Freitag, 3. April 2015
no candles for old ladies
und wieder ein jahr geschafft.

keine pointe.

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Mittwoch, 25. März 2015
hommage an horst
horst ist tot. gestorben im alter von nicht ganz 60 jahren. nach jahrzehntelanger drogen- und alkoholabhängigkeit und 12 jahren knast.

wir begegneten uns erstmals 1998 in der wohnung meiner damals besten freundin j.
"das ist horst", sagte j., als ich reinkam.
horst hockte zurückgelehnt auf der couch, glotzte auf meinen langen beine, pfiff durch die zähne und krakeelte:
"menschenskinder, MENSCHENSKINDER, mädel, das ist ja ein fahrgestell!"
"lass die kleine in ruhe", lachte j., "die ist noch nicht mal volljährig", und dann, zu mir gewandt:
"musst keine angst haben, der ist immer so."

ich setzte mich erstmal verschüchtert und guckte mir horst näher an. uralt schien der mir und ziemlich ungepflegt.
"hast du ne kippe", fragte mich horst.
"nee", sagte ich leise.
horst wandte sich an j.:
"lass uns mal kippen kaufen gehen!"
wir schlurften auf die andere seite der straße zum automaten. sechs mark kostete damals eine schachtel, sofern ich mich recht erinnere. der automat schien unser geld jedoch nicht zu wollen. j. schlug vor, wieder nach hause zu gehen, ihr freund würde gleich kommen und der hätte bestimmt tabak. horst weigerte sich. wenn der dämliche automat keine kippen ausspuckte, dann würden wir jetzt eben in die kneipe gehen.

die nächste kneipe war am ende der straße. eine der unzähligen vollkommen abgeranzten südstadt-kneipen. wir gingen hinein und ergatterten einen platz am fenster, während horst nach kippen fragte. er bekam eine schachtel und reichte sie an uns weiter. da saßen wir dann und schmökten.
"haste nen freund, kleine", wollte horst von mir wissen.
ich nickte.
"no boy no joy", krakeelte horst wieder.
"sie ist die freundin von meinem bescheuerten ex", sagte j.
"heidewitzka!" brüllte horst.
"aber die passen zueinander wie arsch auf eimer. wollen sogar heiraten", grinste j. und legte den arm um mich.
"hauptsache, du bescheißt nicht", sagte horst zu mir. "hörst du? niemals einen anderen bescheißen."

horst gehörte für die kommenden monate gewissermaßen zum inventar. wir trafen uns häufiger bei j. und verstanden uns, nachdem ich mich an seine unverblümte art gewöhnt hatte, sehr gut. er war der erste mann, der sich vor meinen augen einen schuss setzte. und dann großzügig fragte, ob ich auch wolle. ich hatte aber "wir kinder vom bahnhof zoo" gründlich gelesen und wollte nicht in wenigen monaten völlig druff irgendwelchen pennern am bahnhof den schwanz lutschen. die offenheit, mit der horst fixte, schockierte mich, gehörte aber irgendwann zu meinem ganz normalen horst-bild. er mochte es, wenn ich erzählte, während er in seiner dämmerwelt versank.

horst war interessanterweise verheiratet. mit einer frau, die nicht drogenabhängig war. sie war launisch und bösartig, sodass ich nicht verstand, warum horst sie liebte. ab und zu kippte sie sich einen hinter die binde, zog durch die kneipen und riss sich kerle auf. das konnte ich mir von einer frau in horsts alter irgendwie gar nicht vorstellen, schien aber zu stimmen. denn eines tages, als wir mal wieder in der kneipe kippen holten, saß da horsts frau. mit einem typen, der ein zwillingsbruder von horst hätte sein können: genauso schnauzbärtig, genauso ungepflegt, genauso laut. ich erwartete eine szene, aber horst drehte sich nur einfach um und ging hinaus. ich folgte ihm, legte ihm den arm um die schulter, doch er schüttelte ihn nur ab und verschwand im park nebenan.

danach sah ich horst lange nicht mehr. j. erzählte, er habe einen entzug gemacht und ihn vorzeitig abgebrochen. dann war horst plötzlich wieder da, saß auf dem sofa bei j. und rauchte zittrig. clean war er nicht, das sah man auf zehn meter. abgemagert wirkte er und noch schlunziger als sonst.
"er hat die letzten tage hier geschlafen", erzählte j., als wir kurz in der küche standen und kaffee kochten. "seine frau hat ihn rausgeworfen und ist jetzt mit diesem anderen typen zusammen. sag aber nichts zu horst, hörst du, das ist ein heikles thema. da rastet er sonst aus."

ich hätte mir nie vorstellen können, dass horst ausrasten oder jemandem etwas zuleide tun könnte. für mich war er ein verträumter spinner, traumatisiert von der zerrütteten ehe seiner eltern und häuslicher gewalt, der er als kind und jugendlicher ausgesetzt war. durch sein strafregister zogen sich neben drogenbesitz kleinere diebstähle und betrugsversuche, was aber alles schon jahre zurücklag. für mich war er ein liebenswerter gauner, gar nicht dumm, aber bestimmt nicht gewalttätig.

das war das letzte mal, dass ich horst in freiheit sah. alles, was ich dann erfuhr, stammt mehr oder minder aus hörensagenquellen. horst hatte sich eine knarre besorgt und seine frau und deren lover erschossen. das urteil fiel aufgrund der tatsache, dass horst im drogenrausch gehandelt hatte und sich anschließend selbst anzeigte, vergleichsweise milde aus: 12 jahre haft.

einmal besuchte ich ihn in der jva.
"man darf nicht bescheißen", mahnte mich horst wieder. "sonst geht alles kaputt. die ehe, die kinder. alles."
ich nickte. dann war meine zeit um und ich ging.
"komm nicht mehr", sagte horst zum abschied. "du gehörst nicht hierher."

horst hatte es gerüchten zufolge irgendwann tatsächlich geschafft, sich von der fixe wegzusaufen. als er 2011 entlassen wurde, begann er, sich langsam zu tode zu trinken. bis er nun starb.

horst war für mich merkwürdigerweise nie horst, der mörder. dass er zwei personen erschossen hatte, gehörte zu ihm wie ein warze oder eine brille oder eine glatze. nicht hübsch, aber es störte nicht, wenn man den ganzen menschen und seine geschichte kannte. ich hatte keine angst davor und auch keine angst um mich. ihn im knast zu sehen war nicht anderes, als ihn bei j. auf der couch anzutreffen. es erstaunte mich selbst. horst blieb horst. ein mensch, der einen schweren fehler begangen hatte. aber immer und zu jeder zeit ein mensch.

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Sonntag, 22. März 2015
eat your heart out
gestern meldet sich mein freund v., der nach rasanten vier wochen aufgewärmter beziehung mit einem arschloch-weib - ich predigte und predigte, doch er wollte ja nicht hören - erwarteterweise wieder single ist. am telefon mime ich rücksichtsvollerweise die überraschte, ringe mir ein knappes "och, das ist ja schade" ab - man will den armen menschen schließlich nicht vollkommen demoralisieren.
"ich muss mein gehirn heute mit wodka spülen", sagt v. dann.
"guter plan. ich hänge auch schon den ganzen tag so durch."

dann wird es schwierig, denn v. zieht gerne früh los und lässt mir keine möglichkeit, vorzuschlafen. nach langem hin und her einigen wir uns auf 22 uhr. dafür darf ich die kneipe bestimmen. da ich lust auf gin tonic habe, schlage ich eine bar auf st. pauli vor, die die vermutlich weltgrößte gin-auswahl hat.
"das wird dann so ein elite-saufen, was", sagt v.
"du sollst dich ja nicht nur wegkippen, sondern auch genießen. wenn schon abstürzen, dann mit stil."
"du meinst, wir sind zu alt für flatrate-saufen?"
"genau."

als ich das haus verlasse und richtung kiez fahre, ist es saukalt und nieselfieselig, sodass ich das rad an der u-bahn abstelle und beschließe, den komfortableren weg zu wählen. in der bahn fällt mir auf, dass ich vergessen habe, eine fahrkarte zu lösen. promt stehen an der station st. pauli auch fünf kontrolettis. ich passe einen günstigen moment ab, flitze dann die hintere treppe hoch, verschwinde im gewühle des dom, drehe eine schleife und komme schließlich wieder richtung reeperbahn raus.

natürlich bin ich zu spät. als ich die bar betrete, ist v. schon da.
"sorry, fahrkartenkontrolle", schnaufe ich und umärmle v. "musste flüchten."
"bist du schon wieder abgebrannt", will v. schmunzeld wissen.
"nee, habs einfach vergessen, ein ticket zu lösen", sage ich.
"dann hast du aber glück gehabt. das sind inzwischen ja ganz scharfe hunde."
"warum ist das auch so kalt?! sonst wäre ich ja mit dem rad gekommen."

in der bar bekommen wir den letzten sitzplatz und die freundlichste bedienung.
"ist nett hier", findet v.
"ja, ne?"
mein gin tonic kommt.
"wasn das für ein tonic?"
"thomas henry."
"nie gehört"
"probier mal, ist viel besser als schweppes."
v. nippt und ist dann ganz angetan:
"nicht so... kratzig."
"jupp.
"ich glaub, ich nehm auch so einen."

dann muss v. erstmal die unglückliche lovestory loswerden.
"es ist ja eigentlich nichts passiert, wir haben uns nicht gestritten oder so... aber sie meldet sich einfach nicht mehr. genau wie beim letzten mal."
"und was machst du jetzt?"
"ich warte mal ab."
"nicht dein ernst, oder?! vergiss die alte!"
"aber sie hat ja nicht schluss gemacht."
"also mal ehrlich... ich bin ja auch ne frau... wenn ich eine lovestory am laufen hatte und dann den kontakt abbreche, heißt das normalerweise nicht, bitte warte auf mich. sondern eher bitte verpiss dich."
"du machst dann gar nicht richtig schluss?"
"also wenn da eh nur ein laues, tendenziell abebbendes lüftchen wehte und nicht der sturm der liebe, und wenn es noch gar keine richtige beziehung war, dann kann das durchaus vorkommen. vor allem, wenn ich sauer bin oder den eindruck habe, ich tue dem anderen damit nur einen gefallen."
"ihr frauen seid so seltsam."
"wir sparen nur energie für das nächste arschloch, auf das wir dann reinfallen. und dann sitzen wir hier wie du und heulen, weil das arschloch nicht anruft."
jetzt muss v. doch lachen.

"apropos arschloch, was macht eigentlich dein ex-lover?" will v. dann wissen.
"das objekt? keine ahnung. ich hab es seit monaten nicht gesehen. ich könnte dir nicht mal sagen, ob es überhaupt noch in dieser stadt wohnt."
"und wie gehts dir damit?"
"wechselhaft. der schlimmste hass hat sich jetzt gelegt. manchmal denk ich nicht mehr dran, manchmal hab ich wieder sehnsucht."
"das dauert noch."
"vermutlich."

nach zwei drinks fragt v.:
"sollen wir noch einen nehmen oder woanders hingehen?"
"wir könnten noch rüber in die große freiheit. ein bisschen tanzen. weil sonst schlaf ich glaub ich gleich ein."
"ich muss gestehen, ich merk den alkohol auch voll! die tun ganz schön viel gin in den tonic, kann das sein?"
"du wirst doch nicht schwächeln? seit wann reichen dir zwei drinks, um das gehirn durchzuspülen?"
"ich wundere mich auch, sonst kann ich eine halbe flasche wodka über den abend verteilt eigentlich gut ab..."
"dann komm. lass uns zahlen. 10 minuten spazierengehen wird uns gut tun."

gegen eins kommen wir in einem club an, wo eine 80er- und indieparty auf dem programm steht. schon an der tür treffen wir leute aus dem alten club.
"das sieht ja vielversprechend aus", findet v. "lass uns da mal rein."
drinnen stürmen wir sofort die tanzfläche, denn der dj spielt "she lost control" von joy division und dann noch ein paar klassiker. anne clark, interpol, the normal. ich tanze in mich gekehrt, linse nur ab und an mal zu v. rüber, der mir zulächelt und nickt: gute wahl.

als ich an der bar stehe um nachzutanken, spricht mich ein typ an. er ist einen halben kopf kleiner als ich und besteht darauf, mir einen drink auszugeben. da die getränke in dem laden übelst teuer sind, sage ich nicht nein, sondern mache gute miene zum bösen spiel und lasse mir eine weile ein ohr abkauen. der typ ist auch selbstständig, stellt sich raus. als er erfährt, dass ich marketing kann, will er dies und jenes wissen und kann sich eine zusammenarbeit vorstellen. ich bin misstrauisch, der typ lacht künstlich und für meinen geschmack zu viel, außerdem weiß ich inzwischen, was ich auf versprechungen von hamburgern zu geben habe, nämlich meist nichts. unverbindliches volk.

trotzdem bin ich gut drauf, fachsimpeln macht mir immer spaß. dann will er mit mir auf brüderschaft trinken. noch ein bier, na gut.
und plötzlich habe ich seine zunge in meinem mund. igitt. ich schubse ihn weg, verschwinde in der menge, renne fast v. über den haufen.
"na, du aufgescheuchtes huhn", lacht er.
"ich bin auf der flucht", sage ich mit schwerer zunge.
"schon wieder? sind hier auch fahrkartenkontrolleure?"
v. kann so witzig sein.
"nee, aber ein ekliger kleiner gnom, der versucht hat, mir seine zunge in den mund zu stecken."
"dann lass uns doch mal rausgehen, eine rauchen."

der club hat einen kleinen garten, in dem die raucher stehen.
"das ist ja voll schön hier", finde ich.
"und das beste ist: hier gibts keine wohnhäuser drum herum!" sagt v. "nicht wie im alten club, wo überall schilder waren, dass man leise sein muss wegen der anwohner."
"im sommer könnte man hier sitzen... vielleicht sogar grillen oder so. oder noch eine area aufmachen... mit ambient-mukke...", komme ich ins fantasieren. "weißte, so wie an deck von unserem schiff."
"nur ohne hafenblick", sagt v.
"ohne hafenblick... aber dafür haste nur ein paar minuten bis zum fischmarkt."
"kauf den laden doch", witzelt v.
"nee", sage ich. "ich glaube, sowas ist anstrengend. sowas würde ich machen, wenn ich sonst ausgesorgt hätte und nicht zum geldverdienen da drauf angewiesen wäre."

nach wenigen minuten schlottern wir in der kälte.
"heute nacht sollen es minus zwei grad werden", sagt v.
"hammwa glaube ich schon."
"wenigstens bin ich jetzt wieder wach."
"ich auch, aber ich bin auch ein bisschen besoffen. der typ wollte mich richtiggehend abfüllen, hab ich den eindruck."
"der war doch gar nicht deine liga."
"ich gebe ja die hoffnung nicht auf, dass man sich einfach auch mal freundlich mit leuten unterhalten kann, ohne dass sie einem gleich an die titten grabschen."
"hat er das gemacht?"
"nee. sonst hätte er jetzt keine schneidezähne mehr", kichere ich.

wir tanzen noch eine runde.
am rand der tanzfläche steht ein typ lässig gegen die wand gelehnt, der mir eigentlich gefällt. ein daddy-typ. allerdings ähnelt er ein wenig dem mann mit hund, und immer, wenn ich an diesen denke, habe ich wieder den gestank seiner versifften wohnung in der nase. daher beschließe ich, unauffällig zu bleiben, um eine weitere bekanntschaft mit einem potenziellen messi zu vermeiden.
doch wie so oft scheinen die männer meine gedanken lesen zu können. irgendwann löst sich der mann von der wand und beginnt, neben mir zu tanzen und mich anzustarren.
mir wird das zu viel. ich gehe zu v. und frage:
"wollen wir gehen?"
v. nickt:
"können wir machen, ich bin ziemlich müde."
"prima. dann hole ich meine jacke."

als ich an der garderobe anstehe, schleicht sich der mann von der wand an mich heran.
"hallo."
"hallo", sage ich abweisend.
"ich... ich wollte dir nur sagen..."
ich schaue erwartungsvoll.
"du bist... wie gemalt. wie die mona lisa."
"danke", sage ich knapp und kalt, während die panik meine kehle hochsteigt und sie langsam abschnürt. dann kommt gottseidank v. und nimmt mir seine jacke aus der hand. der mann guckt verdutzt und verkrümelt sich.

"wer war das denn?"
"irgendn typ. hat mich total an den mann mit hund erinnert."
"hat er dich doof angemacht?"
"nein, gar nicht. ich hatte nur gerade voll das gestanks-flashback. hat sich ein bisschen angefühlt wie eine panikattacke."
v. lacht.
"das ist ja ein echtes trauma!"
"scheint mich jedenfalls nachträglich mitgenommen zu haben. aber es war auch echt richtig richtig eklig in dieser wohnung..."
v. lacht immer noch.
"komm. bus oder bahn?"
"bus", beschließe ich.

v. bringt mich noch zur haltestelle und verabschiedet mich. dann tuckere ich durch die nacht, auf einer sehr bekannten strecke, denn an einer bestimmten kreuzung wohnt das objekt. als der bus dort hält, bin ich vollkommen geflasht und habe das spontane bedürfnis, auszusteigen und zu klingeln oder, falls das objekt nicht öffnet, vor seiner wohnung zu kampieren, aller gespielinnen und potenziellen neuen loverinnen zum trotz.

'das ist nur, weil du was getrunken hast', flüstert mir dann mein altkluges alter ego, das in einigen wenigen momenten sehr in ordnung ist. 'mach dich jetzt bloß nicht vollkommen lächerlich.' also bleibe ich ruhig sitzen, während mein herz zu implodieren scheint und mir sehr schwindelig wird. ich atme und atme und irgendwann lässt die furchtbare sehnsucht ein wenig nach. dann bin ich zuhause und das alter ego befehligt mich subito ins bett, bevor ich noch auf blöde gedanken komme und dem objekt eine sms schreibe.

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Freitag, 13. März 2015
wir sind immer noch optimisten
mein kumpel beginnt seien dritten job neben dem job.
"was kompensierste eigentlich damit?" will ich wissen.
"das sagt die richtige!"
"bei mir ist das notwendig! du gibst ja nicht mal die kohle aus, die du verdienst."
der kumpel schaut in sein glas, in dem mal gin tonic war und jetzt nur noch eis, das langsam schmilzt, und sagt erstmal nix.
"hand aufs herz, wann hattest du das letzte mal sex?" frage ich frech.
"ich will doch nicht einfach nur sex!"
"das wollen wir doch alle. aber sex ist das verkaufsargument."
"vielleicht bei euch frauen. oder bei dir."
"nö. ich kenn durchaus auch männer, die mir, bevor sie ein wort über ihr alter oder ihre schulbildung verlieren, die maße ihres penis schicken."
"gott!"
"der hat damit glaub ich weniger was zu tun."

zwei drinks später hat sich die atmosphäre reichlich gelockert.
"wie würdessssn du auf spontane gessichts...besamung reagiern?"
ich kichere gläsern:
"dafüa müssdnwa abba aufs klo gehn!"
"naaaaaaiiiiin... abban freun von mia hat das neulich ma gemach. mitne frau, die er erssss grad kenn...gelern hat."
"unn? wassatse gesach?"
"nix. nua... ersch... erschroggn geguggt."
ich kann mich vor lachen kaum halten.
"unn... dein freun? hatta wenichsstens n hanntuch gehol?"
"weißichdochnich!"
"ich denk, du waaaas... dabei?"
"ne! ich vögel doch nich mit meim freun!"
"abba der scheinjan paa... connections mehr su habn alssss du!" kichere ich.
der kumpel schaut mich ernst an:
"warummm rennwia einglich imma üba sex?"
"manni... manifffessstiates wunsch... denkn."
"jezz tu ma nichso....aufffgeklärt!"
"ab!"
"hä?"
"ab... geklärt, meinsu."

der kellner, der offenbar angst hat, dass sich unser manifestiertes wunschdenken gleich ganz abgeklärt am tresen realisiert, schiebt uns ein wasser rüber.
"machsuuu... mir ma nochn büschen musik, du?" frage ich ihn.
macht er. ein hübsches liebeslied auf zarten elektronischen beats.
mein kumpel guckt horny.
"du guggs hoooorny!" sage ich.
mein kumpel guckt immer noch so.
"nä!" sage ich. "ich musss jezzz.. nachhause."
"du kanns doch.... nimma raadfahn."
"kannich... wohl!"
"kannsu nich!"
"wohl!"
"nich!"

ich stehe auf. wackelig. der raum dreht sich, und ich hoffe, dass ich die toilettentür noch treffe. als ich vom pinkeln wiederkomme, stelle ich fest, dass ich meine handschuhe verloren habe.
"facking bull.... schitt!"
"du kannsau bei mia auffer... couch penn!"
"nääää... ers... wenndu wieda nüchtan biss!"

dann stehen wir draußen auf der straße. die kalte nachtluft trifft mich wie ein schwere wand und ich brauche mehrere minuten, bis ich mich erinnern kann, wie mein fahrradschloss funkioniert.
"erfriermirmanich", sag mein kumpel zum abschied.
"imma... opimisstisch bleim!" sage ich mehr zu mir als zu ihm.
"sinnwa doch."
"nadenn."

ich brauche fast eine stunde nachhause. als ich endlich im bett liege, überlege ich, ob mein kumpel ernsthaftes interesse hat oder ob er einfach nur ein bisschen ausgehungert ist. und unter welcher voraussetzung ich wie reagieren würde. von bukkake und so mal ganz abgesehen. doch bevor der weisheit letzter schluss mich ereilt, fallen mir die augen zu.

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Montag, 9. März 2015
monday, monday
kliniktermin, der x.te. laberrhabarber, dann bekomme ich ein neues rezept, blutwerte sind auf den ersten blick auch okay, alles normal.

draußen steige ich schnell auf mein rad, nix wie weg, damit ich dem objekt nicht begegne. da merke ich: der reifen ist platt. also laufe ich zum nächsten mir bekannten fahrradladen.
"du liebe güte, was haben sie denn gemacht", ist der fahrradfuzzi schockiert.
"warum denn?"
"das wird ihnen jetzt nicht gefallen... aber da ist nicht nur der reifen, der gemacht werden mus... ihre bremsen sind verschlissen und die kette ist kurz vorm abreißen."
"ich fahre mit dem rad nur in die arbeit, ich mache keine tour de france damit."
"wie viel fahren sie denn pro woche?"
ich muss nachrechnen.
"so 120 kilometer? wenn ich abends unterwegs bin, vielleicht noch ein bisschen mehr."
"das ist nicht wenig. das sind weit über 5.000 kilometer pro jahr. das macht keine kette länger als ein jahr mit."

als ich wieder rauskomme, habe ich einen kostenvoranschlag über 200 euro in meiner tasche. und keinen plan, wie ich so viel kohle wieder zusammenkratzen soll, weil in einer woche auch noch die einkommenssteuervorauszahlung ansteht.

juhu.

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Sonntag, 8. März 2015
hurt
wenn meine eltern zu besuch sind, kommt mein gesamtes inneres system durcheinander.

zum einen, weil sie mir teils tierisch auf die nerven fallen. sie mögen hamburg nicht, sind mit der stadt völlig überfordert und wissen nicht wohin mit sich, dennoch kommen ideen und inspiration meinerseits nicht an, weil sie so ihren stiefel durchziehen und grundsätzlich nur schwer für irgendetwas zu begeistern sind. darüber hinaus haben wir einen unterschiedlichen tagesrhythmus - während ich am wochenende endlich mal schlafen möchte, sind meine eltern spätestens um neun am frühstücken.

zum anderen, weil ich sie sehr lieb habe und auch merke, dass sie mich liebhaben. dabei sind unsere arten zu lieben defizitär und inkompatibel, was oft an einer stelle missstimmung erzeugt, an der eigentlich ein großes, warmherziges lächeln stehen sollte.

wie sehr mich ein besuch meiner eltern anstrengt, merke ich an der körperlichen müdigkeit, die mich dann überkommt. fast überfallsartig. heute musste ich nach zweieinhalb stunden abbrechen, weil ich nicht mehr klar zwischen wahrnehmung und gedanken trennen konnte und wieder anfing, ihr verhalten zu bewerten und auf mich zu beziehen. nun bin ich zuhause, alleine, in der kehle sitzt das große heulen, weil ich sie jetzt schon wieder vermisse und weil alles immer so kompliziert ist.

ich wünsche mir so sehr eine schwester oder einen bruder, den ich nach einem solchen tag anrufen könnte. und die oder der mir dann sagen würde: "du weißt doch, sie sind halt so, aber wir haben uns doch lieb."

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Donnerstag, 5. März 2015
nach dem fressen
der dr.-ing. hat sich vergangene woche überraschend zurückgezogen. wegen gewissensbissen seiner frau gegenüber. doch gestern steht er weder auf der matte, prinzipien hin oder her.

"hach, muss liebe schön sein", sage ich sarkastisch am telefon, als er mir gesteht, dass es doch ein bisschen zu toll war, um die sache aufzugeben.
"dir macht das spaß, in wunden zu bohren, was", will er wissen.
"nö. ich freue mich nur, wenn ich recht behalte."
"du hast ein furchtbar schlechtes männerbild."
"es ist aber realistisch."
der dr.-ing. seufzt:
"da mag ich dir jetzt noch nicht mal widersprechen."
"glaub bloß nicht, dass ich dir wegen dieses satzes jetzt die absolution erteile."
der dr.-ing. lacht. ein bisschen gequält. dann will er wissen, wann er vorbeikommen darf.
"um acht?"
"gut."
"und bring was mit, ja. nen wein oder so."
"ey, ich muss noch autofahren!"
"ey, ich trink den auch alleine!"
der dr.-ing. ist nicht eingeschnappt, sondern kichert. er mag offentsichtlich meinen humor.
"dann bis später."
"bis später."
"halt warte mal! ich hab noch eine idee..."
"was denn?"
"könntest du mich bitte nackt empfangen?"

kann ich.
"wahnsinn, du bist echt verrückt", strahlt der dr.-ing., als er mich zur begrüßung umarmt.
"was ist verrückt daran, einen wunsch zu erfüllen?"
"nein, du hast recht. es ist cool. und du bist so schön", sagt der dr.-ing. und spielt mit meiner linken brustwarze.
dann zieht er sich hastig aus, beugt mich über den schreibtisch und beginnt, mich von hinten zu ficken. wie beim letzten mal kommt er so schnell wie ein überhitzter teenager.
"orrrrrr... was machst du mich auch so an", stöhnt der dr.-ing.
"wir können ja noch mal", sage ich. "allerdings würde ich diesmal das bett bevorzugen, ich hab nämlich total kalte füße."

wir krabbeln in mein bett und der dr.-ing. schlingt meine decken um mich. fürsorglich. und ich muss kurz ans objekt denken. männer unter oxytocin-einfluss scheinen ähnliche verhaltensweisen an den tag zu legen.

unter der decke angle ich nach seinem schwanz. ganz klein hängt er in seiner hülle, aber erigiert erreicht er eine beachtliche größe. eine angenehme größe.
der dr.-ing. beginnt, schnell zu atmen und dann anzudocken. missionarsstellung, klassisch. zärtlich, langsam. wir kommen ziemlich zeitgleich.

der dr.-ing. zieht mich in den arm.
"weißt du, was mal ein typ zu mir sagte", erzähle ich. "der sagte, als ich nach dem sex die hand ausstreckte, um ihn zu streicheln, doch tatsächlich: du willst doch nicht etwa kuscheln?! total entsetzt."
der dr.-ing. lacht sich schlapp.
"du kennst ja komische leute."
"manchmal frage ich mich auch... da ist man offiziell gestört, aber die richtig kranken sachen ziehen eigentlich andere ab."
"warum offiziell gestört?"
schwupp, so verplappert man sich. der dr.-ing. weiß ja noch gar nichts von seinem glück, mit einer irren zu vögeln.
"ach, ich nehm tabletten, weißt du, mir gehts manchmal nicht so gut."
der dr.-ing. schaut mich aufmerksam an.
"hat das was damit zu tun", fragt er und streicht über die narben an meinen armen.
"ähm", sage ich und muss dann erstmal wegschauen. das ganze wird mir jetzt etwas zu intim.
"musste nicht erzählen", sagt der dr.-ing. "es würde mich nur freuen, wenn du gerade keine so schlimmen sorgen hast."
das klingt lieb und warmherzig, aber ich mag nicht antworten. offenbarungen führen immer nur dazu, dass die leute abhauen. im menschen verscheuchen bin ich weltmeister.
also sage ich nichts, sondern kuschle mich nur ein, lächle und genieße die wärme, die feuchtigkeit zwischen meinen schenkeln und die zarten berührungen an meinen brüsten.

irgendwann steht der dr.-ing. auf und schlüpft in seine sachen.
"komisch ist es ja schon", sagt er.
"was denn?"
"jetzt zu gehen."
"es wäre komisch zu bleiben, du hast doch ne frau."
"ja eben. irgendwie hab ich schon wieder ein schlechtes gewissen."
"das ist normal. nach dem fressen kommt die moral."
der dr.-ing. lacht.
"du bist ne knallharte, gelle? und auch wieder nicht... deine samtaugen sagen jedenfalls was anderes."
"schon möglich."

eine letzte umarmung, dann steht der dr.-ing. im treppenhaus.
"bis bald."
"aber nur, wenn du aufhörst, mir mit deinem schlechten gewissen in den ohren zu liegen."
"ich geb mir mühe."
"na dann."

wieder winke ich zum abschied. eine geste, die mir hilft, größtmöglichen abstand in die sache zu bringen.

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Donnerstag, 19. Februar 2015
dr.-ing.
ich ficke am liebsten nichtakademiker. ich will damit nicht sagen, dumm fickt gut, aber beim sex braucht man praktische intelligenz, fingerspitzengefühl und kreativität nunmal mehr als strategisches oder analytisches denken. verkopft vögeln funktioniert nicht so gut, und verkopft und verschroben bin ich schon selbst genug.

mein neuester fick tanzt komplett aus der reihe, was das betrifft. ingenieur, promoviert, in der kommunikation extrem bedacht und korrekt. und sehr vorsichtig, weil verheiratet. gestern verabreden wir uns zum ersten mal, auf einen kaffee, nur kurz, weil ich nicht viel zeit habe. nach zehn minuten kaffeetrinken fragt er aber schon, ob ich ihm nicht einen blasen will.

wir gehen zu mir. er lacht sich kaputt über meine kleine wohnung mit der windschiefen kommode. er wohnt in blankenese und ich will gar nicht wissen, wie. dann lässt er die hosen runter und ich gehe auf die knie.

nackt seid ihr alle gleich. gleich geil, gleich beschämt, gleich hungrig.

er spritzt nach zwei minuten ab und geniert sich deswegen. dann kuschelt er sich in mein bett wie ein kleiner junge. das finde ich irgendwie niedlich. ich krieche in seinen arm, lasse mich fallen, bin ganz entspannt, denke nicht an die arbeit oder an den k.-ex-ex oder an das objekt.

er findet meine brüste schön und meinen arsch und behauptet, er werde süchtig nach mir. und will alles wissen. ob ich laufe. ob ich schwimme. was ich gerne esse und welche filme ich gucke und welche bücher ich lese.
"wir könnten ja mal essen gehen oder ins kino", schlägt er vor.
"nein, das geht mir zu weit", erwidere ich.
"das heißt, wir sehen uns nicht mehr wieder?" fragt der dr.-ing. enttäuscht.
"das habe ich nicht gesagt. aber ich will dich nicht mögen, weißt du. dazu passen wir schon jetzt zu gut zusammen."
"ich liebe meine frau", sagt er zögerlich.
"aber dir fehlt der sex."
"ich will mich lebendig fühlen."
"dafür bin ich die richtige."
"den eindruck habe ich auch."

zwei stunden später haut er ab. frauchen hat den abendbrottisch gedeckt. ich stehe an der tür, winke nonchalant.

bloß nicht am arsch kriegen lassen.

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Sonntag, 15. Februar 2015
samstagsmaler
seit gestern erstrahlen küche, bad und flur in neuem weiß - der lederjacke sei dank.

ich habe die lederjacke schon lange nicht mehr gesehen. als sie zur tür hereinkommt und die jacke ablegt, sehe ich, dass sich ihr oberarmvolumen schätzungsweise verdoppelt hat.
"boah, hast du arme!" sage ich anerkennend und die lederjacke grinst sehr geschmeichelt:
"deshalb mach ich auch wieder die decken, ja? ich brauch das, ich kann ja heute nicht mehr trainieren gehen."

die lederjacke pellt sich bis auf den calvin-klein-schlüpper aus den klamotten und steigt in einen blaumann. ich grinse, und die lederjacke weiß, dass sie mit dem feuer spielt. dann greifen wir zu pinsel und rolle.
"wie gehts dir denn so, alles stabil bei dir?" will die lederjacke wissen.
"ja, so lala", sage ich. "nachdem ich jetzt vom objekt weg bin, gehts mir im schnitt ganz gut. und dir?"
"ich hab ein promotionsangebot!" platzt die lederjacke stolz wie bolle raus.
"neeeeeeiiiiinn... wie cool ist das denn?!"

wie immer ist das glück eine frage von beziehungen. über die kollegin einer kollegin hat die lederjacke zugang zu einem forschungsprojekt an der uni bekommen.
"wenn das klappt, krieg ich ein stipendium und vielleicht sogar ne halbe stelle!"
"das heißt, es ist dann schluss mit arbeiten beim amt?"
"ja. vorbei, endgültig. ich hab das so satt, da die armut unserer antisozialen stadt zu verwalten... weißte, den leuten kommt ja keine echte hilfe zu. ich hab 80 fälle oder so, das sind nur nummern, die du durchpeitschen musst und bei denen du hoffst, dass es keine komplikationen gibt, weil das alles sonst zu viel zeit kosten würde. das fucking amt baut ja nur stellen ab, alle mitarbeiter sind total überlastet, deswegen sind auch ständig welche krank... ganz ganz üble mühle, sag ich dir. mit sozialstaat hat das überhaupt nichts mehr zu tun. lieber obdachlos als abhängig von uns, das würde ich jedem raten."

die lederjacke ist immer noch systemkritisch und engagiert, das mag ich so an ihr. als wir mit dem anstrich durch sind, sitzen wir im wohnzimmer, quarzen und trinken meine wodka-vorräte.
"geht heute eigentlich irgendwo was? wollen wir noch in den club?" fragt die lederjacke.
"der club ist tot", sage ich.
"achja, stimmt, habe ich gelesen. warst du auf der abschluss-fete?"
"ja. saucooler abend. scooter war auch da."
"yeah", sagt die lederjacke, schmeißt rebel yell in die playlist und dreht die boxen bis zum anschlag auf.

"wir können aber noch woanders hingehen", sagte ich dann, "heute ist auch noch ne andere party."
"auja", ist die lederjacke schnell entschlossen, weil sie den richtigen pegel hat und in fahrt kommt.
"ich muss aber noch mal nachhause, ich hab nix anzuziehen mit."
"tust du mir einen gefallen", sage ich.
"wasn?"
"zieh deine lederjacke an."
die lederjacke grinst und macht sich dann auf.
"wir sehen uns in einer stunde da!"
"bis dann. und tüdel nicht rum."

als ich eine stunde später von der u-bahn hochlaufe, kommt mir die lederjacke aus der richtung zob entgegen. perfektes timing.
"du hast echt deine lederjacke an", stelle ich fest.
"na, wenn du dir das wünschst."
wir stehen in der garderobenschlange.
"mann, ist hier viel los!", findet die lederjacke.
"ist eine der größten partys dieser sorte."
"wahnsinn. und wow, kann das sein, das da vorne der sänger von project pitchfork läuft?"
ich zucke die achseln:
"der ist öfter mal da."
"wie cool."

die lederjacke ist ganz aufgeregt und braucht erstmal ein bier, und dann gleich noch eins:
"cool, ist das cool hier, ich muss tanzen gehen!"
"ja, aber warte mal, ich zeig dir erstmal die verschiedenen floors hier. und wo wir uns treffen können, wenn wir uns nicht mehr finden sollten."
"wie viele stockwerke sind das?"
"nur zwei. und dann gibts noch eine area, die ist im hintergebäude ausgelagert, aber die hat heute zu."
"schweinerei!"
"tröste dich, die mucke wäre dir eh zu hart."
die lederjacke schaut mich empört an und schubst mich.
"na gut, dann nehm ich dich jetzt mit in die elektro-hölle oben", sage ich.

wider erwarten findet die lederjacke auch diese area cool, tanzt und singt "hyper hyper" gegen den krach ab, während ich mich totlache.
"wen hast du denn heute dabei?", spricht mich die barfrau aus dem club, die heute auch da ist, an.
"das ist nur ein kumpel, wir haben vorhin zusammen meine wohung gestrichen."
"mit dem würde ich auch gern wohnungen streichen", kichert die barfrau.
"soll ich euch mal vorstellen?"
doch nicht nötig, die lederjacke kommt angeschossen und stellt sich selbst vor.

wir gehen in den raucherraum. die lederjacke ist immer noch voll auf dem scooter-trip und singt singt und rappt abwechselnd. der mann der barfrau kommt hinzu, guckt sich die szene kurz an, rollt bedeutungsvoll die augen und geht dann wieder.
"schatzi, jetzt sei mal nicht so, hol uns lieber was zu trinken", ruft ihm seine frau nach.

nach einer weiteren whiskey cola beginnt meine welt sich zu drehen. die lederjacke unterhält sich eifrig mit der barfrau und ihrem mann. mein freund v. schaut auch kurz vorbei. im gegensatz zu mir ist er frisch verknallt.
"geh weg, ich kann heute keine verliebten menschen sehen", sage ich.
aber v. lacht nur und drückt mich. das ist das charmante an verliebten: diese realitätsresistenz.

da ich um acht uhr morgens aufgestanden bin, meine wohnung ausgeräumt und anschließend mit streichen beschäftigt war, bin ich gegen drei ziemlich müde.
"meine füße tun weh", sage ich zur lederjacke.
"ich bin auch schon recht angetrunken", meinte die lederjacke. "vielleicht sollten wir nach hause."
ich sehe die lederjacke an, die normalerweise ab einem gewissen pegel kein ende findet.
"du willst nach hause, bist du krank?"
"ich hab ein paar sachen umgestellt in den letzten monaten", sagt die lederjacke ernsthaft. "ich habe wieder angefangen, mehr zu boxen. dafür will ich fitter werden und auch noch ein paar kilos abnehmen."
das erklärt auch die zusätzliche muckimasse.
"dann lass uns doch aufbrechen."

an der bahn nimmt mich die lederjacke in den arm:
"das war ne richtig gute idee, ist die party öfter?"
"alle vier wochen."
"ich will da wieder hin!"
"gerne."
"dann komm mal gut heim", drückt mich die lederjacke ganz fest, "und schick mir ne nachricht, wenn du angekommen bist, dann bin ich beruhigter."
"dito."

dann zieht jeder seines weges. erst in der bahn fällt mir ein, dass ich ja mal hätte fragen können. anderseits bin ich auch zu müde zum vögeln. also beschließe ich, mich an der tatsache zu erfreuen, dass die lederjacke immer noch mein freund sein will - und dass ich nun wieder eine halbswegs ordentliche wohnung habe.

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Samstag, 14. Februar 2015
auseinandersetzung
gestern abend stehe ich, liebeskummergeflasht, vor der wahl: auf die als gemeinschaftliches ausgehevent geplante kulturveranstaltung gehen oder nicht? theoretisch bin ich noch erschöpfter als die tage zuvor und kann mir nicht vorstellen, bahn zu fahren. anderseits bedeutet kultur auch energie. etwas erleben, sich bewegen lassen. und das ganz jenseits der gefährlichen party-zone.

manchmal weiß ich nicht, woher ich die kraft nehme, um mir den impuls zu vermitteln, mich aufzuraffen. aber eine stunde nach der niederschmetternden nachricht stehe ich im bad und schminke mich. ich profitiere vom schock, der bewirkt, dass alles noch zu unwirklich ist, um darüber zu flennen. also keine heulfresse, sondern ein von der anspannung der informationsverarbeitung wunderbar glattgezogenes gesicht. eine hübsche maske, die anzumalen beinahe spaß macht.

man sieht mir nichts an. auch wenn ich mit einer 50er-packung tramal in der tasche auf einer parkbank sitze, sieht man mir nicht an, dass es mir irgendwie schlecht ginge und der gedanke, sich das leben zu nehmen, bedrohlich nahe ist.

als ich mit meiner geschminkten maske richtung bahn gehe, vernehme ich geschrei. normalerweise gehe ich nie ohne mp3-player außer haus, da ich mich von der realität abschirmen muss, aber gestern habe ich bewussst darauf verzichtet. musik macht nur sentimental.

ich nehme gerade die rolltreppe zum bahnsteig, als ich wieder geschrei höre. irgendwelche besoffenen, denke ich, ist ja freitag. dann aber stürmt ein blondes mädchen die rolltreppe hinter mir hoch, dreht sich um und sieht mich an. sie macht einen verängstigten eindruck, hat tränen im gesicht und eine schmutzige jacke. ich schätze sie auf 12 oder 13 jahre.

"haben sie... haben sie ein mädchen laufen sehen... wo ist sie hin...", stammelt die kleine verwirrt. ich gucke genauer hin. das mädchen wirkt geistig behindert auf mich.
"du bist die einzige, die ich hier laufen sehen", sage ich freundlich.
"da sin so.... da sin so... jungens... die sagen, weil du behindert bist... weil du behindert bist."
"weil du behindert bist, was?"
"aber da kann ich doch nicht für!"
"natürlich kannst du da nichts für."
"die hammich so... festgehalten... und getreten!"
jetzt bleibt mir der mund offenstehen.
"die haben WAS?"
"und nur, weil ich behindert bin!"
das mädchen hat schon wieder frische tränen im gesicht und impulsiv lege ich den arm um sie. sie klammert sich an meinen mantel.
"sind die denn noch da?" frage ich.
"nee... die sind weggerannt. aber das kann man doch nicht machen, nur weil ich behindert bin!"
"die welt ist leider voller arschlöcher", sage ich. "als ich so alt war wie du, haben mich auch immer jungs verprügelt."
die kleine guckt mich mit ihren großen blauen augen an:
"aber warum denn?"
"ich war gut in der schule. das provoziert neid. und ich war obendrein noch nett. das suchen solche typen, die dich fertigmachen wollen."
"aber sie sinn... nicht behindert!"
"nein", sage ich.

die kleine beruhigt sich langsam, lässt aber meinen mantel nicht los.
"musst du jetzt auch mit der bahn fahren?" will ich wissen.
die kleine schüttelt energisch den kopf.
"ich muss nach hause!"
"dann mach mal deine jacke zu, es ist viel zu kalt."
"die is schmutzig, jetzt."
"trotzdem kann man die zumachen."
ich knie mich vor das mädchen und zippe ihr den reißverschluss zu.

die bahn fährt ein.
"ich muss", sage ich und streiche dem mädchen die haare aus dem gesicht.
"kommst du klar?"
die kleine nickt.
"pass auf dich auf. und wenn noch mal was ist, dann gehst du da unten in den dönerladen. die sind sehr nett da, die helfen dir bestimmt."

in der bahn bin aufgewühlt und unzufrieden mit der situation. hätte ich die eltern anrufen müssen? oder die polizei?

und dann: immer auf die schwachen und wehrlosen. ich merke, wie mir wuttränen in die augen steigen, die zugleich auch traurigkeitstränen sind. die kleine hatte mich sehr an mich erinnert. und ich habe sie nicht geschützt. weil ich bis heute nicht weiß, wie man kinder vor mobbing und prügeleien schützt.

mit meinem psychologen hatte ich das einmal durchgesprochen.
"ihr eltern hätten sie schützen müssen", hatte er gesagt, als ich von den jahrelangen prügel-attacken in der grundschule erzählt hatte.
"was hätten die denn machen sollen? der einzige effekt wäre gewesen, dass die täter gewusst hätten, dass ich ein weinerliches mamikind und eine petze bin."
"sie hätten mit der klassleiterin sprechen können."
"haben sie ja. die sagte, sowas müssen kinder unter sich ausmachen."
mein psychologe hatte mich nur groß angeschaut.
"was hätten sie denn machen sollen?", hatte ich noch mal gefragt.
da saß er wieder und zuckte mit den schultern, wie so oft.

27 jahre später und immer noch opfer. ohne eine idee, ohne einen impuls.

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