Freitag, 9. Oktober 2015
blauphase mit endorphin-intermezzo
wegen dauerkränklichkeit und allumfassender erschöpfung nach einer übervollen messewoche beschließe ich, heute doch mal krank zu sein. ich gehe ganz feudal zum onkel doc und jammere ein wenig, dann mache ich noch einen abstecher zur psychiatrie und jammere dort ebenfalls ein bisschen, so irgendwo zwischen "ich fühl mich nicht so" und "ich begehe heute abend suizid", um einigermaßen fix an einen ambulanten termin zu kommen. einigermaßen fix heißt in diesem fall: in weniger als vier wochen, und oh wunder, es klappt, nur knapp drei wochen, bis ich mit jemandem sprechen darf.

als ich aus der klinik hinaus in den regen gehe und mir eine zigarette anzünden will, ruft jemand hinter mir:
"morphine, morphine!"
ich drehe mich um und sehe, dass das objekt angewackelt kommt.
"na, auf dem weg zur arbeit?", frage ich und nehme es fest in die arme.
"hmmmmmm", sagt das objekt und kuschelt sich kurz an.
ich schaue ihm ins gesicht und weiß, es ist gerade erst aufgestanden und hat am vorabend sehr viel gekifft.
"noch restbekifft?" frage ich weiter.
als antwort zeigt mir das objekt den stinkefinger.
"schlechter tag?"
"alles fotzen außer mutti", sagt das objekt und küsst mich grinsend auf die wange.
"dann viel spaß gleich mit den fotzen und deiner mutti und der fotze deiner mutti, oder wie auch immer."

wir stehen voreinander. das objekt geht nicht, sondern guckt nur. ich gucke zurück und kann die sekunden spüren. das objekt lächelt sein schönes offenes warmherziges lächeln, überlegt ganz offensichtlich, ob es noch etwas sagen soll, entschließt sich dann aber einfach zu einer weiteren umarmung.

"musst du nicht rein", sage ich und deute mit dem kinn richtung klinikgebäude.
"ich bin eh schon zu spät", grinst das objekt frech.
"dann allez-hopp."
das objekt schaut ein bisschen gequält, drückt mich zum abschied und geht dann seines weges. ich sehe ihm nach, was es offenbar spürt, denn es dreht sich noch mal um, eilt fünf schritte auf mich zu, gibt mir noch einen kuss und sagt dann schnell:
"hübsch siehst du aus."
bevor ich etwas erwidern kann, ist es schon an der kliniktür und schlüpft hinein.

als ich auf dem nachhauseweg bin, habe ich herzklopfen. ein schönes, erwartungsfreies herzklopfen. es wird schon, zwischen dem objekt und mir. ich vertraue auf die sympathie zwischen uns, die auch der große crash nicht zunichte machen konnte. sie wird uns weitertragen, in diese oder jene oder eine ganz andere richtung.

... link


Dienstag, 6. Oktober 2015
brief des schreckens
ich öffne den briefkasten und habe post. ein brauner umschlag, durch dessen adressfenster ein grüner brief schimmert, und ich denke sofort grün, grün, das ist wie gelb, das ist was offizielles. dann schaue ich auf den absender und lese "bundesamt für justiz".

der puls schnellt auf 180. was nun? ich könnte den brief ganz vorsichtig öffnen, reinschauen, im falle einer anklage wieder verschließen und mit "empfänger verstorben" drauf zurücksenden, so, wie ich das mit gez eine weile getrieben hatte. oder, noch viel besser, ich schmeiße den brief direkt ungeöffnet weg. dann muss ich mir gar nicht erst den kopf zerbrechen, wer da was von mir wollen könnte. die vogel-strauß-methode, zumindest, bis der haftbefehl eintrudelt oder ich das land verlassen kann.

um voreilige entschlüsse abzuwenden, lege ich den brief erstmal auf die ablage. du kannst ihn auch morgen öffnen, sage ich mir. aber dann schlaf ich schlecht, sagt mein alter ego. wenn da drinsteht, du bist wegen drogenimports oder ähnlichem zu soundsovielen jahren haft verurteilt, schläfst du auch schlecht, entgegnet die stimme der unvernunft.

ich gehe erstmal auf klo, dann mache ich mir einen feierabenddrink. mit etwas alkohol im blut fühle mich dann mutig genug, den brief noch mal in die hand zu nehmen. okay, wir öffnen ihn. ganz vorsichtig, und wenden dann einfach die bewährte empfänger-verstorben-taktik an.

ich ziehe den grün gemusterten zettel aus dem umschlag, lese "aktenzeichen xy" und dann weiter unten, "ohne einträge". und dann fällt mir der fettgedruckte schriftzug ins auge: führungszeugnis. klar, mein polizeiliches führungszeugnis, das ich vor einiger zeit angefordert hatte.

so einfach sind die dinge manchmal. und so sehr hat man die hosen voll davor.

... link


Samstag, 3. Oktober 2015
kapitulieren
die sache mit dem kopf wäre ja okay. der denkt in die richtige richtung und produziert. die kleine oder große traurigkeit dann und wann: auch in ordnung. die gehört wohl zu mir wie eine lästige neurodermitis. da brauch ich auch keinen psycho-heini mehr, der mir das auseinander klabustert. man kann sich mit so einer behinderung abfinden. nicht schön, aber besser als im rollstuhl sitzen.

was mich aber wirklich, wirklich fertig macht, ist dieser körper. seit über einem halben jahr habe ich nicht mehr richtig geschlafen. im schlafähnlichen zustand, den ich noch erreiche, verspanne ich so sehr, dass ich morgens mit rasenden kopf- und schulterschmerzen aufwache. mein tramalkonsum ist von null auf exorbitant gestiegen, und hin und wieder in schwachen momenten denke ich daran, es einfach mal mit heroin zu versuchen.

davon abgesehen - möglicherweise im kontext des permanenten mangels an tiefschlaf - bin ich ständig krank. nebenhöhlen-trallala, halsschmerzen, augenentzüdungen. kaum ist das eine weg, kommt das nächste. sämtliche schleimhäute sind so durchgefeiert wie damals, als ich noch jedes wochenende weißes pulver geschnupft habe. antibiotikum folgt auf antibiotikum, und alles hilft einen scheiß.

"sie müssen auch ein bisschen an ihren körper glauben", meint mein arzt, aber mit meinem körper ist es inzwischen so wie mit meinen mitmenschen: ich muss ihn permanent kritisch überwachen. was schwierig ist, denn ich bin müde. so unendlich müde. ich vermute, einem sekundenschlaf habe ich es zu verdanken, dass ich vor ein paar tagen vom fahrrad gefallen bin. einfach so. selbstredend bin ich schwerpunktmäßig auf mein kaputtes knie gestürzt, dem jetzt ein bisschen haut und fleisch fehlt, was natürlich ebenfalls nicht heilen will und sich fett entzündet hat.

heute habe ich jedenfalls kapituliert und meine medikamente wieder aus dem schrank geholt. wir schreiben freitag, kurz vor mitternacht. der körper fühlt sich theoretisch bereits bettfähig. die stimmung ist von absoluter gleichgültigkeit geprägt. die gedankenfontänen sind tot, die libido ebenfalls. ich warte auf meinen freund, den schlaf.

... link


Montag, 28. September 2015
der fick deines vertrauens
je mehr männer ich treffe, desto weniger kann ich mir vorstellen, jemals wieder einem von ihnen mein vertrauen zu schenken. dabei lerne ich die meisten noch nicht mal näher kennen, sondern lediglich ihre schwänze und ihre sexuellen vorlieben, und gebe mir allenfalls noch ein wenig gelaber, was für geile hengste sie sind und was sie in ihrer ehe so alles vermissen. man sollte meinen, dass bei einer so winzigen schnittmenge nicht viel vertrauenserschütterndes passieren kann. aber manchmal geschehen dinge, dass ich erwäge, alle sexuellen aktivitäten bis auf masturbation vollkommen einzustellen.

so traf ich vor einigen wochen einen mittelalten herrn, der auf den ersten blick ganz astrein in schale schien und auch sehr attraktiv und wortgewandt war. er stellte mir zu anfang die frage, die mir viele stellen:
"können wir auch mal ohne gummi?"
woraufhin ich meine standardantwort gab:
"ich will deine seuchen nicht, und du meine vermutlich auch nicht, die du ja zudem an deine frau weiterreichen würdest, und die mit ein bisschen pech an deine kinder."
einmal klar ausgesprochen verhilft die lebhafte vorstellung von einem von geschwüren übersäten, stückweise abfaulenden schwanz und gesamtfamilärem siechtum den meisten wieder zu so viel verstand, dass das lümmeltütchen ohne murren und knurren getragen wird. diejenigen, die sich mit dem latex noch immer nicht anfreunden wollen, weisen mich in zweiter instanz zumeist darauf hin, dass auch beim oralverkehr krankheiten übertragen werden können. woraufhin ich gerne großzügig anbiete, auch den oralverkehr geschützt zu vollziehen, was dann sehr vorhersehbar jedes mal zu einem abrupten sinneswandel führt.

der mittelalte herr, der sich ein wenig geheimnisvoll gab, was mir sehr gefiel, erklärte sich zunächst mit der üblichen gesundheitsvorsorge einverstanden. als wir dann jedoch nackt voreinander standen und es zur sache gehen sollte, hatte er eine spitzenidee:
"lass uns doch ein bisschen ohne gummi, ich komme auch nicht in dir."
ich sagte nein.
woraufhin der herr zu diskutieren begann:
"dir macht es doch auch mehr spaß ohne."
"aber hiv-positiv sein hinterher halt nicht so sehr."
"ach komm, wir haben doch kein aids! seh ich aus, als hätte ich aids?"
in mir stieg die wut hoch angesichts so viel ignoranz.
"seh ICH etwa aus, als hätte ich aids?"
"na also", meinte der herr. "dann können wir doch..."

und staunte dann, als ich aufstand, in meine kleider stieg und in meine jacke schlüpfte.
"was soll das denn jetzt?" fragte er todbeleidigt.
"weißt du, ich stehe auf männer mit stil", sagte ich. "und das, was du hier gerade abziehst, ist absolut stillos. wir hatten eine klare absprache und du willst dich nicht an sie halten. und deshalb gehe ich jetzt."
der typ sprang auf und wollte mich aufhalten.
"ey, du kannst mich hier doch nicht so stehenlassen, jetzt hol mir wenigstens einen runter!"
ich holte tief luft.
"fass mich an und ich schreie das ganze haus zusammen."
unter üblen beschimpfungen seinerseits zog ich meine schuhe an, nahm meine tasche und ging, gottseidank unbehelligt.

die nächsten tage konnte ich nicht mal an sex denken, ohne dass mir schlecht wurde. da steigen erwachsene männer, die verantwortung für eine familie tragen, mit fremden frauen, die sie im internet aufgegabelt haben, ins bett und machen sich überhaupt gar keine gedanken, wer schon alles in besagter frau drinsteckte und ob die dann auch alle mal ohne gummi wollten. offenbar hatten so einige männlich exemplare schon so lange keinen sex mehr gehabt, dass ihnen alles egal ist, sogar so egal, dass sie zusagen machen, die sie, sobald es zur sache gehen soll, wieder zurücknehmen. viele andere frauen in dieser situation wären, nehme ich an, eingeknickt und hätte des lieben friedens wegen ja und amen gesagt, oder hätten wahlweise noch eine halbe stunde diskutiert, bis jegliche erotische atmosphäre mit sicherheit abgewürgt gewesen wäre.

manchmal verspüre ich regelrechten hass, wenn ich männer auf der straße sehe, unschuldige männer, die mir noch nichts getan haben, und denke mir: auch du bist garantiert nur ein mieser ficker. ich kann mir nicht mal mehr vorstellen, noch einmal nach einer gemeinsamen nacht neben jemandem aufzuwachen. zwei stunden, mehr ertrage ich selten. dann gehe ich, bevor der brechreiz kommt.

... link


Samstag, 26. September 2015
aggro-tusse
"manchmal werde ich ja echt aggressiv", sage ich beiläufig, während ich den schwanz des fremden in meiner hand halte und ihn dabei beobachte, wie er immer größer und dicker wird.
"wie? echt?" der fremde ist schockiert.
"wie äußert sich das?"
"ich knall leuten schon mal eine", sage ich, "oder muss zumindest schwer an mich halten, es nicht zu tun."
"das heißt, ich muss jetzt aufpassen, was ich sage?"
ich muss lachen.

"okay, beispiel: neulich fuhr ich so auf dem radweg, vor mir eine mutti mit zwei sehr kleinen kindern, die auf ihren stützrädern dahinschaukelten. brandgefährlich im morgendlichen berufsverkehr, ich frage mich ja immer, wie eltern so fahrlässig sein können."
"ohja, das ist gefährlich", wirft der fremde ein, selbst vater zweier kinder.
"die fuhren also so vor mir, die kinder nebeneinander auf dem radweg, und rechts daneben auf dem fußweg die mutti. fahren ist dabei zu viel gesagt, also kriechen oder schleichen wäre schon eher treffend. der fußweg war aber voller menschen, die schon aus dem weg springen mussten, als die mutti da durchwalzte, was bedeutete, man konnte also nicht an dem pack vorbeifahren."
"verstehe, und du hast sie überfahren?" mutmaßt der fremde.
"neeeeieeeeiiin. ich hab mich erdreistet zu klingeln."
der fremde zieht die augenbrauen hoch.
"und dann drehte sich diese fettärschige hormon-tonne um und ranzte mich an: sehen sie nicht, dass hier kinder fahren, können sie nicht rechts überholen?!"
"nicht wahr."
"doch! also nicht nur, dass sie ihren kindern vollkommen falsch die straßenverkehrsordnung vorlebte, sie wollte also auch, dass ich fußgänger über den haufen fahre!"
"und dann hast du ihr eine gelangt?"
"neeeeeeeeiiiiin. ich habe gesagt: ich werde doch nicht fußgänger gefährden, nur weil sie die straßenverkehrsordnung missachten und darüber hinaus auch offenbar nicht fähig sind, eben diese ihren kindern nahezubringen, von rücksichtnahme und anderen schönen tugenden mal ganz zu schweigen."
"und was war dann?"
"sie war irritiert. aber wenn sie noch was freches von sich gegeben hätte - ich war fest entschlossen, anzuhalten und ihr eine zu knallen. also nicht nur so eine harmlose ohrfeige, sondern so richtig, mit der faust."

der fremde lacht amüsiert.
"schlägst du denn auch männer?"
"meinen ex-lover habe ich manchmal ein bisschen gehauen."
"wie, gehauen?"
"so im spaß. er hatte die angewohnheit, mir in der öffentlichkeit den rock hochzuziehen und dann auf den arsch zu hauen. dafür hab ich ihm dann auf den sack geklatscht."
"ich hoffe, du machst das nicht bei mir?"
"du haust mir ja auch nicht auf den arsch, so auf offener straße."
"nein, um gottes willen, wenn das jemand mitbekäme, der mich kennt, und der auch noch meine frau..."
"schon gut, wir hauen uns also nicht, weder du mich noch ich dich. und ich bin ja auch keine ernstzunehmende gegnerin. mein ex-lover hat sich immer köstlich amüsiert, wenn ich mich auf ihn gestürzt habe."
"das hatte sicherlich auch was erotisches, bei dir."
"sagen wir mal so, es ergab immer eine gewisse sexuelle spannung. der kerl war 1,90 m groß und wog fast 100 kilo, und allein die körperliche überlegenheit dieses testosteronbündels hat mich schon nass gemacht."

der fremde grinst.
"dann bück dich jetzt mal schön tief, damit ich dich noch mal von hinten nehmen kann."
"sag bitte."
"einen scheiß werd ich tun."
der fremde packt mich am hals und drückt mein gesicht auf die fläche meines schreibtischs. dann fickt er mich kurz und hart, bis ich explodiere.
auf jeden fall weiß er, wie man mit aggro-tussen umgeht.

... link


Sonntag, 20. September 2015
auf der reeperbahn nachts um halb sechs
um nach 36-stündiger, nur von einem rewe-besuch unterbrochener isolation noch ein wenig sozialen kontakt zu haben, begebe ich mich gestern nacht in richtung st. pauli, um mir in der spelunke einen anzusaufen. ich versuche zuvor noch, v. zum mitkommen zu überreden, aber v. schreibt mir, er fliege in vier stunden in den urlaub und müsse noch die komplette taucherausrüstung zusammenpacken.

also setze ich mich erstmal alleine an den tresen, aber es sind auch zwei bekannte da. wir diskutieren über dieses und jenes, der spelunkenbesitzer knuddelt mich, und langsam, langsam wärmt der alkohol mein herz, das sich vorhin schon wieder ganz merkwürdig kalt von innen raus angefühlt hatte, gerade so, als wolle es den ganzen scheiß gleich nicht mehr mitmachen.

gegen halb sechs will ich die holstenstraße entlang zum bus laufen, als ich merke, dass mir zwei große, sehr dunkelhäutige typen folgen.
"fotze", schreit der eine, und ich kriege magenflattern. soll ich schneller laufen oder lieber nicht? angst zeigen oder mich blind, taub und stumm stellen? außer mir und den beiden idioten ist im näheren umkreis niemand zu sehen, und selbst wenn, würde ich niemals drauf vertrauen, dass jemand im ernstfall eingreift, denn dazu kannte ich schon zu viele geschichten von bekannten, die zusammengeschlagen oder halb abgestochen im rinnstein einer seitenstraße der reeperbahn wieder zu sich kamen, ohne dass auch nur wer einen krankenwagen gerufen hätte.

also ruhig bleiben, tief durchatmen. ich versuche, ganz normal weiterzulaufen, aber jetzt holen die typen auf und dann packt mich einer.
"ey fotze", sagt er wieder und seine weißen zähne leuchten im schwarzen gesicht.
"bitch, du fickificki."
jetzt habe ich todesangst oder zumindest vergewaltigungsangst.
der andere typ kommt nun auch ganz nah. er ist genauso ultradunkel wie sein kumpane, aber sehr fett. er fasst mir an den arsch und lacht mich mit einer gewaltigen alkoholfahne an.
ich schaue mich vorsichtig um, aber ich bin tatsächlich alleine auf der straße. schreien hilft sicher nicht, auf st. pauli wird ausschließlich rumgegröhlt, das juckt keine sau.

gerade als ich überlege, mich vor ein vorbeifahrendes auto zu werfen, in der hoffnung, dass das dann noch rechtzeitig bremst, sehe ich in der ferne ein taxi mit leuchtendem schild auftauchen. ich reiße mich los und renne und winke wie eine irre. ich bete, dass es anhält, doch ich habe glück: es bremst ab und fährt dann rechts ran.

ich öffne die beifahrertür, ein blick über die schulter zeigt, dass die typen mir nicht gefolgt sind. dann lasse ich mich außer atem auf den sitz fallen.
"ich wurde verfolgt von zwei typen" sage ich, "die wollten mich überfallen."
"uuaa", sagt der taxifahrer, ein kleines schrumpeliges männlein. "nix gut."
dann will er wissen, wohin.
gute frage. ich zähle mein geld, es sind knapp zehn euro.
"lassen sie mich einfach an der nächsten u-bahn raus", sage ich.
"aber frau", sagt der taxifahrer, "das geht doch nix, wenn da böse mensch!"
"ich hab aber nur zehn euro und keine ec-karte dabei, ich kann ihnen noch nicht mal anbieten, an einer sparkasse zu halten."
"wo wohn", will der taxifahrer wissen.
"das geht nicht, das kostet mindestens 25 euro", sage ich.
"wo wohn", beharrt der taxifahrer.
ich sage es ihm.
"gut", sagt der taxifahrer. "zehn euro."
und macht das taxameter aus.
"boah danke"; sage ich total gerührt.
"schöne junge frau nix gut allein auf nachts straße mit böse mensch", sagt der taxifahrer. "ich auch tochter, drei. und tochter auch schon tochter."

mir geht das herz auf.
"woher kommen sie denn?"
"pakistan", sagt der taxifahrer. "aber schon 25 jahre deutschland."
"und sie fahren schon seit 25 jahren taxi in hamburg?"
der taxifahrer nickt.
"aber ich nix wohn hamburg, zu teuer. familie wohn kiel."
"das heißt, sie fahren jeden tag von kiel nach hamburg, um in hamburg taxi zu fahren?"
der taxifahrer zuckt die achseln.
"große wohnung billig kiel, und mehr kundschaft hamburg wochenende, und kinder sagen, papa nix hamburg, mein freund wohn auch kiel."
"und wie finden sie deutschland so?"
der taxifahrer lächelt:
"gute land, gutes leut!"

als ich schließlich vor der haustür aussteige, bin ich ziemlich froh, dass jemand diesem menschen seinen aufenthalt in deutschland genehmigt hat.

... link


Samstag, 19. September 2015
bewerbung absurd
personaler sind in der regel meine feinde, weil sie sich zumeist dagegen entscheiden, mir irgendwelche spannenden vakanzen anzubieten. nur perspektivlose dumpinglohn-jobs werden mir gern hinterhergeworfen, doch möglicherweise gibt es in meiner branche einfach nur noch perspektivlose dumpinglohn-jobs.

hin und wieder passieren aber auch ganz absurde dinge. gestern klingelte das telefon. dran war eine dame, die ich nicht kannte.
"sie haben sich als redakteurin beim großundschlecht-verlag beworben", behauptete sie. "ich würde sie gern zur vorrunde unserer bewerbungsgespräche einladen."
ich konnte mich beim besten willen nicht daran erinnern, mich bei einem großundschlecht-verlag beworben zu haben, aber sie hatte ja nicht "putzfrau" oder "hausmeister" gesagt, sondern "redakteurin", das schien mir irgendwie passend und im bereich des mir möglichen.
"super", sagte ich also, und hoffte, der forcierte enthusiasmus würde die verwirrung in meiner stimme kaschieren.
die dame ratterte ein paar daten runter, ort, uhrzeit, datum, ich sagte zu allem pro forma mal ja und amen, und dann war das gespräch eigentlich schon beendet.
"sagen sie mir bitte noch mal ihren namen", bat ich die dame, denn ich hoffte immer noch, dass mir dann ein lichtlein aufgehen würde.
sie tat dies und fügte hinzu:
"ich arbeite für die jammertal-personalberatung."

und da machte es klick. ich hatte mich tatsächlich vor urzeiten bei der jammertal-personalberatung beworben, allerdings direkt dort und nicht für einen derer klienten, weshalb ich in meinem anschreiben auch lange und ausführlich meine breite erfahrung in der pressearbeit für personaldienstleistungsunternehmen und employer branding erwähnt hatte. das musste doch aufgefallen sein, dass das überhaupt nicht zum großundschlecht-verlag und deren vakanzen passen konnte, dachte ich.

offenbar war also mein anschreiben nur überflogen oder vielleicht auch gar nicht gelesen worden. wahrscheinlich machen es personaler inzwischen ähnlich wie chefinnen von pr-agenturen: sie klicken kurz in den lebenslauf, gucken auf das foto, und wenn sie das gesicht mögen und die proportionen die schlussfolgerung zulassen, dass die person nicht übergewichtig ist ("fette sind immer faul", standard-these in allen weiber-geführten pr-agenturen), und wenn dann auch noch "ledig" (= kein privatleben) und "keine kinder" (= kann gezwungen werden, nie krank zu sein) irgendwo stand, war die kandidatin oder der kandidat eine runde weiter.

wie auch immer, ich bin sehr gespannt auf das bewerbungsgespräch. ich bin noch am überlegen, ob ich zum ende hin das missverständnis aufkläre und mich dabei totlache, oder ob ich einfach nur scheinheilig frage, aufgrund welcher kriterien ich nun genau in die engere auswahl gekommen sei.

irgendwelche vorschläge ihrerseits?

... link


Dienstag, 15. September 2015
underdogs im mittelstandspomp
all diese gutaussehenden menschen, die in zdf-20:15-filmen in diesen sterilen häusern sitzen, aus jeder pore gutsituiertheit atmen und vortäuschen, dass das alles so leicht und selbstverständlich ist, dass wir alle in blankenese wohnen oder am wannsee oder in irgendeinem geilen schloss mit kamin im wohnzimmer, dass wir alle so superharmonische einheiten bilden, mamapapakind, friedefreudeeierkuchen, und einen gutbezahlten, gediegenen 9-5-job haben, markenklamotten tragen und schicke autos fahren.

die lassen mich kotzen. die lassen mich so sehr kotzen. weil es in der realität inzwischen viel zu viele menschen gibt, mit zwei, drei jobs, die nicht wissen, wo sie einkaufen sollen, damit es am ende noch für stromgaswasserscheiße reicht und die nächste miete, die mutterseelenallein ihre kinder großziehen, die sie im nachhinein lieber nicht bekommen hätten, und deren größter kampf der mit dem sozialamt um ein bisschen wohngeld ist.

aber wahrscheinlich braucht der ultrakapitalismus solch betäubende bilder und geschichten, damit die underdogs glauben, dass sie sich nur noch ein kleines bisschen mehr anstrengen, sich nur noch klein bisschen jünger, schlanker, schöner, besser machen müssen, und nur noch ein paar mal öfter die parolen der brave new world nachplappern müssen, bis sie es schließlich auch geschafft haben.

... link


Dienstag, 8. September 2015
auf gute zusammenarbeit!
ich mache theoretisch gern networking, zumindest sporadisch, wenn ich nicht unter meiner seelischen panzerglasglocke sitze und die welt scheiße finde. dabei passieren dann manchmal ganz irre sachen.

heute geriet ich über mehrere zufälle in kontakt mit dem geschäftsführer einer richtig großen und renommierten agentur, das heißt so einer person, wo man als kleine tagelöhnerin schon mal ins hyperventilieren kommen kann, weil man dieses gesicht sonst eher aus zeitungen und fachzeitschriften kennt. nachdem wir beim networken schnell feststellten, dass wir beide aus derselben heimatregion stammen, obwohl wir nun in hh sitzen, hatte ich zwei stunden später einen telefontermin mit dem herrn.

während des telefonats stellte sich dann heraus, dass wir nicht nur aus derselben region kommen, sondern auch an der gleichen uni dasselbe studiert hatten, wenn auch mit 20 jahren zeitversetzung. und nicht nur das: der große agentur-mann hatte einst mit meiner ersten großen liebe, die im selben kaff wie seine familie wohnte, zusammen fußball gespielt.

nach dem halbstündigen telefonat, bei dem wir sehr viel lachten, vereinbarten wir nun einen kaffeetrinken-termin, um potenzielle synergien mal tiefgreifender zu eruieren. natürlich ist der herr unglaublich vielbeschäftigt, aber vier wochen wartezeit habe ich sonst auch, wenn ich einen termin bei meinem orthopäden wahrnehmen möchte.

wish me luck.

... link


Samstag, 29. August 2015
jungspunde
sich als ü-30-frau im nachtleben rumzutreiben, muss bedeuten, dass man seine ruhe hat, dachte ich mal. aber nein.

gestern war ich erst im düsterschuppen feiern, wechelte dann aber gegen vier noch auf eine rock-party. da spielten sie so uralte abgedroschene schinken wie "wonderwall" von oasis und das publikum hatte einen altersdurchschnitt von ü40. ich identifizierte ein paar geschäftsdaddys, die mit gelockerter krawatte herumsaßen, weil sie wahrscheinlich dachten, nachts in hamburg müsse was unheimlich tolles passieren, ein paar alt-rocker, die garantiert draußen irgendwo ihre harley stehen hatten, sowie ein paar versprengte studenten. die stimmung war nicht allzu pralle, aber es war auch schon spät.

ich stand keine minute da, als sich einer von den jungspunden näherte. mitte 20, schätzte ich, eine hübsche stino-milchfresse, aber nicht besonders intelligent.
"hey, ich hab gerade meine gruppe verloren", sagte er zur begrüßung.
"das ist ja traurig", sagte ich sarkastisch.
der stino-milchbubi guckte mich an und fragte dann: "mit wem bist du denn hier?"
hm, was sollte ich sagen? mit meinem pit bull terrier? mit meinem zuhälter? aber ich wollte auch nicht gemeiner sein als nötig, als sagte ich:
"mit mir."
"mit mir?" fragte die milchfresse so entsetzt zurück, als hätte ich gesagt, mit prinz charles.
"also nicht mir DIR", lachte ich.
"GANZ ALLEINE?!"
die milchfresse war noch immer konsterniert.
"ja."

ich wurde eine weile interessiert beglotzt wie ein chamäleon, das gerade die farbe gewechselt hatte, dann fragte der typ weiter:
"und was suchst du?"
"gar nichts", sagte ich. "was soll man hier schon finden? das ein oder andere nette lied, ein getränk, ein bisschen entspannung."
die milchfresse hatte verständnisprobleme.
"suchst du denn keinen mann?"
"wozu das denn? soll ich heiraten, ein nest bauen und kinder kriegen?"
milchfresse glotzte wieder:
"also suchst du hier jemanden, der dir ein kind macht!"
ich musste laut lachen:
"siehst du hier jemanden, von dem du dir ein kind ein machen lassen würdest?!"

jetzt hatte ich ihn vollends verwirrt. eine alte, die ganz alleine in der disco rumstand, nichts suchte und auch nicht wollte, dass ihr jemand mit 3,0 promille und einem nicht allzu attraktivem gen-pool beim reproduzieren half, mit der konnte doch was nicht stimmen!
"willst du denn keine kinder?" fragte er vorsichtig weiter.
"ich hasse kinder", sagte ich.
"oh", meinte er nur noch und stand dann wieder hilflos rum.

"hier ist ja irgendwie nichts los", maulte er dann.
"dann geh doch woanders hin", sagte ich.
die milchfresse guckte mich an und legte mir die hand auf den arsch.
"finger weg", sagte ich.
"tschuldigung."
"was suchst du denn?" fragte ich zurück.
"hm, eigentlich auch nichts."
"nichts" meinte vermutlich einen unverbindlichen fick mit einer tussi, die verzweifelt genug war oder eben unbedingt ein kind wollte.

ich seufzte und schlüpfte in meine jacke.
"gehst du?" fragte mich milchfresse entsetzt.
"ja", sagte ich.
"kann ich mitkommen?"
"wohin willst du denn?" lachte ich.
"naja... vielleicht zu dir?"
"sorry, da krieg ich muttergefühle", sagte ich. "außerdem wolltest du doch deine gruppe suchen."
"äh... ja."

dann stapfte ich hinaus und ließ die milchfresse stehen.

mannmannmann.

... link