Freitag, 9. Oktober 2015
blauphase mit endorphin-intermezzo
wegen dauerkränklichkeit und allumfassender erschöpfung nach einer übervollen messewoche beschließe ich, heute doch mal krank zu sein. ich gehe ganz feudal zum onkel doc und jammere ein wenig, dann mache ich noch einen abstecher zur psychiatrie und jammere dort ebenfalls ein bisschen, so irgendwo zwischen "ich fühl mich nicht so" und "ich begehe heute abend suizid", um einigermaßen fix an einen ambulanten termin zu kommen. einigermaßen fix heißt in diesem fall: in weniger als vier wochen, und oh wunder, es klappt, nur knapp drei wochen, bis ich mit jemandem sprechen darf.

als ich aus der klinik hinaus in den regen gehe und mir eine zigarette anzünden will, ruft jemand hinter mir:
"morphine, morphine!"
ich drehe mich um und sehe, dass das objekt angewackelt kommt.
"na, auf dem weg zur arbeit?", frage ich und nehme es fest in die arme.
"hmmmmmm", sagt das objekt und kuschelt sich kurz an.
ich schaue ihm ins gesicht und weiß, es ist gerade erst aufgestanden und hat am vorabend sehr viel gekifft.
"noch restbekifft?" frage ich weiter.
als antwort zeigt mir das objekt den stinkefinger.
"schlechter tag?"
"alles fotzen außer mutti", sagt das objekt und küsst mich grinsend auf die wange.
"dann viel spaß gleich mit den fotzen und deiner mutti und der fotze deiner mutti, oder wie auch immer."

wir stehen voreinander. das objekt geht nicht, sondern guckt nur. ich gucke zurück und kann die sekunden spüren. das objekt lächelt sein schönes offenes warmherziges lächeln, überlegt ganz offensichtlich, ob es noch etwas sagen soll, entschließt sich dann aber einfach zu einer weiteren umarmung.

"musst du nicht rein", sage ich und deute mit dem kinn richtung klinikgebäude.
"ich bin eh schon zu spät", grinst das objekt frech.
"dann allez-hopp."
das objekt schaut ein bisschen gequält, drückt mich zum abschied und geht dann seines weges. ich sehe ihm nach, was es offenbar spürt, denn es dreht sich noch mal um, eilt fünf schritte auf mich zu, gibt mir noch einen kuss und sagt dann schnell:
"hübsch siehst du aus."
bevor ich etwas erwidern kann, ist es schon an der kliniktür und schlüpft hinein.

als ich auf dem nachhauseweg bin, habe ich herzklopfen. ein schönes, erwartungsfreies herzklopfen. es wird schon, zwischen dem objekt und mir. ich vertraue auf die sympathie zwischen uns, die auch der große crash nicht zunichte machen konnte. sie wird uns weitertragen, in diese oder jene oder eine ganz andere richtung.