Samstag, 14. November 2015
studenten von morgen
anekdoten aus dem leben als teilzeit-mentorin.

mein aktueller kandidat ist ein typ anfang 20, der bereits ein studium begonnen und geschmissen hat. er trägt eine grüne haremshose, trotz der spätherbstlichen temperaturen jesuslatschen sowie einen spärlichen kräuselbart, der ihm fast bis in den schritt reicht und in kürze vermutlich mit seinen sackhaaren verwachsen wird. passend dazu hängen unter seinem jutemützchen lange dreads hervor wie die tentakel eines toten oktopus. all das würde mir kein unbehagen verursachen, wären da nicht dieser abwesende blick, sein gehibbel und die laufende nase.

"hey, sie machen ja sowas mit erneuerbaren energien, nä?" fragt er mich schniefend zur begrüßung.
"in welche richtung solls denn gehen", will ich erstmal wissen.
"naja, sowas mit... mit umwelt, denk ich."
"umweltingenieurwesen", frage ich.
"ja, sowas."
"okay dann..." ich referiere ein wenig über studium und berufsbild und versuche dabei angestrengt, den immer wieder abschweifenden blick einzufangen, während ich mich frage, warum in aller welt man so brezelbreit zu einem beratungsgespräch aufschlägt anstatt selbiges einfach abzusagen.

"geht das auch so mit weniger mathe?" unterbricht mich der typ irgendwann.
"mathe sollten sie schon draufhaben", meine ich.
der typ schaut mir zum ersten mal in die augen, sehr nervös, und bekennt dann, dass mathe "nicht so sein ding" sei.
"dann würde ich mir an ihrer stelle überlegen, ob ich gewillt bin, mir mathe draufzuschaffen, oder ob etwas anderes, mathefreies mir mehr liegt", sage ich.
"ja, halt sowas mit umwelt", meint der typ wieder.
"was verstehen sie konkret darunter? welches studium im bereich umwelt interessiert sie denn? umweltrecht? umweltmanagement? agrarwissenschaften?" versuche ich nachzuforschen.
der typ zuckt die schultern:
"ich dachte, das können sie mir sagen."

meine lieblingskandidaten. der einfachheit halber gebe ich ihm alle broschüren mit, die ich vorrätig habe, und die er dann ohne ein weiteres wort oder einen dank unter seinen spackligen ärmchen davonschleppt. dabei hätte ich ja noch einen heißen tipp für seine berufliche zukunft mit irgendwas mit umwelt gehabt: eine ausbildung als müllsortierer beim gelben sack.

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Donnerstag, 27. August 2015
soziale masturbation
ganz viele möchtegern-gutmenschen ereifern sich gerade wegen der flüchtlinge und posten nonstop rührige scheiße. aber nur, weils so en vogue ist, weils überall in der verfickten zeitung steht.

all die jahre und jahrzehnte lang waren euch die doch kackegal. und eine regierung habt ihr eigenhändig gewählt, die für abschiebungen und waffenexporte und die totale erosion des sozialstaats steht.

euren medial gebrainwashten fokus möchte ich mal haben.

so, und jetzt könnt ihr wieder auf mich eindreschen oder mir erklären, wie toll es doch ist, ein zeichen zu setzen, indem man einen facebook-beitrag zum 5001 mal liked und wie viel da die armen flüchtlinge von haben, die wahrscheinlich alle kein internetz haben oder kein deusch können.

wenn ihr helfen wollt, machts still. machts uneitel. und machts nicht virtuell. und versuchts mal nicht bloß mit symptombekämpfung. sorgt lieber dafür, dass sich teflon-angie und der fette gabriel demnächst bei der müllabfuhr bewerben müssen, auf einen ein-euro-job oder so.
danke.

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Montag, 6. Juli 2015
souvenirs
kurztrip nach dänemark mit dem werten herrn gibson. festgestellt, dass die fußgängerzonen in kolding samstags leerer sind als der lidl-parkplatz in kiel an einem sonntag. trotzdem wars schön und wenigstens etwas kühler als in deutschland.

auf dem rückweg wollten wir meer, allerdings kam nach etwa zehn minuten ein gewitter dazwischen. da ich vor gewittern sehr großen respekt habe, vor allem, wenn ich bis zur brust im wasser stehe, mussten wir das experiment leider abbrechen.

wieder zuhause schutzmauern aufbauen.
mit falltor und tränenwassergraben.

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Montag, 6. Juli 2015
ich bin griechenland
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Dienstag, 16. Juni 2015
[an alle word-cracks]
ich weine gerade ein bisschen. word ist schuld. denn word macht das, was ich nicht will.

die problematik: ich habe dilettantisch selbstgebasteltes briefpapier mit fußzeile als grundlage für einen 14-seiter. das dokument soll seitenzahlen bekommen. allerdings solche, die erst auf seite 3 anfangen, denn seite 1 ist das deckblatt und seite 2 ist das inhaltsverzeichnis. das kann ich theoretisch mit abschnittsumbrüchen einrichten. es fängt dann brav auf seite 3 mit seite 1 an. so weit, so gut. allerdings ist dann jedes verfickte mal die fußzeile des hässlichen briefpapiers verschwunden.

wer kennt den trick? wie mache ich es richtig? hat das was mit der position des abschnittsumbruchs zu tun?

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Sonntag, 31. Mai 2015
sleep tight
meine schlafstörungen machen mich langsam, aber sicher nicht nur müde und irre, sondern auch krank. seit zwei wochen schleppe ich eine erkältung mit mir rum. die wird zwei tage lang besser, dann wieder schlechter. gestern abend habe ich plötzlich sogar fieber und muss der lederjacke absagen, die mich gerne mit auf swutsch genommen hätte. aber es ist auch logisch, dass sich das immunsystem nicht regenerieren kann, wenn schlaf fehlt.

der durchschnittliche mensch hat einen tiefschlaf-anteil von 15 bis 20 prozent, habe ich gelesen. je höher der tiefschlafanteil, desto weniger schlimm, wenn man nicht so lange schläft. heißt, wer den notwendigen tiefschlaf in sechs stunden schafft, muss nicht die obligatorischen acht stunden im bett verbringen. da ist jeder mensch unterschiedlich. soweit, so gut.

ich bin eine vielschläferin. lässt man mich, so schlafe ich auch ohne medikamente ab und an gerne mal 12 stunden. das ergebnis unterscheidet sich allerdings wenig von dem, wenn ich nur acht stunden schlafe. ich bin müde. immerzu.

da es inzwischen eine menge schlaf-apps auf dem markt gibt, habe ich beschlossen, so etwas nun mal auszuprobieren. das ergebnis war schockierend: mein durchschnittlicher tiefschlaf liegt bei drei bis sechs prozent pro nacht. auch mit exzessiv viel schlaf komme ich nicht auf den notwendigen anteil.

weil ich der technik nicht vertraute, habe ich mir weitere apps heruntergeladen und diese parallel benutzt. keine großen unterschiede. auch ein verändern der schlafumstände (anderes bett, anderes zimmer, mit und ohne benzos) änderte nicht viel. ein einziges mal brachte ich es auf zehn prozent tiefschlaf - nach einem abend, an dem ich tramal und alkohol zu mir genommen und dazu auch noch gekifft hatte.

viele depressive leiden an schlafstörungen. auch bei mir fing meine depression damit an. schon im winter 2011 konnte ich nicht mehr richtig schlafen. auch in dieser zeit war ich ungewöhnlich viel krank. im mai 2012 bin ich dann emotional zusammengeklappt. daher würde es mich brennend interessieren, ob gesunder schlaf depressionen positiv beeinflussen oder sogar heilen kann bzw. umgekehrt monatelanger schlafmangel zu einem serotonin-ungleichgewicht im hirn führen kann.

morgen werde ich meine psychiaterin dazu interviewen. denn warum sollte ich tabletten fressen, wenn es einfach nur mehr tiefschlaf braucht?

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Mittwoch, 15. April 2015
aufweichung der ärztlichen schweigepflicht
ich bin psychisch krank und stehe dazu. aber ich bin auch uneingeschränkt arbeitsfähig. ich arbeite gern, zahle braver als jeder konzernchef meine steuern und friste mein dasein in frieden, auch wenn ich horrorfilme gucke und mir manchmal vorstelle, wie ich gewisse unangenehme zeitgenossen lustvoll foltere.

diejenigen, die gerade meine steuern für polizeistaatliche geheimkonferenzen verpulvern, haben heute in lübeck über die konsequenzen aus dem germanwings-unglück diskutiert - über eine lockerung der ärztlichen schweigepflicht. natürlich nur, wenn leib und leben anderer gefährdet sind. aber wie schon sascha lobo bei spiegel online richtig feststellt*, stellt eine solche entscheidung eine gefährliche gratwanderung dar: einem polizisten beispielsweise wäre der dienst an der waffe unmöglich, ein it-experte dürfte keine software mehr für ein kraftwerk schreiben. aber es kann auch einen bäckereifachangestellten treffen, der möglicherweise aus hass auf die gesellschaft oder irgendwen anderes gift in seine brötchen mengen könnte.
kurzum, theoretisch bringt fast jeder beruf eine gefährdung anderer mit sich. das käme einem generellen berufsverbot für psychisch kranke gleich.

ähnlich spannend zu wissen wäre dann noch, wann genau die meldepflicht für psychische krankheiten beginnt. ich beispielsweise habe nicht einmal eine eindeutige diagnose. zum einen, weil die ärzte heutzutage gar nicht die zeit haben, sich wirklich mit einem patienten zu befassen. im klinikbetrieb muss alles rasch durchgeschleust werden, allein die fallpauschale zählt. zum anderen, weil psychische erkrankungen sehr vielschichtig sein können. ich kenne keinen einzigen patienten, der exakt dies oder jenes ist. wäre ich psychiaterin, könnte ich sehr leicht jemandem auch eine falsche oder teilweise falsche erkrankung attestieren. das geht besonders schnell, wenn ein patient nicht in der lage ist, sich verständlich auszudrücken - wie es manchmal bei ausländischen mitbürgern der fall ist. diese schildern bei seelischen beschwerden bisweilen nur körperliche symptome, da psychische erkrankungen nicht in jeder kultur bekannt sind.

kurzum, man kann vermutlich jedem - auch gesunden - menschen eine seelische erkrankung bescheinigen, wenn man möchte. wahrscheinlich würde das auch der ein oder andere karriere-nebenbuhler ausnutzen: cheffe, hammse schon gehört, der herr xyz hat dies und das, der sollte man zum psychiater! personalplanung nach attest. in den chefsesseln säßen dann nur noch denunzianten und psychopathen.

wenn ich mir unsere regierung mit ihrer affinität zur möglichst lückenlosen überwachung so ansehe, erkenne ich da auf jeden fall mindestens eine mittelschwere paranoia. dringend behandlungsbedürftig. und sehr, sehr gefährlich, was das wohlergehen der bevölkerung betrifft.

* zum artikel

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Samstag, 4. April 2015
spaß mit airberlin, II
ich flog bisher eigentlich ganz gern mit airberlin. es gibt kostenlose getränke an board und in etwa 50 prozent aller fälle geht auch alles glatt und man ist pünktlich.

was ich gestern erleben durfte, überstieg allerdings mein vorstellungsvermögen. nein, ich hatte keinen kamikaze-piloten an bord. vielmehr handelte es sich um eine grobe fehlkalkulation und grenzenlose schlamperei, die mir jetzt meinen kompletten urlaub versaut. daher sage ich: fuck airberlin, mit euch fliege ich nicht mehr, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt!

um 12 uhr sollte mein flieger richtung süden gehen. der flug war recht günstig, jedenfalls günstiger als eine bahnfahrt, vielleicht hätte mich das misstrauisch machen sollen.
however, das erste problem gab es beim quick check-in. meine buchung konnte nicht gefunden werden. also wackelte ich zum schalter, checkte dort ein und gab mein gepäck auf.
"sie haben im moment noch keinen sitzplatz", sagte die dame am check-in.
mir klappte die kinnlade nach unten. sollte ich jetzt im frachtraum mitfliegen?
"die maschine ist voll", erläuterte sie, als sie mein ungläubiges gesicht sah.
"sie meinen, die maschine ist überbucht?" zählte ich dann eins und eins zusammen.
"und was soll ich jetzt machen?"
"gehen sie zum gate zu den kollegen, die kümmern sich um alles", winkte sie mich weiter.

beunruhigt, aber noch nicht wirklich besorgt ging ich durch die sicherheitskontrolle und dann zum gate. da stand schon ein airberlin-mitarbeiter.
"hallo, es gibt ein problem, ich habe keinen sitzplatz", sagte ich.
"da sind sie nicht die einzige", murmelte der airberlin-mensch in seinen nicht vorhandenen bart.
"oh. aber ich muss da mitfliegen, meine familie wartet auf mich!" wagte ich einzuwerfen.
"soll ich ihnen etwa einen klappstuhl reinstellen?" fuhr mich der airberlin-mensch an.
"jetzt stellen sie sie gefälligst zu den anderen und warten!"

wir warteten und warteten. die meisten passagiere stiegen in die maschine, acht blieben zurück (wobei ich mich fragte, wie man eine so kleine maschine mit acht personen überbuchen kann?!). der airberlin-mensch telefonierte und schleuste schließlich noch sechs personen in den flieger. zu dem jungen mann und mir sagte er, nicht ohne häme:
"kein platz mehr für sie."
"und jetzt?" wollte ich wissen.
"buchen sie halt um."
ich bekam gänsehaut.
"kostet das was?"
"gehen sie zum service-schalter und fragen sie", sagte der airberlin-mensch genervt.
ich kochte innerlich hoch. über den würde ich mich bei airberlin beschweren, nahm ich mir vor.

am service-schalter nahm mich ein junger dunkelhäutiger typ in empfang und begann dann für mich zu telefonieren.
"sieht schlecht aus, wir haben heute nichts mehr frei."
"dann zahlen sie mir ein bahn-ticket, dann nehm ich jetzt die bahn", schlug ich kompromissbereit vor.
"das geht nicht."
der junge typ telefonierte weiter.
"wir können sie nach münchen fliegen", sagte er irgendwann.
"und was soll ich in münchen", fragte ich genervt.
"ich rufe jetzt mal bei lufthansa an", sagte der mann mit einer engelsgeduld. und siehe da, endlich ein erfolg:
"hören sie, in zehn minuten geht ein lufthansa-flug nach münchen und von dort aus können sie eine stunde später weiter nach nürnberg fliegen, wäre das was?"
"nehm ich", sagte ich erfreut.
"dann müssen sie sich jetzt beeilen. sie müssen zum lufthansa-schalter einchecken und dann schnellstmöglich zum gate. zehn minuten!"

ich rannte zum lufthansa-schalter. eine frau beäugte mich misstrauisch.
"und was ist mit ihrem gepäck?"
"äh, das weiß ich nicht, ich wurde noch nie umgebucht. was ist denn normalerweise mit dem gepäck in so einem fall?"
"wird schon schiefgehen", sagte sie vage und drückte mir zwei boardkarten in die hand.
ich schubste mich durch die sicherheitskontrolle und rannte zum gate. man wartete auf mich, wie nett.
dann fiel mir die sache mit dem gepäck wieder ein.
"wissen sie, was jetzt mit meinem gepäck passiert?" fragte ich den steward im flieger.
"ich kann das in münchen für sie nachsehen, jetzt aber nicht."

münchen, flughafen. ich suchte mein anschluss-gate und fand dort auch gleich einen mitarbeiter von lufthansa, den ich wegen des gepäcks fragen konnte.
"machen sie sich keine sorgen", sagte er. "ihr gepäck darf niemals ohne sie fliegen. das wird ganz normal in nürnberg ankommen."
"können sie nicht mal nachgucken, ob es auch wirklich in der maschine ist?"
"nein", sagte er. "aber ich mache eine notiz, da ist bestimmt alles in ordnung!"

dann wartete ich. ich hatte hunger und durst und merkte erste erschöpfung. überall roch es fantastisch nach essen, aber ich hatte kein geld. endlich ging es weiter, sogar halbswegs pünktlich, und gegen halb fünf - mit nur dreieinhalb stunden verspätung also - landete ich in nürnberg.

am gepäckband allerdings: kein koffer für mich.

ich wandte mich an einen typ, der rumstromerte und notizen machte.
"arbeiten sie hier?"
"ja."
"mein gepäck ist nicht angekommen, was muss ich jetzt tun?"
"gehen sie zur gepäck-ermittlung, hier raus und dann rechts."
die stewardess aus dem münchen-flieger stand plötzlich hinter mir.
"na, vermissen sie auch ihren koffer?" fragte sie freundlich.
"ja."
"dann kommen sie, ich muss auch zur gepäck-ermittlung."

die nette stewardess erzählte, sie habe in chicago eingecheckt. seither verliere sich die spur ihres koffers.
"na toll", sagte ich.
dann war ich auch schon an der reihe. eine dame gab meinen suchauftrag in den pc ein.
"und, ist mein koffer hier?" wollte ich wissen.
"im moment offenbar nicht", sagte sie.
in mir starb jede hoffnung.
"können sie nicht mal in münchen anrufen und fragen?"
"nein, das geht jetzt schon alles seine wege."
"und wie lange dauert das jetzt erfahrungsgemäß?"
"ein paar tage."
"ich muss aber am dienstag zurück in hamburg sein!"
die frau zuckte die achseln.
"vielleicht ist der koffer ja morgen schon da."

nun sitze ich in nürnberg. ohne kleidung, ohne zahnbürste, ohne kontaktlinsen, ohne ladekabel. mein geburtstag war wirklich super. danke, airberlin!

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Montag, 30. März 2015
mausefalle
"ach", sagte die maus, "die welt wird enger mit jedem tag. zuerst war sie so breit, dass ich angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der ferne mauern sah, aber diese langen mauern eilten so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten zimmer bin, und dort im winkel steht die falle, in die ich laufe."

"du musst nur die laufrichtung ändern", sagte die katze - und fraß sie.

(franz kafka)

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Sonntag, 29. März 2015
stigma
"hast du manchmal auch so gedanken", will der dr.-ing wissen, als wir uns heute sehen und uns zunächst über das flugzeug-unglück unterhalten.
"das sind doch alles nur vermutungen", sage ich. "der absturz muss doch gar nichts mit der depression zu tun gehabt zu haben. wenn du mal einen schlechten tag hast, fährst du dann beispielsweise deswegen auf der autobahn amok?"

der dr.-ing schaut mich an und ich merke schon: die voreingenommenheit vernagelt sein hirn für alle rationalen argumente. wieder mal bestätigt sich mein eindruck, dass kognitiv hochintelligente menschen oft emotional vollkommen verblödet sind.

also entscheide ich mich zum frontal-angriff:
"na gut, also wenn du schon so direkt fragst: nein, ich verspüre nicht das leiseste bedürfnis, mich in einer fluguniform in ein cockpit zu mogeln und dann als kamikaze-fliegerin die elbphilharmonie oder so zu rammen. aber manchmal stelle ich mir vor, dass ich untreue ehemänner mit meiner nagelschere kastriere."
der dr.-ing versucht sich in einem lächeln, das jedoch etwas verunglückt. beim anschließenden vögeln ist er merklich nicht ganz bei der sache. gedanklich positioniere ich den dr.-ing auf meiner abschussrampe.

hinterher bin ich allerdings aufgewühlt und denke über das gespräch nach. plötzlich fällt mir ein, dass das flugzeug-unglück einen bleibenden effekt haben könnte: die weiterführende stigmatisierung psychisch kranker.

als offiziell irrer soll man ja immer hübsch zu seinen leiden stehen. psychische erkrankungen seien keine schande, heißt es, depression kann jeden treffen - sie kennen ja den belanglos-oberflächlichen blubb, den die pharmakonzerne überall abdrucken. trotzdem funktioniert das nicht. einen krebskranken würde man bedauern. psychisch kranken begegnet man mit misstrauen: ist der auch leistungsfähig? verhält der sich möglicherweise peinlich? sieht er nicht doch gaga aus? und jetzt, ganz neu: rastet der vielleicht aus und bringt sich und andere um?

als ich frisch meine diagnose hatte, war ich so naiv zu glauben, ich könne offen damit umgehen. weil ich ja ein intelligenter mensch bin und unter anderem auf arbeit schon jahrelang meine kompetenz bewiesen hatte. meine chefin hörte sich das alles an, bedauerte - und legte mir die kündigung auf den tisch. mein arzt, der mich in der klinik behandelte, sagte mir daraufhin, dass es klüger sei, im job niemandem davon zu erzählen. ich hielt dagegen: wenn man gegen stigmatisierung kämpfen wolle, müsse man doch offenheit beweisen. der arzt zuckte die schultern und meinte, ich sei nicht in der verfassung, meinen kopf hinzuhalten. wenn dann sollte ich lieber freunde und familie einweihen.

womit er natürlich recht hatte. und auch wieder nicht. denn die reaktionen meiner mitmenschen, die ich einweihte, erweckten in den kommenden tagen und wochen bei mir den eindruck, vollkommen alleine auf der welt zu sein. nach zwei jahren war das objekt der einzige mensch in der stadt, dem ich noch vertraute.

für mich selbst gäbe es theoretisch nur eine konsequenz: nie wieder irgendjemandem ein sterbenswörtchen erzählen. immer hübsch lachen und wenn man tränen in den augen hat, eine allergie vortäuschen. keinem menschen vertrauen. nie. unter keinen umständen. praktisch macht mich das allerdings aggressiv. ich bin ein offener mensch. ich habe keine lust, mich verstellen zu müssen. trotzdem tue ich es viel zu oft. selbstgewählte isolation, um keine gesellschaftliche isolation fürchten zu müssen. auf jeden fall aber isolation und damit den garantieschein auf einen fortschreitenden abwärtsstrudel. ganz einfach, weil isolation per se nicht happy macht und nichts mit mal-schön-seine-ruhe-haben zu tun hat.

gegen die symptome der erkrankung gibt es pillen. gegen das stigma nicht. eine gesellschaft kann man nicht therapieren, solange die mediale darstellung von psychischen erkrankungen dazu führt, dass man angst vor uns hat.

vielleicht ging es dem copiloten ja ähnlich und das stigma seiner erkrankung wuchs ihm über den kopf. wir wissen es nicht. und deshalb sollten wir auch nichts glauben, was einige medien in ihrem pseudopsychologischen leichenfledderei-wahn schreiben. die würde des menschen ist unantastbar. das gilt auch für psychisch kranke.

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