Sonntag, 15. November 2009
therapy?
je länger man ein leben führt, das in der eigenen natur widersprechenden umständen stattfindet, desto mehr gewöhnt man sich daran, dass man nicht glücklich ist. man ist auch nicht unglücklich - nur leer, antriebslos und bar jeder träume und vorfreuden. hin und wieder aber gibt es momente großer klarheit. das sind momente, in denen man etwas ändern kann.

gestern zum beispiel habe ich all meinen mut zusammengenommen und spätabends das haus verlassen, um wie tausende andere menschen auch ganz normal an einer art ausgehvergnügung teilzunehmen. ich, die früher nie eine party ausließ und die man quasi zuhause festbinden musste, habe inzwischen tatsächlich angst vor menschen und davor, von fremden abgelehnt zu werden. da ich das vollkommen krank finde und mir solch soziale komplexe früher fern lagen, wollte ich mir also unbedingt das gegenteil beweisen.

in der u-bahn ging das ganz gut. ich hielt mich von einem pack betrunkener jugendlicher fern und gesellte mich zu einer gruppe junger mädchen und versuchte mich vorzustellen, ich sei ganz normal mit freundinnen unterwegs. das beruhigte mich. im fenster überprüfte ich immer wieder meinen gesichtsausdruck und er kam mir ganz gesellschaftstauglich vor: nicht ängstlich, nicht arrogant, beinahe freundlich. ich sah nicht aus wie ein alien. ich hätte zwar nicht sagen können, ob ich attraktiv wirkte, aber wenigstens schien ich menschlich.
am bahnhof angekommen schlenderte ich relativ entspannt zum ort des geschehens. obwohl mir grausliche musik entgegenschlug, zahlte ich tapfer eintritt und begab mich in den ersten saal. drinnen begegnete mir ein mädchen, dass ich zuvor schon auf der straße gesehen hatte. was für ein netter zufall. ich lächelte freundlich, und das mädchen sah weg. nunja. ich ließ mir nichts anmerken und positionierte mich scheinbar selbstbewusst in der mitte des raumes. nur nicht in die ecke quetschen. wir wollen ja gesehen werden zwecks beseitigung sozialer phobien, nicht wahr. vielleicht ein getränk? nein, lieber nicht, denn ich wollte ja tanzen und nicht, so wie es andere oft unschicklich tun, das getränk mit auf die tanzfläche nehmen.

die musik war immer noch schauerlich und ein haufen noch schauerlicherer gestalten schrubbte unrhythmisch über das parkett. naja. nobody is perfect. mich fanden vielleicht auch ganz viele hässlich. kann man mit gewisstheit nie sagen.
weil ich mich nicht zum tanzen aufraffen konnte, wechselte ich in den zweiten saal. immer an der gleichen stelle rumstehen ist auf dauer zu peinlich. im zweiten saal war es jedoch noch viel fürchterlicher. auf acid oder ecstasy sabbernde kreaturen kamen mit verzerrten gesichter auf mich zu. ein besuch in der geisterbahn ist im vergleich ein ästhetisches hightlight. ich also schnell wieder rüber in den anderen saal. da war die musik inzwischen ganz gut und sie spielten einstürzende neubauten, gleitzeit und noch so ein paar gute alte raritäten. sollte ich tanzen? sollte ich wirklich tanzen? oder würde ich lächerlich wirken, nachdem ich so lange nicht mehr getanzt hatte? meine sozialkomplexüberladene überlegung wurde unterbrochen, als sich ein kleiner gedrungener typ in meine unmittelbare nähe gesellte. der war mir schon im zweiten saal aufgefallen, weil er sich nach mir umgedreht hatte. den grund dafür konnte ich nicht herausfinden. ich konnte nicht sagen warum, aber der gnom war mir unangenehm.
ich wechselte die seite des raumes. kurze zeit später stand er wieder in meiner nähe. glubschalarm.

so gerne ich mich mit jemandem unterhalten hätte - nicht mit diesem typ. ich verkrümelte mich in die hinterste ecke, in der hoffnung, er würde mich dann nicht mehr sehen. ich fühlte mich immer beklommener.
ich versuchte, mich auf das alte disco-prinzip zu besinnen. das funktioniert so: scanne alle anwesenden und behalte den hübschesten (= smart und intelligent aussehend mit halbwegs gutem stil) im auge. erbaue dich an dem gedanken, dass ihr ein glückliches paar werdet, heute oder in zehn jahren, und überstehe so einen öden abend.
leider haute das experiment nicht hin. es gab nämlich nicht einen einzigen menschen im raum, weder männlein noch weiblein, der nicht aussahe wie der letzte penner, körpergeruch verströmte oder sich bewegte wie ein kind mit spastischem syndrom.

eigentlich wollte ich auf der stelle gehen. es war zeitverschwendung, da ich mich nicht im mindesten amüsierte und das gefühl der einsamkeit immer stärker wurde. aber dann spielten sie skinny puppy. und noch ein lied, das ich über alles liebte und dessen interpret mir nicht mehr einfiel.
als ich mich dann endlich zur u-bahn begab, war es halb vier. ich hatte es tatsächlich über zwei stunden alleine in der disco ausgehalten, das glotzen eines gnoms und den ignore-modus der anderen anwesenden überstanden. die größte angst hatte mich verlassen. ich konnte theoretisch wieder am nachtleben teilnehmen, wenn ich noch ein bisschen übte. was für ein erfolg, wenigstens in psycho-hinsicht.
was den punkt lebensqualität betraf, war es natürlich ein weiterer tiefschlag. ich fürchte, ich werde meine abenden weiterhin mit drittklassigen filmen und meinen drei büchern verbringen und bei passender gelegenheit dann die koffer packen, mich umdrehen und diese traurige episode meines leben hinter mir lassen. woanders kann es auch nicht deprimierender sein.

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