Samstag, 22. Juni 2013
von der liebe zum schlaf
es gibt wenig, was ich mehr vermisse, wenn es mir fehlt. der schlaf ist ein geheimnisvolles land, ein asyl ohne bleiberecht. das macht nichts, denn ich darf wiederkommen, jeden abend, ohne bedingungen.

wenn ich mir sage, ich will etwas schönes machen, gehe ich sehr gerne einfach zu bett. schlafen ist ein probates mittel gegen die alles verschlingende traurigkeit, die immer noch verpuppt in der zirbeldrüse sitzt und nur auf einen tageslichthellen anlass wartet, mein leben wieder in besitz zu nehmen. davon abgesehen ist der schlaf ein alibi-event, wenn mir die menschen da draußen wieder angst machen.

ich träume meist freundlich, als ob mir der schlaf etwas schenken möchte, das ich unbewusst vermisse. ich träume dialoge, freundschaften, beziehungen. ich träume von der liebe, manchmal so realistisch, dass ich beim aufwachen verwirrt bin und den duft meines traumpartners noch in der nase habe. ganz selten nur sind es männer oder frauen, die ich kenne oder kannte. das ist tröstlich, da ich so nicht gefahr laufe, jemanden bzw. eine situation mit jemandem zu vermissen.

wer schon mal 12 stunden am stück geschlafen hat, kennt vielleicht das gefühl, mit dem man sich durch den nächsten tag bewegt. es scheint, als habe der schlaf ein sanftes rauschgift ausgeschüttet, das alles ein wenig weiter weg erscheinen lässt. die reize sind wie automatisch gefiltert, nur das notwendigste erlangt aufmerksamkeit.

der schlaf möchte willkommen sein. ich lade den schlaf ein, zu kommen und sehr lange zu bleiben, indem ich licht und lärm eliminiere. an freitagabenden ziehe ich nicht nur die vorhänge zu, sondern befestige noch eine dicke decke am fenster. ich sperre die katze aus und das handy und verschließe die ohren mit 32db-ohrenstöpseln. zuletzt lege ich ein handtuch vor den spalt unter der tür, weil von hier zuerst tageslicht ins zimmer kriecht. mein schlafzimmer wird zum tempel.

die müdigkeit kommt meist automatisch, sobald der körper dem gehirn zuflüstert, hey, ich spüre bettlaken! und das hirn schüttet freundlich melantonin aus, manchmal so schnell und so viel, dass ich es nicht mehr schaffe, die kontaktlinsen herauszunehmen. in den inzwischen seltenen fällen, in denen das melantonin nur sparsam tröpfelt, nehme ich muskelrelaxer, in schweren fällen und bei einsetzenden panikattakchen tavor. nichts soll dem schlaf die einreise verweigern, keine roten ampeln oder unfälle auf der straße des bewusstseins. die medikamente entfalten ihre wirkung wie eine warme umarmung, der körper fließt in die matratze wie ein geist, die seele diffundiert befreit.

komm, oh schlaf, du todes bruder. rette mir das leben und rette mich vor dem leben.

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