Samstag, 29. Juni 2013
einatmen, ausatmen. atem anhalten.
freitag. arbeiten, putzen, auf einen geburtstag eilen. um mitternacht bin ich allerdings schon wieder zuhause, unschlüssig, verloren, mit einem expansiven, gefährlichen warsdasjetzt-gefühl in der brust.

dann der anruf der lederjacke.
"na, schon besoffen", frage ich.
"boah, samma, wie redsndu mit mir?"
"du lallst."
"jaaa... sorry. hab einen im tee."
"is ja freitag, also normalzustand."
"ja verdammt. ich warte doch die ganze woche nur drauf, mir einnnn... zu brenn."
"wo bist du denn?"
"suhause."
"ah."
"du?"
"ja?"
"komm doch vorbei."
"komm du doch."
"nee, kann nich mehr... raddfaahn."
"okay. aber dann iss mal was und trink langsamer. sonst findest du den türöffner nicht mehr und ich muss bei deiner nachbarin klingeln."
"okee."

ich renne unter die dusche, ziehe mich hastig an und radle zur lederjacke. als sie den summer drückt, sage ich energisch:
"kriminalpolizei. wir hätten da ein paar fragen an sie."
oben steht die lederjacke im flur, eine halb leere flasche rum in der hand, aber schon wieder relativ nüchtern wirkend.
"ey, hör bloß auf. das vergnügen mit den bullen hatte ich erst letzte woche."
"warum das denn schon wieder?"
die lederjacke erzählt aufgedreht sein abenteuer vom letzten wochenende:
"ich war bei meinen eltern, und abends war ich mit meinen brüdern in ner dorfdisse. da wars irgendwie total eng und voll, und da bin ich wohl dem dj ein bisschen nahe gekommen."
"wie, nahe gekommen?"
"irgendwie hab ich den wohl geschubst."
"ja und?"
"dann wollte der arsch mich rausschmeißen. das fand ich total überzogen und dann ist das ganze halt ein bisschen eskaliert."
"wie, eskaliert?"
"ach, ich weiß auch nicht. jedenfalls haben die dann die bullen gerufen und die haben mich mitgenommen."
"wohin?"
"erst dachte ich, kacke, ausnüchterungszelle und anzeige und der ganze stress. aber dann wollten die einfach nur meinen ausweis. den hatte ich aber nicht, den hat ja wahrscheinlich noch der taxifahrer."
"ach ja, ich erinnere mich. dem du noch 50 tacken schuldest und der dir jetzt nach dem leben trachtet."
"genau. naja, und irgendwie war dann alles viel cooler als befürchtet. ich mein, is ja auch nix passiert. hab ja keinem wehgetan und auch nix kaputtgemacht. war ja nur ne meinungsverschiedenheit."
"ich dachte, du hast den typ geschubst."
"ach, ich weiß doch auch nicht. jedenfalls gabs keine toten... und die bullen waren dann auch echt chilled und meinten, es gäbe wohl keine anzeige."
"gottseidank."
"ja, pass auf, wird noch viel geiler! ich sag dann so, scheiße, ich hab kein geld mehr fürs taxi. sagt der oberbulle, kein problem, wir fahren dich nachhause."
"is nich wahr!"
"ich glaub, das war das erste mal in meinem leben, dass ich den bullen dankbar war. die haben mich echt zu meinen eltern nachhause gebracht."
"und die haben nix gemerkt?"
"doch, leider, meine mutter."
"auweiha."
"die kennt das schon von meinen brüdern... die meinte nur so, krass, ich guck ins treppenhaus und denke, du hast irgendwelche kumpels mit... und dann les ich da auf der jacke polizei!"
"und, hast du gebeichtet? dass du den dj geschubst hast?"
"nee, meine mutter findet bullen grundsätzlich scheiße und sagt immer, sowas hat bei uns zuhause nix verloren."
"hahaha!"
"ja, echt. da muss man sich keine sorgen machen bei der, und mit fünf söhnen ist die sowieso einiges gewohnt."
"hauptsache, du hast nicht schon wieder ne anzeige an der backe. wird ja langsam teuer bei dir."
"nee, dafür hab ich nen gerichtsprozess am hals."
ich reiße die augen auf.
"wiebitte?"
"das sozialamt meint, ich hätte es letztes jahr verarscht."
"warum das denn?"
"du erinnerst dich noch an meinen letzten job? wo ich so wenig verdient hab? da gabs mal eine gehaltsanpassung. vor der gehaltsanpassung hatte ich anspruch auf grundsicherung. und die sind jetzt der meinung, ich hätte denen die anhebung absichtlich drei monate zu spät mitgeteilt."
"stimmt das denn?"
"ach quatsch."
"und nun?"
"hab ich mir einen anwalt genommen."
"cool."
"ja, nix, kostet wieder 600 tacken und das sind nur die vorprozesskosten."
"krass. aber wenn du das nicht zu spät gemeldet hast, hast du doch nichts zu befürchten?"
die lederjacke lacht:
"hey, ich arbeite bei der stadt hamburg! die, die mich da angezeigt haben, sind quasi meine kollegen! ich weiß, wie da gearbeitet wird! wenn die dich drankriegen wollen, kriegen die dich auch dran. das ist ein ganz unfassbarer verein da."

nachdem wir den rest rum plattgemacht haben, diskutieren wir weiter über den staat, die stadt hamburg, staatsverschuldung und globalisierung und schwuppdiwupp ist es drei uhr nachts.
ich gähne laut.
"langweilst du dich?" fragt die lederjacke bestürzt.
"kein bisschen. ich mag diese tiefschürfenden diskussionen. und du kannst gut reden."
"wie meinst du das?"
"man hört dir gerne zu, weil das, was du so von dir gibst, durchdacht ist... und weil du wie ich diesen vollkommen unrealistischen wahrheitsanspruch hast."
die lederjacke kichert.
"findeste, dass ich unrealistisch bin?"
"nicht mit deinen thesen und forderungen, aber mit deiner art zu denken. die kannst du nämlich bei 99 prozent der menschheit nicht voraussetzen."
"deshalb rede ich ja so gerne mit dir", lächelt mich die lederjacke warmherzig an.

wir verharren im blick, starren ein bisschen zu lange, bis mich ein schauer packt und ich fröstelnd "hu!" sage.
"ist dir kalt?" beobachtet mich die lederjacke aufmerksam.
"ein bisschen."
"wollen wir ins bett gehen?"
ich nicke begeistert.
"dass ich das noch erleben darf."
"wie meinst du?"
"du bist doch sonst der mann, der nie vor mittags schlafen geht."
"findest du das schlimm?"
"naja, du kennst halt kein maß. so grundsätzlich."
"doch schlimm, oder?"
"nee. aber mit dem wachbleiben überforderst du sogar eine nachteule wie mich."
"dann lass uns jetzt schnell rübergehen!"

wir krabbeln angezogen unter die decke. dann liegen wir da und gucken uns an. ich kann den blick der lederjacke nicht deuten. dann fragt sie mich:
"was denkst du?"
ich muss lachen.
"das ist eine scheißfrage. ich enthalte mich."
die lederjacke schließt die augen.
ich betrachte ihr schönes gesicht, die gleichmäßigen,langen blonden wimpern, das haar, das ihr in die stirn fällt, die kleinen lachfältchen um die augen und die strengen nasolabialfalten, die für das lederjacken-alter viel zu tief, aber nichtsdestoweniger schön sind und dem gesicht zusammen mit dem scharf definierten kinn eine gewisse kantigkeit verleihen.

"du guckst mich an", sagt die lederjacke.
"ja."
"warum?"
"nur so halt. ist besser als fernsehen."
jetzt muss die lederjacke lachen. dann legt sie den arm um meine taille und zieht mich über die matratze zu sich heran. wir liegen wange auf wange, die beine ineinandergelungen und atmen einfach nur. ein und aus und wieder ein. wieder einmal fällt mir auf, wie gut ich die lederjacke riechen kann, obwohl sie ganz anders als beispielsweise das objekt duftet.
die lederjacke lässt die hand meine wirbelsäule entlang aufwärts wandern. ich halte den atem an und sterbe in kleinen schauern vor mich hin.
"gehts dir gut", will die lederjacke wissen.
"im moment schon. ich fühl mich wohl."
"aber sonst nicht so, oder?"
"sonst nicht so, ja, das ist leider so. aber jetzt gerade ist alles gut. ich bin ganz geborgen."
die lederjacke lächelt glücklich und lässt die finger weiter wandern, immer zwischen meinen schulterblättern hin und her. ich merke, wie ich mich entspanne, obwohl ich auch angesext bin.

dann schlafe ich kurz ein und wache wieder auf, weil ich merke, dass die lederjacke nicht schläft.
"kannst du nicht einschlafen?"
"du weißt doch, dass ich nicht pennen kann."
"hm. ja schade, ich hoffe, das ist okay so, wenn ich weiter schlafe?"
"klar."
die lederjacke nimmt meine hände in seine.
"du bist ganz kalt, du hast vorhin richtig lang gefroren, oder? und hast nix gesagt, weil ich so viel gelabert habe?"
"quatsch. vielleicht habe ich gefroren und es nicht gemerkt."
die lederjacke lächelt, dann schließt sie endlich die augen und langsam, langsam wird ihr atem gleichmäßiger und ruhiger.
ich selbst liege noch eine weile wach, schnuppere den wohlgeruch der lederjacke und hoffe, dass ich den duft irgendwie zerebral bis zum nächsten mal speichern kann, weil ich mir so sehr etwas wünsche, das mich über die die tage und die woche und überhaupt rettet.