit, dann muss ich mich zurückmelden.

"ich will nicht in die klinik", bin ich mir kurz darauf ganz sicher.
da plant das objekt mit mir minütiös die zeit, bis ich schlafen gehe und was ich machen soll, falls ich nicht schlafen kann oder schlecht träume. ich entschuldige mich währenddessen ungefähr 500 mal dafür, dass ich so schrecklich bin, aber das objekt sagt noch mal, dass es mich lieb hat und ich mir keine gedanken machen soll. es verspricht, das handy anzulassen und dass ich anrufen darf, wenn es nicht mehr geht, dann würde es mich holen.

als ich den hörer aus der hand lege, fühle ich mich gefasst. ich erledige brav die objektaufgaben - essen, duschen, zähneputzen, eine viertelstunde etwas lesen bei kerzenschein und musik - und falle schließlich ins bett. ich schlafe sofort ein und träume etwas wunderbares, sodass ich ganz verzaubert aufwache und denke, wow. dann fällt mir das objekt ein und ich denke noch mal: wow.

draußen regnet es wie schon sechs wochen zuvor. aber es ist ein neuer tag, immerhin. deutlich spürbar. ich tippe dem objekt eine sehr liebe sms und bedanke mich für den notfalleinsatz. ich weiß, dass es in dieser nacht sicherlich sehr viel weniger geschlafen hat als ich.

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