Sonntag, 20. September 2015
auf der reeperbahn nachts um halb sechs
um nach 36-stündiger, nur von einem rewe-besuch unterbrochener isolation noch ein wenig sozialen kontakt zu haben, begebe ich mich gestern nacht in richtung st. pauli, um mir in der spelunke einen anzusaufen. ich versuche zuvor noch, v. zum mitkommen zu überreden, aber v. schreibt mir, er fliege in vier stunden in den urlaub und müsse noch die komplette taucherausrüstung zusammenpacken.

also setze ich mich erstmal alleine an den tresen, aber es sind auch zwei bekannte da. wir diskutieren über dieses und jenes, der spelunkenbesitzer knuddelt mich, und langsam, langsam wärmt der alkohol mein herz, das sich vorhin schon wieder ganz merkwürdig kalt von innen raus angefühlt hatte, gerade so, als wolle es den ganzen scheiß gleich nicht mehr mitmachen.

gegen halb sechs will ich die holstenstraße entlang zum bus laufen, als ich merke, dass mir zwei große, sehr dunkelhäutige typen folgen.
"fotze", schreit der eine, und ich kriege magenflattern. soll ich schneller laufen oder lieber nicht? angst zeigen oder mich blind, taub und stumm stellen? außer mir und den beiden idioten ist im näheren umkreis niemand zu sehen, und selbst wenn, würde ich niemals drauf vertrauen, dass jemand im ernstfall eingreift, denn dazu kannte ich schon zu viele geschichten von bekannten, die zusammengeschlagen oder halb abgestochen im rinnstein einer seitenstraße der reeperbahn wieder zu sich kamen, ohne dass auch nur wer einen krankenwagen gerufen hätte.

also ruhig bleiben, tief durchatmen. ich versuche, ganz normal weiterzulaufen, aber jetzt holen die typen auf und dann packt mich einer.
"ey fotze", sagt er wieder und seine weißen zähne leuchten im schwarzen gesicht.
"bitch, du fickificki."
jetzt habe ich todesangst oder zumindest vergewaltigungsangst.
der andere typ kommt nun auch ganz nah. er ist genauso ultradunkel wie sein kumpane, aber sehr fett. er fasst mir an den arsch und lacht mich mit einer gewaltigen alkoholfahne an.
ich schaue mich vorsichtig um, aber ich bin tatsächlich alleine auf der straße. schreien hilft sicher nicht, auf st. pauli wird ausschließlich rumgegröhlt, das juckt keine sau.

gerade als ich überlege, mich vor ein vorbeifahrendes auto zu werfen, in der hoffnung, dass das dann noch rechtzeitig bremst, sehe ich in der ferne ein taxi mit leuchtendem schild auftauchen. ich reiße mich los und renne und winke wie eine irre. ich bete, dass es anhält, doch ich habe glück: es bremst ab und fährt dann rechts ran.

ich öffne die beifahrertür, ein blick über die schulter zeigt, dass die typen mir nicht gefolgt sind. dann lasse ich mich außer atem auf den sitz fallen.
"ich wurde verfolgt von zwei typen" sage ich, "die wollten mich überfallen."
"uuaa", sagt der taxifahrer, ein kleines schrumpeliges männlein. "nix gut."
dann will er wissen, wohin.
gute frage. ich zähle mein geld, es sind knapp zehn euro.
"lassen sie mich einfach an der nächsten u-bahn raus", sage ich.
"aber frau", sagt der taxifahrer, "das geht doch nix, wenn da böse mensch!"
"ich hab aber nur zehn euro und keine ec-karte dabei, ich kann ihnen noch nicht mal anbieten, an einer sparkasse zu halten."
"wo wohn", will der taxifahrer wissen.
"das geht nicht, das kostet mindestens 25 euro", sage ich.
"wo wohn", beharrt der taxifahrer.
ich sage es ihm.
"gut", sagt der taxifahrer. "zehn euro."
und macht das taxameter aus.
"boah danke"; sage ich total gerührt.
"schöne junge frau nix gut allein auf nachts straße mit böse mensch", sagt der taxifahrer. "ich auch tochter, drei. und tochter auch schon tochter."

mir geht das herz auf.
"woher kommen sie denn?"
"pakistan", sagt der taxifahrer. "aber schon 25 jahre deutschland."
"und sie fahren schon seit 25 jahren taxi in hamburg?"
der taxifahrer nickt.
"aber ich nix wohn hamburg, zu teuer. familie wohn kiel."
"das heißt, sie fahren jeden tag von kiel nach hamburg, um in hamburg taxi zu fahren?"
der taxifahrer zuckt die achseln.
"große wohnung billig kiel, und mehr kundschaft hamburg wochenende, und kinder sagen, papa nix hamburg, mein freund wohn auch kiel."
"und wie finden sie deutschland so?"
der taxifahrer lächelt:
"gute land, gutes leut!"

als ich schließlich vor der haustür aussteige, bin ich ziemlich froh, dass jemand diesem menschen seinen aufenthalt in deutschland genehmigt hat.