Freitag, 22. Juni 2012
mind popcorn - klinkleben
die klinik ist sehr zufrieden mit meinem irrsein. sie hat die medikamentenkombination und -dosis gefunden, die mich höchstwahrscheinlich davor bewahren wird, mich vom dach des radisson sas hotels zu stürzen.

weniger glücklich ist mein psychiatrisches gremium darüber, dass ich neulich alkohol konsumiert habe. dr. sch. ist besonders streng mit mir. als ich sage: "aber es war doch nur ein bisschen bier und ich konnte danach sogar noch prima rad fahren", legt er mir das als unbewusst selbstgefährdendes verhalten aus und droht, mich gegebenenfalls ins zentrum für suizidgefährdete zu überweisen. ich halte dies zunächst für einen scherz, aber dr. sch. scherzt genauso wenig wie adolf hitler über den zweiten weltkrieg. ich verschweige dr. sch. danach bewusst, dass derzeit mein fahrradlicht kaputt ist und dass ich mich demzufolge sicherlich unbewusst im dunkeln hatte überfahren lassen wollen.

frau dr. k. sieht das alles ein wenig lockerer. sie lächelt viel. sie hält mich für intelligent und baut darauf, dass ich mich entsprechend verhalte. ähnlich wie das objekt ist sie der meinung, dass mein gelegentlicher substanzmissbrauch symptom, nicht aber hauptproblematik ist. sie zieht mit meinem psychologen an einem strang, der mir gleich im erstgespräch offenbarte, dass er nicht für sucht zuständig sei und dass ich dieses problem selbst unter kontrolle bringen oder mich für einen vollstationären aufenthalt entscheiden müsse, wobei er letzteres in meinem fall eigentlich für unnötig halte. also bin ich weiterhin vogelfrei, sofern dr. sch. nicht interveniert und mich als suizidgefährdet einstuft.

im büro fühle ich mich derzeit am wohlsten. ich sauge die anerkennung, die ich bekomme, in mich auf und versuche, möglichst viel davon auch umzuverteilen und für ein sozial warmes arbeitsklima zu sorgen. ich forciere den folgevertrag für den inzwischen ausgelernten azubi, gehe mit meinem springer-kollegen, der uns derzeit mit ein paar kreativen ideen aushilft, sushi essen und lege meiner chefin, die liebeskummer hat, einen glückskeks auf den tisch. in unserem büro funktioniert vieles nicht, aber eines haben wir alle geschnallt: es ist wichtig, aufeinander zu achten.

vorgestern hole die objektexfreundin vom bahnhof ab. als ich sie umarme, habe ich fast nichts mehr, was ich an mich drücken könnte. sie gesteht mir, dass ihr bmi inzwischen unter 16 liegt. wir setzen uns in ein café und unterhalten uns darüber, wie in aller welt man die angst vor dem leben loswerden kann. denn auch bei der objektexfreundin ist es eher so, dass die sucht ein nebenprodukt eines viel umfassenderen problems ist.

"hast du was vom objekt gehört", fragt sie mich irgendwann.
ich berichte ihr vom kontakt in den letzten wochen und wie das objekt rührenderweise versuchte, mir aus der depression zu helfen. gerade, als ich mich frage, ob ich der objektexfreundin damit eigentlich weh tue, sagt sie:
"weißt du, was ich an der ganzen geschichte eigentlich besonders schlimm finde? dass du es die ganze zeit wusstest... dass du uns beim knutschen zusehen musstest... ich frage mich echt, wie man das eigentlich aushalten kann! ich frage mich sogar manchmal, wie das objektgespielin das übersteht... sie weiß ja auch, dass sie nicht die einzige ist."
"ich fand es eigentlich immer schlimmer, dass ich zum schweigen gezwungen war und mitangesehen habe, wie du mit der lüge gelebt hast", erwidere ich.
"du hast das objekt auch immer sehr gemocht, oder?" lächelt die objektexfreundin und ich nicke.
"ich mag es immer noch, soweit man es eben mögen kann."
"du bist ihm auch unheimlich wichtig", berichtet die objektexfreundin. "das merke ich, wenn es von dir spricht."
"du ihm aber auch", berichte ich. "erinnerst du dich an die nacht im club anfang april... als du es im scherz auf den mund geküsst hast? das objekt kam danach zu mir und war völlig verwirrt."
die objektexfreundin kichert.
"so cool ist der typ gar nicht."
"kein bisschen."
ich sehe die objektexfreundin liebevoll an und finde, dass sie zu den coolsten frauen zählt, die ich kenne. das sage ihr dann auch, woraufhin sie ganz verlegen wird. sie lehnt sich an meine schulter, schnuppert und findet, dass ich gut rieche.
in diesem augenblick denke ich mir zum wiederholten male: scheiß auf die typen! man kann auch mit frauen wunderbare momente haben...

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