Samstag, 14. Juni 2008
die andere
es war einmal eine junge frau, so mitte zwanzig, sagen wir mal, die lebte in einer kleinen, mittelhübschen stadt, und litt ganz furchtbar, weil ihr leben sehr langweilig und gleichförmig verlief. jeden morgen stand sie auf und hatte nicht wirklich was zu tun. also rein praktisch gesehen schon, nur theoretisch war es - irgendwie nichts von bedeutung.
die frau war trotzdem lebenslustig und voller hoffnung, dass sich dieser zustand irgendwann ändern würde. spätestens, wenn sie einmal an einen anderen ort käme. wenn sie dann auch genug geld hätte. und schicke freunde. und ein haus mit garten an einem kleinen see. sie träumte von der zukunft und schwebte deshalb oft ganz zufrieden durch ihre mittelprächtige gegenwart.
und eines abends passierte es dann. es klingelte an der tür. die frau öffnete. draußen stand die frau. genau diesselbe frau. also so etwas wie ein zwilling dieser frau. nur war die schick gekleidet und klimperte mit dem autoschlüssel, die zu dem roten porsche da vorne am straßenrand gehörte.
"komm mit", sagte die frau zur frau.
"wer bist du denn?" fragte die frau zurück.
"ich bin das leben, das du dir immer wünschst. mit mir wirst du nun neu anfangen, denn wenn du ehrlich bist, überstehst du die zeit hier mit dir nur, weil du dich zu mir träumst."
die frau fand das einleuchtend, packte ihren alten braunen koffer mit ein paar stücken nicht ganz so h-und-m-mäßiger kleidung - für die sie sich nämlich insgeheim immer ein wenig schämte - und stieg mit der frau in den roten porsche.

zwei tage später - sie waren vermutlich gen süden gefahren, so genau wurde der frau das nicht klar - stiegen sie vor einem mondänen kleinen landhaus aus. vor dem haus fegte eine kleines dunkelhaariges mädchen die treppe.
die frau, also ihr zwilling oder wie auch immer, drückte ihr die schlüssel zum haus in die hand.
"ich muss weiter. du brauchst mich ab heute ja auch nicht mehr."
die frau kam sich vor wie im märchen. plötzlich burgherrin oder so. die treppenreinigungsfrau ging höflich zur seite und ließ sie vorbei ins haus.
das haus war ein traum, eingerichtet von einem architekten im mediterranen design. die glastür auf der anderen seite führte auf eine terrasse, die terrasse über einen holzsteg direkt ins meer. 'gott wie schön', fand die frau.
nachdem sie mehrmals durch die zimmer gestreift war, setzte sie sich in den sessel. der war tief und roch noch teuerem leder. gar kein vergleich zu ihrem alten holzschemel zuhause.
apropos zuhause, das war ja nun ihr zuhause. sie blickte sich um. es fühlte sich fremd an.

die tage drauf ging sie auf entdeckungstour. sie erkundete den angrenzenden ort mit den vielen schönen menschen. die menschen schienen sie nicht wahrzunehmen, aber sie waren sehr hübsch anzusehen. das meer war klar und blau, aber leider zu kalt zum baden.
die frau verbrachte ihre zeit damit, durch die boutiquen zu streifen, menschen zu betrachten und sich zu fragen, womit sie soviel glück verdient hatte. sie machte sich keine sorgen mehr. alles war genau wie ihr traum.
bis zu jenem tage, als sie morgens in ihr badezimmer kam. denn dort stand eine andere frau. die sah genauso aus wie die zwillingsfrau, war aber offenbar nicht diesselbe. sie roch streng und sah sehr ungepflegt aus. sie stellte sich nicht vor, also fragte die frau:
"was machen sie in meinem badezimmer?"
"ich? du vernachlässigst mich."
"wer sind sie denn?"
"ich bin dein altes leben. du glaubst, mich vergessen zu können."
"ich habe dich nicht vergessen, ich denke jeden tag darüber nach, wie schrecklich du warst."
"dann kann ich ja gehen."
die schäbig aussehende frau packte ihr bündel - ein blauer weicher müllsack - und verschwand aus dem haus.
die frau beruhigte sich, richtete ihr haar und ging dann wieder nach unten auf die terrasse. dort setzt sich sich in den schönen weichen gartenstuhl. und fühlte sich mit einem mal sehr merkwürdig.
sie schaute sich um. 'das ist alles meins' dachte sie, 'aber irgendwie... doch nicht.' eine unruhe packte sie. sie strampelte sich aus ihrem wunderschönen stuhl frei und fühlte sich plötzlich den tränen nahe. denn, wenn sie ehrlich war, musste sich sich eingestehen, dass sich mit diesem haus, den schönen menschen und dem meer vor ihrer terrasse nichts anfangen konnte. es war toll. aber es hatte nichts mit ihr zu tun.
'ich muss die frau aus dem badezimmer wiederfinden', dachte sie aufgeregt. sie rannte auf die straße. doch da waren nur die schönen menschen, mit denen sie nichts gemeinsam hatte. sie fühlte sie sehr einsam, sank auf die stufen und weinte. bis ihr jemand auf die schulter klopfte. es war das dunkelhaarige mädchen, das die treppen fegte. es drückte ihr den besen in die hand.
"sie müssen arbeiten, dann wird es besser."
"aber dafür habe ich dich doch!"
das mädchen lachte.
"glaub mir, auch mir hat einmal all das hier gehört. aber ich habe nicht hierher gehört. also musste ich mir etwas suchen, damit ich mir ähnlicher wurde. nun bin ich putzfrau in dem haus, das eigentlich meines ist."
"du meinst, ich soll putzen?"
"wenn du es hier aushalten willst, musst du es sogar tun."
die frau nahm den mädchen besen und feudel aus der hand.
"du brauchst mich ja jetzt nicht mehr", sagte das mädchen. es dreht sich um und ging zum gartentor hinaus.

die frau wurde nun putzfrau in ihrem eigenen haus. sie wurde nicht glücklicher, aber sie konnte es nun aushalten.
eine neue eigentümerin stand eines tages am tor. die frau lächelte. sie kannte deren schicksal bereits. und ihr eigenes auch. jeden tag ein bisschen besser.