Sonntag, 1. Juli 2012
realitätstest mit alkohol
da die letzten wochen sehr gefühlsintensiv (im negativen sinne) waren, habe ich menschenansammlungen gemieden. sogar meine freunde - das objekt mal ausgenommen - sind mir neuerdings suspekt.

gestern war nach tagelanger heftiger gewitterstimmung mal wieder licht am horizont. ich machte nach der arbeit gleich einen kundentermin, den ich schon lange hatte haben wollen und lernte einen mann kennen, mit dem ich mich sehr gut auch über außerberufliches unterhalten konnte. am ende hatte ich nicht nur einen herausfordernden kleinen auftrag in der tasche (wissenschaftliche arbeit auf englisch korrigieren), sondern auch eine einladung auf ein gemeinsames abendessen demnächst.

"das klingt doch gut", fand das objekt, das mich schon am morgen per anruf aus dem bett geholt hatte, nachdem es diese woche dauernotfallbedingt eigenmächtig an meiner medikation gedreht hatte und fürchtete, dies könne meine neu erworbene tendenz zum verschlafen / prokrastinieren verstärken.
"dann belohne dich doch mal", schlug das objekt vor. "geh doch mal wieder aus."
wir verabredeten uns, dann meinte ich:
"ich muss aber vorschlafen."
"tu das, schlafen ist total wichtig für dich. wir warten nicht auf dich, du kommst einfach in den club, wenn dir danach ist, okay?"
"gut. bis später."

ich ging frühzeitig zu bett und stellte mir den wecker auf mitternacht. dann warf ich mich in schale und machte mich auf den weg. gottseidank war es trocken und warm, sodass ich mit dem rad fahren und die menschen in der bahn umgehen konnte.

im club war erst niemand. ich wähnte mich versetzt und stürzte stimmungstechnisch im handumdrehen ab. zehn minuten später erschien dann das objekt auf der bildfläche und nahm mich in die arme.
"ich dachte schon, du hast mich vergessen", beschwerte ich mich.
"ich hatte spätschicht, ich musste erst noch was essen... und baden... und dann das auto von n. holen", entschuldigte sich das objekt.

wir standen ein bisschen dumm herum. ich fühlte mich fehl am platze. das objekt versuchte sich in wahrnehmungssteuerung. nach der zehnten verlegenheitszigarette begab ich mich dann doch an die bar und orderte ein mädchenbier.
"prost", sagte ich zum objekt und ließ die flaschen klirren. das objekt guckte sehr skeptisch auf mein bier, hielt aber einen kommentar zurück.

dann standen wir an unserem stammplatz und das objekt machte scherze über das weiberangebot.
"guck mal, dort drüben tanzt die delphinschule", sagte es und zeigte auf ein paar junge blondinen, typ azubinen zur bürokauffrau, die in glitzer-pumps und gefälschtem d&g-täschchen unter der achsel gegen den takt wippten.
"die gehören bestimmt zur pinneberger turnschuhfraktion da drüben", sagte ich. "die haben die mädels heute mitgenommen und ihnen versprochen, dass sie hier mal was gaaaaanz wildes erleben werden."

dann erschien k. und gab eine runde aus. das objekt nahm k. auf die seite und erklärte ihm, warum ich besser nicht weitertrinken sollte. ich zog k. weg und beteuerte, dass es mir super gehe und ich das kleine bier überhaupt nicht spürte. tatsächlich hatte das bier meine stimmung auf angenehme weise gehoben und ich war sicher, dass das zweite dieselbe wirkung haben würde.

nach dem zweiten bier ergriff mich dann der übermut und ich bestellte noch einen wein. und der knallte ordentlich. innerhalb weniger schlucke war ich rotzbesoffen, todmüde und extrem mies gelaunt. ich verkroch mich in einer ecke. eine halbe stunde später fand mich dort k. er sah das weinglas und holte sofort das objekt als profi zwecks krisenintervention.

das objekt fühlte meinen puls, begutachtete die situation kritisch und legte den arm um mich.
"hast gedacht, fühlt sich gut an, alles normal, kannst mal loslassen, hm?"
ich nickte.
das objekt drückte mich kurz, bevor es wieder professionelle haltung annahm.
"okay, madame, es gibt zwei möglichkeiten. entweder sofort nach hause oder mindestens eine stunde warten und derweil viel wasser trinken."
"ich bin mit dem rad da", gestand ich.
"egal, entscheide dich", drängte das objekt.
"ich glaube, ich sollte gleich ins bett", sagte ich.
"dann komm, ich bring dich."
"aber ich bin doch..."
"dein fahrrad klaut jetzt keiner. also mach schon, bevor ich es mir anders überlege."

das objekt zog mir energisch meine jacke über und packte mich dann, um mich nach draußen zu bringen.
"bist du mir böse", fragte ich, die missstimmung des objekts spürend.
"nee", sagte das objekt. "aber ich hab drei bier und ein paar kurze intus und muss dich jetzt mit einem auto, das mir nicht gehört, einmal durch halb hamburg bringen, ohne von den bullen angehalten zu werden."
ich zog schuldbewusst den kopf zwischen die schultern, aber das objekt lachte schon wieder:
"hey, madame, sei unbesorgt... es ist mir eine freude, wenn ich heute noch jemandem eins in die fresse hauen kann." das objekt deutete einen zweikampf mit einem bullen und anschließender verhaftung an.
ich musste trotz aller qualen kichern.
"siehst du, so gefällst du mir am besten", scherzte das objekt.

auf der fahrt döste ich ein und wachte nur immer wieder kurz mit schlingerndem magen auf. dann waren wir da und das objekt verabschiedete mich nun wieder streng und zurückhaltend. ich stieg aus und strebte auf die haustür zu. als ich den schlüssel suchte, hörte ich eine autotür schlagen.
"morphine!"
das objekt kam mir nach und stupste mich an.
"tut mir leid."
"was denn?"
das objekt umarmte mich.
"dass es dir so mies geht... dass ich nicht so für dich da bin wie ich sollte..."
"aber das bist du doch."
"ja?"
"ja, mann. du bist total super. zum beispiel vorgestern.... du hast zweieinhalb stunden mit mir am telefon verbracht, bis ich eingeschlafen war."
"war das soooo lang??"
"ja. war mir im nachhinein total peinlich. war ja dein handyguthaben."
"scheiße, gut, dass du es erwähnst, ich sollte vielleicht mal meine karte aufladen."
ich musste schon wieder kichern.
"wenigstens bringe ich dich zum lachen", meinte das objekt.
"auch."
wir sahen uns an, dann raffte ich mich auf und sagte:
"ich hab dich sehr lieb."
"ich dich doch auch."
ich gab dem objekt einen kuss auf die wange und drehte mich dann um, um die treppen hinaufzuschwanken und mich in mein viel zu warmes bett zu kuscheln.

am samstag blieb ich lieber zuhause, um keine weiteren katastrophen zu produzieren und das objekt in seiner betreuerrolle mal zu entlasten. außerdem macht party ohne alkohol einfach keinen spaß - und mit derzeit noch weniger.