Montag, 1. Juli 2013
breakfast ente shenzuan
just als ich vollkornspaghetti aufgesetzt habe und mich ein komisches gefühl befällt, weil vollkornspaghetti ein typisches objektessen sind, klingelt das telefon und die lederjacke ist dran.
"magst du mit n eis essen kommen?"
"nee. ich koche gerade."
"oh! was gibt´s denn?"
"vollkornspaghetti."
"und weiter?"
"meersalz und butter."
"wahnsinnig nahrhaft. komm doch rum, dann gehen wir essen."

um 17 uhr treffen wir uns an einer großen kreuzung in eppendorf.
"und? magst du ein eis haben?" fragt mich die lederjacke.
"ey, ich muss erstmal was frühstücken."
"ich meinte ja davor."
"willst du, dass ich noch fetter werde?"
die lederjacke rollt die augen.
"hör auf die augen zu rollen! du bist derjenige, der sich nicht ins schwimmbad traut, wenn er nicht mindestens viermal die woche trainieren rennt!"
"scheiße, du kennst mich zu gut."

"guck mal, da ist der neue asiate!" stupst mich die lederjacke kurz darauf an.
"dann lass uns da rein gehen."
die lederjacke grinst und hält mir die tür auf:
"hereinspaziert."

am tresen guckt uns eine asiatin verschlafen entgegen. die lederjacke macht ein großes bohei, nimmt mir die jacke ab und rückt mir den stuhl zurecht. dann sitzen wir da und grinsen uns an.
"sie schon wieder", sage ich.
"jaja, er nu wieder", entgegnet die lederjacke.
die speisekarte kommt angeflattert.
wir bestellen alle vorspeisen und dazu ente shenzuan. die bedienung guckt verwirrt, vor allem, als die lederjacke sie auffordert, alles gleichzeitig zu bringen.

dann sitzen wir da und mümmeln. das licht ist schummrig und wir schauen uns in die gesichter. da stutze ich:
"sag mal, hat dir mal wer die nase gebrochen?"
die lederjacke verschluckt sich an ihrer erdnuss-soße und erwidert perplex:
"nee, wie kommste denn da drauf?"
"das da sieht aus wie ein längsbruch. so leicht schräg."
ich deute die linie am nasenbein an.
der lederjacke scheint ein licht aufzugehen:
"ach, das meinst du." und sie fährt mit dem finger die einkerbung auf ihrer nase entlang.
"ja, genau!"
"das war ne messerattacke."
die lederjacke sagt das so ruhig, als würde sie die auslage in einem schaufenster kommentieren, während mir fast das essen aus dem mund fällt.
"jetzt guck nicht so, das hab ich dir doch bestimmt schon erzählt", sagt die lederjacke so lapidar, als diskutierten wir über unsere lieblingsfarben.
"nee! das hör ich zum ersten mal."

die lederjacke nimmt die haare, die ihr in die stirn fallen, zur seite.
"fällt dir was auf?"
ich gucke genauer und stelle fest, dass die feine einkerbung auf der nase weiter über die gesamte stirn bis zum haaransatz verläuft.
"alter!" rufe ich entsetzt.
"jetzt krieg dich mal wieder ein."
"jetzt erzähl doch mal, wie ist das denn passiert?"

die lederjacke berichtet von ihrem bruder, der zwei mädels abgeschleppt hatte, die sich wohl in festen händen befanden. die festen hände gehörten zwei schwarzafrikanern, die zusammen mit drei weiteren kumpels unterwegs waren.
"die wollen sich dann die mädels mit gewalt zurückholen."
die lederjacke und ihr bruder nahmen sich je zwei von den typen vor und schlugen sie nieder. dann packte allerdings der fünfte ein messer aus.
"ich hab das gar nicht richtig gemerkt... ich hab einfach nur nichts mehr gesehen. das kam vom blut, das mir in die augen lief. erst in der notaufnahme hab ich mir dann mal an den kopf gefasst und bin total erschrocken, weil ich den knochen berühren konnte."

der wahre horror kam allerdings erst im nachgang. der messerstecher war polizeibekannt und vor allem: hiv-positiv. die lederjacke musste einen aidstest machen, der aber glücklicherweise negativ war.
"ich hatte echt wahnsinniges glück. ich hatte nämlich einen ganz dicken pulli an diesem abend an... und zuhause habe ich dann gesehen, dass der lauter löcher hatte... da hatte der typ versucht, mich abzustechen, ist aber nicht richtig durchgekommen."

"man sieht aber kaum noch was von der verletzung", finde ich.
"das hat aber mal schlimm ausgesehen. das hat wochen gedauert, bis ich wieder unter leute konnte."
ich gucke und gucke und die lederjacke lacht.
"du müsstest dich mal sehen!"
ich schüttle den kopf:
"ich kenne einige männer, die sich manchmal prügeln... aber ne messerstecherei hatte noch keiner von denen!"

dann fällt mir das objekt ein, das auch schon mal mit einem messer angegriffen worden war, die attacke jedoch noch hatte abwenden wenden, indem es den täter kurzerhand bewusstlos schlug. schnell schiebe ich den gedanken beiseite, schlechter gedanke, wenn man hier mit einem entzückenden mann wie der lederjacke zusammensitzt, und überhaupt, die vollkornspaghetti würde ich nachher auch gleich entsorgen.

"jedenfalls bin ich total froh, dass die narbe heute kaum mehr auffällt... nur die einkerbung, die du gesehen hast, das ist eben der knorpel, der wächst nicht mehr zusammen."
ich starre die lederjacke noch immer an, kaue auf einem stück ente herum und fühle mutterinstinkte in mir aufsteigen, bis die lederjacke energisch sagt:
"so, themawechsel. möchtest du noch was haben? krabben oder wantans?"
ich schüttle den kopf.
"nee. ich will nur eins.
"was denn?"
"dass du verdammt noch mal auf dich aufpasst. ich brauch dich nämlich noch ein bisschen als freund."
die lederjacke lacht, aber ich merke, dass sie ein bisschen gerührt ist, eine gefühlsregung, die bei der lederjacke nüchtern absolut selten ist und die einiger lederjackenkenntnis bedarf, um sie überhaupt festzustellen.

dann zahlt die lederjacke, gentleman, der sie eben ist, und schleift mich zur nächsten eisdiele, wo sie nach pekingsalat, suppe süßsauer, wantans, frittierten krabben, ente und nudeln noch einen eisbecher verdrückt und mir dabei vorrechnet, wie viele situps und liegestütze das nun wieder werden. ich sitze dabei, rauche eine zigarette, schaue in den blauorangefarbenen abendhimmel und die regenwolken, die drüben über den hochhäusern, wo das objekt wohnt, schon wieder heraufziehen, und fühle mich sehr satt und wohl.

kurz darauf trennen wir uns nach einer knappen umarmung, in der ich die verunsicherung der lederjacke spüre, wie immer, wenn es etwas emotional wird. ich hab dich gern, sage ich leise in den fahrtwind, der mir die ersten nieseltropfen ins gesicht peitscht, und hoffe, dass ich die lederjacke noch lange, lange kennen darf.

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