Donnerstag, 11. November 2010
nachspiel (care-ful)
es muss gegen halb zehn gewesen sein, als das telefon klingelte. es zeigte keine rufnummer an, also dachte ich, es sei meine mutter. am anderen ende der leitung hörte ich erstmal nur straßenlärm. und dann die stimme des objekts.
"hey... ich hab gerade arbeit aus und dachte, ich ruf mal an."

ich war mehr als verblüfft. das objekt besitzt kein telefon, kein internet und ein maximal temporär funktionierendes handy, das zudem meist ausgeschaltet ist, weil das objekt im drei-schicht-dienst arbeitet und daher zu mehrmals wöchentlich wechselnden tag- und nachtzeiten schläft. wir schicken uns aus diesem grund lediglich hin und wieder sms und telefonieren nur in extremen ausnahmefällen und das auch nie länger als zwei minuten, weil dann einer von uns beiden entweder kein guthaben oder dank billiganbieter keine verbindung mehr hat.

ich war also stark verwundert und stellte gespannt die lauscher auf.
"wo bist du denn gerade?" fragte ich entsetzlich kreativ.
"an der klinik", nuschelte das objekt. dann wurde die verbindung unterbrochen.
drei minuten später klingelte das telefon erneut.
"hey, ich bins nochmal, ich hatte kein kleingeld mehr, ich bin in der telefonzelle, und son typ hat mir eben geld gewechselt, damit ich dich nochmal anrufen kann."
"soviel engagement bin ich ja gar nicht gewohnt", sagte ich sarkastisch.
"du bist gut drauf, hm", erwiderte das objekt.
"im moment schon", antwortete ich.
das objekt atmete tief ein. "aber am wochenende warste das nich, was", sagte es dann zögerlich.

jetzt war ich wirklich perplex. obwohl das objekt ein sehr liebevoller und zärtlich-leidenschaftlicher mensch ist, ist es doch eher unbekümmert und tendiert nicht dazu, sich um anderen erwachsene menschen allzu große sorgen zu machen. und falls doch, flutete garantiert der nächste shot drogen oder die nächste flasche wodka die unangenehmen gedanken weg.
nun aber erlebte ich eine mir bis dato völlig unbekannte objektseite.
"du brauchst jetzt auch gar nichts zu sagen. aber du sollst wissen, dass ich das mitbekommen hab, ich kenn das doch, ich weiß doch, was du gemacht hast." wie immer, wenn das objekt aufgeregt ist, weil es unsicher ist, wie das gesagte ankommt, beginnt es leicht zu stottern.
"warum hast du denn nichts gesagt", fuhr es dann fort. "ich hab das doch schon letzte woche gespürt, dass bei dir was nicht stimmt. und du kannst doch nicht einfach dein leben so aufs spiel setzen."
"jetzt übertreib mal nicht", erwiderte ich. "normalerweise bist ja wohl du derjenige, der sich zudröhnt."
"aber nicht mit sonem mist."
"das waren ja keine harten drogen."
"das sind sehr wohl harte drogen", donnerte das objekt. mein widerspruch blieb mir im hals stecken. so viel strenge hätte ich im anbetracht seines leichtfertigen eigenen drogenkonsums nicht erwartet.
stille. ich lauschte. war die verbindung wieder abgebrochen? nein, ich hörte das objekt atmen.
"entschuldige, ich hoffe, du bist mir jetzt nicht böse", sagte es dann.
"so ein quatsch, warum denn, du hast doch das recht, deine meinung zu sagen."
"nein... weißt du... ich wollte so gern am samstag mit dir sprechen..."
"du warst ja beschäftigt." (das objekt hatte am samstagabend mal wieder zwei tussen mit unterschichtenniveau abgeschleppt.)
das objekt seufzte: "ich weiß... aber du bist doch sonst diejenige von uns beiden, die die fahne hochhält. du hast so viel kraft. du bist die jeanne d´arc. und das am samstag hat mich einfach umgehauen." das objekt atmete schwer aus: "du, maus, ich mach mir sorgen."
das verschlug mir vollends die sprache. und es kam noch besser.
"ich hab mir was überlegt", sagte das objekt dann. "ich weiß, ich bin nicht immer erreichbar... aber ich werde jetzt mein handy erstmal immer anlassen, okay? dann kannst du immer anrufen, wenn was ist. und wenn ich es mal nicht hören sollte, weil ich schlafe, dann schreib mir... so lange und so viele nachrichten du willst. ich melde mich dann gleich, wenn ich sie lese."

das objekt war ein freund. ein wahrer freund. das schnallte ich in diesem moment. so verworren unsere lovestory auch immer war, das objekt hatte etwas wichtiges begriffen, ohne, dass ich es hätte erklären müssen: ich bin nicht gut darin, um hilfe zu bitten. weil ich ein verdammt schlechtes gespür für mich selbst habe und meistens schon untergegangen bin, bevor ich merke, hey, das und jenes ist aber gerade nicht gut für mich.

ich war gerührt.
"danke", stammelte ich.
"hör auf damit", sagte das objekt unwirsch. "ICH muss dir danken. du gibst mir so viel und ich hab das gar nicht verdient."
"doch", sagte ich, "du weißt gar nicht, wie sehr."
"vielleicht", antwortete das objekt sehr sanft. "du aber tu mir bitte einen gefallen und pass auf dich auf. und bitte mach das nie wieder."
"ja", schniefte ich.
"bis bald", sagte das objekt. "bis ganz, ganz bald."