Montag, 3. November 2014
mit angehaltenem atem
das erste date war ein volltreffer. es begann genauso, wie ich es unbewusst am liebsten mag: ich war pünktlich und der mann mit hund kam lässig zu spät. die folge davon ist, dass ich mich nicht fühle, als hätte ich schon gewonnen, sondern mich noch mal ins zeug lege.

den abend bei sehr angenehmer konversation verbracht. der mann mit hund ist genauso linksradikal wie ich und war lange zeit sogar parteimitglied. das imponiert mir, bin ich ja schon längst am überlegen, mich ebenfalls parteipolitisch zu engagieren. später stehen wir auf der terrasse des restaurants, rauchen und starren uns an, bis ich in einem anfall von mut die arme ausbreite und der mann hineinkriecht, mich fest an sich zieht und küsst.
"schüchtern bist du gar nicht", findet der mann mit hund.
"ich bin sogar sehr schüchtern", erwidere ich. "aber ich überwinde meine schüchternheit."
"ich finde das faszinierend. du hast mich ja quasi aufgerissen und auch jetzt hast den ersten schritt gemacht."
"man braucht immer ein herausforderndes projekt im leben", sage ich. dass es mir danach meist immer ebenso rasch wieder langweilig wird, verschweige ich.

gegen eins kehrt uns die restaurantbesitzerin sanft, aber bestimmt aus dem laden. ich überlege für einen moment, ob ich lust zu ficken habe, doch in sechs stunden klingelt der wecker wieder, und außerdem soll man es ja nicht überstürzen.
"wollen wir am wochenende was zusammen machen?" fragt mich der mann mit hund zum abschied.
ja, ich will. sehr sogar.

am freitag werde ich im büro mit breitem grinsen empfangen. ich hülle mich zunächst in interessesteigerndes schweigen, bis mein vorgesetzter herausplatzt: "und? jetzt sag schon!"
"bingo", sage ich.
großes hallo und applaus.

am abend bin ich mit dem dritten und der drittenfreundin verabredet, halloweenparty. eigentlich habe ich keine lust, schleppe mich dann aber trotzdem hin, denn versprochen ist versprochen.
am ort des geschehens ist zunächst keiner da. ich ärgere mich maßlos. als ich schon schlechtgelaunt wieder abziehen will, kommen dritter, drittefreundin, objekt und gespielin plötzlich die treppe runter. ich bin restlos begeistert. ich muss zu allen hallo sagen, auch zum objekt, dass mich betrunken an sich zieht und mir frecherweise "dich fick als letztes" ins ohr sagt. ich entwinde mich seinem griff, dann kralle ich mir die drittefreundin.
"warum kommt ihr so spät und was soll das überhaupt, seit wann hast du was mit der gespielin zu tun?"
"das objekt hatte uns zum vorglühen eingeladen", erklärt mir die drittefreundin, "und der dritte war natürlich nicht zu halten.
"und jetzt redest du mit der?" bin ich verwundert, da die drittefreundin bislang eiserne gespielinnenfeindin war.
"naja, wir saßen halt zusammen, was hätte ich denn machen sollen?"
"zu mir kommen vielleicht?"
der drittefreundin ist die sache total unangenehm. sie faselt was von nächstes mal und dass sie ganz bestimmt nicht die neue freundin der gespielin wird.
"hör mal, wenn du die nett findest, halte ich dich nicht auf. aber weißte, erst so einen aufriss starten und sich mit mir verabreden und dann nicht auftauchen... und sich auch nicht melden... und hinterher erfahre ich sowas, das ist einfach nicht schön."

den rest des abends verbringe ich mit möglichst großem abstand zu den vier menschen und fühle mich ganz schrecklich, bis ich beschließe, nach hause zu gehen. morgen, sage ich mir, hast du was besseres vor.

samstag erwache ich, weil der mann mit hund anruft. um zehn uhr morgens.
"ich schlafe noch", sage ich medikamentenbenommen.
"aber es ist doch so schönes wetter", sagt der mann mit hund. "entchen hat mich ganz früh geweckt und jetzt waren wir schon draußen und einkaufen."
"wo wohnst du nochmal?"
der mann mit hund sagt mir eine adresse, und weil es mr. murphy so will, ist sie nur zwei straßen vom objekt entfernt. fuck. das heißt, ich darf nun jedesmal am objekthaus vorbeifahren, wenn ich den mann mit hund besuchen will.

wir verabreden uns für später in der schanze. der mann mit hund kommt ohne hund, aber wieder zu spät. scheint so eine marotte zu sein. da ich selber auch meist später dran bin, finde ich das aber ganz entspannt.

der mann mit hund trägt einen eleganten mantel, und ich bin hocherfreut. ältere, bärtige männer in mänteln finde ich super.
dann knutschen wir und reden und knutschen, ab und an beäugen uns ein paar teenager misstrauisch. vermutlich wären wir ihnen peinlich, wenn wir ihre eltern wären.
irgendwann ist es halb eins. in mir latente unruhe, weil partytime. aber den mann mit hund kann ich nicht in eine düsterlocation mitnehmen. zum einen, weil er sich zu alt zum ausgehen fühlt, zum anderen, weil er meine musik ziemlich schrecklich findet.

"wir könnten ja noch zu dir gehen", sage ich todesmutig. "das wäre wenigstens nicht so weit."
"das ist mir jetzt aber unangenehm", sagt der mann mit hund, "bei mir ist gerade nicht aufgeräumt."
"du, ich hab schon viel gesehen in meinem leben, und grundsätzlich mag es ich es lieber gemütlich als steril", sage ich und denke an die lederjacke, die immer alles mit sagrotan desinfizieren muss, damit sie sich wohlfühlen kann.
"na gut", sagt der mann mit hund. "so rein wegtechnisch bietet sich das ja nun auch an."

wir laufen los.
"guck mal, das ist mein penny, da geh ich meistens einkaufen", sagt der mann mit hund und zeigt auf den objekt-penny. mir dreht sich der magen um.
"und hier, die tanke, da kaufe ich manchmal zigaretten."
es ist die objekttanke, wo ich - gewissermaßen interkoital - schon gefühlte hundertmal wodka und papers geholt habe, um dann weiterzuficken.
wir kommen dann tatsächlich am objekt-haus vorbei. nicht gucken, sage ich mir, aber dann schaue ich doch kurz hinauf zum schlafzimmer des objekts. es brennt licht und die roten gardinen sind vorgezogen. entweder bekifft es sich restlos, oder aber es zieht sich gerade für party um, überlege ich. dann ärgere ich mich tödlich, weil ich mir immer noch solche gedanken mache. aber die begegnung an abend zuvor hatte mich wieder traurig gestimmt.

der mann mit hund wohnt luftlinie 50 meter vom objekt entfernt. mir ist schlecht, als wir die treppen hinaufgehen. in der wohnung springt mir zum glück gleich entchen entgegen, was mir die befangenheit nimmt und mich ablenkt.
"du darfst dich hier echt nicht so genau umschauen", sagt der mann mit hund. "es ist mir auch echt peinlich, dass das jetzt hier so aussieht."
die wohnung entpuppt sich als winzige hardcore-männerbutze. obwohl die räume schön geschnitten sind, stehen sie voller viel zu wuchtiger, geschmackloser möbel, die einem die luft zu atmen nehmen. dazwischen müll, hundespielzeug und ein merkwürdiger geruch. ich schnuppere genauer nach, dann frage ich direkt:
"kiffst du?"
der mann mit hund guckt ertappt:
"findest du das schlimm?"
"nee, überhaupt nicht. ich rauche selber ab und zu mal was."
"cool", findet der mann mit hund, "bislang hatte ich nur freundinnen, die da radikal dagegen waren."
"wenn mans nicht übertreibt, sind drogen okay", sage ich. "ich hatte mal was mit jemanden, der raucht zehn joints am tag, da ist das nicht mehr lustig."
"ich hatte früher ein echtes koksproblem", gesteht mir der mann mit hund.
"und jetzt?"
"nehm ich nur noch selten was."
mich befällt ein mulmiges gefühl.
"dann ist ja gut", sage ich vage.

als ich mich aufs bett setzen will, falle ich in den rahmen.
"was ist denn das?!"
"das ist nur noch ein halbes bett. von meiner letzten trennung übriggeblieben."
ich rette mich auf die verbliebene klumpige matratze.
"da musst du aber mal was machen! die matratze hier ist auch ganz durchgelegen, da kannst du doch auf dauer nicht drauf schlafen."
"ja, ich weiß, aber ich konnte mich bislang noch nicht motivieren."
"du kriegst gesundheitliche probleme von so was!"
"ich weiß. aber jetzt bist du da, das ist doch mal ein guter grund, sich ein neues bett zu kaufen."

ich bekomme angst. was ist das für eine haltung, wenn einer nicht aus eigenem antrieb dafür sorgt, dass er ein anständiges bett hat? und überhaupt, wenn er sich jetzt wegen mir ein bett kauft, dann kann er nie wieder drin schlafen, falls ich demnächst schluss mache.

ich muss auf toilette. der mann mit hund zeigt mir, wohin ich muss. und dann trifft mich beinahe der schlag. denn das kleine bad ist völlig verdreckt.
"sorry, wenns hier so aussieht, aber ich habe entchen heute geduscht", entschuldigt sich der mann mit hund.
ich pinkle, wasche mir dann die hände. es gibt keine seife und die handtücher sind auch schmutzig. das kenne ich nicht einmal vom objekt in seinen schlimmsten zeiten.

als ich wieder ins wohn- und schlafzimmer zurückkehre, bin ich noch immer fassungslos. wie kann so eine elegante erscheinung wie der mann mit hund bloß in so einer butze hausen? an geld sollte es ihm doch eigentlich nicht mangeln.

wir kuscheln uns in das halbe bett, das glück glück gut und sauber riecht. der mann mit hund hat einen joint gedreht, der mit den schädel weghaut.
"wasn das fürn zeug", fasle ich.
"da vorne in dem hochhaus kriegst du echt gutes zeug. da kaufe ich auch manchmal mein koks."
"ich dachte, du nimmst das nicht mehr."
"ab und zu mal."
"kauf dir lieber ein bett, du."
"jaja. ist nur alles teuer. wenn du so lebst wie ich, geht ja viel geld drauf."
für koks und kiffe wahrscheinlich, mutmaße ich still.

gegen morgen breche ich auf, weil das bett so furchtbar unbequem ist und der mann mit hund schnarcht. er nimmt meine entscheidung mit gelassenheit, was ich unheimlich entspannt finde.

als ich auf der straße stehe, bin ich mir mit allem schon wieder schrecklich unsicher. wohnungen sind mir wichtig, denn die wohnung ist der spiegel der seele. spontan schätze ich die selbstachtung des mann mit hund noch geringer ein als meine.

anderseits hält mich das gefühl. die chemie ist wesentlich stimmiger als bei vielen vorangegangenen beziehungsversuchen.

einfach mal bleiben, beschließe ich. die sache genau anschauen und vertrauen üben. gehen kann ich immer noch.