Montag, 10. November 2014
objektiv bleiben
kliniktermin, der x-te, heute: beziehungsdiskussionen.

"seit meiner letzten längeren beziehung bin ich emotional behindert", berichte ich. "jetzt habe ich wieder jemanden kennen gelernt, den ich zunächst an sich supertoll fand. nun vergehen zwei wochen und ich bin total desillusioniert. und denke stattdessen an meinen ex-lover und daran, ihn erneut abzuschleppen und endlich wieder richtig guten sex zu haben."
"das sollten sie lieber nicht tun", sagt meine psychiaterin. "das wäre selbstverletztendes verhalten. weil sie von dem doch nicht das bekommen, was sie wollen."
"wann bekommt man das schon mal?" frage ich zurück. "und um zu merken, was man nicht bekommt, dafür müsste man doch erst mal wissen, was man überhaupt will."
"wissen sie das denn nicht?"
ich grüble.
"seit meiner letzten beziehung bin ich mir sicherer denn je zuvor, dass ich keine klassische beziehung will. also so mit treue und dauernd aufeinander hängen und dann vielleicht noch gemeinsam fernsehen oder so was geisttötendes."
"sie möchten eine beziehung ohne alltag."
"jein. also eine beziehung, in der man den alltag für sich allein hat. ich möchte nicht mitkriegen, welche frequenz der stuhlgang des anderen hat. ich möchte auch nicht jede nacht in die arme des anderen eingeklemmt liegen und mir sein geschnarche anhören. vielleicht ein, zweimal im monat, aber nicht öfter."

jetzt muss meine psychiaterin schmunzeln.
"ich habe nichts dagegen, etwas mit jemandem zu unternehmen. ich liebe inspiration. kunst, kultur, kino. schwimmen gehen. oder in den swingerclub."
"warum möchten sie in den swingerclub gehen?"
"weil ich sexy finde, wenn mein mann jemand anderes vögelt. und ich mich dabei auch sexy fühle. ich mag auch frauen."
meine psychiaterin schluckt.
"das sind natürlich sehr liberale vorstellungen."
"ja, und verdammt, das sind dinge, die ich JETZT tun möchte. nicht in fünf oder zehn jahren, wenn ich fett und faltig bin."

meine psychiaterin seufzt. unsere halbe stunde ist gleich um.
"vielleicht sollten sie sich doch noch mal in therapie begeben."
"ich halte das für zeitverschwendung."
"sie brauchen nur den richtigen therapeuten, da bin ich sicher."
"in den ich mich dann wahrscheinlich verliebe", kichere ich.
"dann suchen sie sich eine therapeutin."
"ich ficke auch frauen."
"dann eben einen, der alt und hässlich ist", lacht meine therapeutin.

nach der therapie bleibe ich noch in der klinik. blut- und routineuntersuchungen. zwischen den einzelnen untersuchungen gehe ich einmal um den block, rauche eine und komme dann an dem gebäude vorbei, in dem das objekt arbeitet. sein fahrrad steht nicht vor der tür, also hat es wahrscheinlich frei oder spätschicht.

ich nehme es als wink des schicksals, mache kehrt und melde mich wieder bei der schwester zum ekg. die schwester kennt mich schon, ich mag sie. meine werte sind unauffällig, also kann ich nach hause gehen.

später fahre ich durch den regen nachhause und fühle mich gleichzeitig deprimiert und erleichtert. manchmal hat es ja doch was, wenn man mit jemand vernünftiges quatschen kann. also sollte ich mir möglicherweise doch noch mal einen therapeuten suchen.