Samstag, 4. Oktober 2014
abschussrampe
ich treffe mich mit dem neuen mann. wir sind zum shopping beziehungweise window-shopping verabredet. das mache ich hin und wieder ganz gerne, vor allem mit anderen konsumgegnern, weil man sich dann so schön lustig machen kann über all die menschen, die wie ferngesteuert in die läden rennen, schuhe anprobieren, auf elektronik-vorführgeräten rumdrücken oder sich an der kasse drängeln, als hinge ihr leben davon ab - oder wahrscheinlich tut es das auch, mangels herz, verstand und tieferem sinn.

mit der lederjacke, die das treiben vorwitzig, klug und ziemlich lautstark kommentiert, geht das beispielsweise sehr gut, da fühle ich mich stark und stolz im anderssein bestätigt und zugleich sicher, denn da ist jemand an meiner seite, der konfrontation und eventuelle handgreiflichkeiten nicht scheut und dabei auch noch gut aussieht.

der neue mann hingegen gehört eher zu der stilleren sorte. zur sehr stillen sorte. das finde ich bisweilen ganz angenehm, aber bei gemeinsamen unternehmungen fehlt es mir dann doch, dass jemand impulse setzt, zeigt, lacht, witzig ist, kommentiert, kurzum, der sache die zweisamkeitsspezifische lebendigkeit einhaucht. denn sonst kann ich theoretisch auch allein durch die straßen wieseln.

wie immer geht der neue mann zwei schritte hinter mir und ist wortkarg. also mache ich den anfang, zeige auf zwei botoxfressen und einen wichtigtuer, der seine fette karre nicht in die parklücke kriegt. der neue mann schweigt dazu. da er hinter mir geht, kann ich nicht sehen, ob ein lächeln seine gesichtszüge erhellt, sprich, ob er mein geseiber amüsant oder eher total daneben findet. ein paar mal drehe ich mich um, doch irgendwann nervt mich die kommunikation nach rückwärts und ich schweige auch.

dass wir dennoch nicht gänzlich stumm durch die straßen gehen, ist dem neuen mann geschuldet, der zwei meter hinter meinem linken ohr an jeder weggabelung murmelnd fragt:
"links? rechts?"
nach der zehnten kreuzung etwa werde ich sauer und torpediere das system, indem ich antworte:
"wie du willst."
"mir ist das egal", sagt der neue mann und zuckt die achseln. "wie du möchtest."
ich mache mich gerade und sage:
"du musst doch auch mal was wollen, mensch!"
da zeigt der neue mann schnell nach rechts.

nach einer stunde bin ich müde, gelangweilt und wütend wie rumpelstilzchen. ich dirigiere den neuen mann zu einer bank, damit ich mich setzen kann.
dann sitzen wir und schweigen uns an. der neue mann bemerkt irgendwann meinen missmut und fragt:
"hab ich was falsches gesagt?"
ich schnaube.
"nein, wie könntest du."
der neue mann schaut mich ängstlich an.
"ich weiß, ich bin halt eigen."
"das würde ich so nicht sagen", entgegne ich.
"wie würdest du denn sagen?"
scheißlangweilig, konturlos und ansatzweise humorbefreit, schießt es mir durch den kopf, aber das kann ich dem neuen mann ja so nicht entgegenschmettern, denn er ist schließlich kein arschloch, ganz im gegenteil.
"wir sind eben sehr unterschiedlich", fasse ich meinen eindruck euphemisierend zusammen.

der neue mann guckt mich flehend an. das ist seine stumme standardaufforderung zu einem kuss. da mir gerade nicht nach einer harmonisierenden geste ist, sehe ich darüber hinweg. außerdem sind die küsse des neuen mannes genauso wie seine konversation: trocken, schmallippig und flach. nichts, was lust auf mehr macht, schon gar nicht, wenn frau stürmische, drängende zungenspiele gewohnt ist, deren elektrisierende wirkung bis in den unterleib reicht.

was sex betrifft, weiß ich nicht viel vom neuen mann, außer, dass er findet, dass feigen wie eine muschi aussehen und er gerne muschis leckt. vielleicht leckt er auch gerne an feigen, who knows. ich selber bin keine große freundin des muschileckens mehr, zumindest nicht bei männern, die, von wenigen fachkundigen und forschen forschernaturen einmal abgesehen, meist keine ahnung haben, wie vielfältig geil man eine zunge in einer muschi einsetzen kann. auch den neuen mann rechne ich eher zu den beharrlichen klitoris-schlabberern, die einfach solange an ein und derselben stelle weitermachen, bis frau einen orgasmus simuliert, um dem trauerspiel ein ende zu setzen.

als ich neben dem neuen mann so in der sonne sitze, fällt mir wieder auf, dass er nach nichts riecht. weder nach parfum noch nach einem eigengeruch. alles, was in meine nase steigt, ist das raue, saubere aroma von waschpulver.

just als mir die unerträglichkeit und unhaltbarkeit der situation bewusst wird und ich nach worten suche, um diese auszudrücken, sagt der neue mann schüchtern zu mir:
"ich bin froh, dass ich dich kennen gelernt habe."
ich reiße erstaunt die augen auf.
der neue mann nimmt meine hand:
"und ich würde gerne noch viel mehr zeit mit dir verbringen."
hilfe!
mein schockierter blick nimmt dem neuen mann das quäntchen mut und er stammelt:
"also... ich meine... nur wenn du willst. also... wenn du zeit dafür einplanen möchtest."

wie kann man(n) nur so devot sein. ich atme tief ein und wieder aus, dann raffe ich mich auf:
"ich glaube nicht, dass wir zusammenpassen. ich denke, ich möchte keine beziehung mit dir."
der neue mann ist geschockt. dann ein wenig trotz:
"ich hab dir ja gesagt, dass ich eigen bin. du wusstest doch, worauf du dich einlässt!"
"und inzwischen weiß ich, dass ich mich nicht weiter darauf einlassen möchte."

der neue mann steht auf und geht. mitleid durchzuckt mich, der erste impuls sagt mir, lauf ihm nach und sag ihm wenigstens noch was nettes. doch die vernunft grätscht dazwischen und meint, nö, warum denn, erstens nützt ihm das nichts, und zweitens hast du doch erreicht, was du wolltest. warum noch energie investieren.

ich stehe auf und nehme eine seitenstraße, ohne dass mich jemand fragt, links oder rechts. ich nehme sie einfach und das tiefe glück der freiheit durchströmt mich.

an der nächsten ecke treffe ich den wichtigtuer wieder, der seine nobelkarre nicht in die parklücke bekommen hat. jetzt versucht er sich im ausparken, stellt sich dabei aber auch nicht viel geschickter an. ich grinse, schwinge mich auf mein rad und spucke im vorbeifahren mein kaugummi auf seine heckscheibe - genauso, wie ich mit der lederjacke immer gemacht habe.

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